Zur Not isst die Veganerin auch mal Käse

Artikel mit der Bundestierschutzbeauftragten in der Stuttgarter Zeitung

Nicht alle sind begeistert, dass die Bundesregierung erstmals eine Tierschutzbeauftragte berufen hat. Die Veterinärin Ariane Kari aus Pforzheim hat jetzt ihr Amt angetreten – und überrascht mit ganz unideologischen Aussagen.

Sieht so das neue Feindbild vieler Landwirte aus? Ariane Kari (36) trägt einen bunten Hosenanzug, bestellt einen Cappuccino mit Hafermilch und strahlt an diesem Morgen in einem Café in Pforzheim mit der Sonne um die Wette. Vor Kurzem hat Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sie zur allerersten Tierschutzbeauftragten auf Bundesebene bestallt. Ihre Aufgabe wird es sein, den Nutz-, Zoo-, Zirkus und Haustieren eine Stimme zu geben und deren Lebenssituation zu verbessern. Dass dies eine Sisyphosarbeit sein wird und dass sie mit viel Widerstand zu rechnen hat, ist ihr bewusst. Bei Vorträgen vor Landwirten bekommt sie die vielen Bedenken hautnah zu spüren. Und CDU-Bundestagsabgeordnete haben Karis Ernennung sogar als überflüssig bezeichnet.

  • „Ich kann in meinem Amt Tieren helfen, das spornt mich an.“ Ariane Kari, Bundestierschutzbeauftragte, über den Umgang mit Druck

