"Ich bringe Maß und Mitte in die Themen"

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit der LZ Rheinland

Frage: Frau Ministerin, welche Strategie ist für Sie die wichtigste: die Ackerbaustrategie, die Klimastrategie, die Nutztierstrategie, die Digitalstrategie oder die Sektorstrategie?

Bundesministerin Klöckner: Ich möchte keines dieser Themen gewichten, denn alle sind bedeutend und hängen auch miteinander zusammen. Alle Themen haben natürlich einen strategischen Charakter. Strategie bedeutet dabei immer die Gesamtschau.

Wir haben allzu häufig in der Gesellschaft diese Schwarz-Weiß-Debatten: hier die Guten, dort die Schlechten. Davon halte ich wenig. Differenziertheit ist wichtig. Strategie bedeutet, nicht punktuell und reflexhaft auf etwas zu antworten oder über jedes Stöckchen zu springen, sondern sich heute Gedanken über morgen zu machen, um Landwirten, Verbrauchern, Bürgern Planungssicherheit zu geben. In langen Zeitlinien zu denken. 2019 wird beispielsweise die Ackerbaustrategie eines unserer wichtigen Themen und damit auch die Klimafrage.

Frage: Dabei kann es aber auch Zielkonflikte zwischen den Strategien geben: mehr Tierwohl, mehr Klimagase, weniger Glyphosat, weniger Bodenschonung.

Klöckner: Heute werden schnell Forderungen formuliert – immer zu 100 Prozent. Doch die Zusammenhänge werden zu wenig analysiert. Damit lösen wir keine Zielkonflikte. Stattdessen müssen wir sie klar benennen.

Beispiel Pflanzenschutz. Wir brauchen Pflanzenschutzmittel für die Gesundheit der Pflanzen. Es gibt jedoch in der Gesellschaft Gruppen, die komplett gegen deren Anwendung sind. Diese Gruppen würden aber klagen, wenn wir keine Ernährungssicherheit mehr hätten.

Daran sehen wir: Es kann nicht um alles oder nichts gehen, also etwa Pflanzenschutzmittel komplett zu verbieten.

Denn das würde bedeuten, dass Lebensmittel nicht für jeden zu bezahlbaren Preisen angeboten werden können. Sondern es muss darum gehen, wie wir Pflanzenschutzmittel passgenau ausbringen, zum Beispiel im Rahmen der guten fachlichen Praxis durch Precision Farming. Dann haben wir beides: präzisen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Ernährungssicherheit.


Frage: Aber die Bauern haben durchaus Sorge, dass ihnen Mittel aus der Hand genommen werden. Denkt man zum Beispiel an die Fungizide, geht es nicht nur um Schädlingsbekämpfung, sondern auch darum, gesunde, unbedenkliche Lebensmittel herzustellen.

Klöckner: Darum geht es ja gerade: wir brauchen insgesamt eine Ausrichtung, die sich weniger an tagesaktuellen Stimmungen orientiert. Wir brauchen eine Folgeabschätzung auf wissenschaftlicher Basis und eine viel stärkere Orientierung an Daten und Fakten. Es geht nicht um Komplettverbote, sondern darum, wie sich Pflanzenschutzmittel oder Schädlingsbekämpfungsmittel präziser ausbringen lassen. Auch dafür brauchen wir eine wissenschaftliche Begleitung.

Frage: Das heißt, Sie wollen die Ressortforschung des BMEL stärken?

Klöckner: Absolut richtig. Der Forschungs- und Entwicklungshaushalt meines Ministeriums ist der viertgrößte in der Bundesregierung. Mein Ministerium gibt hierfür jährlich 900 Mio. Euro aus. Bei einem Gesamthaushalt von 6,3 Mrd. Euro ist das eine gewaltige Summe.

Wir brauchen die Forschung, denn mit deren Ergebnissen kommt Sachlichkeit in die Debatten. Gerade Themen wie Landwirtschaft, Lebensmittel, Tierhaltung oder Pflanzenschutz sind emotional besetzt. Wir sehen es immer wieder: Je nach Schlagzeile haben wir plötzlich 80 Mio. Hobbyagrarwissenschaftler in der Bundesrepublik. Letztlich stütze ich mich bei meinen Entscheidungen aber auf Daten und Fakten aus der Wissenschaft.

