Agrobiodiversität sichert Innovationsfähigkeit von Landnutzung und Agrarwirtschaft

Empfehlungen des Beirats für Biodiversität und Genetische Ressourcen beim BMELV

Stand: 9. November 2006

Agrobiodiversität sichert Innovationsfähigkeit

Agrobiodiversität ist eine wesentliche Grundlage dafür, dass sich Landnutzung und Agrarwirtschaft sich ändernden Rahmenbedingungen anpassen können. Der Beirat will deshalb - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - einige Innovationspotenziale der Agrobiodiversität für Landnutzung und Agrarwirtschaft unter sich aktuell ändernden Rahmenbedingungen aufzeigen und Schlussfolgerungen für die Förderung dieser Potenziale ziehen.

Mit dem Begriff Agrobiodiversität bezeichnet der Beirat alle Bestandteile der biologischen Vielfalt, die für die Ernährungs-, Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft – hier zusammenfassend Agrarwirtschaft genannt – direkt von Bedeutung sind oder Schlüsselfunktionen von Agrarökosystemen sichern. Hierzu zählen alle kultivierten und domestizierten Arten und die mit ihnen verwandten Wildarten. Weiterhin zählen Arten dazu, die Ökosystemleistungen erbringen, zum Beispiel Nützlinge, die Schädlinge kontrollieren, Bodenorganismen, die Nährstoffe für Nutzpflanzen aufschließen, Bestäuber oder Pflanzen, die zur Erosionskontrolle beitragen oder den Wasserhaushalt stabilisieren.

Untersetzt wird diese Artenvielfalt durch die innerartliche Diversität, durch die jeder Organismus zu einem genetischen Unikat werden kann und die Voraussetzung für eine kontinuierliche Evolution der Arten ist. Durch züchterische Tätigkeit wurde sowohl die innerartliche als auch in gewissem Umfang die zwischenartliche genetische Vielfalt genutzt und in Form von Sorten, Rassen, Genotypen – also sich unterscheidenden Gruppen von gleichen bzw. ähnlichen Individuen einer Art – gebündelt.

Im Zusammenspiel mit Klima-, Standort- und Nutzungsbedingungen bilden Arten mit ihrer innerartlichen Vielfalt Ökosysteme. Durch Nutzung geprägte Ökosysteme unserer Kulturlandschaft reichen von hochproduktiven Systemen, wie dem Anbau von Feldgemüse mit mehreren Ernten im Jahr, bis zu extensiven Systemen, wie der Beweidung von Heideflächen. Hinzu kommen die Wälder, die - obwohl oft noch naturnäher - ebenfalls Nutz-Ökosysteme darstellen.

Die konkrete Ausprägung der agrarischen Produktion wird durch die jeweiligen Bedürfnisse der Individuen und der Gesellschaft bestimmt. Es sind dies vor allem die Verfügbarkeit und Qualität von Nahrung und Rohstoffen, auch zur Sicherung der Energieversorgung, die Ansprüche an Siedlungsraum und an die Ästhetik der Landschaft.

Die Ressourcen, die für die agrarische Produktion grundsätzlich zur Verfügung stehen, lassen sich einteilen in:

  • Flächen- und Standortressourcen,
  • Ressourcen aus dem Abbau von Lagerstätten,
  • Human- und Sozialressourcen in Form von
  • Erfahrungen, Ideen, Wissen und technischen Fertigkeiten sowie
  • genetische Ressourcen, die als Agrobiodiversität verfügbar sind.

Die Rahmenbedingungen für agrarische Produktion ändern sich permanent: Klimawandel, genetische Erosion, die Populationsentwicklung der Menschen, die Verknappung endlicher Ressourcen sowie sich durch veränderte Präferenzen und Ziele wandelnde ökonomische und politische Voraussetzungen sind Beispiele für die Vielfalt der Einflussfaktoren auf die Primärproduktion. Den Umgang mit den genannten Ressourcen versuchen wir dabei mit Hilfe finanzieller Ressourcen, also einer zusätzlich von uns geschaffenen Ressource, zu steuern.

Agrarwissenschaft und -wirtschaft waren und sind ständig innovativ, das heißt sie finden neue Lösungen, um diesen Veränderungen zu begegnen. Entscheidend für die Anpassungsfähigkeit ist dabei die Verfügbarkeit der oben genannten Ressourcen. Da Flächen- und Standortreserven global gesehen weitgehend ausgeschöpft sind und der Abbau von Lagerstätten endlich ist, liegt das größte Potenzial für die Weiterentwicklung leistungsfähiger Produktionssysteme in der optimierten Nutzung von Agrobiodiversität, dies bedeutet in der Verbindung von Biodiversitäts- und Humankapital.

Beide Schlüsselressourcen – Human- und Biodiversitätskapital – sind in einem bestimmten Umfang vorhanden bzw. werden uns durch die Evolution bereitgestellt. Insofern könnten wir davon ausgehen, dass den Menschen die Ideen nicht ausgehen und durch die Evolution genügend genetische Ressourcen bereitgestellt werden. Im Hinblick auf die Sicherung und Weiterentwicklung des Humankapitals investieren wir jedoch aus gutem Grund erheblich in die Bewahrung von Wissen (Museen, Bücher, Bibliotheken, Internet) und vor allem in weiteren Erkenntniszuwachs (Bildung und Forschung).

Auch im Hinblick auf die Agrobiodiversität sollten wir uns nur in Grenzen auf die Natur verlassen. Zwar verfügt diese über ein hohes Anpassungsvermögen – die Populationsentwicklung der Menschen und seine ökologischen Merkmale (Ressourcennutzung) werden aber sicher durch kein "Naturprogramm" unterstützt. Deshalb erscheint es angeraten, auch in die Organisation und Erhaltung der Ressource "Agrobiodiversität" zu investieren, um die Innovationsfähigkeit agrarischer Produktionssysteme zu erhalten. Biologische Vielfalt initiiert auch direkt Innovationen oder ermöglicht deren Umsetzung in der Agrarwirtschaft. Insofern gewährleisten sich innovative Nutzung und Sicherung der Innovationsfähigkeit für agrarische Nutzsysteme gegenseitig.

Konkreten Veränderungen innovativ begegnen

Agrarproduktion soll sich nachhaltig entwickeln – das heißt, die Produktion von Agrargütern muss bei möglichst geringen unerwünschten Umweltwirkungen verbessert werden. Gleichzeitig muss eine angemessene Verteilung der Produktion und der Güter eine ökonomische und soziale Entwicklung in allen Teilen der Weltermöglichen. Der Beirat sieht zurzeit in drei Bereichen entscheidende Veränderungen, die hierbei zu berücksichtigen sind:

  • (i) Globaler Wandel des Klimas,
  • (ii) Weltweite Verknappung endlicher Ressourcen (vor allem fossiler Energieträger),
  • (iii) Veränderungen der ökonomischen Bedingungen der Agrarproduktion durch die EU-Agrarpolitik und die Marktsituation.

