Nebeneinander statt gegeneinander – so will ich die Zukunft der Landwirtschaft gestalten.

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit der Zeitschrift "natur"

Frage: Wenn Sie Ihr Wunschbild von einer Landwirtschaft in Deutschland in zehn oder 20 Jahren zeichnen würden – wie sähe das aus?

Julia Klöckner: Wir sollten uns generell wieder mehr damit beschäftigen, wo unsere Lebensmittel herkommen, wer sie produziert. Mehr Wertschätzung für die Bäuerinnen und Bauern und die Arbeit, die sie leisten, das ist mir ein Anliegen – heute und auch in zehn oder 20 Jahren. Daher ist es mir wichtig, ein realistisches Bild von Landwirtschaft zu vermitteln, sie ist nicht die Projektionsfläche für gesellschaftliche Wünsche nach heiler Welt auf dem Bauernhof. Viele haben ein zu romantisiertes Bild im Kopf, die Branche ist aber längst weiter. Die Milchkanne von gestern ist der vollautomatisierte Melkroboter von heute, autonom fahrende Landmaschinen sind bereits Realität. Diese Entwicklung wird weitergehen, das ist entscheidend auch für die gesellschaftliche Akzeptanz. Denn eine moderne und digitalisierte Landwirtschaft bietet das Potential und die Chance, effizienter und zugleich ressourcenschonender, nachhaltiger zu produzieren, die Umwelt und das Klima besser zu schützen. Ich fördere deshalb Innovationen und Forschung in diesem Bereich, bis 2022 sind 60 Millionen für digitale Techniken auf dem Acker und im Stall vorgesehen.

Frage: Wie sieht digitalisierte Landwirtschaft aus?

Julia Klöckner: Moderne Höfe setzen auf Präzisionslandwirtschaft. Auf Maschinen, die satellitengesteuert Saatgut ausbringen. Die automatisch erkennen, ob es sich um eine Nutzpflanze oder einen Schädling handelt und passgenau Dünger beziehungsweise Pflanzenschutzmittel applizieren. Messen und mehren lässt sich so ebenfalls das Tierwohl. Sensoren zeichnen die Bewegungsabläufe auf, kontrollieren die Gesundheit der Tiere und senden alle Informationen direkt auf das Smartphone des Landwirts. Andere Roboter reinigen die Ställe, die Kühe entscheiden selbstständig, wann und wie oft sie in den Melkroboter gehen. All das kann den Alltag von Landwirten erheblich erleichtern. Umso entscheidender ist eine schnelle, flächendeckende Versorgung mit schnellem Internet – auch über dem Acker.

Frage: "Unser Ziel ist eine nachhaltige flächendeckende Landwirtschaft – sowohl ökologisch als auch konventionell. Nachhaltige Landwirtschaft und Naturschutz sind keine Gegensätze." So steht es im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Momentan sind wir jedoch von einer nachhaltigen Landwirtschaft immer noch weit entfernt. Wie wollen Sie den Wandel herbeiführen?

Julia Klöckner: Woran machen Sie das fest? Die Richtung stimmt, die Umwelt- und Klimaschutzauflagen für die Landwirte sind in den vergangenen Jahren doch nicht weniger geworden, im Gegenteil. Ich wundere mich deshalb über jene, die nach einer Agrarwende rufen: Zurück in alte Zeiten, in die Kuhställe mit Anbindehaltung? Wir brauchen den Blick nach vorne und keine Agrarwende zurück. Bestehende Zielkonflikte müssen wir klar benennen, die Landwirtschaftspolitik weiterentwickeln. Ein zentrales Instrument für einen modernen und nachhaltigen Ackerbau in Deutschland wird dabei meine Ackerbaustrategie sein. Ich möchte mit dieser Strategie Wege aufzeigen, wie wir in Deutschland weiterhin – wirtschaftlich tragfähig – gesunde Lebensmittel in ausreichender Menge erzeugen und dabei die klima- und umweltpolitischen Ansprüche der Gesellschaft erfüllen können. Ziel muss es sein, landwirtschaftliche Flächen effektiv zu nutzen und gleichzeitig zusätzliche Lebensräume zur Förderung der Artenvielfalt bereit zu stellen.