Frage: Das meint: Es gibt keine ideologische Richtung, sondern ausschließlich die wissenschaftliche Fundiertheit hat zu zählen? Und die Bauern müssen nicht damit rechnen, dass sie plötzlich ohne chemischen Pflanzenschutz auskommen müssen?

Klöckner: Ich mache keine ideologische Schublade auf und bin auch nicht für ein Alles-oder-Nichts-Prinzip. Wir wollen beim Pflanzenschutz die Mengen reduzieren und gleichzeitig Alternativen für die Landwirte anbieten. Diese Ziele können wir erreichen, indem wir mechanische und biologische Maßnahmen nutzen und auch die Möglichkeit von Digitalisierung und Präzisionslandwirtschaft.

Frage: Nehmen wir den Zuckerrübenanbau. Die Anbauer fürchten, dass nur noch Überseezucker auf den Tisch kommen könnte, nicht nur, aber auch weil der Anbau aufgrund des Verbotes von Neonikotinoiden massiv eingeschränkt werden könnte.

Klöckner: Das wird nicht der Fall sein! Zu den Absatzchancen von heimischem Zucker verweise ich auf unsere Forschungsförderung von neuen Produkten. Mit 1,6 Mio. € finanziert mein Ministerium zum Beispiel neue, kalorienarme Zucker, die aus heimischen Zuckerrüben gewonnen werden. Da steckt viel Potenzial drin – vor allem für die Zuckerrübenbauern.

Was die Neonikotinoide anbelangt, nur so viel: Man darf sich nicht nur dann auf die Wissenschaft berufen, wenn einem das Ergebnis passt. Bei der Anwendung bei Zuckerrüben ist es eben nicht ausgeschlossen, dass Neonikotinoide im Boden verbleiben. So können auch Folgefrüchte oder Zwischenfrüchte betroffen sein und Insekten durchaus mit den Mitteln in Kontakt kommen. Das ist ein Zielkonflikt, den man auch gegenüber den Zuckerrübenanbauern klar benennen muss.

Frage: Die Deutsche Umwelthilfe klagt gegen Deutschland, weil die Regierung ihre Verpflichtungen in Sachen Nitrat nicht erfüllen würde. Sie argumentieren, dass die neue Düngeverordnung erst greifen muss. Was, wenn die nicht die Wirkung erzielt, welche die EU erwartet?

Klöckner: Die Deutsche Umwelthilfe klagt auf Grundlage der alten Düngeverordnung. Die neue Düngeverordnung ist längst verschärft worden und verlangt den Landwirten einiges ab. Klar ist: Die neue Düngeverordnung muss erst einmal greifen können. Die Verbesserungen bei den Nitratgehalten werden sich aufgrund der langen Fließzeiten in die Böden aber erst mittelfristig zeigen. Nichtsdestotrotz ist die EU-Kommission mit einigen Punkten unzufrieden. Auch das Bundesumweltministerium will noch mehr. Wir verhandeln jetzt bei der EU-Kommission, an welchen Stellen wir die aktuelle Düngeverordnung nachbessern müssen, damit Deutschland keine Strafzahlungen leisten muss.

Frage: Das Umweltministerium verlangt mehr? Sie sitzen doch in einer Regierung und arbeiten beide auf Grundlage eines Koalitionsvertrages!

Klöckner: Auch andere Ministerien sind nicht immer im Gleichklang. Wo Menschen zusammenarbeiten, gibt es unterschiedliche Meinungen. Naturgemäß sieht ein Umweltministerium mit dem Umweltbundesamt manches häufig anders als wir. Jeder hat auch einen anderen Auftrag. Wir ringen um die richtigen Wege. Aber ich bringe die Praxis und damit Maß und Mitte in die Themen.

