Erhaltung und nachhaltige Nutzung agrargenetischer Ressourcen: Fachprogramme als spezifische Instrumente

Empfehlungen des Beirats für Biodiversität und Genetische Ressourcen beim BMELV

Stand: 9. November 2006

I. Erhaltung und nachhaltige Nutzung agrargenetischer Ressourcen: Fachprogramme als spezifische Instrumente

Zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung genetischer Ressourcen für Ernährung und Land(-, Forst- und Fischerei-)wirtschaft sind vom BMELV in Abstimmung mit den Bundesländern und betroffenen Kreisen inzwischen vier Fachprogramme für

  • pflanzengenetische Ressourcen landwirtschaftlicher und gartenbaulicher Kulturpflanzen,
  • tiergenetische Ressourcen,
  • forstgenetische Ressourcen und
  • aquatische genetische Ressourcen

erarbeitet worden. Über ein weiteres Programm für genetische Ressourcen bei Mikroorganismen wird diskutiert. Hinter den Fachprogrammen stehen Fachausschüsse, in denen die fachliche Seite und die direkt betroffenen Interessen umfänglich vertreten sind.

Mit den Fachprogrammen werden für ihren jeweiligen Bereich

  • Informationen über Bedeutung, Vorkommen und Erhaltungszustand der jeweiligen genetischen Ressourcen erhoben, zusammengeführt, konsolidiert, ausgewertet und zu einem Gesamtbild zusammengefügt, das als Entscheidungsgrundlage dient,
  • Maßnahmen zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung genetischer Ressourcen entwickelt, deren Umsetzung auf der Basis öffentlich geförderter Projekte als Modell- und Demonstrationsvorhaben oder Erhebungen angestoßen werden sollen und
  • institutionelle, personelle und finanzielle Ressourcen gebündelt sowie
  • die maßgeblichen Akteure aus Verwaltung, Forschung und dem gesellschaftlichen Umfeld zusammengeführt. Mit den Ländern ist im Rahmen der Agrarministerkonferenz (AMK) vereinbart, dass das BMELV die Arbeiten koordiniert und Finanzierungsmöglichkeiten unter Nutzung von EU-Förderprogrammen prüft.

II. Entscheidung unter Unsicherheit

Aufstellung und Umsetzung der Fachprogramme stehen vor der Aufgabe,

  • unter den Bedingungen knapper Ressourcen und beschränkter Zeit
  • über Maßnahmen zur Erhaltung genetischer Ressourcen entscheiden zu müssen,

    • die weit in die Zukunft weisen,

      • weil sie notwendigerweise langfristig angelegt sind und
      • eine entsprechend dauerhafte Absicherung – auch im Hinblick auf die Bereitstellung von Mitteln – erfordern,
    • während in vielen Fällen kaum ausreichend belastbare Anhaltspunkte vorliegen über

      • den derzeitigen und zukünftigen Erhaltungszustand,
      • den Nutzen bzw. den gesellschaftlichen Wert der genetischen Ressourcen und
      • die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Erhaltungsmaßnahmen.
  • Solche Entscheidungen müssen sich weithin auf das Wissen, die Werte und die Erfahrungen der Vergangenheit und der Gegenwart stützen.
  • Aus der Situation der Unsicherheit ergibt sich ein besonderer und dauerhafter Bedarf,

    • die Wirkung der Programme durch dauerhaft angelegte Monitoringprogramme regelmäßig zu überprüfen,
    • die Entscheidungsgrundlagen für die Erhaltungsmaßnahmen und ein entsprechendes Monitoring durch fortwährende Erforschung von Bewertungskriterien und Indikatoren zu verbessern und
    • die Möglichkeit einer Revision soweit wie möglich offenzuhalten.
  • Die Legitimation von Entscheidungen, die unter solchen Bedingungen der Unsicherheit getroffen werden müssen, kann durch die Einbeziehung der einschlägigen Expertise, der betroffenen Akteure und gesellschaftlichen Kreise verbessert werden.

III. Folgerungen

A. Die Beteiligung der Gesellschaft stärken

Schon aus den vorgenannten Gründen ist die Beteiligung der Betroffenen und der einschlägigen gesellschaftlichen Gruppen sinnvoll. Darüber hinaus ist aber die Erhaltung und nachhaltige Nutzung agrargenetischer Ressourcen entsprechend der Vorgaben der Fachprogramme in einem noch viel weitergehenden Maße auf die Einbeziehung und die Beiträge der Gesellschaft in folgender Weise angewiesen:

  • Stärkere Unterstützung durch die Politik im Sinne der staatlich zu gewährleistenden Daseinsvorsorge,
  • Unterstützung der Maßnahmen durch Fachgesellschaften und sonstige Organisationen,
  • Nachfrage nach den mit den entsprechenden genetischen Ressourcen erzeugten Produkten,
  • breite Unterstützung von Seiten der Öffentlichkeit,
  • Beteiligung der Nutzer von genetischen Ressourcen an den Erhaltungsmaßnahmen.