(i) Klimabeobachtungen und -szenarien zeigen immer eindeutiger, dass das Klima sich global wandelt. Damit geht einher, dass Witterungsextreme und deren Folgen, d. h. Hochwasser, Fluten, Trockenheitsperioden und Stürme, zunehmen werden. Die Auswirkungen dieser Prozesse betreffen sowohl natürliche als auch Nutz-Ökosysteme auf agrarischer, forstlicher oder aquatischer Basis. Globale Gegenmaßnahmensind im Rahmen des Kyoto-Protokolls verabredet; es wird allerdings zunehmend unwahrscheinlich, dass diese – würden sie überhaupt erfüllt – den Wandel aufhalten könnten. Es erscheint geboten, auch über Anpassungsstrategien nachzudenken.

Für solche Strategien stellt die Anpassungsfähigkeit der gegenwärtig lebenden Arten die alleinige Basis dar. Das physiologische Vermögen von Organismen, sich innerhalbihrer genetischen Reaktionsbreite an veränderte Umweltbedingungen anpassen zu können, hat sich in evolutiven Zeiträumen und regional differenziert entwickelt. Die Vielfalt der (auch extremen) Lebensräume hat eine Vielfalt an Lebensformen und Anpassungsstrategien hervorgebracht, die auch künftig die Überlebensfähigkeit bestimmter Arten im Zuge globaler Klimaänderungen erwarten lässt. Klimaszenarien für einzelne Regionen Deutschlands zeigen, dass die globale Erwärmung zu einem deutlichen Verlust der bisher angepassten Populationen in natürlichen Ökosystemen führen wird.

Der überwiegende Teil der in der Land- und Forstwirtschaft genutzten Arten stammt nicht aus Deutschland, sondern aus Regionen, die heute bereits durch andere Witterungsbedingungen bestimmt werden (zum Beispiel Trockenperioden, milde Winter). Klimabedingte Veränderungen können mittel- bis langfristig durch züchterische Arbeit aufgefangen werden, weil die globale Vielfalt der Arten und innerhalb der Arten größer ist als die regionale. Innovationspotenziale bestehen somit zum einen in der Ausbreitung und Nutzung von zurzeit noch fremden Populationen/ Herkünften innerhalb des heimischen Artenspektrums und zum anderen in der züchterischen Bearbeitung entsprechender Genotypen. Vor diesem Hintergrund wird auch verstärkt auf neue Methoden der Molekularbiologie und der Gentechnik zurückgegriffen werden, um wichtige "neue” Artmerkmale, wie zum Beispiel Trockenheitsresistenz, zu identifizieren und nutzbar zu machen.

Die gezielte Einführung gebietsfremder und bisher in Deutschland noch nicht kultivierter Arten kann es ermöglichen, Standorte bei sich wandelnden Bedingungen nachhaltig produktiv zu halten. Wurde vor Jahrhunderten die Kartoffel in Mitteleuropa eingeführt, ist in der jüngsten Vergangenheit die Kiwi als Beispiel für die erfolgreiche Etablierung neuer Kulturpflanzen zu nennen. Auch einige fremdländische Gehölzarten (zum Beispiel Douglasie, Roteiche) haben in Deutschland auf kleiner Fläche eine lange Anbautradition, deren Potenziale – bei Kenntnis der ökosystemaren Wirkungen – künftig noch besser genutzt werden sollten.

Gleichzeitig wird aber auch die Bedeutung der genetischen Variabilität innerhalb der heimischen Arten häufig unterschätzt. Für die forstliche Nutzung wurde die Bedeutung des Herkunftsortes durch aufwändige Herkunftsversuche in vielen Teilen Europas dokumentiert. Sie hatten das Ziel, unter den jeweiligen Standortbedingungen die geeigneten Herkünfte aus dem großen Verbreitungsgebiet der Baumarten auszuwählen und für den heimischen Anbau zu empfehlen. Unter ökophysiologischen Gesichtspunkten zeigten sich deutliche, genetisch bedingte Unterschiede in den Wuchsformen, in der Frost- und Trockenstresstoleranz sowie in der Resistenz gegenüber Schaderregern. Innovationspotenziale liegen beispielsweise in der Verwendung von überflutungstoleranten Gehölzarten. So hat die Auwaldinitialisierung zum Beispiel mit der in Deutschland vom Aussterben bedrohten Schwarzpappel auf Retentionsflächen nicht nur einen hohen Naturschutzwert, sondern sie verhindert auch Bodenerosion und mindert Strömungsgeschwindigkeiten.

In der Züchtungsforschung werden erhebliche Anstrengungen unternommen, um Pflanzen mit verbessertem Nährstofferschließungs- oder -aneignungsvermögen zu entwickeln. Diese Eigenschaften hängen häufig direkt mit Trockenheitsresistenz zusammen. Neben dem Ziel, durch klassische oder auch gentechnische Verfahren der Pflanzenzüchtung möglichst nährstoff- und wassereffiziente Genotypen zu entwickeln, kommt dem Rückgriff auf alte oder auch gebietsfremde Kulturarten, die sich auf verschiedenen Standorten bereits bewährt haben, große Bedeutung zu.Auch das Bodenleben in seiner Bedeutung für die Fähigkeit der Pflanzen zur Wasser- und Nährstoffaufnahme bietet Ansätze für Anpassungen. Aufmerksamkeit erlangen symbiotische Beziehungen zwischen Pflanzen und Mykorrhiza-Pilzen. Ein besseres Verständnis der artspezifischen Beziehungen zwischen Pilzen und Pflanzen lässt erhebliche Beiträge für die Aufrechterhaltung der Produktion erwarten.

(ii) Dass sich endliche Ressourcen (vor allem fossile Energieträger) weltweit verknappen, ist aufgrund der verbleibenden Mengen recht zuverlässig zu prognostizieren. Darüber hinaus liegt im Verbrauch an fossiler Energie über die Freisetzung von CO2 im Verbrennungsprozess eine entscheidende Ursache für die Veränderung des Klimas. Im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung müssen also dringend neue Technologien für die Energieversorgung begründet werden.

Steigende Preise für Erdöl und Erdgas führen dazu, auch betriebs- und volkswirtschaftlich über Alternativen nachzudenken. Die Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen, die agrarischer Nutzung entstammen, erlebt insofern derzeit einen weltweiten Boom.

