Schilf-Glasflügelzikade als Überträger bakterieller Krankheitserreger

Die Schilf-Glasflügelzikade (Pentastiridius leporinus) ist ein kleines fliegendes Insekt. Die Nachkommen (Nymphen) überleben den Winter im Boden. Sie saugen dafür an Ernteresten oder an den Wurzeln der Winterkultur. Die Nymphen kann man daran erkennen, dass sie meist einen weißen Federbusch am Hinterleib tragen. Die erwachsenen (adulten) Schilf-Glasflügelzikaden fliegen ab Mai in die Wirtspflanzenbestände ein. Die Flugzeit der erwachsenen Zikaden beginnt im Frühsommer und endet im August.

Die Zikade breitet sich zunehmend auf landwirtschaftlichen Ackerbau- und Gemüseflächen in Deutschland aus. Zudem erweitert die Zikade ihr Wirtspflanzenspektrum stetig. Die Zikade saugt an Pflanzenteilen. Sie schädigt die betroffenen Kulturen vor allem dadurch, dass sie bakterielle Krankheitserreger überträgt. Diese lösen die Krankheitskomplexe "Syndrome-Basses-Richesses" (Syndrom der niedrigen Zuckergehalte, SBR) und Stolbur aus.

Im Folgenden finden Sie Antworten auf wichtige Fragen zur Schilf-Glasflügelzikade.

Seit wann tritt die Schilf-Glasflügelzikade als Krankheitsüberträger in Deutschland auf?

Seit dem Jahr 2008 wurde von der Zikade übertragenes SBR an Zuckerrüben in Deutschland beobachtet. Seit 2021 nutzt die Schilf-Glasflügelzikade offensichtlich auch Kartoffeln als Wirtspflanze. In der Anbausaison 2024 waren in Deutschland 85.000 Hektar Zuckerrüben mit den Bakterien infiziert und 22.000 Hektar Kartoffeln. Darüber hinaus sind inzwischen diverse Gemüsekulturen betroffen, darunter Rote Bete, Karotten und Zwiebeln. Der Befall führt bei allen Kulturen zu hohen Qualitäts- und Ertragsverlusten.

Die Zikade ist zunächst nur in Baden-Württemberg in größerem Umfang als Krankheitsüberträger aufgetreten. Seitdem breitet sie sich kontinuierlich in Deutschland aus. Ab 2018 kam es vor allem in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz zu einem starken Befall. Mittlerweile kommt die Zikade in fast allen Bundesländern vor. Aufgrund der rasanten Ausbereitung sollten landwirtschaftliche Flächen auch in noch nicht befallenen Gebieten auf die Zikaden und ihre Nypmhen kontrolliert und ggf. schon frühzeitig vorbeugende Maßnahmen ergriffen werden.

Welche Auswirkungen haben SBR und Stolbur auf die infizierten Kulturen?

Bei Zuckerrüben können SBR und Stolbur zur Vergilbung der Blätter, zu Wuchsanomalien, Leitbündelnekrosen im Rübenkörper, reduzierten Zuckergehalten und zur Ausbildung von "Gummirüben" führen. Weiterhin führt der Befall dazu, dass die Rüben sich nur schlecht lagern und verarbeiten lassen.

Bei Kartoffeln können vor allem viele kleine und weiche Knollen auftreten. Zudem kann es zu Leitbündelverbräunungen, Nabelendnekrosen sowie verringerten Stärkegehaltenkommen. Letzteres führt vor allem in der weiterverarbeitenden Industrie zu Problemen und kann zur Folge haben, dass schon gering befallene Partien nicht mehr vermarktbar sind.

Die Erreger sind für den Menschen ungefährlich und auch Gummikartoffeln oder solche mit verbräunten Leitbündeln können bedenkenlos verzehrt werden. 

Welche Möglichkeiten zur Bekämpfung gibt es?

Die komplexe Biologie der Krankheitserreger, die schnelle räumliche Ausbreitung der Schilf-Glasflügelzikade und die zunehmende Ausdehnung des Wirtspflanzenspektrums stellen die landwirtschaftlichen Betriebe vor besondere Herausforderungen. Es gibt keine kurzfristigen oder einfach umzusetzenden Maßnahmen, mit denen eine Infektion zuverlässig verhindert werden kann.

Das BMEL setzt sich gemeinsam mit dem im Geschäftsbereich angesiedelten Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, dem Julius Kühn-Institut (JKI), intensiv dafür ein, das notwendige Wissen bereitzustellen, um die Schilf-Glasflügelzikade und die von ihr übertragenen Krankheitserreger praxistauglich einzudämmen und zu bekämpfen. Dabei zeigen die bisherigen Forschungsergebnisse, dass nur ein integrativer Ansatz, der alle Instrumente des Integrierten Pflanzenschutzes – wie Fruchtfolge, pflanzenbauliche Maßnahmen und Insektizideinsatz - vereint, die Zikade wirkungsvoll bekämpfen und die rasante Ausbreitung dieses Schaderregerkomplexes bremsen kann. 

Mit welchen Anpassungen in der Fruchtfolge kann die Schilf-Glasflügelzikade eingedämmt werden?