B. Die rechtlichen Rahmenbedingungen optimieren

Die bedeutendste rechtliche Grundlage zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung genetischer Ressourcen ist das im Jahr 1993 in Kraft getretene Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD 1993). Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus der Nutzung genetischer Ressourcen ergebenden Vorteile sind die wesentlichen Ziele dieses Übereinkommens. Für den Sektor der Nutzpflanzen enthält der Internationale Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (ITPGRFA 2004) Verpflichtungen zur Ex-situ- und In-situ- Erhaltung sowie zur nachhaltigen Nutzung solcher Ressourcen und regelt den erleichterten Zugang zu den im Anhang zum Vertrag genannten Pflanzenarten und den Vorteilsausgleich im Rahmen eines multilateralen Systems. Verhandlungen über die weitere Ausgestaltung des multilateralen Systems einschließlich der erforderlichen Materialübertragungsvereinbarungen fallen in die Zuständigkeit des BMELV. Mit dem Vertrag vergleichbare internationale gesetzliche Regelungen für tier- und forstgenetische Ressourcen sowie aquatische genetische Ressourcen existieren nicht.

Die EU hat die CBD, den Internationalen Vertrag und andere einschlägige internationale Abkommen unterzeichnet und in EG-Recht umgesetzt. Der überwiegende Teil des deutschen Agrar- und Umweltrechtes beruht inzwischen auf europäischen Vorgaben, deren Umsetzung insbesondere im Bereich des Umweltrechts durch die sektorale und horizontale Zersplitterung der Gesetzgebungskompetenzen erheblich erschwert wird. In vergleichbarer Weise ist die fachliche Zuständigkeit für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung genetischer Ressourcen über Institutionen des Bundes und der Länder verteilt. Aufgrund dieser Sachlage gelang es bisher nicht, die Erhaltung und nachhaltige Nutzung genetischer Ressourcen als eigenständigen Politik- und Rechtsbereich zu etablieren.

Da eine Rahmen bildende Kompetenzstruktur fehlt, ist die sachgerechte Aufgabenverteilung, Vernetzung und Optimierung der vorhandenen Infrastruktur für Erhaltungsmaßnahmen schwierig. Im Zuge der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung bleibt der Bund aufgefordert, eine umfassende Gesetzgebungskompetenz nach Artikel 74 Grundgesetz für die Schutzgüter Wasser, Natur und Landschaft einschließlich der genetischen Ressourcen vorzusehen. Ferner sind damit verbundene Finanzierungsfragen zwischen Bund und Ländern zu überprüfen.

C. Synergien zwischen den Fachprogrammen nutzen

Die Fachprogramme bieten ein Potenzial für Synergien, das den Bereich von technischen, methodischen und Managementfragen betrifft, aber weit darüber hinausgeht. Gerade in ihrer Unterschiedlichkeit bieten die Fachprogramme Möglichkeiten zur wechselseitigen Ergänzung. Als Beispiel sei die gemeinsame Erhaltung von bestimmten Nutzpflanzenarten bzw. -sorten und Tierrassen in ihrem Lebensraum genannt.

D. Fachprogramme mit anderen Bereichen verknüpfen: Lebensraumschutz, Verbraucherpolitik und Kommunikation

Darüber hinaus erfordert die Erhaltung agrargenetischer Ressourcen vielfach die Verknüpfung mit anderen Maßnahmenfeldern des Biodiversitätsschutzes. Die In-situ- Erhaltung von pflanzengenetischen Ressourcen und aquatischen genetischen Ressourcen ist ohne einen Schutz des Lebensraums durch Natur-, Landschafts- und Gewässerschutz kaum denkbar.

Aus dem Nebeneinander oftmals exzellenter Programme und Projekte im Zuständigkeitsbereich von BMELV, Bundesumweltministerium (BMU) und entsprechenden Länderministerien muss ein Miteinander werden. Vernetzung von Wissen und die gemeinsame Nutzung von Instrumenten können Synergieeffekte erzeugen und Mittel freisetzen, die zum Aufbau flexibler und langfristig verfügbarer Förderinstrumente zur Erhaltung genetischer Ressourcen dringend benötigt werden.