Frage: Nehmen wir das Beispiel Zulassung von Pflanzenschutzmitteln. Eigentlich müssten beide Häuser das Interesse haben, neue Wirkstoffe beschleunigt zuzulassen, weil sie umweltschonender sind. Aber dem stehen unterschiedliche Kompetenzen an unterschiedlichen Stellen entgegen.

Klöckner: Wir müssen die Verfristungen abbauen. Das BVL (Anmerkung der Redaktion: Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit), das zum Geschäftsbereich meines Ministeriums gehört, hat seine Hausaufgaben gemacht. Beim UBA (Anmerkung der Redaktion: Umweltbundesamt, im Geschäftsbereich des Umweltministeriums) liegen dagegen nach wie vor viele Verfristungen. Dort stehen also für viele Pflanzenschutzmittel Zulassungsentscheidungen an. Das kann am Ende dazu führen, dass der Staat zahlen muss, weil betroffene Hersteller klagen und Recht bekommen. Außerdem brauchen wir auch die Forschung, wenn es um Neuzulassungen geht oder die Definition von Indikationen, die passgenauer sind und weniger Begleitschäden verursachen.

Frage: Wie passt es zusammen, dass Gebiete mit hohen Nitratgehalten im Grundwasser ausgewiesen werden, obwohl dort keine Nutztierhaltung ist, die oft als wesentlicher Verursacher angesehen wird?

Klöckner: Beim Blick auf die deutsche Nitratkarte kommt häufig derselbe Reflex wie beim Thema Pflanzenschutzmittel oder Klimawandel: Landwirte werden pauschal verurteilt. Natürlich haben Landwirtschaft und Tierhaltung auch etwas mit Nitratbelastung zu tun. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Es gibt sicher ein paar Unwuchten in Regionen, in denen die Zahl der Tiere nicht mehr in Relation zur Fläche steht. Hier brauchen wir Lösungen.
Vergleichbare Werte findet man aber auch in intensiven Gemüsebauregionen. Daneben gibt es Regionen, sogenannte Trockenstandorte mit sehr geringer Grundwasserneubildungsrate, in denen wir hohe Nitratgehalte finden, obwohl die Betriebe dort bedarfsgerecht düngen. Hier müssen wir Lösungen finden, indem wir die gute fachliche Praxis weiterentwickeln. Auch Gülle in Biogasanlagen zu verwerten trägt zur Lösung bei. Man braucht auch hier die differenzierte Analyse und keine pauschale Betrachtung.

Frage: Von den Strategien Ihres Hauses zu denen anderer. Freut sich Ihr Haus schon darauf, Strategiepläne aufzustellen, wie sie EU-Agrarkommissar Phil Hogan im Zuge der GAP-Reform vorgeschlagen hat?

Klöckner: Im kommenden Mai ist die Wahl zum EU-Parlament. Dort gibt es mehrere Tausend Änderungsanträge zu den Reformvorschlägen. Wenn wir realistisch sind, wird die GAP-Reform nicht mehr vor der Europa-Wahl umgesetzt werden. Unsere Haltung ist klar: Wir stehen zum Zwei-Säulen-Modell, denn wir brauchen einen Teil der Direktzahlungen zur Absicherung und Zukunftssicherung. Zweiter Punkt ist die Konditionalisierung, also die Honorierung von Leistungen für Umwelt, Tierwohl oder Klimaschutz. Dieser Punkt ist notwendig für die Akzeptanz der Steuerzahler. Und im Übrigen heißt "Strategiepläne aufstellen" nicht, "jeder Mitgliedstaat kann machen, was er will." Das wäre wettbewerbsverzerrend. Es geht um die Berücksichtigung nationaler Besonderheiten. Wir haben doch selbst in Deutschland Besonderheiten in den einzelnen Bundesländern. Schauen Sie sich nur die Landwirtschaft in Bayern im Vergleich zu der in Mecklenburg-Vorpommern an.

Frage: Aber bleibt nicht das Risiko, ein Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten zu bekommen?