Auch in Deutschland wendet sich die Landwirtschaft verstärkt der Produktion nachwachsender Energieträger zu. Die Nachfrage danach ist allerdings durch staatliche Förderung erheblich verzerrt. Wurden Energieträger bisher auf der Basis von Raps für Rapsöl oder Biodiesel genutzt, lassen verschärfte Motornormen hier zukünftig Grenzen erkennen. Ausgelöst durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wird zunehmend in andere Technologien investiert: Biogas- und Ethanol-Anlagen haben sehr hohe Zuwachsraten – sowohl dezentrale kleine Anlagen als auch große zentrale Einrichtungen. Unmittelbar und ökonomisch sinnvoll verwertbar sind in Biogas-Anlagen alle pflanzlichen Aufwüchse, die auch zur Fütterung hoch leistender Wiederkäuer geeignet wären.

Die Kultur mit der größten Bedeutung für diese Anwendung ist zurzeit der Mais. Aufgrund seines noch vorhandenen breiten genetischen Potenzials bietet der Mais zahlreiche Ansatzpunkte für eine züchterische Veränderung im Hinblick auf eine gezielte Nutzung als Energiemais. Verschiedene Projekte, unter anderem durch die Arbeit der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V., tragen hier bereits erste Früchte.

Über die Kraft- und Wärmenutzung fester Energieträger hinaus richten sich derzeit große Hoffnungen auf die Herstellung von BtL-Kraftstoffen (Biomass to Liquid). In diesem Verfahren wird feste Biomasse zu Diesel, Benzin oder synthetischen Kraftstoffen umgewandelt. BtL-Kraftstoffe würden nach jetzigem Kenntnisstand ein großes Mengenpotenzial bieten, da die Palette der in Frage kommenden Pflanzen groß ist. So könnten Holz, Stroh, Getreideganzpflanzen, Hanf, Miscanthus oder auch Bioabfälle eingesetzt werden. Bis diese Potenziale erschlossen werden können, ist jedoch noch ein hoher Forschungsbedarf zu realisieren.

Zunächst wird bei dieser Technologie Holz, das aus bestehenden Wäldern oder aus schnell wachsenden Hölzern gewonnen wird, in allen Formen dominieren – beim Holz ist aber auch mit einem erheblichen Anteil an Importholzen zu rechnen. Schnellwachsende Sträucher aus heimischer Produktion können hinzukommen. Durch überbetriebliche Zusammenarbeit kann die Einbindung solcher Dauerkulturen in die Landschaftsgestaltung auch Konflikte des abiotischen Ressourcenschutzes entzerren, zum Beispiel durch Konturnutzung bisheriger Ackerfluren in Wassereinzugsgebieten, die gemäß der EG-Wasserrahmenrichtlinie umgenutzt werden müssen.

Theoretisch kann also ein weites Pflanzenspektrum für den Anbau nachwachsender Energieträger genutzt werden. Mit einer solchen diversen Nutzungsstrategie wären zwei positive Effekte erreichbar: Reduktion des CO2-Aufkommens beim Verbrennen endlicher Energieträger und Verringerung vieler negativer Effekte, die mit einer räumlichen und zeitlichen Konzentration auf wenige Feldfrüchte verbunden sind (Zunahme von Schaderregern, die von der Anbaukonzentration, und Rückgang wildlebender Pflanzen und Tiere, die von der Kulturartendiversität im Raum abhängen).

(iii) Die ökonomischen Bedingungen für die Agrarproduktion verschieben sich unter dem Einfluss der EU-Agrarpolitik und sich ändernder Marktsituationen.Seit Anfang der neunziger Jahre ist die Zielsetzung der EU-Agrarpolitik, die Landwirtschaft schrittweise in den globalen Wettbewerb zu integrieren. Für viele Betriebe entstand dadurch eine völlig neue Wettbewerbssituation. Nicht die Optimierung der pro Hektar zu erlösenden Agrarprämie, sondern der Anbau standortgerechter und wettbewerbsfähiger Produkte (wozu auch das Brachfallen der Fläche zählen kann) muss nun das betriebswirtschaftliche Kalkül bestimmen.

In einer früheren Stellungnahme hat der Beirat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in diesen veränderten Rahmenbedingungen durchaus Chancen für die Agrobiodiversität liegen – zwingen sie doch besonders die Landwirtschaft (Forst- und Fischereiwirtschaft zunächst weniger stark) zum Wandel in vielen Bereichen. Wie sich die Abkoppelung der Prämien in Zukunft tatsächlich auf die Ausgestaltung der Agrarwirtschaft auswirken wird, bleibt abzuwarten. Zu rechnen ist in jedem Fall mit Änderungen in der Produktionspalette und einer Überprüfung der Intensität und Effizienz bisheriger Produktionsverfahren, das heißt die Marktsituation und das standortabhängige Produktionspotenzial werden betriebliche Entscheidungen deutlicher als bisher beeinflussen.

In der Pflanzenproduktion suchen viele Landwirte neue Chancen für ihre Betriebe – die Bedeutung der Energiepflanzenerzeugung wurde bereits dargelegt. Andere Betriebsleiter stellen sich eher auf Märkte ein, die in den vergangenen Jahren durch Veränderungen in den Präferenzen der Verbraucher entstanden und entsprechend gewachsen sind, so zum Beispiel dem für Erzeugnisse des Ökologischen Landbaus.

Ein Markt, der zunehmend professionalisiert und damit wachstumsfähig wird, ist der für Nischen- und Premium-Produkte. Regionale Erzeugergemeinschaften, Dachmarkenverbände oder engagierte Direktvermarkter und Unternehmer erreichen die Verbraucher zunehmend mit verbesserten Produktpaletten und Marketingkonzepten.

Ein expandierender Markt liegt auch in den so genannten funktionellen Lebensmitteln, Phytopharmaka und pflanzlichen Ernährungs- oder auch Futterzusatzstoffen. Hierzu gehören zum Beispiel das zytostatisch wirkende Taxol der Eibe oder das schmerzlindernde Salicin verschiedener Weidenarten. Beide Wirkstoffe sind Bestandteile von medizinischen "Nischenpräparaten". Auch ungelöste Umweltprobleme (zum Beispiel die Abfallbeseitigung oder Schadstoffbelastungen) erfordern neue Lösungen. Kompostierbare Verpackungen aus Stärke, Dämmstoffe aus Naturfasern, Stoßstangen und Boote aus Faserverbundstoffen, Rhabarber gegerbtes Leder, Kissenfüllungen aus Pappelflaum oder Schwermetall bindende Pflanzen und Pilze sind nur einige Beispiele. Durch gentechnische Verfahren lassen sich zum Beispiel die Gene für die Synthese extrem reißfester Spinneneiweiße in Kartoffeln einpflanzen. Sind die entsprechenden Anreize gesetzt und technische Lösungen in Sicht, entfalten sich auf Basis der Agrobiodiversität Erfindungs- und auch Unternehmergeist.

