Unser Wald in Gefahr - Wir müssen jetzt handeln

Gastkommentar der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Julia Klöckner
in der "Welt"

Gastkommentar von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner in der Welt vom 31. Juli 2019

Wir Deutschen mögen unseren Wald, wir mögen Bäume. Sie lösen ein positives Grundgefühl in uns aus, ein Wohlbefinden, es schwingt etwas Ehrfurchtsvolles mit. Warum ist das so? Weil seine Stämme aus einer Zeit erzählen, die vor uns begann oder uns überdauert. Bis Bäume geerntet werden können, vergeht viel Zeit. Die Fichte benötigt mindestens drei Menschengenerationen, bei der Traubeneiche kann es länger als 200 Jahre dauern.

Wenn aber etwas Unumstößliches wie der Wald ins Wanken gerät, dann wird es kritisch. Unser Wald ist in Gefahr. Brände, Stürme, Dürre und Schädlinge haben unserem Wald erheblich zugesetzt. Wir haben einen guten Überblick über die Schäden: Allein die Waldbrände im vergangenen Jahr haben eine Waldfläche von mehr als 3000 Fußballfeldern zerstört. Das Aufkommen an Schadholz lag 2018 bei rund 32 Millionen Kubikmetern, für dieses Jahr rechnen Experten mit weiteren 35 Millionen Kubikmetern.

Dort, wo junge Bäume wachsen sollten, stehen vertrocknete Setzlinge. Alte Waldbestände, die kurz vor der Ernte standen und wertvolles Holz liefern sollten, mussten zur Unzeit genutzt werden. Die Stämme liegen nun im Wald und müssen unter Wert verkauft werden. Über 114.000 Hektar Wald, also mehr als die Fläche Berlins, sind kahl und müssen aufgeforstet werden.

Was wir bei der Waldsanierung heute verpassen, wird uns über Generationen nachhängen. Deshalb müssen wir jetzt handeln.

Warum ist die Situation so dramatisch? Weil unsere grüne Lunge und unser wichtigster Verbündeter beim Klimaschutz in Gefahr ist. Wenn wir Teile unseres Waldes verlieren, dann werden wir diesen Verlust nur schwer mit anderen Klimaschutzmaßnahmen kompensieren können. Was wir bei der Waldsanierung heute verpassen, wird uns über Generationen nachhängen. Deshalb müssen wir jetzt handeln.

Denn unser Wald ist mehr als grüne Lunge, mehr als Heimat vieler Tier- und Pflanzenarten, mehr als Erholungsraum und Wirtschaftsfaktor für Arbeit und Einkommen in unseren ländlichen Regionen. Weil er Kohlenstoff im Boden und im Holz bindet. Mit dem Erhalt des Waldes, seiner nachhaltigen Bewirtschaftung und mit der Verwendung von Holz verfügen wir über ein immenses CO2-Minderungs- und Speicherpotenzial.

Der Wissenschaftliche Beirat für Waldpolitik meines Ministeriums schätzt den Klimaschutzbeitrag von Wald und Holz auf 127 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr. Damit können wir laut Beirat rund 14 Prozent der gesamten Emissionen unseres Landes ausgleichen.

Nach den Ergebnissen der Kohlenstoffinventur 2017 hat der Wald zwischen 2012 und 2017 in der ober- und unterirdischen Biomasse der Bäume, im Totholz und im Boden jährlich eine Kohlenstoffmenge gespeichert, die 62 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten entspricht. Etwa die gleiche Menge Kohlenstoffdioxidemissionen wird durch die energetische und stoffliche Nutzung von Holz vermieden. Würden stattdessen fossile Brennstoffe und nicht erneuerbare Rohstoffe verwendet, wären die Treibhausgasemissionen Deutschlands entsprechend höher.

Was ist also zu tun? Aus meiner Sicht sind es vier Punkte. Erstens: Aufräumen geht vor Aufforsten. Zweitens: Pragmatisch helfen. Drittens: Mit Umsicht aufforsten, denn die Bäume müssen zum Standort und zum Klima passen. Viertens: Nicht kleckern, sondern klotzen.

Was ist also zu tun? Aus meiner Sicht sind es vier Punkte.

Erstens: Aufräumen geht vor Aufforsten. Zweitens: Pragmatisch helfen. Drittens: Mit Umsicht aufforsten, denn die Bäume müssen zum Standort und zum Klima passen. Viertens: Nicht kleckern, sondern klotzen.

