Kraft des Landes
Vierter Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung der ländlichen Räume
Deutschlands ländliche Räume sind attraktiv. Das ist eines der Ergebnisse des Regierungsberichts, den der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, am 13. November 2024 dem Bundeskabinett vorgelegt hat.
Seit zehn Jahren zieht es mehr Menschen von den Städten aufs Land als umgekehrt. Dazu trägt die hohe Wirtschaftskraft der vor allem kleinen und mittleren Unternehmen bei, die fast die Hälfte der Bruttowertschöpfung in Deutschland erwirtschaften. Die mittelständische und dezentrale Wirtschaftsstruktur bietet eine größere Resilienz, verbunden mit einer deutlich niedrigeren Arbeitslosigkeit als in Städten und Ballungsgebieten. Zudem erwachsen durch den Ausbau der erneuerbaren Energien neue wirtschaftliche Chancen. Herausforderungen sind der Fachkräftemangel, der demographische Wandel, die Gesundheitsversorgung und die nachhaltige Mobilität.
Der Bericht dokumentiere die Kraft des Landes, so Bundesminister Cem Özdemir. In zahlreichen Begegnungen vor Ort habe er immer wieder die Tatkraft und den Gemeinschaftssinn der Menschen erlebt. Ländliche Räume seien nicht nur lebenswert, so Özdemir. Sie seien auch ein Schlüssel für die wirtschaftliche Stärke Deutschlands. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen würden Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen und die Regionen nachhaltig stärken.
Ländliche Regionen sind Räume des Zuzugs, mittelständischer Wirtschaftskraft, niedriger Arbeitslosigkeit und hohen Engagements. Sie prägen mit ihren vielfältigen Siedlungen und Kulturlandschaften Deutschlands auf eindrucksvolle Weise. Hier lebt über die Hälfte der Bevölkerung. Knapp die Hälfte der deutschen Wirtschaftsleistung wird in ländlichen Regionen erbracht. Gleichzeitig bieten ländliche Regionen Raum für Natur und Erholung.
Abgrenzung und Typisierung ländlicher Räume gemäß Thünen-Typologie (Kreisregionen)
Der wirtschaftliche, demografische, technologische, gesellschaftliche und klimatische Wandel hat auch die ländlichen Räume stark geprägt und wirkt sich dort teilweise anders aus als in Großstädten und Ballungsräumen. Daraus entstehen besondere Herausforderungen.
Ländliche Regionen und Orte sind für viele Menschen attraktive Lebensräume, was sich auch bei den Binnenwanderungen in Deutschland zeigt:
Ländliche Räume im Umland der Zentren, aber auch peripherere Regionen gewinnen seit zehn Jahren im Saldo Einwohnerinnen und Einwohner hinzu, die die Großstädte und urbanen Räume verlassen.
Als wichtige Wirtschaftsstandorte und Orte von Innovation mit mittelständischen Industriebetrieben, Handwerk und Dienstleistern tragen ländliche Regionen zur ökonomischen Leistungsfähigkeit und gesellschaftlichen Stabilität Deutschlands bei. Für die Energiewende hin zu einer klimaneutralen Energieversorgung spielen die ländlichen Räume eine herausragende Rolle. Dies bietet Chancen neuer regionaler Wertschöpfung. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Regionen hängt auch davon ab, dass ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Ländliche Regionen haben es im Wettbewerb um Arbeitskräfte oft schwerer, weswegen gute Lebensverhältnisse ein wichtiger Standortfaktor sind.
Das große ehrenamtliche und bürgerschaftliche Engagement in ländlichen Räumen trägt wesentlich zur Verbundenheit mit der eigenen Region, zu Lebensqualität und Zusammenhalt bei. Auf dem Land haben Ehrenamt, Nachbarschaftshilfe und bürgerschaftliches Engagement starke Wurzeln, eine große gesellschaftliche Bedeutung, einen hohen Bindungswert und bauen auf gewachsene Strukturen. Viele ehrenamtlich Engagierte gestalten in ländlichen Räumen das soziale Miteinander mit und sichern Teile der Grundversorgung, Feuerwehren, Sport und Kultur auf unverzichtbare Weise.
Jede Region steht für sich – und jede Region zählt!
Deutschland zeichnet sich durch seine Vielfalt der Regionen aus. So unterschiedlich unsere Landschaften sind, so unterschiedlich sind die Menschen und ihre Lebensbedingungen in den ländlichen Regionen.