Die Fachprogramme bedürfen aber auch der Unterstützung durch eine Verbraucherpolitik, damit den Verbraucherinnen und Verbrauchern der Wert eines breiten Sortiments an Produkten und dessen mehrfacher Nutzen verdeutlicht und damit die Nachfrage gefördert wird, auf die die Anstrengungen um die Erhaltung der genetischen Ressourcen angewiesen ist.

Damit ist auch das Feld der Kommunikation angesprochen. Einerseits können die Fachprogramme hier wichtiges Anschauungsmaterial bieten. Andererseits ist auch nicht zu verkennen, dass die Programme vielfach auf die Nachfrage und damit auf informierte Entscheidungen der Verbraucherinnen und Verbraucher angewiesen sind, die durch eine Kommunikationsstrategie unterstützt werden muss.

E. Gesamtstaatliche Verantwortung stärken und wahrnehmen

Die Zuständigkeiten für die mit den Fachprogrammen verbundenen Aufgaben liegen bisher überwiegend bei den Ländern. Daneben stützen sich die Programme vielfach auf private Vereinigungen und Institutionen, die auf gleicher Ebene organisiert sind und vielfach regionalen Bedürfnissen und Eigenarten Rechnung tragen.

Allerdings bestehen zwischen den Ländern oft wichtige ökosystemare und räumliche Zusammenhänge. Außerdem sind wichtige Arten, Sammlungen und Institutionen nicht selten über verschiedene Länder verteilt. Ferner sind hinsichtlich der Aufgabenstellung übergreifende Bezüge oder eine bundesweite Bedeutung bei der Forschung, Erfassung, Sammlung, Konservierung, Dokumentation und Nutzung zu erkennen, die allein aus der Sicht einzelner Länder kaum sinnvoll berücksichtigt werden können.

Die Aufgabe der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung agrargenetischer Ressourcen ist deshalb in gesamtstaatlicher Verantwortung wahrzunehmen. Dies gilt zunächst für die Tätigkeit der Länder in diesem Bereich und erfordert eine enge Abstimmung und Kooperation.

Die koordinierte Tätigkeit der Länder in diesem Bereich ist nach der Überzeugung des Beirates eine notwendige, aber für sich genommen noch nicht hinreichende Voraussetzung für die wirksame Erfüllung der hier in Rede stehenden Aufgabe. Auch der Bund muss sich an dieser Aufgabe beteiligen und dafür mit hinreichenden Kompetenzen in diesem kleinen, aber hochspezialisierten Sektor ausgestattet werden.

F. Finanzierung der Fachprogramme absichern

Die Durchführung der in den Fachprogrammen festgelegten Maßnahmen ist unterschiedlich geregelt. In den Programmen zu den pflanzen-, forst- und aquatischen genetischen Ressourcen basiert sie auf der Eigenleistung der beteiligten Akteure. Das Programm zu den tiergenetischen Ressourcen hält einen zusätzlichen Finanzbedarf für erforderlich, wozu ein Kostenplan aufgestellt wird. Die Erfahrung zeigt inzwischen, dass es bei der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der genetischen Ressourcen neben zusätzlichen Forschungsaufgaben um Daueraufgaben geht, die zunehmend unter Finanzierungsproblemen leiden.

Die derzeit vorhandenen Förderinstrumente sind für die Umsetzung des in den Fachprogrammen dargestellten Handlungsbedarfs nur bedingt geeignet. Der Beirat empfiehlt daher, dass neben einer zusätzlichen Mittelbereitstellung durch die Länder sich auch der Bund mit weiteren institutionellen und finanziellen Ressourcen beteiligt. Möglichkeiten sieht der Beirat darin, vernetzte Aktivitäten zwischen Forschungseinrichtungen der Länder und des Bundes einschließlich von Hochschulen zu fördern und die Erhaltung genetischer Ressourcen dadurch in verschiedenen Ausschnitten wissenschaftlicher Disziplinen zu verankern.

Das BMELV sollte bei der Erfassung, Erhaltung, Bewertung und Nutzbarmachung agrargenetischer Ressourcen verstärkt mitwirken sowie Aufgaben beim Monitoring und die Koordination von Maßnahmen in seinem Geschäftsbereich übernehmen. Im Zusammenwirken mit den Forschungseinrichtungen des Bundes und der Länder sowie der Hochschulen sollte neben den vorhandenen Möglichkeiten für die Durchführung von Erhebungen sowie von Modell- und Demonstrationsvorhaben ein eigener Förderschwerpunkt aufgebaut werden.

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