Kükenschreddern ist ethisch nicht vertretbar

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit der Funke Mediengruppe

Frage: Worauf achtet die Ernährungsministerin in der Fastenzeit?

Julia Klöckner: Dass ich unbeschadet darüber hinwegkomme (lacht). Ich verzichte auf zwei Dinge, die mir lieb und wert sind: Wein und Gummibärchen. Von Aschermittwoch bis Ostern trinke ich keinen Alkohol und esse auch keine Gummibärchen.

Frage: Hat das religiöse Gründe?

Julia Klöckner: Als studierte Theologin habe ich natürlich auch diesen Bezug. Verzicht hat für mich etwas mit Wertschätzung und Dankbarkeit zu tun, was man allzu schnell vergisst, wenn man keinen Mangel hat. Überfluss, in dem wir leben, verhindert häufig bewusstes Genießen. Ich freue mich einfach wieder auf ein Glas Wein, bedacht genossen, nach diesen sechs Wochen. Und es ist schön, dass es Menschen gibt, die für uns all das produzieren.

Frage: Worauf freuen Sie sich noch zu Ostern?

Julia Klöckner: Auf Familie. Auf Zeit. Auf den Osternachtsgottesdienst. Auf die erwachende Natur.

Frage: Essen Sie Ostereier guten Gewissens?

Julia Klöckner: Ja, denn wir färben sie selbst. Und ich kann darauf achten, dass die Eier aus Freilandhaltung kommen. Bereits gefärbte Eier im Handel gelten als verarbeitete Ware, die nicht gekennzeichnet sein muss. Bei uns zuhause um die Ecke gibt es einige Bauernverkaufsstände auf dem Markt mit Eiern direkt vom Hof.

Frage: Jahr für Jahr werden in Deutschland fast 50 Millionen männliche Küken getötet, weil sie keine Eier legen...

Julia Klöckner: Dieses Kükenschreddern ist ethisch nicht vertretbar und muss so schnell wie möglich beendet werden. Mein Ministerium hat 6,5 Millionen Euro investiert, um die Entwicklung von Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Hühnerei zu fördern. Seit Ende vergangenen Jahres sind in zahlreichen Supermärkten Eier erhältlich, die von Legehennen gelegt wurden, die das Verfahren der Geschlechtsbestimmung im Ei durchlaufen haben. Damit sind wir Vorreiter in Europa und auf der ganzen Welt.

Frage: Wann also ist Schluss mit dem Kükenschreddern?

Julia Klöckner: Im kommenden Jahr soll diese Apparatur zur Geschlechtsbestimmung allen Brütereien in Deutschland zur Verfügung stehen. Damit wird das Verfahren serienreif – und das Tierschutzgesetz greift...

Frage: … inwiefern?

Julia Klöckner: Wirbeltiere dürfen nach deutschem Recht nicht ohne vernünftigen Grund getötet werden. Damit ist Kükenschreddern verboten, sobald das Verfahren zur Geschlechtsbestimmung allgemein verfügbar ist. Mithilfe der Geschlechtsbestimmung im Ei ist es möglich, das Geschlecht von Küken aus Legelinien vor dem Schlüpfen zu bestimmen. Weibliche Küken (künftige Legehennen) werden dann ausgebrütet, wohingegen das Ausbrüten männlicher Küken unterbleibt.

Frage: Wie viele Küken werden dann im nächsten Jahr noch getötet?

Julia Klöckner: Wie schnell die Technik zur Geschlechtsbestimmung tatsächlich allen Brütereien zur Verfügung steht, kann ich ihnen nicht auf den Tag genau sagen. Auf jeden Fall werden wir dann große Schritte in Sachen Tierschutz weiter sein.

Frage: Tierschützer fordern, männliche Küken weder zu schreddern noch vor dem Schlüpfen auszusortieren - sondern die Geflügelwirtschaft umzustellen. Was spricht eigentlich dagegen, Hühner zu züchten, die sowohl der Eier- als auch der Fleischproduktion dienen?