Es gibt nicht "das Land" oder "den ländlichen Raum" – jede Region steht für sich: mit unterschiedlichen Voraussetzungen, Chancen, Stärken und Potenzialen sowie Herausforderungen – und jede Region zählt!
Der Blick auf den Alltag und die Lebensumstände der Menschen, die in ländlichen Räumen leben und arbeiten, bestimmt politisches Handeln für ländliche Regionen. Ziel ist es, eine Politik für die Menschen auf dem Land zu machen, so dass sie gleichwertige Teilhabemöglichkeiten haben, gern und gut in den Dörfern und kleineren Städten leben und sich dabei genauso wahrgenommen und gesehen fühlen wie Menschen in Zentren und Ballungsräumen. Entscheidend ist hierbei auch, wie Politik – auf allen Ebenen – über die ländlichen Räume spricht und wie es gelingt, die Chancen und die Gestaltungskraft ländlicher Regionen zu zeigen.
Die Politik für die ländlichen Räume dient zum einen dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung, die ökologisch, ökonomisch und sozial ausgewogen ist und kommende Generationen und andere Regionen nicht über Gebühr belastet. Zum anderen ist sie geleitet vom übergeordneten Ziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse, das zu gerechter Ressourcenverteilung und fairen Teilhabechancen, zum Erhalt der dezentralen Siedlungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsstrukturen Deutschlands, zur Dämpfung von Abwanderung aus weniger gut aufgestellten Regionen und zugleich zum Abbau des Drucks auf Ballungsräume beitragen soll.
Gerade ländliche Räume können Gewinner der aktuellen Veränderungen werden.
Denn wichtige Zukunftsfragen entscheiden sich auch in ländlichen Räumen: die Energiewende und nachhaltige Mobilität, die nachhaltige Sicherstellung der Ernährung, die Zukunft vieler mittelständischer Handwerks- und Industriebetriebe, der Natur- und Hochwasserschutz, die Vitalität der freiheitlichen Demokratie. Die ländlichen Räume bieten für unterschiedliche Menschen und Unternehmen Freiräume und Chancen zur Entfaltung. Sie spielen bei der Entwicklung und Umsetzung von Lösungen heute und in Zukunft eine Schlüsselrolle. Entscheidend für die weitere Entwicklung ländlicher Räume wird die Handlungsfähigkeit der Kommunen sein. Dazu gehören auch eine aufgabenadäquate Finanzausstattung ländlicher Kommunen durch die Länder mit den notwendigen Handlungsspielräumen und eine bedarfsgerechte Fördermittelzuweisung auch unter räumlichen Aspekten.
Die ländlichen Regionen attraktiv, ökologisch, demokratie- und zukunftsfest zu gestalten, ist das Ziel der Bundesregierung.
Zentrale Instrumente, damit unsere Politik vor Ort Wirkung entfaltet, bleiben auch in Zukunft die beiden stabil finanziell ausgestatteten Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgaben "Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" (GAK) und "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GRW).
In der ländlichen Wirtschaft steckt viel von der Kraft unseres Landes. Gerade Handwerksbetriebe und Mittelstand sind ein zentraler Anker. Die Unternehmen in ländlichen Räumen sorgen für die bedarfsdeckende Versorgung der größeren Städte und Ballungsräume mit Wasser, Lebensmitteln, erneuerbaren Energien, vielen Bau- und Rohstoffen, Handwerksleistungen sowie Industrieerzeugnissen. Diese Leistungen nachhaltig für die Gesellschaft zu erbringen, ist auch mit erheblichen Belastungen und Einschränkungen verbunden, die in Zukunft mehr Anerkennung finden müssen.
Damit die ländlichen Räume Deutschlands auch in Zukunft Kraftzentren unseres Landes bleiben, die hohe Lebensqualität auf dem Land erhalten und auch das Wirtschaften attraktiv bleibt, brauchen sie vor allem eine gute Ausstattung mit Infrastrukturen und Daseinsvorsorgeeinrichtungen. Dazu tragen auch rechtliche Rahmenbedingungen bei, die den kleineren Strukturen ländlicher Unternehmen, Gemeindeverwaltungen und der Zivilgesellschaft gleichwertige Chancen bieten wie den Großunternehmen, den Großstädten und Menschen in den Ballungsräumen.