Für den Weg der Effizienzsteigerung bestehender Produktionsrichtungen ist Agrobiodiversität ebenso unverzichtbar. Aus der Pflanzen- und Tierzucht können fast beliebig viele Beispiele angeführt werden, bei denen Agrobiodiversität hilft, Mengen und Qualitäten der Agrarproduktion oder durch die Resistenzzüchtung die Gesunderhaltung der Nutzorganismen zu verbessern. Neues Wissen aus der Genomforschung zu nutzen, kann in der Züchtung noch große Potenziale realisieren.

Bei landwirtschaftlichen Nutztieren verfügen Rassen, die heute wegen des geringeren Leistungsniveaus aus der Nutzung verschwinden, über Eigenschaften, die für eine zukünftige landwirtschaftliche Produktion von Bedeutung sein können. Solche Eigenschaften können eine höhere Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheitserregern, Anpassungsfähigkeit gegenüber sich änderndem Nahrungsangebot und anderen Umweltbedingungen oder auch Merkmale der Produktqualität sein.

Gefährdete Nutztierrassen werden auch in Gebrauchskreuzungen eingesetzt (zum Beispiel Schwäbisch-Hällische Schweine). Ein ähnliches Konzept wird mit einer Erhaltungszucht bei Hühnern (Kollbecksmoor Huhn) verfolgt, bei dem Tiere alter Rassen mit Tieren aus der modernen Wirtschaftsgeflügelzucht gekreuzt werden. Die Erhaltungszucht muss aber von diesen Kreuzungen unbeeinflusst bleiben und darf nicht durch Selektion auf höhere Leistungen in ihrer genetischen Basis verengt werden.

Agrobiodiversität spielt auch eine Rolle, wenn es darum geht, Verfahren des biologischen Pflanzenschutzes zu entwickeln. Nutzarthropoden sowie antagonistische Pilze und Mikroorganismen hält die Natur in schier unübersehbarer Vielfalt bereit. Wir schöpfen immer wieder daraus, ohne vorher die "Brauchbarkeit" der Organismen erkannt zu haben.

Nicht zuletzt bietet die Vielfalt von aquatischen Lebensformen Chancen für eine verstärkte Nutzung. Hier liegen Potenziale sowohl darin, weitere Arten für die Aquakultur nutzbar zu machen, als auch genetische Unterschiede einzelner Populationen der Arten auszuschöpfen.

Um Anpassungen im Hinblick auf Klimawandel, Ressourcenverknappung, Agrarpolitik und Verbraucherwünsche realisieren und die jeweiligen Marktpotenziale mit innovativen Ideen und Projekten erschließen zu können, spielt die Verfügbarkeit neuer und "alter", an unterschiedliche Standortbedingungen angepasster Nutzpflanzen und -tiere für die Produzenten die entscheidende Rolle.

In der Züchtungsforschung liegen erhebliche biotische Innovationspotenziale, um dem Klimawandel zu begegnen. Der Beirat weist deshalb ausdrücklich darauf hin, dass die Verfügbarkeit von Agrobiodiversität die wesentliche Voraussetzung ist, um Engpässe aufgrund des globalen Klimawandels zu überwinden und Anpassungen zu ermöglichen.

Der Beirat begrüßt es auch außerordentlich, dass das BMELV erhebliche Mittel aufwendet, um das Spektrum der für eine Biomasseerzeugung interessanten und rentablen Kulturpflanzen zu erweitern und somit die Voraussetzungen für die Diversifizierung auch von Energiefruchtfolgen zu schaffen.

Bedingt durch die Ausgestaltung der EU-Agrarpolitik haben sich in den letzten Jahrzehnten nur wenige "große Kulturen" in der Landwirtschaft durchgesetzt – viele andere ehemals verbreitete Kulturpflanzen wurden im Anbau und auch im Hinblick auf eine züchterische Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit vernachlässigt. Vor dem Hintergrund veränderter Nutzungsrichtungen einerseits und technischer Fortschritte in Landwirtschaft und Züchtung andererseits steht noch ein großes Potenzial an Agrobiodiversität zur Verfügung, das bei Bedarf erschlossen werden kann.

Insgesamt ist der Beirat davon überzeugt, dass Agrobiodiversität eine wichtige Voraussetzung ist, um in allen genannten Bereichen nachhaltig tragfähige Entwicklungen realisieren zu können. Anpassungsmöglichkeiten an globale Veränderungen liegen dabei zum einen in der innerartlichen Variation bereits genutzter Organismen und in der Artenvielfalt, die für Nutzungen zur Verfügung stehen, und zwar nicht nur auf der Outputseite (erzeugte Produkte), sondern auch auf der Inputseite (zum Beispiel Mikroorganismen für biologischen Pflanzenschutz).

Verfügbare Agrobiodiversität effizient erhalten

Genetische Ressourcen bei landwirtschaftlich und gartenbaulich genutzten Kulturpflanzen, Forstpflanzen, Nutztieren, Fischen und Mikroorganismen werden unterschiedlich erhalten. Während bei Forstpflanzen und Fischen die Erhaltung im natürlichen Lebensraum und bei Nutztieren die Erhaltung in der Landwirtschaft dominiert, werden Kulturpflanzen in Deutschland inzwischen überwiegend als reproduktionsfähiges Material in speziellen Einrichtungen gelagert.

Wie andere europäische Länder auch, unterhält Deutschland Genbanken für pflanzliche Ressourcen. Für etliche tier-, forst-, aquatische und mikrobielle genetische Ressourcen verringert sich die genetische Breite – für diese Ressourcen muss an speziellen Erhaltungsformen gearbeitet werden. Themen wie Kosteneffizienz, Sicherung von Qualitätsstandards oder leichte Zugänglichkeit des Materials sind Forderungen im Zusammenhang mit dem Erhalt genetischer Ressourcen. Beiträge, die zur Verringerung von Kosten oder einer Steigerung der Effizienz oder der Qualität beitragen, haben einen hohen innovativen Wert.

Durch neue Entwicklungen in den Informations- und Biotechnologien sowie bei den ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen sieht der Beirat zurzeit vor allem folgende Ansatzpunkte, um genetische Ressourcen effizient zu erhalten:

  • (i) Erschließung weiterer Erhaltungskapazitäten in Verbindung mit Agrarwirtschaft,
  • (ii) Verbesserung der Erhaltung durch neue Techniken, Qualitätsmanagement und Zusammenarbeit.