Julia Klöckner: Das ist ein richtiger Gedanke, und das ist eine der Alternativen. Leider hat sie sich am Markt noch nicht durchgesetzt, auch nicht beim Verbraucher. Abnehmer für Hähnchen, die weniger Fleisch ansetzen, gibt es leider noch nicht genug. Mit meinem Ministerium fördere ich ein Verbundprojekt, das die verschiedenen Aspekte der Haltung von diesen sogenannten Zweinutzungshühnern untersucht.

Frage: Die großen deutschen Lebensmittelhändler haben - nach langem Zögern - einen Beitrag zum Tierwohl geleistet. Rewe und Co. haben einheitliche Kennzeichnungen eingeführt, damit sich die Verbraucher beim Fleischkauf einfacher über die Haltungsbedingungen von Rindern, Schweinen und Hühnern informieren können. Wie bewerten Sie das?

Julia Klöckner: Das ist ein erster Schritt. Der Handel hat gesehen, dass ich es mit der staatlichen Tierwohl-Kennzeichnung ernst meine.

Frage: Der Handel hat Sie überholt.

Julia Klöckner: Nein, er hat ja kein Tierwohlsiegel eingeführt, sondern bestehende Labels versucht, einzusortieren. Der Handel hat kein neues Prüfkriterium, keinen rechtlichen Rahmen, kein neues Label entwickelt, auch keine eigenen Kontrollen dafür. Ein staatliches Tierwohl-Siegel muss hingegen anspruchsvoller sein, vor allem den ganzen Lebenszyklus von der Aufzucht bis zur Schlachtung im Blick haben, nicht nur die Stallhaltung. Erst dann kann man von einem Mehr an Tierwohl sprechen. Die Verbraucher wollen auf einen Blick erkennen können, ob das Fleisch, das teurer ist, auch auf mehr Tierwohl beruht. Das zeigt unser Tierwohlkennzeichen.

Frage: Nur lässt Ihr Siegel weiter auf sich warten - und soll anfangs nur für Schweinefleisch gelten.

Julia Klöckner: Was heißt warten? Es gibt klare EU-rechtliche Vorgaben. Mein Gesetzentwurf liegt bei der EU zur Notifizierung, das kann ich nicht übergehen, so sind die Regeln. Dann müssen das Gesetz und die Verordnung durch den Bundestag. Ein schlichtes Haltungskennzeichen muss das nicht. Gründlichkeit und ein höherer Anspruch sind mir wichtiger als Schnelligkeit und weniger Orientierung für den Verbraucher. Wir werden das Kennzeichen auch auf Geflügel oder Rind ausweiten.

Frage: Wie wirkt sich das auf die Fleischpreise aus?

Julia Klöckner: Fleisch, das höheren Tierschutzanforderungen entspricht, wird natürlich teurer. Die Kosten für mehr Tierwohl – mehr Platz für die Tiere etwa – können die Halter nicht alleine tragen. Bessere Haltungsbedingungen sollten auch den Verbrauchern etwas wert sein. Ohnehin ist Fleisch in Deutschland teilweise unanständig billig.

Frage: Woran denken Sie?

Julia Klöckner: Zum Beispiel an ein Angebot einer Supermarktkette: Hähnchenschenkel, hundert Gramm für 15 Cent, unanständig. Da kann ich mich richtig aufregen – und zwar über die Anbieter wie über die Käufer. Und das hat nichts mit einem kleinen oder großen Geldbeutel zu tun. Man muss nicht jeden Tag Billig-Fleisch essen. Wenn man verlangt, dass Tiere besser gehalten werden, dann sollte man verstehen, dass das nicht für 15 Cent zu haben ist.

Frage: Getreide wird knapp, hat die Welternährungsorganisation errechnet. In diesem Jahr kann die Ernte den weltweiten Bedarf nicht decken. Wie reagiert die Bundesregierung auf diese Hiobsbotschaft?