Aber Kari hat schon bewiesen, dass sie Stehvermögen besitzt und mit Emotionen umgehen kann. Sie hat in Gießen Tiermedizin studiert und begann vor gut zehn Jahren direkt als Amtsveterinärin. Sie kennt Situationen auf Bauernhöfen, wo sie bei Kontrollen lieber die Polizei mitnahm. Und sie weiß auch, wie schmerzlich es für alle Seiten ist, einem alten Menschen den Hund wegnehmen zu müssen, für den er nicht mehr sorgen kann, der aber sein Ein und Alles war. Und zuletzt arbeitete sie als stellvertretende Tierschutzbeauftragte in Stuttgart und kennt auch den politischen Druck. Übrigens war sie dort einem schwarz geführten Landwirtschaftsminister unterstellt und wechselt jetzt zu einem grünen. Sie selbst gehört keiner Partei an.
Trotz des hohen Konfliktpotenzials im Tierschutz hat sich Kari eine Leichtigkeit und Natürlichkeit bewahrt, die ihr im Amt nützen könnte. Sie wirkt sehr nahbar, denkt nicht taktisch, hat Lust auf Menschen und besitzt mitnichten die Attitüde einer verbissenen Tierschützerin. Über die Frage, ob sie imstande sei, dem Druck standzuhalten, denkt sie lange nach, bevor sie antwortet. Dann sagt sie: „Ja, denn ich kann Tieren helfen, das spornt mich an. Und ich habe Menschen in meinem privaten und beruflichen Umfeld, die mich sehr unterstützen.“
Noch bewegt sie sich und redet im offiziellen Raum vorsichtig. Aber da ist auch eine gewisse Demut zu spüren, mit der sie ins Amt kommt – denn sie weiß zum Beispiel, dass die Landwirte berechtigte Sorgen haben und dass sehr viele Bauern gerne mehr für ihre Tiere tun würden.
Als langjährige Veganerin dürfte sie zwar bei vielen Tierhaltern wie Fleischessern einen schweren Stand haben, aber Karis Ansichten sind nicht eingefahren, sondern eher überraschend. So will sie keineswegs die Tierhaltung abschaffen, vielmehr sollen alle Landwirte unterstützt werden, die mehr Tierschutz umsetzen wollen. Dass Rinder einseitig auf Leistung gezüchtet und die meisten Schweine noch immer auf Spaltenböden leben, geißelt sie allerdings sehr. Umgekehrt ist sie der Meinung, dass Vegetarier zwar auf dem richtigen Weg, am Ende aber doch halbherzig seien. Denn wer Eier esse, trage weiter dazu
bei, dass Hennen gehalten werden und als Suppenhühner enden. Und wer Milch trinke, unterstütze weiter den Kreislauf aus Kuh, Kalb und Milch. Sie selbst sei als Veganerin aber nicht dogmatisch: Bevor sie auf Dienstreisen verhungere, weil kein Restaurant ein veganes Gericht anbiete, esse sie auch mal Käse.
Ihre Aufgabe als Bundestierschutzbeauftragte geht sie mit einem klaren Programm an, das sie in den nächsten zweieinhalb Jahren – vorerst ist sie nur bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt – mit ihren vier Mitarbeitern abarbeiten will. Wenn sie davon erzählt, fallen zwei Begriffe ganz häufig: Recht und Wissenschaft. Kari glaubt daran, dass sie andere mit eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen überzeugen kann – so sei nachgewiesen, dass frei laufende Muttersauen nicht mehr Ferkel als sonst erdrücken, wenn sie genügend Platz haben; in Deutschland werden sie noch über Wochen in einem Kastenstand eingesperrt.
Aber sie glaubt auch daran, dass der größte Hebel im Tierschutz das Recht ist. Ihr erster Schwerpunkt sei es deshalb, bessere Rechte für Tiere durchzusetzen und die bestehenden Vollzugsdefizite zu verringern. Ein erster Knackpunkt dürfte die bereits laufende Novellierung des Tierschutzgesetzes sein, das laut ersten Informationen vorsehen soll, die ganzjährige Anbindehaltung bei Rindern zu verbieten, in Schlachthöfen eine Videoüberwachung einzuführen oder qualgezüchtete Tiere von Ausstellungen auszuschließen.
Zweitens will sie Juristen sensibilisieren. Im Studium gehe es fast nie um Rechte für Tiere, sagt Kari, viele Richter und Anwälte würden sich nicht gut auskennen. Mit einer jährlichen Tagung für Juristen will sie einen ersten Pflock einrammen. Drittens schließlich will Ariane Kari möglichst viel Öffentlichkeitsarbeit betreiben, vor allem über die sozialen Medien: „Viele Bedürfnisse von Tieren sind vielen Menschen schlicht nicht bekannt.“ Zum Beispiel würden viele es als selbstverständlich akzeptieren, dass in der konventionellen Schweinehaltung einem Tier gerade einmal 0,75 Quadratmeter zustehen.
Würden das die Menschen hinnehmen, wenn es sich um einen Hund handeln würde, fragt Kari, rein rhetorisch natürlich. Beide seien annähernd gleich intelligent und sozial. Befugnisse hat die Bundestierschutzbeauftragte allerdings nicht, ihr Einfluss ist begrenzt: „Aber ich kann Missstände aufzeigen
und immer wieder sagen: ‚Das reicht nicht‘.“
Dass sie die Arbeit scheut, wird ihr auf jeden Fall niemand vorwerfen können. Gerade lebt sie sogar in einer Dreifachbelastung. Vor einem knappen Jahr ist Ariane Kari Mutter geworden. Als bei ihr angefragt wurde, ob sie sich das Amt vorstellen könne, war sie gerade in Elternzeit. Spontan ist jetzt ihr Mann
kürzergetreten. Sie hat sich aber ausgebeten, in ihrer Heimatstadt Pforzheim, der sie sich grundsätzlich sehr verbunden fühlt, wohnen bleiben zu können. In den Sitzungswochen fährt sie, oft mit der ganzen Familie, nach Berlin. Cem Özdemir, dem sie formal untersteht, kannte sie vorher übrigens nicht persönlich, obwohl beide aus Baden-Württemberg kommen. Vitamin B fehlte auch da, wie manchmal bei veganer Ernährung.

  • „Viele Bedürfnisse von Tieren sind vielen Menschen schlicht nicht bekannt.“ Ariane Kari über mangelnde Aufklärung beim Tierschutz

Und dann ist da noch ihre Promotion. Sie hatte sich nach ihrem Studium zunächst ganz in ihre Arbeit als Amtstierärztin gestürzt, doch die Hoffnung lebt, die Doktorarbeit nebenher fertigmachen zu können. Es geht auch da um ihr Leib- und Magenthema, die Schnittstelle von Tierschutz und Recht: Gerne würde sie einen Praxisleitfaden erarbeiten für Amtstierärzte, die Gutachten in Strafverfahren abgeben sollen. Auch das würde den Tieren am Ende viel Leid ersparen, denkt sie.
Aber vermutlich wird das mit der Promotion schwer, denn ihr Amt wird sie ganz fordern. Und sie sich selbst auch.

Stuttgarter Zeitung vom 10. August 2023 von Thomas Faltin

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