Mit dem Gleichwertigkeitscheck in der Bundesgesetzgebung hat die Bundesregierung ein Instrument geschaffen, das bei entsprechender Anwendung zu einer Rechtsetzung beitragen kann, die gleichwertige Lebensbedingungen und Chancen in unterschiedlichen räumlichen Strukturen fördert.
Der von der Bundesregierung verstärkt angegangene Bürokratieabbau verbessert die Handlungsmöglichkeiten gerade auch der kleinen ländlichen Strukturen. Kleine Unternehmen, Kommunen und Vereine sind besonders von starren Regelungen und Bürokratie betroffen. Um wertvolle Kapazitäten für Kreativität, Innovation und wachstumsfördernde Tätigkeiten in den ländlichen Kommunen, Vereinen und Unternehmen freizusetzen, setzt die Bundesregierung konsequent auf den Abbau von Bürokratie und auf eine möglichst belastungsarme Umsetzung gesetzlicher Vorschriften.
Eine Wertschätzung und Anerkennung der Vielfalt der Lebensentwürfe in unserem Land sowohl in ländlichen als auch in städtischen Gebieten nimmt jenen den Nährboden, die gezielt mit Gefühlen der Benachteiligung spielen. Die polyzentrische Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur in Deutschland ist eine der sozioökonomischen Stärken des Landes. Städtische und ländliche Räume in Deutschland sind eng miteinander verflochten. Sie absichtlich zu spalten, schafft Raum für Populismus, Staatsverdrossenheit und Unfrieden.
Ungleiche Lebensbedingungen werden von den Menschen vor Ort wahrgenommen und können das Vertrauen in die Politik schwächen. Auf der anderen Seite stärken eine gute Daseinsvorsorge, moderne Infrastruktur sowie eine engagierte Bürgergesellschaft unser Land gegen populistische Narrative. Gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land und in den vielfältigen Regionen Deutschlands sind die beste Basis für das Vertrauen in unsere Demokratie. Deshalb hat die Politik für die Entwicklung ländlicher Räume für die Bundesregierung eine hohe Priorität.
Schwerpunktthemen des Regierungsberichts zur Entwicklung der ländlichen Räume
Als übergreifende Schwerpunkte mit erheblicher Relevanz für ländliche Raume vertieft der Bericht in Kapitel D die Themenfelder demografischer Wandel, Klimaschutz und Energiewende, Daseinsvorsorge sowie gesellschaftlicher Zusammenhalt.
Demografischer Wandel – wachsende Vielfalt auf dem Land
Der Umgang mit dem demografischen Wandel bleibt für ländliche Räume auch über die Legislaturperiode hinaus eine der wichtigsten Aufgaben.
Die Veränderung der Bevölkerungsstruktur prägt die Entwicklung in vielerlei Hinsicht und wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Bevölkerungswachstum in einigen Regionen, Schrumpfung in anderen Regionen, die zunehmende Alterung, aber auch eine ethnisch diverser werdende Einwohnerstruktur verändern ländliche Räume. Ländliche Regionen erfreuen sich seit einigen Jahren einer wachsenden Beliebtheit bei innerdeutschen Wohnsitzverlagerungen. Selbst peripher gelegene Dörfer und Kleinstädte können Menschen durch Umzüge innerhalb Deutschlands hinzugewinnen, während Großstädte verlieren.
Indexierte Bevölkerung (2016 = 100) in Deutschland nach Thünen-Typologie 2016 - 2022
Die Vielfalt ländlicher Strukturen zeigt sich unter anderem darin, dass im letzten Jahrzehnt vor allem die ländlichen Kreise mit guter sozioökonomischer Lage gewachsen sind und von Zuzügen profitieren konnten, während in den ländlichen Räumen mit weniger guter sozioökonomischer Lage die Bevölkerung bis 2021 weiterhin zurückgegangen ist. Die regional und lokal sehr unterschiedliche Verteilung von Wachstum und Schrumpfung vor allem in ländlichen Räumen dürfte sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Die Entwicklung reicht von stark wachsenden Regionen bis hin zu Landkreisen, die – nach einem Bevölkerungsrückgang um ein Drittel seit 1990 – bis 2045 noch einmal jeden fünften Einwohner verlieren dürften.
Alterung trifft nahezu alle Regionen. Besonders stark fällt dieser Anstieg bislang in den ländlichen Regionen aus, die in den letzten Jahrzehnten bereits viele Menschen verloren haben und wirtschaftlich weniger gut aufgestellt sind. Zukünftig jedoch dürfte gerade in ländlichen Regionen, die heute eine noch vergleichsweise junge Bevölkerung haben, das Durchschnittsalter besonders rasch steigen.
