Paradigmenwechsel am Milchmarkt – von der Milchquotenregelung zu mehr Verantwortung der Marktakteure

Das Auslaufen der EU-Milchquotenregelung zum 31. März 2015 war Bestandteil eines Paradigmenwechsels am EU-Milchmarkt. Die EU-Milchquotenregelung wurde 1984 eingeführt, weil das damalige Garantiepreissystem zu einer erheblichen Überproduktion geführt hatte, durch die die Interventionskosten für den EU-Milchmarkt einen immer größeren Anteil an dem EU-Agrarbudget einnahmen. Die angestrebte Stabilisierung der Einkommen von Milcherzeugerinnen und Milcherzeugern und damit die Sicherung des Fortbestandes der Milchviehbetriebe in der EU konnte daher auf diesem Weg nicht mehr erreicht werden.

Auch wies die EU-Milchquotenregelung im Übrigen Schwächen auf:

  • Auch in den 31 Jahren ihres Bestehens gab es Schwankungen des Erzeugerpreises für Rohmilch von bis zu 20 Cent pro Kilo.
  • Der Strukturwandel konnte mit der Quote nicht angehalten werden. Zwischen 1984 und 2015 ist die Anzahl der deutschen Milcherzeugenden von 320.500 auf circa 74.000 zurückgegangen. Das entspricht einem Rückgang von 77 Prozent.
  • Durch die Regelung waren aufstockende Milchbetriebe zusätzlichen finanziellen Belastungen ausgesetzt, da sie die erforderlichen Milchquoten von aufgebenden Milchbetrieben kaufen mussten.
  • Auch konnte die EU-Milchwirtschaft nicht von der teils dynamischen Entwicklung des globalen Milchmarktes profitieren.

Liberalisierung des EU-Milchmarktes

Schon seit Beginn der 90er Jahre zielte die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) darauf ab, den Agrarsektor durch dessen Liberalisierung in ein offeneres Welthandelssystem zu integrieren. Im Zuge dieses Liberalisierungsprozesses fiel 2003 die Entscheidung, die EU-Milchquotenregelung letztmalig bis 2015 zu verlängern. Denn durch den geringeren Außenhandelsschutz im Milchbereich konnte die EU-Milchquotenregelung den Erzeugerpreis im Binnenmarkt nicht mehr hinreichend stützen.

Die Milchbetriebe erhielten die Verantwortung zurück, die erzeugte Rohmilchmenge selbst zu bestimmen. Staatlicherseits wird in die Entscheidung über die Produktionsmenge nicht mehr eingegriffen.
Auch die in der Milchkrise 2015/16 durchgeführten Krisenmaßnahmen hatten hinsichtlich ihres Einflusses auf die Milchmenge freiwilligen und nicht verbindlichen Charakter.

Die Wirtschaft ist gefordert, den Absatz nach Märkten und Produkten zu diversifizieren. Produktinnovationen und Markenbildung sollten eine wesentlich stärkere Rolle spielen. Die Bundesregierung unterstützt diesen Prozess, indem sie ihre Bemühungen verstärkt, bestehende Handelshemmnisse vor allem im Veterinärbereich abzubauen, um dadurch eine Verbesserung des Marktzugangs zu Drittstaaten zu erreichen. Der Milchwirtschaft stehen außerdem die übrigen Maßnahmen der Exportförderung des BMEL zur Verfügung.

Direktzahlungen und Sicherheitsnetz flankieren die Marktausrichtung

Als Teilausgleich für die Absenkung des Stützungsniveaus erhalten die Milchbetriebe weiter staatliche Unterstützung. Zentraler Baustein der staatlichen Einkommenspolitik sind von der Produktionsmenge unabhängige, das heißt entkoppelte Zahlungen je Hektar förderfähiger Fläche. Für Krisenzeiten steht ein "Sicherheitsnetz" zur Verfügung. Es sieht keine dauerhaften Eingriffe ins Marktgeschehen vor. Neben der privaten Lagerhaltung und Intervention gestattet es, dass die EU bei außergewöhnlichen Marktkrisen Sondermaßnahmen ergreifen kann.

Darüber hinaus stärkt die Gemeinsame Marktorganisation seit 2012 die Instrumente zur Selbsthilfe. So wird die Stellung der Milchbetriebe innerhalb der Lieferkette gestärkt. Zu nennen sind vor allem spezielle Kartellfreistellungen für den gemeinschaftlichen Verkauf von Rohmilch und die Option für die EU-Mitgliedstaaten, gesetzliche Regelungen für Rohmilchlieferverträge zu erlassen.

Holpriger Start in den "quotenlosen" Milchmarkt

Mit der Liberalisierung des EU-Milchmarktes ist die Volatilität der Rohmilchpreise in der EU und in Deutschland stark gestiegen und es kam zu Milchmarktkrisen wie in den Jahren 2009, 2012 und, nach dem Auslaufen der EU-Milchquotenregelung, in 2015/16. Ursache dafür waren eine auf das Auslaufen der Quote zurück zu führende Investitionswelle auf Ebene der EU-Milchbetriebe, ein weltweit hohes Milchangebot, eine stagnierende Nachfrage aus China und Nahost sowie das bis heute anhaltende Russlandembargo. 2015/16 kam es zu stark sinkenden Preisen für konventionell erzeugte Rohmilch. Das Preistief lag in Deutschland bei durchschnittlichen Erzeugerpreisen von knapp 27 Cent/kg für konventionelle Standardmilch im Jahr 2016, darunter in den Monaten Mai-Juli 23 Cent/kg.