Frage: Welche Rolle spielen Tierwohl und der Ökolandbau in dieser Strategie?

Julia Klöckner: Grundsätzlich setzen wir uns dafür ein, mit der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik nach 2020 viel mehr für das Tierwohl sowie den Umwelt-, Natur- und Klimaschutz zu erreichen. Für die Landwirte muss das aber auch umsetzbar sein und entsprechend gefördert werden. Denn es sind Leistungen im Sinne der Gesamtgesellschaft, nicht primär im Sinne des Einzelbetriebsergebnisses. Den Ökolandbau wollen wir bis zum Jahr 2030 auf 20 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ausweiten. Die Fördermittel unseres Bundesprogramms Ökologischer Landbau habe ich daher deutlich aufgestockt, von 20 auf 30 Millionen Euro im Jahr. Damit unterstützen wir die Forschung und Entwicklung für den Ökolandbau, kompetente Beratungsangebote sowie Maßnahmen zum Wissenstransfer für Verbraucher, Landwirte, verarbeitende Betriebe, die Gastronomie und viele mehr.

Frage: Sie haben es eben schon gesagt: Die Bundesregierung hat "20 Prozent Bio" für das Jahr 2030 als neues Ziel gesetzt. Ist das nicht zu wenig? Denn Bio-Lebensmittel boomen seit Jahren mit Steigerungsraten zwischen fünf und zehn Prozent.

Julia Klöckner: Die Entscheidung, auf ökologischen Landbau umzustellen, trifft ja nicht die Politik, sondern der einzelne Landwirt. Wir setzen den politischen Rahmen, schaffen Anreize, um den Ökolandbau zu fördern. Es gibt zum Beispiel eine Prämie für Betriebe, die auf ökologische Wirtschaftsweise umstellen oder nach erfolgter Umstellung dabei geblieben sind. Bezogen auf das Jahr 2017 haben sie zusätzlich 55 Millionen Euro vom Bund erhalten. Und schauen wir auf den status quo: Derzeit stehen wir bei 7,5 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche. Das gesetzte Ziel ist ¬also durchaus ehrgeizig, was gut ist.

Frage: Bio-Verbände wollen Bio-Landbau zum Leitbild machen. Was halten Sie von diesem Vorstoß?

Julia Klöckner: Die Ernährungssicherung – gerade auch weltweit – werden wir nicht mit einem Teilausstieg aus der Landwirtschaft sicherstellen können. Ich lehne es ab und halte nicht viel davon, den konventionellen und den ökologische Landbau gegeneinander auszuspielen. Vielmehr ¬sehen wir doch, dass sich beide immer weiter annähern, auch voneinander lernen – ich denke da vor allem an die Themen Digitalisierung, Pflanzenschutz und Tierwohl. Die Biolandwirtschaft arbeitet immer effizienter, die konventionelle Landwirtschaft immer umwelt- und tierfreundlicher. Kurzum, Landwirtschaft ist nicht schwarz oder weiß, Landwirtschaft ist nicht gut oder böse. Landwirtschaft kann nicht mit Pauschalisierungen und Stimmungen funktionieren. Nebeneinander statt gegeneinander – so will ich die Zukunft der Landwirtschaft gestalten.

Frage: Schweinezüchter bekommen derzeit 1,46 Euro pro Kilogramm Schlachtgewicht. Können Landwirte bei solchen Preisen überhaupt mehr Tierschutz machen?

Julia Klöckner: Mein Ansinnen ist, dass wir in der Breite das Tierwohl verbessern – und ich will, dass die Verbraucher auch bereit sind, dafür zu zahlen. Das Thema Tierschutz geht uns alle an, wir können nicht nur die Tierhalter in die Pflicht nehmen, erwarten, dass sie alleine die Mehrkosten tragen. Auch Handel, Gastronomie und die Verbraucher sind gefragt. Doch mehr Tierwohl erkennt man heute in der Regel nicht am Preis. Deshalb führe ich ein staatliches Tierwohlkennzeichen ein, mit dem nur derjenige werben darf, der überprüfbare, anspruchsvolle Kriterien erfüllt, die über dem gesetzlichen Mindeststandard liegen. Es wird Verbesserungen beim Platzangebot geben, bei den Beschäftigungsmöglichkeiten, der Strukturierung der Buchten, beim Transport und auch bei der Fortbildung der Tierhalter. Bei der Verleihung des Kennzeichens nehmen wir die gesamte Lebensspanne des Tieres in den Blick: von der Geburt bis zur Schlachtung. Verbraucher sollen schnell erkennen können, wo mehr Tierwohl drinsteckt, und Tierhalter sollen für ihre Mehrinvestitionen honoriert werden. Wir Verbraucher sind gefragt, unserem Wunsch nach mehr Tierwohl beim Einkauf auch Ausdruck zu ¬verleihen.