Der Fachkräftebedarf steigt deutschlandweit aufgrund der demografischen, technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Parallel gehen die geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten Babyboomer, in Rente. Chancen liegen in der Aktivierung der sogenannten stillen Reserve und den bislang nicht ausgeschöpften Arbeitspotenzialen von Frauen und Älteren. Dennoch lässt sich der wachsende Bedarf an beispielsweise Gesundheits- und Pflegepersonal, im Handwerk, von Fachkräften für den Aus- und Umbau der Energie- und Wärmeversorgung, aber auch für Bildung und Kinderbetreuung auch in ländlichen Regionen nicht allein durch die lokale Bevölkerung decken. Um die Lücken mit qualifiziertem Personal zu füllen, ist auch Zuwanderung in ländliche Räume nötig.
Diversität nimmt zu. Wachsende Zuwanderung in ländliche Regionen, sowohl aus dem Ausland als auch durch innerdeutsche Wanderungen, verändert die Bevölkerungsstruktur in den Dörfern und Kleinstädten. So hat sich der Anteil der Bevölkerung ohne deutsche Staatsangehörigkeit in ländlichen Räumen seit 2011 von knapp 5 auf 11 Prozent im Jahr 2022 mehr als verdoppelt. Neue kulturelle Einflüsse und vielfältige Lebensentwürfe, andere Ansprüche und Erwartungen an Wohnumfeld und Zusammenleben treffen auf zum Teil schon über viele Generationen bestehende Gemeinschaften, Strukturen und Traditionen. Im Schnitt jüngere Hinzuziehende treffen oft auf eine gealterte lokale Bevölkerung. Dies ist eine Chance, Fachkräftelücken zu füllen, Schulen und Kindergärten zu erhalten und neue Nachfrage nach Dienstleistungen entstehen zu lassen.
Klimaschutz und Energiewende – neue Chancen für ländliche Räume
Die ländlichen Räume nehmen für Klimaschutz und Energiewende eine zentrale Rolle ein. Dort finden sich die für die Bindung von Kohlenstoff so wichtigen Böden, Wälder und Moore. Maßgebliche Klimaschutzmaßnahmen dieser Legislaturperiode bringen die Wiedervernässung von Mooren und den Umbau der Wälder voran, was weitgehend in ländlichen, dünner besiedelten Regionen erfolgt (siehe Langfassung Kapitel E 3).
Auch die Energiewende hin zu einer klimaneutralen, hauptsächlich auf erneuerbaren Ressourcen basierenden Energieerzeugung muss vor allem von und in ländlichen Regionen mit ihren Flächen für die Wind-, Solar- und Bioenergie geleistet werden.
Ländliche Räume stehen in der Transformation zu mehr Klimaschutz und klimaneutraler Energieversorgung vor besonderen Herausforderungen: Der Anteil energieintensiver Unternehmen ist höher als in städtischen Räumen. Dort wohnen breite Bevölkerungsgruppen auch mit geringen Einkünften in Eigenheimen mit überdurchschnittlich hohen Heizkosten pro Kopf, und um mobil zu sein, sind viele auf einen eigenen Pkw angewiesen.
Installierte Nettonennleistung von Onshore-Windenergieanlagen (Stand 25.09. 2024, Anlagen > 1 MW installierter Leistung) auf Gemeindeebene in Kilowatt je Einwohner
Das Gelingen einer nachhaltigen Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft hin zur Klimaneutralität entscheidet sich ganz wesentlich in den ländlichen Räumen. Die Transformation ist auch ein gesellschaftlicher Prozess, der von den Menschen, in deren Umfeld die Veränderungen am sichtbarsten sind, mitgetragen und im besten Fall mitgestaltet werden muss. Eine entscheidende Rolle spielen hierbei Fragen der Gerechtigkeit und Fairness, beispielsweise ob Nutzen und Lasten der Energiewende sozial und räumlich, zwischen ländlichen und urbanen Räumen gerecht verteilt werden.