(i) Die Erhaltung genetischer Ressourcen in Verbindungen mit Agrarwirtschaft bedeutet, dass nicht nur reproduzierbares genetisches Material in einer Einrichtung,

sondern vollständige Organismen erhalten werden. Diese sind in der Lage, sich an veränderte Umweltbedingungen, Klimaänderungen wie Temperaturanstieg und Trockenstress, neu auftretende Schädlinge, Krankheiten, aber auch an gewandelte Nutzungsansprüche anzupassen. Diese Erhaltungsform bezieht auch den natürlichen Lebensraum von Wildpflanzen und -tieren der Kulturlandschaft sowie die Darstellung und Bewahrung kulturellen Wissens und regionaler Traditionen mit ein. Die "Lebendigkeit" dieser Erhaltungsform drückt sich auch in der "Erlebbarkeit" der Erhaltungsobjekte aus (zum Beispiel für Öffentlichkeitsarbeit, Schule und Verbraucheraufklärung).

Bei der Erhaltung genetischer Ressourcen in Verbindung mit praktischer Agrarwirtschaft entstehen in der Regel auch Produkte. Vorrangig wichtig ist es deswegen, an Marktentwicklungen, wie sie bereits im Zusammenhang mit veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen skizziert wurden, anzuknüpfen. Traditionelle und Premium-Produkte, bei denen es gelingt, die jeweilige genetische Ressource im Zusammenhang mit der Landschaft, in der sie produziert wird, der Verarbeitung und der kulinarischen Identität der Region zu verbinden, stehen hier im Mittelpunkt.

Wenn die Erhaltung über eine nachfrageorientierte Produktion nicht ausreicht, können Anknüpfungspunkte zum Einsatz öffentlicher Mittel in der Agrarwirtschaft gesucht werden. In der Agrarumweltpolitik wird versucht, öffentliche Transferzahlungen an Landwirte mit umweltpolitischen Zielen zu verknüpfen. Die Verordnung über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums als maßgebliches Regelungsinstrument schließt unter den beihilfefähigen Agrarumweltmaßnahmen auch Maßnahmen ein, die der Erhaltung genetischer Ressourcen in der Landwirtschaft dienen. Hierin liegt eine Chance, Erhaltung und agrarische Produktion zu verbinden. Aktivitäten, die der Erhaltung spezifischer Teile der Agrobiodiversität dienen, sind daher zu identifizieren und in die konkrete Förderung zu integrieren.

Verwandte oder direkt genutzte Wildarten können prinzipiell auch über Instrumente des Naturschutzes erhalten werden. Über die Identifikation und den Schutz von biodiversity hot spots, das heißt in Gebieten mit einem hohen Anteil von Arten der Agrobiodiversität, lassen sich Querverbindungen zwischen Naturschutz und Ressourcenschutz herstellen. Konkret kann das Instrument Vertragsnaturschutz besonders wertvolle Populationen von Wildvorkommen genetischer Ressourcen sichern (zum Beispiel von autochthonem Grünland).

(ii) Durch neue Techniken und eine internationale und europäische Zusammenarbeit kann auch die Erhaltung genetischer Ressourcen effizienter gestaltet werden. Hohe Qualitätsstandards einzuhalten, wird heute ganz wesentlich durch Methoden der Molekularbiologie und der -genetik ermöglicht. In den Genbanken der europäischen Länder lagern zurzeit mehr als zwei Millionen Proben pflanzengenetischer Ressourcen. Darunter gibt es einen erheblichen Anteil an unerwünschten Duplikaten. Molekularbiologische Methoden eröffnen ständig neue Möglichkeiten, erhaltenes und erhaltenswertes biologisches Material genetisch zu charakterisieren und zu identifizieren und dadurch unerwünschte Duplikate zu verringern. Mit diesen Methoden werden auch Eigenschaften des eingelagerten Materials für potenzielle Nutzer (zum Beispiel Züchter) besser charakterisiert und zugänglich gemacht.

Auf der anderen Seite müssen bestehende Sammlungslücken bzw. unausgewogene Repräsentanz geographischer oder genetischer Vielfalt in den Sammlungen identifiziert und ausgeglichen werden. Neue Informationstechnologien wie GIS-gestützte Ansätze helfen, Sammellücken und interessante Standorte gezielt zu orten. Kryokonservierung bedeutet, reproduktionsfähiges Material (Pflanzen- und Tiergewebe, tierische Spermien, Eizellen und Embryonen) in flüssigem Stickstoff über einen langen Zeitraum zu lagern. Die Technik erschließt neue Möglichkeiten für die unveränderte Langzeitlagerung reproduktionsfähigen Materials. Kryokonserven können die Funktion einer Sicherheitsreserve (zum Beispiel Totalverluste durch Seuchen oder seuchensanitäre Maßnahmen) bei genetischen Ressourcen übernehmen. Die Technik hat sich ständig weiterentwickelt und wird heute bei Pflanzen generell angewendet. Bei den meisten Nutztierarten ist die Speicherung sowohl von Samen als auch von Embryonen prinzipiell möglich, je nach Tierart jedoch unterschiedlich praktikabel.

Kryokonservierung von Sperma kann besonders bei sehr kleinen Populationen von Nutztierrassen dazu beitragen, das "Verschwinden" dieser Rassen zu verhindern, weil sehr kostengünstig eine viel größere Anzahl an Vatertieren erhalten werden kann als durch Lebenderhaltung. Ohne eine Kryoreserve haben sehr kleine Populationen kaum eine Chance, in einer ausreichenden genetischen Variabilität erhalten zu werden. Darüber hinaus kann mittels Kryokonservierung eine breite genetische Basis von Tierrassen gesichert werden. Rassen, zu deren Erhalt eine Kryoreserve aufgebaut werden sollte, können anhand ihrer Populationsgrößen identifiziert werden. Das Gewinnen und Tiefgefrieren von Spermien, Embryonen und somatischen Zellen sollte bei diesen Rassen systematisch durchgeführt werden.

Verstärkte europäische und internationale Arbeitsteilung schafft Möglichkeiten, die Erhaltung weiter zu rationalisieren und Synergieeffekte zu nutzen. Die Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnik der vergangenen Jahrzehnte ermöglichen eine virtuelle Zusammenarbeit und erleichtern es, wachsende Zahlen an Interessenvertretern an Erhaltungsaktivitäten zu beteiligen. Netzwerke auf lokaler, nationaler, europäischer und globaler Ebene eröffnen Wege, Regenerations-, Charakterisierungs- und Evaluierungsmaßnahmen an Standorten durchzuführen, die aus biologischer, ökologischer und geographischer Sicht für einzelne Genotypen am besten geeignet sind. Dies gilt insbesondere für vegetativ vermehrbare Proben, zum Beispiel von Kartoffeln oder anderen Obst- und Gemüsearten.