Frage: Der Deutsche Tierschutzbund hat ein neues ¬Label entwickelt: "Für mehr Tierschutz." Sie und Ihr Ministerium unterstützen diese Initiative ausdrücklich. Was erwarten Sie sich als Ministerin davon?

Julia Klöckner: Mir geht es um die Sache. Deshalb habe ich alle Beteiligten mit ins Boot geholt. Mit ihnen will ich einen gemeinsamen Weg gehen, mit dem mehr Tierwohl erreicht wird, der für die landwirtschaftlichen Betriebe praktikabel ist und an dessen Ende ein glaubwürdiges, staatliches Kennzeichen steht, auf das sich der Verbraucher verlassen kann.

Frage: Ihr Vorgänger im Amt hat im November 2017 dafür gesorgt, dass der Herbizid-Wirkstoff Glyphosat weitere fünf Jahre in Europa zugelassen wird. Sehen die Chance auf ein nationales Verbot – wie ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger es gerne sehen würde?

Julia Klöckner: Mit einer systematischen Minderungsstrategie werden wir den Einsatz von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln deutlich einschränken. Mit dem Ziel, die Anwendung so schnell wie möglich überflüssig zu machen. Dafür nehmen wir auch Geld in die Hand, fördern die Forschung nach Alternativen. Konkret habe ich bereits im vergangenen April einen Verordnungsentwurf vorgelegt, der die Anwendung von Glyphosat deutlich einschränkt, sie nur noch in begründeten Ausnahmefällen vorsieht. Denn die Realität auf dem Acker zeigt, dass es solche Fälle gibt, in denen wir wirksame Pflanzenschutzverfahren brauchen – sowohl im konventionellen als auch dem ökologischen Anbau. Ein Beispiel sind erosionsgefährdete Böden. Wird hier kein Glyphosat verwendet, sondern der Boden mechanisch bearbeitet, kann er bei starkem Regen weggeschwemmt werden.
Und zu Ihrer Frage nach einem nationalen Verbot: Das EU-Recht gibt vor, dass wir Glyphosat nicht einfach verbieten können. Denn Pflanzenschutzmittel sind nach der entsprechenden EU-Verordnung grundsätzlich zuzulassen, wenn sie die gesetzlichen Anforderungen an Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erfüllen.

Frage: Ein Hebel für eine neue Landwirtschaftspolitik sind die Agrarsubventionen. Welche neuen Akzente würden Sie setzen?

Julia Klöckner: Mir ist wichtig, dass die Leistungen der Landwirtschaft zum Schutz der Umwelt, der Biodiversität, des Klimas, des Tierwohls und der natürlichen Ressourcen sowie für eine gesunderhaltende Ernährung durch gezielte Maßnahmen verstärkt gefördert und honoriert werden. Das soll insbesondere über eine geeignete Ausgestaltung der "Grünen Architektur" in Verbindung mit weiteren umweltrelevanten Regelungen erreicht werden. Wesentlich ist hier die Konditionalität: Nur wer strengere Auflagen, die über gesetzliche Anforderungen hinausgehen, überprüfbar erfüllt, erhält Zahlungen. Es handelt sich schließlich um öffentliches Geld. Dass von der Kommission vorgesehene Mehr an Flexibilität für die Mitgliedsstaaten darf dabei nicht zu einem Umweltstandard-Dumping führen. Die Kriterien müssen effizient, zielgerichtet, letztlich aber auch umsetzbar sein, sonst ist dem Ziel nicht gedient. Auf die Ergebnisse kommt es an, nicht auf den Prozess. Daneben brauchen wir weiter die Direktzahlungen zur Absicherung und Zukunftssicherung der Landwirte. Sie sind auch Ausgleich dafür dass die heimischen Landwirte zum Teil höhere Standards bei der Produktion erfüllen müssen im Vergleich zu Landwirten aus Ländern außerhalb der EU. Damit regionale Produktion möglich bleibt, braucht es diese Gelder. Das hilft gerade auch den kleineren und mittleren Betrieben, ganz gleich, ob sie ökologisch oder konventionell wirtschaften.