Zum Ersten:

Im Moment liegt so viel Schadholz im Wald, dass eine Wiederaufforstung noch gar nicht beginnen kann. Und frisch vom Borkenkäfer befallenes Holz muss aus dem Wald, damit sich der Befall nicht weiter ausbreitet. Wir haben im vergangenen Jahr, als sich schon eine außerordentliche Belastung abzeichnete, bereits für fünf Jahre zusätzliche 25 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Im Regierungsentwurf zum Haushalt 2020 ist vorgesehen, die Mittel pro Jahr zu verdoppeln. Geld, das vor allem für die Räumung der Schadflächen und zur Lagerung von Schadholz genutzt werden kann, aber auch zur Bekämpfung von Schädlingen, zur Vorbeugung von Waldbränden oder zur Investition in eine Wiederaufforstung.

Zum Zweiten:

Ich habe mich dafür eingesetzt, dass ein ganzes Bündel von Maßnahmen auf den Weg gebracht wurde, um pragmatisch zu helfen. Die Schadholzbeseitigung ist logistisch keine Lappalie, es mangelt an Kapazitäten. Eine Regelung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur ermöglicht im Hinblick auf die Engpässe, das sogenannte Kabotageverbot auszusetzen.

In der Folge dürfen nun ausländische Spediteure für einen befristeten Zeitraum zusätzliche Transportleistungen in Deutschland erbringen. Bei der Einkommenssteuer konnten wir Erleichterungen für besonders betroffene Forstbetriebe erzielen. Und es ist hilfreich, dass die Landwirtschaftliche Rentenbank auf unsere Initiative hin eine neue Fördersparte eingerichtet hat.

Zum Dritten:

Wir müssen wieder aufforsten. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir hier eine Generationenaufgabe vor uns haben. Und die löst man nicht über Nacht. Denn mehr denn je geht es jetzt darum, die Wälder fit und widerstandsfähig zu machen. Bis Bäume erwachsen werden, vergeht viel Zeit. Mir ist deshalb wichtig, dass wir auch hier auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse vorgehen, dass wir jetzt den Wald weiter an den Klimawandel anpassen.

Unsere heimischen Bäume sind dabei sicher die Basis. Prüfen wir aber auch, welche eingeführten Baumarten ebenfalls gut in unser Ökosystem passen und vielleicht sogar besser mit großen Dürren zurechtkommen. Wir sollten aber bei allen negativen Wald-Schlagzeilen dieser Tage nicht vergessen: Bund und Länder fördern bereits seit Jahren den Waldumbau hin zu gemischten und klimastabilen Wäldern.

Zum Vierten:

Um das alles zu leisten, werden wir in den kommenden Jahren mindestens eine halbe Milliarde Euro für die Bewältigung allein der aktuellen Waldschäden benötigen. Zur verstärkten Anpassung der Wälder an den Klimawandel brauchen wir zusätzlich über eine Milliarde Euro in den nächsten Jahren. Der so genannte Energie- und Klimafonds ist der richtige Topf dafür. Nur ein an den Klimawandel angepasster Wald kann auch das Klima schützen.

Wir sind in Deutschland in der guten Situation, dass wir schon vor vielen Jahren damit begonnen haben, unseren Wald auf den Klimawandel vorzubereiten. Bereits seit Langem unterstützen Bund und Länder die Waldeigentümer dabei, mehr Mischwälder aufzubauen, die weniger anfällig für den Klimawandel sind. Die Bundeswaldinventur 2012 und die Kohlenstoffinventur 2017 zeigen: Unsere Wälder sind bereits vielfältiger geworden. Wir haben mehr Laubbäume und mehr Mischbestände als vor 15 Jahren. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und werden das weiter tun.

Unseren Wald zu retten heißt aber auch, das Thema Nachhaltigkeit, das Thema Klimaschutz und die positive Rolle von Wald und Holz national und international noch ernster zu nehmen und auf die Tagesordnung zu setzen. Denn erst vor Kurzem hat eine Studie der ETH Zürich erneut gezeigt, dass ein Aufforsten von bisher unbewaldeten Flächen rund um den Globus einen großen Teil der menschengemachten CO2-Emissionen ausgleichen kann.

Es ist eine Generationenaufgabe, das Multitalent Wald zu erhalten und zu pflegen. Der Begriff Nachhaltigkeit, der inzwischen in aller Munde ist, kommt schließlich aus der Forstwirtschaft. Sorgen wir dafür, dass der international bekannte Begriff des „Waldsterbens“ aus den 80er-Jahren nicht wieder zum Unwort des Jahres wird.

Erschienen am im Format Interview

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