Wintergetreide ist für den Lebenszyklus der Zikade eine wichtige Grundlage. Der Verzicht auf Wintergetreide nach Zuckerrüben und Kartoffeln mindert den Befall wesentlich. Untersuchungen zeigen, dass eine vegetationsfreie Zeit im Winter das Vorkommen der Nymphen im Boden deutlich reduziert. Ohne passende Wirtspflanzen in dieser Phase, ist die Entwicklung der Nymphen hin zu adulten Zikaden gestört und es kann zu einem verringerten Ausflug der Zikade im folgenden Frühjahr kommen. Anstelle des Wintergetreides kann eine möglichst spät zu säende Sommerung folgen.

Zu beachten ist jedoch, dass im Rahmen der EU-Agrarförderung nach den Regelungen der Konditionalität beim Standard GLÖZ 6 mindestens 80 Prozent der Ackerflächen eines Betriebes in sensiblen Zeiträumen eine Mindestbodenbedeckung aufweisen müssen, etwa durch Begrünungen, die bis zum 31. Dezember bestehen bleiben. Auf schweren Böden und beim Anbau früher Sommerkulturen im Folgejahr muss eine Mindestbodenbedeckung bis 1. bzw. 15. Oktober gewährleistet sein. Weitere Ausnahmeregelungen sollen im Laufe des Jahres im GAP-Strategieplan für das Jahr 2026 verankert werden, bedürfen dann allerdings der Zustimmung der Europäischen Kommission. 

Das Anlegen einer Schwarzbrache kann jedoch zu Zielkonflikten führen, insbesondere im Hinblick auf den Erosionsschutz oder Nitratverluste während der Wintermonate. 

Welchen Einfluss hat die Sortenwahl in der Bekämpfungsstrategie?

Langfristig sind resistente und tolerante Sorten ein wichtiger Baustein, um die Ertragssicherheit von Zuckerrüben und Kartoffeln zu gewährleisten. Aktuell gibt es weder bei der Zuckerrübe noch bei der Kartoffel marktverfügbare Sorten, die sich im Feld als resistent oder tolerant gegen die bakteriellen Erreger oder die Schilf-Glasflügelzikade zeigen. 

Welche Möglichkeiten zur direkten Bekämpfung der Schilf-Glasflügelzikade als Vektor gibt es?

Aktuell sind in Deutschland keine Pflanzenschutzmittel zur Bekämpfung von Glasflügelzikaden als Überträger bakterieller Krankheitserreger regulär zugelassen.

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) hat auf Grundlage des Artikels 53 der EU-Pflanzenschutzmittelverordnung für mehrere regulär zugelassene Pflanzenschutzmittel weitere Anwendungsgebiete für einen Zeitraum von 120 Tagen zugelassen. Diese können nach Warndienstaufruf angewendet werden. Diese Notfallzulassungen sind ein Baustein im Rahmen der abgestimmten Strategien zur Bekämpfung von Glasflügelzikaden als Überträger zweier bakterieller Krankheitserreger.

Weitere Informationen zu den erteilten Notfallzulassungen sind auf der BVL-Webseite veröffentlicht.

Zu beachten ist, dass sich der Zikaden-Zuflug über einen sehr langen Zeitraum erstreckt und die Übertragung der bakteriellen Erreger sehr schnell stattfindet. Die Infektion mit den bakteriellen Erregern mittels chemischer Kontrolle der Zikade zu erreichen, erscheint daher unwahrscheinlich. Um den Schaderregerkomplex wirksam einzudämmen, bedarf aus diesem Grund weiterer pflanzenbaulicher Maßnahmen.

Welche weiteren Möglichkeiten der Vorbeugung bzw. indirekten Bekämpfung bestehen?

Bei der Flächenwahl sollte bei anfälligen Kulturen möglichst auf eine große Entfernung zu Flächen mit Vorjahresbefall geachtet werden.

Kleinere Flächen können mit engmaschigen Kulturschutznetzen vor dem Zikaden-Zuflug geschützt werden. 

Wie tragen das BMEL und die ihm nachgeordneten Behörden dazu bei wirksame Kontrollstrategien zu entwickeln?

Bereits seit Jahren unterstützt das BMEL die Forschung zur Schilf-Glasflügelzikade und den damit verbundenen Krankheiten. Aktuell werden die folgenden Projekte vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) als Projektträger gefördert:

Das JKI hat im Rahmen seiner Forschung potenzielle Bekämpfungsansätze identifiziert, die in laufenden Projekten weiter erforscht werden. Dazu zählt unter anderem die Bekämpfung der Schilf-Glasflügelzikade mittels antagonistischer Pilze oder durch Fortpflanzungskontrolle (Mating-Disruption).

Wie die einzelnen Maßnahmen zu wirksamen und ökonomisch tragfähigen Strategien weiterentwickelt werden können, wird das JKI in Kooperation mit den Pflanzenschutzdiensten der Bundesländer, Anbauverbänden, Unternehmen und der Praxis in betroffenen Modellregionen weiterhin untersuchen und erproben.

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