Die Situation entwickelte sich zu einer schweren Belastung für die Milchbetriebe. Um die Zahlungsfähigkeit der Milchbetriebe zu erhalten, aktivierte die EU ihr Sicherheitsnetz und verabschiedete Krisenmaßnahmen sowie zwei Hilfspakete. Um dem starken Preisabfall der Milcherzeugnisse entgegen zu treten, wurde im weiteren Verlauf der Milchkrise Magermilchpulver in der Intervention, also die öffentlichen Läger, eingelagert. Darüber hinaus standen 150 Millionen Euro zur freiwilligen Verringerung der Milchanlieferung zur Verfügung. Weitere 116 Millionen Euro nutzte Deutschland für eine Liquiditätshilfe mit Angebotsdisziplin. EU-weit standen in dem Zusammenhang 350 Millionen Euro zur Verfügung. Die Milchbranche hat in dieser Zeit begonnen, Modelle der Preisabsicherung auf Molkereiebene zu entwickeln und anzubieten.

Bei gleichen Zielen und Herausforderungen ist der Paradigmenwechsel in vollem Gange

Auch nach dem Auslaufen der EU-Milchquotenregelung bleiben die beiden Ziele, stabile Erzeugerpreise zu erzielen und die sozialverträgliche Gestaltung des Strukturwandels sowie die damit verbundenen Herausforderungen gleich:

  • Wie die starken Schwankungen der Milcherzeugerpreise in der EU gerade im letzten Jahrzehnt gezeigt haben, kann sehr schnell erneut ein Ungleichgewicht am Milchmarkt auftreten. Im Jahr 2022 haben die Auszahlungspreise für die angelieferte Rohmilch der Milchbetriebe in Deutschland für konventionell erzeugte Kuhmilch einen historischen Anstieg über das ganze Jahr auf ein Rekordniveau von durchschnittlich 60 Cent je kg Milch im Dezember 2022 erreicht. Seit Beginn des Jahres 2023 entfernt der durchschnittliche Auszahlungspreis sich wieder deutlich von seiner Rekordhöhe.
  • Der Strukturwandel setzt sich weiter fort. Zum Stichtag der Viehzählung, dem 3. Mai 2023 wurden auf 51.674 Betrieben 3,78 Mio. Milchkühe gehalten. Die Anzahl an gehaltenen Kühen pro Betrieb variiert in Deutschland stark. Die Spannweite reicht von weniger als 10 bis mehr als 1.000 Kühen pro Betrieb. Etwa die Hälfte der Höfe mit Milchkuhhaltung werden in Bayern betrieben, während in den "neuen" Bundesländern die größten Herden stehen. Es ist zu erwarten, dass sich der Trend - abnehmende Anzahl an Milchviehhaltern bei gleichzeitigem Anstieg der Kuhzahl je Halter und steigende Milchleistung - fortsetzt, bei zusätzlichen Klima- und Tierwohlauflagen sogar beschleunigt, sofern diese nicht durch erhöhte Markterlöse oder staatliche Beihilfen ausgeglichen werden.

Die Verantwortung zur Entscheidung über den Umfang ihrer Milcherzeugung liegt in einer Marktwirtschaft bei den Marktakteuren. Eine wesentliche Rolle spielen dabei die Rohmilch-Lieferbedingungen.

Seit dem 01.01.2018 können die Mitgliedstaaten festlegen, dass die Vertragsparteien verpflichtet sind, ein Verhältnis zwischen Rohmilchpreisen und Liefermengen in ihren Milchlieferbeziehungen festzulegen. Die Bestimmung ist auf deutsche Initiative entstanden und kann helfen, inversen Angebotsreaktionen in Krisenzeiten entgegenzuwirken und das Anbieten oder Vereinbaren von betriebsindividuellen Preisabsicherungsmodellen im Milchsektor verstärken.

4-Punkteplan für eine zukunftsfähige Milchviehhaltung

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Im Zuge der "Konferenz zur Zukunft der Milchviehhaltung in Deutschland" im August 2023 wurde die nationale Anwendung des Artikels 148 der Gemeinsamen Marktorganisation (GMO) "Vertragsbeziehungen im Sektor Milch und Milcherzeugnisse" angekündigt. Konkret geht es dabei um die Anwendung von EU-rechtlich vorgegebenen Bestimmungen und Bestandteilen in deutschen Rohmilchlieferverträgen und Lieferordnungen oder Satzungen in Genossenschaften. Neu wird hierbei die Idee der Vereinbarung einer Mengen-Preis-Relation sein. Für alle Bestimmungen und Bestandteile in deutschen Rohmilchlieferverträge oder Lieferordnungen und Satzungen in Genossenschaften gilt aber, sie sind zwischen den Vertragsparteien frei verhandelbar.

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