Julia Klöckner: Niemand in Deutschland muss um seine Nahrung fürchten. Wir haben Lager, in denen noch ausreichend Getreidevorräte sind. Ein Grund für den Engpass ist das vergangene Dürre-Jahr, das zu erheblichen Ernteausfällen geführt hat. Wir brauchen Pflanzen, die resistent sind gegen Wetterkapriolen und Klimawandel. Wir dürfen bei der Pflanzenforschung nicht nachlassen.

Frage: Plädieren Sie für Gentechnik?

Julia Klöckner: Die grüne Gentechnik hat hierzulande keine Akzeptanz. Das muss man hinnehmen. Ich setze allerdings große Hoffnungen auf neue Züchtungsmethoden. Mit dem Crispr-Verfahren – der sogenannten Genschere - kann man das Erbgut von Pflanzen gezielter und schneller positiv beeinflussen als das durch klassische Züchtung geht. Im Ergebnis ist beides nicht zu unterscheiden. Es geht um Erntesicherungen und den Einsatz von weniger Pflanzenschutzmittel.

Frage: Der Europäische Gerichtshof stuft auch das als Gentechnik ein.

Julia Klöckner: Mit diesem Urteil müssen wir umgehen. Aber schauen Sie: Weltweit hungern mehr als 800 Millionen Menschen, weitere 2 Milliarden sind mangelernährt. Bis zum Jahr 2050 wird die Weltbevölkerung um weitere zweieinhalb Milliarden Menschen anwachsen. Die müssen satt werden. Ein hungriger Magen findet keinen Frieden. Nicht genug zu essen zu haben, destabilisiert die Demokratie. Da können wir uns nicht leisten, den technologischen Fortschritt außer Acht zu lassen.

Frage: Sie könnten sich auch darauf konzentrieren, den Klimawandel aufzuhalten.

Julia Klöckner: Die Landwirtschaft wird einen wichtigen Beitrag zur Einhaltung der europäischen Klimaziele leisten. Anders als etwa der Verkehr kann die Landwirtschaft auch CO2 binden – etwa durch Aufforstung oder den Aufbau von Humus.

Frage: Ihre bisherigen Vorschläge bleiben reichlich vage - gerade bei der Tierhaltung, aus der große Mengen an Treibhausgasen kommen...

Julia Klöckner: Mein Ministerium hat als erstes umfangreiche und konkrete Eckpunkte zur Einsparung von Treibhausgasen vorgelegt hat. Das Methan, das Rinder ausstoßen, ist dabei ein wichtiges Thema. Die Menge hängt aber wesentlich von der Fütterung ab. Hier müssen wir ansetzen, oder bei Energieeinsparungen in Gewächshäusern, den Abbau von Torf, der CO2 frei setzt, reduzieren und einiges mehr. Im Übrigen ist der Viehbestand bereits schon rückläufig. Das zum Umweltministerium zugehörige Bundesumweltamt hatte sich hier verrechnet und von einem Aufwuchs beim Tierbestand gesprochen. Mittlerweile wurde das korrigiert.

Frage: Wie denken Sie über die Schüler, die jeden Freitag während des Unterrichts für mehr Klimaschutz demonstrieren?

Julia Klöckner: Es ist gut, dass sich Jugendliche für das Klima engagieren, dass sie sensibilisiert sind. Wichtig ist, dass sie das auch auf ihren eigenen Lebensstil übertragen. Handyproduktionen, Klamotten, Ferienreisen - all das hat auch Auswirkungen aufs Klima.

Frage: Und die Schulpflicht?

Julia Klöckner: Ich will diese Diskussion nicht anheizen, es ist schon viel dazu gesagt worden. „Saturdays for Future“ wäre aber auch eine Möglichkeit.

Quelle: Funke Mediengruppe vom 18. April 2019

Fragen von Theresa Martus und Jochen Gaugele

Erschienen am im Format Interview

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