Die dezentrale Erzeugung von Energie eröffnet neue Möglichkeiten der Beteiligung, Teilhabe und regionalen Wertschöpfung. Kommunen können den Ausbau auf ihren Flächen planungsrechtlich gestalten und dabei die Bürgerinnen und Bürger einbinden. Bund und Länder haben darüber hinaus Regelungen zur freiwilligen und verpflichtenden finanziellen Beteiligung an den Erträgen der Energieanlagen geschaffen. Die Erträge in den Kommunen können auch der Allgemeinheit zugutekommen, sei es durch die Stärkung der Jugend- und Vereinsarbeit oder die Schaffung von Begegnungsorten. Aber auch die Menschen selbst können Akteurinnen und Akteure der Energiewende werden. Die Beteiligung über Bürgerenergiegesellschaften wurde erleichtert (siehe Langfassung Kapitel E 2.3).
Viele Weichen wurden gestellt, damit die Energiewende ein wichtiger Teil der Entwicklung ländlicher Räume werden kann. Wichtig ist nun, die Kommunen und Menschen vor Ort mitzunehmen, ihnen die Möglichkeiten aufzuzeigen, tatsächlich Teil dieses Wandels zu werden und davon zu profitieren.
Daseinsvorsorge – neue Wege für Versorgung, Mobilität und Teilhabe
Die ausreichende Verfügbarkeit von Dienstleistungen, Waren und Infrastrukturen in einer Region dient mehr als nur der Versorgung der Menschen. Sie ist entscheidend für Wohlbefinden und Lebensqualität. Der Großteil der Menschen in ländlichen Räumen ist generell zufrieden mit Angeboten der Daseinsvorsorge. Sie wissen dabei auch, dass ein vergleichbar dichtes Angebot wie in Großstädten kaum in dünner besiedelten ländlichen Regionen vorgehalten werden kann. Dafür hat das Leben auf dem Land andere Vorteile im Vergleich zur Großstadt, wie Nähe zur Natur, Ruhe, mehr Platz oder vielerorts günstigere Immobilienpreise.
Eine gute Gesundheitsversorgung ist ein entscheidender Faktor für Lebensqualität.
Eine alternde Bevölkerung ist auf eine gute sowie erreichbare Gesundheitsversorgung und Pflege angewiesen. Doch die medizinische Versorgung ist in vielen ländlichen Regionen Deutschlands mit kontinuierlichen und wachsenden Herausforderungen konfrontiert: Einerseits steigt mit einem zunehmenden Bevölkerungsanteil älterer und multimorbider Menschen die Nachfrage nach ärztlicher und pflegerischer Versorgung. Andererseits schlägt sich die Alterung auch bei den in der Gesundheitsversorgung Beschäftigten nieder (siehe Langfassung Kapitel E 1.3).
Ein weiteres zentrales Thema für Menschen in ländlichen Räumen sind Mobilität und der öffentliche Verkehr. Ähnlich wie bei der Gesundheitsvorsorge unterscheidet sich hier die Zufriedenheit zwischen ländlichen und städtischen Regionen. In ländlichen Räumen ist der Pkw für den Großteil der dort lebenden Bürgerinnen und Bürger das Hauptverkehrsmittel. Öffentliche Mobilitätsangebote sind ein Teil der Daseinsvorsorge, da erst durch sie eine gesellschaftliche Teilhabe auch für diejenigen möglich ist, die aufgrund ihres Alters, ihrer Gesundheit, ihrer finanziellen Möglichkeiten oder auch aus persönlichen Präferenzen kein eigenes Auto zur Verfügung haben.
Gerade für ländliche Räume bleibt eine nachhaltige, bedarfsgerechte, effiziente, intelligente und für alle bezahlbare Mobilität eine beständige Aufgabe.
Um den öffentlichen Nahverkehr zu stärken und dessen Nutzung zu steigern, wurden in der 20. Legislaturperiode diverse Maßnahmen angestoßen (siehe Langfassung Kapitel E 1.5).
Die Bundesregierung hat das Ziel, überall leistungsfähige digitale Infrastrukturen zu ermöglichen, das heißt Glasfaser bis ins Haus und den neuesten Mobilfunkstandard. Für die Bürgerinnen und Bürger sollen Homeoffice, Streaming im ICE und Empfang in peripheren Räumen selbstverständlich und problemlos möglich sein.
Digitale Erreichbarkeit ist Voraussetzung für soziale und gesellschaftliche Teilhabe. Für die Wirtschaft und Unternehmen sind flächendeckende, hochleistungsfähige und sichere Netze ein zentraler Standortfaktor.