Frage: Die Regierung wollte ursprünglich die betäubungslose Kastration von Ferkeln zum Jahresbeginn verbieten, hat das Verbot aber nach Intervention des Bauernverbands verschoben. Wann wird es kommen?

Julia Klöckner: Der Deutsche Bundestag hat die Fristverlängerung beschlossen, nicht die Regierung. Es war eine Initiative der Koalitionsfraktionen, durch die nun Zeit gewonnen wurde – um nach zwei Jahren die höchsten Tierschutzanforderungen bei der Kastration zu haben: Schmerzausschaltung, nicht nur Schmerzlinderung. Ab dem 1. Januar 2021 ist die betäubungslose Ferkelkastration verboten. Im Herbst wurde das Narkosemittel Isofluran zugelassen. Damit eröffnen sich neue Optionen. Ich ermögliche es den Landwirten – nach Erlangung eines Sachkundenachweises – die Vollnarkose selbst durchführen. Die Anschaffung der dafür benötigten Betäubungsmasken fördere ich mit 22 Millionen. Kurzum: Ich hätte mir einen früheren Ausstieg gewünscht. Wenn wir aber nicht wollen, dass Tierhaltung aus unserem Land abwandert und wir Schweine importieren müssen, auf deren Haltungsbedingungen wir gar keinen Einfluss haben, dann sollten wir die Zeit jetzt nutzen und an Lösungen arbeiten. Klar ist, dass es eine weitere Verschiebung mit mir nicht gibt.

Frage: Welche Rolle hat der Landwirt der Zukunft? Kann man viele Anforderungen überhaupt unter einen Hut kriegen?

Julia Klöckner: Ich möchte, dass wir unsere moderne Landwirtschaft in Deutschland weiterentwickeln, die höchsten Standards und Qualitätsansprüchen genügt. Dabei ist klar: Umwelt-, Natur- und Klimaschutz gehören zur täglichen Arbeit eines Landwirts. Die entsprechenden Anforderungen müssen aber leistbar sein und entsprechend gefördert werden. Es sind Leistungen im Sinne der Gesamtgesellschaft, nicht primär des Einzelbetriebsergebnisses. Landwirtschaft ist Wirtschaft – sie ist nicht nur zuständig für die Pflege der Landschaft. Am Ende muss die Landwirtschaft die Bauern und ihre Familien selbst gut ernähren, nicht nur den Lebensmittel-Einzelhändler! Die Digitalisierung wiederum kann helfen, alles unter einen Hut zu bekommen – sie ermöglicht es, Böden Luft und Wasser besser zu schützen und trotzdem mehr Ertrag zu erzielen. Das macht die Branche auch ¬attraktiv für die kommenden Generationen, dafür müssen wir gesellschaftliches Bewusstsein schaffen und deutlich machen, dass wir mit Vereinfachungen und Polarisierungen in dieser Debatte nicht weiterkommen. Wir können die Ansprüche von Gesellschaft und Berufsstand nur im Dialog zusammenführen – und diesem können sich unsere Bäuerinnen und Bauern selbstbewusst stellen.

Frage: Wenn der Verbraucher wirklich mehr Umweltschutz und Tierwohl will: Was bedeutet das für die Preise im Laden?

Julia Klöckner: Viele repräsentative Umfragen zeigen, dass sich eine große Mehrheit der Verbraucher mehr Tierwohl und Umweltschutz wünscht. Nur klar ist doch: Würde diese Mehrheit von Montag bis Samstag auch entsprechend einkaufen, dann müssten wir diese Debatte gar nicht führen. Wer von den Landwirten die Einhaltung höherer Standards fordert, der muss umgekehrt auch bereit sein, mehr Geld für Lebensmittel auszugeben – anders kann es nicht gehen.

Quelle: "natur" vom 03. Mai 2019

Fragen von Christoph Fasel

Erschienen am im Format Interview

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