Klöckner: Das war auch einer meiner Einwände: Wenn man den Mitgliedstaaten zu viel überlässt, sind jene die Gekniffenen, die die Vorgaben ordentlich umsetzen. Aber so, wie es vorgesehen ist, sollen künftig Ziele formuliert werden, die europaweit gelten, zum Beispiel für Biodiversität, Artenvielfalt, Nitrat oder andere Umweltleistungen. Was ein Staat dann erreicht, muss überprüft werden. Reichen die Ergebnisse nicht aus, werden Gelder gekürzt. Derzeit schaut sich die EU-Kommission die Ergebnisse gar nicht genau an. Deshalb wird es eine Balance geben müssen zwischen dem, was Verwaltungen in den Mitgliedstaaten unterschiedlich handhaben, und dem, was die gemeinsame Zielmarke für alle sein muss.

Frage: Um es festzuhalten: Direktzahlungen der ersten Säule bleiben für Sie wichtig. Was ist mit Blick auf die GAP-Reform noch unverhandelbar?

Klöckner: Zwei Punkte, die Beibehaltung der zwei Säulen sowie die Honorierung von Umweltleistungen, habe ich bereits erwähnt. Darüber hi­naus müssen wir an den Finanzrahmen rangehen. Es kann nicht sein, dass die Landwirte immer mehr Aufgaben zu erfüllen haben, aber weniger Geld zur Verfügung steht. Ein weiterer Punkt ist die Entbürokratisierung. Die anstehende Reform sollte ja der große Wurf werden. Ich sehe die Vereinfachung nicht. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass wir aus Deutschland he­raus mit den Bundesländern Vorschläge benennen, um eine Entbürokratisierung hinzubekommen, ohne vereinbarte Ziele zu umgehen.

Frage: Gibt es da schon konkrete Vorschläge?

Klöckner: Nein, die erarbeiten wir gerade gemeinsam. Aber es geht zum Beispiel um Doppeldokumentationen und Mehrfachmeldungen.

Frage: Die Übergangsfrist bei der betäubungslosen Ferkelkastration ist durch den Bundesrat und Isofluran als Narkosemittel zugelassen. Ist das Thema für das BMEL damit durch?

Klöckner: Nein! Die Arbeit ist damit nicht getan. Denn eins muss klar sein: Die vergangenen fünf Jahre dürfen sich nicht wiederholen. Die kommenden zwei Jahre werden wir nutzen, um alle Alternativen zu prüfen. Isofluran ist jetzt zugelassen. Aber damit hört es nicht auf. Im Gegenteil. Damit die Landwirte die Betäubung mit Isofluran selbst durchführen können, brauchen sie einen Sachkundenachweis. Die Grundlage dafür schaffen wir mit einer Änderung der Verordnung. Zudem werden künftig Narkosemasken benötigt. Dafür haben wir 30 Mio. € im Haushalt eingeplant, denn die Anschaffung bedeutet für die Landwirte einen erheblichen finanziellen Aufwand. Parallel haben wir für eine Mio. € eine Studie in Auftrag gegeben. Es wird untersucht, unter welchen Bedingungen die Lokalanästhesie zur Schmerzausschaltung führt, also die Bedingungen des Tierschutzgesetzes erfüllt. Das ist wichtig, denn eine Schmerzminderung reicht dem Gesetz nach nicht aus. Und eine parlamentarische Mehrheit, das Tierschutzgesetz dahingehend zu ändern, gibt es nicht. Die dritte Schiene ist die Ebermast und die vierte die Impfung. Lebensmittelhandel und Fleischwirtschaft haben zugesagt, auch Eberfleisch und geimpftes Fleisch abzunehmen und in die Regale zu bringen. Es gibt also keinen Grund für Landwirte, die Ebermast mit dem Argument abzulehnen, dass Eberfleisch nicht abgenommen wird.

Frage: Beim Thema Tierwohl schafft der Handel mit eigenen Programmen schon mal Fakten. Das angekündigte staatliche Tierwohllabel ist aber noch in Arbeit. Haben Sie Sorge, dass das nicht mehr zusammenpasst?