Wenn Wege weiter und Orte und Angebote der Daseinsvorsorge schwieriger erreichbar sind, kann eine gute und flächendeckende digitale Infrastruktur und Internetverfügbarkeit einen entscheidenden Ausgleich bieten (siehe Langfassung Kapitel E 1.6).
Das wohnortnahe Bildungs- und Betreuungsangebot gerät insbesondere in peripheren, von sinkenden Geburtenzahlen und Abwanderung betroffenen ländlichen Regionen unter Druck. Im Verlauf der letzten Jahre sind in ländlichen wie in urbanen Regionen sowohl die Betreuungsquoten der Kleinkinder als auch der Anteil der Ganztagsbetreuung angestiegen, auch wenn es bezüglich der Nachfrage weiterhin regionale Unterschiede gibt. Zur Daseinsvorsorge gehören auch Angebote der Nahversorgung wie Dorfläden, Dienstleistungen, Gaststätten oder soziale Treffpunkte und Gemeinschaftsorte.
Einwohnergewichtete durchschnittliche Distanz zur nächsten Haltestelle mit mindestens 20 werktätigen Abfahrten in Metern, 2020
Gesellschaftlicher Zusammenhalt – starkes Engagement für Nachbarschaft, Wohnort und Demokratie
Noch mehr als in größeren Städten übernehmen in den Dörfern und Kleinstädten engagierte Bürgerinnen und Bürger wichtige Aufgaben und Funktionen, die unabdingbar für das gesellschaftliche Zusammenleben sind. Eine rege Zivilgesellschaft bildet einen wichtigen Baustein einer lebendigen, vielfältigen Demokratie.
Anteile ehrenamtlich Engagierter nach Thünen-Typologie, 2001 bis 2019
Engagement verändert sich, auch auf dem Land. Vereine bleiben zwar die wichtigste Organisationsform, doch kommt nicht selten auch ein eher kurzfristiges und zeitlich begrenztes Engagement hinzu. Der demografische Wandel stellt vor allem kleinere Vereine und Initiativen auf dem Land, verstärkt in den strukturschwachen Regionen, vor große Herausforderungen, insbesondere wenn es um die Nachfolge in Leitungsfunktionen geht. Auch in der Lokal- und Kommunalpolitik – der Basis unserer Demokratie – scheint es zunehmend schwieriger zu werden, Menschen für ein längerfristiges Engagement zu gewinnen. Engagement ist kein Selbstläufer. Aufgabe der Politik ist es, für gute Rahmenbedingungen zu sorgen. Eine wichtige Rolle für die ländlichen Räume spielt die von drei Bundesressorts getragene Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt, die 2020 an den Start gegangen ist und sich seitdem als verlässliche Partnerin für Aktive und Engagierte insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Räumen etabliert hat (siehe Langfassung Kapitel E 1.7).
Im Laufe der Legislaturperiode hat der Bund einige Vorhaben zur Stärkung der Demokratie und zur Verbesserung der Teilhabe vorangetrieben (siehe Langfassung Kapitel E 1.7). Demokratieförderung beschränkt sich jedoch nicht allein auf explizite „Demokratievorhaben“. Indem die Bundesregierung in ihren politischen Vorhaben – wie Gesundheitsversorgung, Energiewende, Mobilitätswandel – auch auf die regional unterschiedlichen Strukturen und Bedürfnisse hört und dies in ihre Entscheidungsprozesse einfließen lässt, stärkt sie zugleich das Vertrauen in die Demokratie.
Eine Politik für gleichwertige Lebensverhältnisse ist immer auch eine Politik für mehr gesellschaftliche Teilhabe und Zusammenhalt.
Gute Lösungen entstehen dadurch, dass sich Menschen in ihren örtlichen Realitäten und mit ihren Lebensentwürfen in den Entscheidungen wiederfinden und mitgenommen fühlen. Viele wichtige Zukunftsfragen werden sich in ländlichen Räumen entscheiden: die Energiewende und die Transformation des Verkehrs, der demografische Wandel, der ökologische Umbau und die Zukunft der Landwirtschaft, aber auch die Vitalität der Demokratie. Das heißt für die öffentliche Hand und die Bundesregierung, dass sie zur Gestaltung dieser Transformationsthemen auch genau dort präsent und sichtbar sein muss und gleichzeitig die lokalen Akteure – die Kommunen – weiter stärken muss. Denn Demokratie und Zusammenhalt wachsen aus den lokalen Verhältnissen.