Strukturen für gemeinschaftliche europäische Erhaltungsnetzwerke werden aufgebaut und entwickelt (zum Beispiel Europäische Kooperationsprogramme pflanzen- und forstgenetischer Ressourcen). Die Initiative AEGIS (A European Genebank Integration System) bündelt die bestehenden Erhaltungsstrukturen dieser Netzwerke. Ziel ist es, ein integriertes europäisches System aus Genbanken mit verteilten Zuständigkeiten und zentraler Koordination zu etablieren. Ein derartiges funktionierendes Netzwerk eröffnet die Möglichkeit, Erhaltungsaufgaben zu verteilen und gleichzeitig effizienter zu gestalten. Es eröffnet auch Wege, um in globalen Netzwerken, wie sie der Internationale Vertrag zu pflanzengenetischen Ressourcen beabsichtigt, mitzuarbeiten.

Der Beirat sieht die Erhaltung genetischer Ressourcen als eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe an, die durch die entsprechenden Institutionen effizient umgesetzt werden sollte. Der Beirat empfiehlt, alle verfügbaren technischen und organisatorischen Methoden einschließlich der europäischen und internationalen Zusammenarbeit zu nutzen, um die Effizienz der Erhaltungsmaßnahmen noch weiter zu verbessern. Kriterienfür gesellschaftliche und wirtschaftliche Entscheidungs- und Lenkungsprozesse zur Erhaltung genetischer Ressourcen im notwendigen Umfang sind zu erarbeiten.

Konfliktfelder

Ein aktuell thematisiertes Konfliktfeld liegt in der Entwicklung des Anbaus von Energiepflanzen. Weil zwei Feldfrüchte, Raps und Mais, eine dominierende Rolle einnehmen, werden Beeinträchtigungen ökologischer und landschaftsästhetischer Funktionen befürchtet. Bei weiterer Zunahme ihrer Anbaufläche werden sich auch Probleme verschärfen, die bereits in der Vergangenheit Begleiterscheinungen einer verengten Fruchtfolge waren.

Der Beirat sieht diese Gefahr, findet aber auch Gründe, die bei der Beurteilung der Entwicklung zu bedenken sind: Zunächst begrüßt er, dass die Erzeugung nachwachsender Energieträger überhaupt Schwung bekommt. Biomasseerzeugung für die Energiegewinnung wird unter einem erheblichen ökonomischen Druck stehen – das muss so sein, damit klassische Nutzungen konkurrieren können. Feldfrüchte mit hohen Anbauanteilen in Zeit und Raum werden auf Dauer aber immer mehr Pflanzenschutz erfordern. Das gilt aktuell auch für die "großen Kulturen", die aber eben durch die Förderpolitik der EU seit Jahrzehnten gestützt wurden. Durch die Entkoppelung der Förderung ist einerseits diese Situation entzerrt, andererseits entsteht durch Energieerzeugung nun auch Nachfrage nach pflanzlicher Biomasse allgemein. Die gesamte Förderpolitik für Nachwachsende Rohstoffe muss auch die Vielseitigkeit des Anbauspektrums mit einschließen. Denn prinzipiell sind für die Biomasse-Erzeugung viele Kulturpflanzenarten nutzbar und ökonomisch interessant. Hier gibt es allerdings erheblichen Nachholbedarf, was die züchterische Bearbeitung und die praktische Anbauberatung betrifft.

Damit ist ein weiteres Konfliktfeld angesprochen: Dreh- und Angelpunkt für viele Innovationen auf der Basis von genetischen Ressourcen ist und bleibt die Züchtung der Nutzorganismen. Züchtung bedeutet Veränderung eines Ausschnitts des genetischen Materials, weil bestimmte Eigenschaften hervorgehoben und andere unterdrückt werden. Dazu gehört auch die Verbesserung aller Merkmale, die einer technologischen Nutzung entgegenstehen. Nutzung ist automatisch mit einem Selektionsdruck, den die Nutzungsrichtung ausübt, verbunden.

Züchtung bedeutet in der Regel eine Verengung des genetischen Materials, weil das Endprodukt der Züchtung möglichst einheitlich bestimmte Kriterien erfüllen soll. Gleichzeitig ist die Verbesserung von Eigenschaften nur mit einer breiten genetischen Basis möglich. Hierin liegt eine Ambivalenz der Züchtung. Sie ist gleichzeitig Nutznießer und auch Erhalter einer genetischen Vielfalt, dadurch, dass sie die unterschiedlichsten nutzbaren Organismen in erwünschten genetischen Standards zur Verfügung stellt. Tut sie letzteres allerdings erfolgreich, trägt sie ihrerseits gleichzeitig zu einer Verengung der genutzten genetischen Vielfalt bei.

Viele Innovationen auf der Basis von genetischer Vielfalt sind aber ohne den Beitrag der Züchtung von Nutzorganismen und der Züchtungsforschung nicht denkbar.

Die für die Pflanzen bereits genannten Beispiele der Züchtung auf Trockentoleranz, Nährstoffaneignung oder Resistenz gegenüber Krankheitserregern verdeutlichen die weit reichende Bedeutung. Bedingt durch die vielfältigen kulturellen, politischen und klimatischen Unterschiede sowie eine Vielzahl von Zuchtprogrammen in kleineren und mittelständischen Züchtungsbetrieben in Europa hat sich hier eine bedeutendere Vielfalt an zugelassenen Pflanzensorten erhalten als in anderen Weltregionen. Allerdings findet in der Züchtungsbranche ein enormer Konzentrationsprozess statt, wie zum Beispiel im Bereich der Geflügelzucht, wo zurzeit nur noch eine Handvoll Zuchtunternehmen weltweit die gesamten wirtschaftlich genutzten genetischen Ressourcen der Eier- und Geflügelfleischerzeugung verantworten.

Der Beirat rät dringend dazu, die Diversität der Akteure und der Aktivitäten in der deutschen Züchtungsbranche zu erhalten und zu fördern. Vielfalt und Wettbewerb sind wichtige Bausteine für die dynamische Erschließung von Innovationspotenzialen.

Der Einsatz von Gentechnik in der Züchtung ist als Konfliktfeld fast allgegenwärtig. In der pflanzenzüchterischen Forschung spielen gentechnische Ansätze eine herausragende Rolle, in der praktischen Pflanzenzucht und in der Tierzucht dominieren allerdings noch die klassischen Methoden, unter Nutzung aller technischen Innovationen, die das Züchten erleichtern.