Klöckner: Tierwohl ist auch ein Verkaufsargument für den Handel. Fast jeder der Wettbewerber hat plötzlich sein eigenes Label. Der Handel hat erkannt, dass das den Verbrauchern keine Orientierung gibt. Da sie ständig im Wettbewerb stehen, wünschen sich die Lebensmittelhändler ein staatliches Kennzeichen, das verbindliche, überprüfbare Kriterien hat. Ich habe den Handelsunternehmen in einem Gespräch im Dezember den Ablauf skizziert und sie haben mir zugesagt, ihre Label zu überführen, sobald ein staatliches Kennzeichen kommt.

Frage: Die Erzeugerseite wünscht sich von einem staatlichen Label eine länderbezogene Herkunftskennzeichnung. Wird es die geben?

Klöckner: Das ist verständlich. Wir sind uns bewusst, dass es ein Interesse der Landwirte an einer Herkunftskennzeichnung gibt. Auf europäischer Ebene gibt es bereits verpflichtende Vorgaben zur Herkunftskennzeichnung von frischem Fleisch. Im Zusammenhang mit dem Tierwohlkennzeichen soll die Option eröffnet werden, diese Angaben freiwillig in das Logo zu integrieren.
Dabei muss man sich bewusst machen, dass die Realität komplex ist: Ferkel können aus Dänemark kommen, in Deutschland gemästet und in Frankreich geschlachtet werden.

Frage: Sie verschließen sich dem also nicht?

Klöckner: Grundsätzlich nicht, aber es muss machbar sein. Das heißt, die Ausgestaltung muss europarechtskonform sein. Eine Regelung muss gegenüber der EU auch notifiziert werden.

Frage: Mit der Abschaffung der Hofabgabeklausel ist auch die Unterstützung des Bundes für die Sozialversicherung der Landwirte wieder in den Fokus geraten. Wie sicher ist die?

Klöckner: Die eigenständige Sozialversicherung ist existenziell wichtig für die Landwirtschaft! Der größte Teil des Haushalts meines Ministeriums geht mit rund 4 Mrd. € in die Sozialversicherung für den landwirtschaftlichen Sektor. Ich habe die Zusicherung von Hubertus Heil, der als Bundesminister für Arbeit und Soziales auch für die agrarsoziale Sicherung verantwortlich zuständig ist, über den Fortbestand der eigenständigen Sicherung. Damit steht auch der Koalitionspartner zum Fortbestand des Systems.

Frage: Das BMEL meldet eine gute Resonanz auf die Dürrehilfen von Bund und Ländern. Die Bauern beklagen, das Antragsverfahren sei zu bürokratisch. Welches Resümee ziehen Sie?

Klöckner: Es war richtig, dass wir uns nach Prüfung der Schadenssituation entschlossen haben, die Hilfen auf den Weg zu bringen, und dass wir diese auf existenzgefährdete Betriebe ausgerichtet haben. Ich wollte keine Hilfen mit der Gießkanne, sondern Hilfen nur für diejenigen, die sich nicht selbst helfen können. Das sind wir auch dem Steuerzahler schuldig. Die hohe Anzahl der Anträge zeigt, dass die Landwirte die dazu notwendigen Antragsformalitäten bewältigen konnten. Hilfen wie diese müssen aber die Ausnahme bleiben.

Frage: Die Dürre hat noch einmal verdeutlicht, wie wichtig betriebliche Eigenvorsorge ist. Welcher Option räumen Sie die größten Chancen ein?

Klöckner: Wir als Bundesregierung haben eine dreijährige steuerliche Tarifglättung auf den Weg gebracht. Ziel ist, dass sich gute und nicht so gute Jahre bei der steuerlichen Gewinnermittlung über drei Jahre ausgleichen. So gibt es bei schwankenden Gewinnen eine Steuerersparnis, ohne dass dafür zum richtigen Zeitpunkt Geld zurückgelegt werden muss. Dieser Zwang, Geld beiseitezulegen, ist übrigens auch ein Grund, warum ich eine steuerliche Risikoausgleichsrücklage nicht für geeignet halte. In erster Linie würden dabei nämlich diejenigen Betriebe profitieren, die bereits ohne steuerliche Begünstigung über ausreichend freie Liquidität verfügen, um Risiken abfedern zu können.