Für gentechnisch erzeugte Veränderungen spielt die biologische Vielfalt eine ähnlich bedeutende Rolle wie für den klassischen Zuchtfortschritt: Gentechnik erzeugt kaum "neue" Eigenschaften – mit ihrer Hilfe sollen vorhandene Eigenschaften schneller und über bisher unüberwindbar erscheinende Grenzen hinweg übertragen werden. Die genetische Vielfalt bietet hierfür ein schier unerschöpfliches Reservoir für Eigenschaften. Gentechnik bedient sich in der Regel also bei einem "Spender" der gewünschten Eigenschaft. Gentechnische Veränderungen brauchen auch einen "Empfänger" – für verschiedene Eigenschaften und Nutzungsformen können ganz unterschiedliche Pflanzen geeignet sein. Welche Pflanzen sich als "Empfängerpflanzen" für gentechnisch übertragene Eigenschaften eignen und gleichzeitig technologisch unter Anbau-, Ernte- und Fruchtfolgeaspekten vorteilhaft sind, ist aktuell nur ansatzweise prognostizierbar.

Der Beirat will ausdrücklich auf die Bedeutung der Agrobiodiversität auch für Innovationen, die mit Hilfe von gentechnischen Maßnahmen zu erreichen sind, hinweisen. Wie bei anderen Technologien auch, wird die Messlatte dafür, ob und wie weitgehend wir diese Technologie nutzen wollen, ein nachweisbarer Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung vor allem vor dem Hintergrund der skizzierten sich ändernden Rahmenbedingungen sein. Die Technologie Gentechnik wird dabei niemals genetische Vielfalt "ersetzen" können, im Gegenteil, Agrobiodiversität ist die Basis für einen effizienten Einsatz überhaupt.

Gentechnische Methoden, insbesondere die Genomanalyse, können jedoch einen entscheidenden Beitrag leisten, um genetische Vielfalt konkret zu charakterisieren und damit neue Kriterien für effiziente und zielgerichtete Erhaltungsmaßnahmen liefern. Wie weit wir dieses Wissen zur Erstellung gentechnisch veränderter Individuen einsetzen wollen, ist offen. Das heißt, die Frage, ob wir diese umstrittene Technologie in Deutschland nutzen wollen, ist damit nicht beantwortet, aber wenn überhaupt jemals, dann nur unter Nutzung von Agrobiodiversität.

Der Beirat betont, dass es eines stabilen Rechtsrahmens bedarf, der Innovationen auf der Basis genetischer Ressourcen mit und ohne Gentechnik ermöglicht und hilft, entsprechende Marktpotenziale zum Wohle der Agrarwirtschaft und zur effizienten Erhaltung der Agrobiodiversität abzuschöpfen.

Überdies sind sowohl gentechnische als auch klassische oder zukünftig erarbeitete Methoden der Züchtung auf ihren Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Erhaltung genetischer Vielfalt zu bewerten. Hier besteht Forschungsbedarf, weil der Anspruch einer derart nachhaltigen Züchtung nur erfüllt werden kann, wenn Konzeptionen und Methoden dafür entwickelt werden, Züchtungsziele so zu realisieren, dass der genetische Hintergrund innerhalb und zwischen Populationen weitgehend unbeeinflusst bleibt. Das Problem des Verlustes zukünftiger Züchtungsoptionen durch die Realisierung gegenwärtiger Ziele könnte hierdurch entschärft werden.

Unter dem Stichwort "Rechtsrahmen" sieht der Beirat auch Hemmnisse für Innovationen auf der Basis von Agrobiodiversität. Die Agrarwirtschaft unterliegt auf deutscher und europäischer Ebene einer weit ausgebauten Regulierung, die in ihren Ursprüngen bis in das 19. Jahrhundert zurück reicht. Dieser Regulierungsrahmen bestimmt die Agrarwirtschaft tief greifend und damit auch die Nutzung der Agrobiodiversität. Welchen Einfluss diese Regelungen auf die Entwicklung der Agrobiodiversität haben, ist bisher kaum untersucht.

Ein Teil der Regelungen für die Agrarwirtschaft zielt unmittelbar auf die Art der verwendeten Nutzorganismen und des Saatgutes ab und lässt damit einen klaren Zusammenhang zur Agrobiodiversität erkennen. Dazu gehören die Vorschriften hinsichtlich des Saatgutverkehrs einerseits und Regeln über die Vermarktung von Agrarprodukten andererseits. Beide Regelungsbereiche sind von dem Bestreben nach einer Standardisierung von Saatgut und Agrarprodukten gekennzeichnet. Regeln für die Vermarktung von Agrarprodukten, insbesondere in Form von Handelsklassen, streben im Sinne des Verbraucherschutzes eine gleich bleibende Qualität der Agrarprodukte nach Maßgabe klar unterscheidbarer Kriterien an und helfen Transaktionskosten beim Handel mit Agrarprodukten zu minimieren.

Die Förderung und Erhaltung der Agrobiodiversität gehört nicht zu den Zielen dieser Regelungsbereiche. Ganz im Gegenteil ist anzunehmen, dass diese Regelungen die Produktion und Vermarktung von Nutzorganismen, die nicht den Standards entsprechen, behindern. Die hier angesprochenen Regelungen sind wegen ihrer althergebrachten und wichtigen Zielsetzungen einer Überprüfung zu unterziehen, ob und wie sie den Interessen an der Erhaltung und Förderung der Agrobiodiversität gerecht werden können, und welche Änderungen gegebenenfalls in Betracht kommen.

Agrobiodiversität zu fördern, ist ein gesellschaftliches Anliegen. So heterogen die Gesellschaft ist, so unterschiedlich sind auch die Leitbilder und Ziele, die den Hintergrund für Wissensfortschritte und daraus sich entwickelnde Innovationen bilden. Neben den primären Zielen der Agrarwirtschaft und -wissenschaft, wie der wirtschaftlichen Produktion ausreichender Nahrungsmittel, der Verbesserung von Produkteigenschaften oder dem Ersatz fossiler Energiequellen, spielen auch ethische Leitbilder und solche, die hinter speziellen Lebensstilen, kulinarischen Ansprüchen oder traditionellen Bindungen stehen, eine Rolle. Vielfältige Ziele begünstigen vielfältige Wege und Lösungen, die alle auf den vorhandenen Ressourcen der Agrobiodiversität basieren. Wahrgenommen werden diese unterschiedlichen Ziele und Wege aber häufig als konkurrierende Optionen, weil sich die jeweiligen Vertreter mit ihren Leitbildern kontrovers positionieren. Kategorien wie "Naturschutz", "züchterisch-unternehmerische Gewinnorientierung", "Ökologisierung der Agrarproduktion" oder "Gentechnisierung der Agrarproduktion" prägen dabei die Auseinandersetzungen. Auch dieses Phänomen ist dem Beirat Anlass, darauf hinzuweisen, dass der Agrobiodiversität die unterschiedlichsten Innovationspotenziale inne wohnen, die sich sogar gegenseitig bedingen und noch stärker befruchten könnten.

Zusammenfassende Empfehlungen

Der Beirat weist mit dieser Stellungnahme darauf hin, dass in der Verknüpfung von Erfahrungswissen und Erfindungsgeist auf der einen und der Agrobiodiversität auf der anderen Seite der Schlüssel für Anpassungsmaßnahmen liegt, mit denen die Herausforderungen, denen die Produktion von Nahrungsmitteln und Rohstoffen in den nächsten Jahrzehnten gegenüberstehen wird, bewältigt werden können.

Der Beirat sieht aktuell konkrete ökonomische und ökologische Herausforderungen: den globalen Klimawandel, die Verknappung der Energieressourcen und die sich durch agrarpolitische Entscheidungen oder wandelnde Verbraucherwünsche verändernde Marktsituation der europäischen Agrarwirtschaft. Um diesen Herausforderungen aktiv begegnen und sie als wirtschaftliche Chance nutzen zu können, ist die Verfügbarkeit neuer und bereits bekannter, durch unterschiedlichste Eigenschaften ausgezeichnete Arten von herausragender Bedeutung. Agrobiodiversität ist die Grundlage für Projekte und Ideen, um notwendige Anpassungen zur Erhaltung oder Erschließung von Marktpotenzialen realisieren zu können.

Strategien, mit denen auf den Klimawandel langfristig reagiert werden kann, benötigen vor allem Innovationen aus der Züchtungsforschung. Notwendige Anpassungen in den genutzten Organismen und den Nutzsystemen werden aber nur unter Rückgriff auf die gesamte Vielfalt der Organismen möglich sein.

Im Bereich der erneuerbaren Energien sind Innovationspotenziale bereits aktiv stimuliert. Der Beirat begrüßt es, wenn das BMELV Mittel aufwendet, um das Spektrum der für eine Biomasseerzeugung interessanten und rentablen Kulturpflanzen zu erweitern und so die Voraussetzungen für vielseitige Energiefruchtfolgen mit positiven Effekten für Agrobiodiversität und Landschaftsästhetik schafft.

Der Beirat ist überzeugt, dass die Innovationskraft der Züchtung in Deutschland auch aus der vielfältigen Unternehmensstruktur dieses Wirtschaftssegments resultiert. Züchtung ist Nutznießer von Agrobiodiversität und muss deswegen auch Motor für die "Erhaltung durch Nutzung" sein. Allerdings führt das Marktgeschehen in weiten Bereichen der Agrarwirtschaft dazu, dass sich die genetische Vielfalt in der breiten Nutzung verringert.

Vor diesem Hintergrund begrüßt der Beirat Initiativen zur Förderung von Züchtung und Züchtungsforschung außerordentlich. Er weist aber ausdrücklich darauf hin, dass diese Initiativen so ausgestaltet sein sollten, dass sie die Diversität der deutschen Züchtungsbranche und die Agrobiodiversität gleichermaßen fördern. Der Beirat sieht hier auch Bedarf für einen stabilen Rechtsrahmen, der Innovationen auf der Basis genetischer Ressourcen ohne und – wenn gesellschaftlich akzeptiert – auch mit Gentechnik ermöglicht und hilft, entsprechende Marktpotenziale zum Wohle der Agrarwirtschaft und zur effizienten Erhaltung der Agrobiodiversität abzuschöpfen.

Freies Marktgeschehen bestimmt zunehmend die Ausrichtung der Agrarbetriebe. Um die notwendigen Umorientierungen in den Nutzungsrichtungen vieler Betriebe zu ermöglichen, ist die gesamte Breite an Ideen und Innovationen, die aus Agrobiodiversität resultieren, gefragt. Jede Marktnische, die aus einer Idee gepaart mit einer biologischen Ressource und ggf. einer Technologie entsteht, hilft den Betrieben, ihr Angebot zu diversifizieren und sich auf eine veränderte Nachfrage einzustellen. Der Beirat weist darauf hin, dass die Entwicklung des gesamten Agrarsektors durch die vielen kleinen innovativen Lösungen, die aus verfügbarer Agrobiodiversität entstehen, entscheidend mit geprägt werden kann. Entsprechend sollten auch diese Innovationen in der öffentlichen Förderlandschaft gewürdigt werden.

Der Beirat sieht die Erhaltung von Agrobiodiversität als eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe an, die durch die entsprechenden Institutionen effizient umgesetzt werden sollte. Erzielbarer Zuchtfortschritt, um anstehenden Veränderungen innovativ begegnen zu können, hängt direkt von der Breite der verfügbaren genetischen Vielfalt ab.

Weil Agrobiodiversität eine Art "Versicherung" für zukünftige Anpassungen ist, werden öffentliche Gelder für Erhaltungsmaßnahmen eingesetzt. Der Beirat begrüßt dies und empfiehlt, alle verfügbaren technischen und organisatorischen Methoden zu nutzen, um die Erhaltungsmaßnahmen noch effizienter zu gestalten. Dazu sind sowohl Kriterien für gesellschaftliche und wirtschaftliche Entscheidungs- und Lenkungsprozesse zu erarbeiten, um die Erhaltung genetischer Ressourcen im notwendigen Umfang sicherzustellen, als auch Strukturen, um die europäische und internationale Zusammenarbeit in diesem Feld zu verbessern. Bei der Organisation von Erhaltung und Verfügbarkeit genetischer Vielfalt eröffnen Methoden der Molekularbiologie und der Informationstechnologie neue Möglichkeiten herauszufinden, welche Ressourcen mit welchen Eigenschaften wo vorhanden sind.

Verschiedene rechtliche Rahmenbedingungen bilden Hemmnisse für Innovationen bei der Nutzung der Agrobiodiversität. Dazu gehören unter anderem die gesetzlichen Regelungen zum Saatgutverkehr und Vorschriften zur Vermarktung von Agrarprodukten (Handelsklassen). Der Beirat empfiehlt die Überprüfung dieser Regelungen auch im Sinne eines wohlverstandenen Bürokratieabbaus und vor dem Hintergrund sich wandelnder Verbraucherinteressen.

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