Ganz generell ist der Umgang mit produktions- und marktbedingten Risiken eine der zentralen Aufgaben des landwirtschaftlichen Unternehmers. Landwirte kennen die geeigneten betrieblichen Instrumente. Außerdem stehen mit der GAP Direktzahlungen zur Verfügung. Auf nationaler Ebene sind es unterschiedliche Marktmaßnahmen und in besonderen Situationen auch Ad-hoc-Hilfen – wie zuletzt die Hilfen für dürregeschädigte Landwirte.

Bund und Länder haben sich für die laufende Förderperiode 2014–2020 jedoch entschieden, von der Möglichkeit einer breiten finanziellen Unterstützung für Versicherungslösungen keinen Gebrauch zu machen. Denn eine entsprechende Förderung müsste auch zu Lasten anderer Maßnahmen finanziert werden. Aber das Thema bleibt auf der Tagesordnung und wird zusammen mit der Versicherungswirtschaft und den Ländern weiter beraten.

Frage: Der Markt stellt nicht nur wegen der Preisvolatilität ein weiteres Risiko für die Erzeuger dar, sondern auch wegen der ungleichen Machtverhältnisse. Wie wollen Sie die Erzeuger stärken, grundsätzlich und speziell bei der Milch?

Klöckner: Ganz grundsätzlich haben Erzeuger die Möglichkeit, sich zu Erzeugerorganisationen oder Vereinigungen von Erzeugerorganisationen zusammenzuschließen. Diese Möglichkeit hat sich in Deutschland sehr bewährt.

Bei der Milch konkret haben wir 2012 eine Verbesserung der Verhandlungsmacht der Milcherzeuger erreicht und generell ihre Stellung in der Wertschöpfungskette gestärkt. Diese Instrumente haben wir dann 2013 auf alle Produktbereiche ausgedehnt. Außerdem haben wir das sogenannte Genossenschafts-privileg für nicht anerkannte Agrarorganisationen. Generell obliegt es den Wirtschaftsbeteiligten, die in der gemeinsamen Marktorganisation bestehenden Möglichkeiten für sich zu nutzen. Derzeit prüft mein Ministerium, ob es möglich ist, gesetzliche Vorgaben für Rohmilchlieferverträge zu machen. Hier haben wir ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag gegeben. Ich habe vor, dieses Thema im Frühjahr auf der Agrarministerkonferenz mit den Ländern zu besprechen.

Frage: Zur Sektorstrategie: Wie weit reicht Ihre Geduld mit der Milchbranche?

Klöckner: Ich halte es grundsätzlich immer für richtig, wenn es Initiativen aus der Branche he­raus gibt. Denn es liegt ja im ureigenen Interesse der Milchbranche, sich mit allen Akteuren an einen Tisch zu setzen und sich darüber zu verständigen, wie dieser für die deutsche Landwirtschaft wichtige Sektor zukunftsfest aufgestellt werden kann. Ich erwarte daher schon, dass im Rahmen dieser Initiative im neuen Jahr für die Milchbranche eine gemeinsame strategische Ausrichtung vorgelegt wird.

Frage: Der Lebensmittelhandel dirigiert immer stärker, was Erzeuger und Verarbeiter zu tun oder zu lassen haben. Fühlen Sie sich als Ministerin nicht manchmal fehl am Platz, schließlich ist es Aufgabe der Politik, Rahmenbedingungen zu definieren?

Klöckner: Daher stärken wir die Macht der Erzeuger. Konkret bei der Milch im Jahr 2012. Jüngst aber auch in Brüssel, indem die Regeln bei unlauteren Handelspraktiken verschärft wurden. Es sind kürzere Zahlungsziele festgelegt worden und Marktteilnehmer erhalten eine zentrale Anlaufstelle, falls Probleme auftreten. Wir liefern also die Rahmenbedingungen. Nicht zuletzt sind diese auch im bürgerlichen Recht, dem Lauterkeitsrecht oder dem Kartellrecht festgelegt.

Quelle: LZ-Rheinland Januar 2019

Fragen von Detlef Steinert

Erschienen am im Format Interview

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