Die Landwirtschaft wird ihren Beitrag zum Klimaschutz und zum Erhalt der Arten leisten.

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit der Zeitung "Passauer Neue Presse"

Frage: Frau Klöckner, im japanischen Niigata treffen sich die Agrarminister der G20-Staaten. Welches Signal erwarten Sie von der Konferenz?

Julia Klöckner: Wir stehen vor globalen Phänomenen und Aufgaben - dem Klimawandel, dem Artensterben. Hier muss die Weltgemeinschaft, zumindest die G20, gemeinsam und abgestimmt vorgehen. Und Deutschland übernimmt international eine Vorreiterrolle zum Beispiel bei der Ackerbaustrategie, beim Kampf gegen Lebensmittelverschwendung und der Digitalisierung der Landwirtschaft, um Ernten zu sichern und Ressourcen zu schonen oder stärker das Tierwohl einzubeziehen. Damit ist die Digitalisierung ein wichtiger Schlüssel, gerade den kleinen Bauern auf der Welt Beratung und Begleitung zukommen zu lassen, Arbeitserleichterungen zu ermöglichen, Pflanzengesundheit zu überprüfen oder die Wasservorräte optimal zu nutzen. Das hilft im weltweiten Kampf gegen Hunger und für die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung. Denn satt zu werden, darf keine Frage der Herkunft sein. Es ist schlicht ein Menschenrecht. Denn ein leerer Magen findet niemals Frieden. Bei unserem Treffen in Japan steht natürlich auch der Welthandel von Agrarprodukten auf der Tagesordnung und wie wir starke Preisschwankungen und Spekulationen mit Lebensmitteln verhindern können. Die internationalen Agrarmärkte sind sehr volatil. Es gibt Hungerunruhen. Wir müssen das Agrarmarkt-Informationssystem verbessern, um frühzeitig eingreifen und gegensteuern zu können.

Frage: Die Vereinten Nationen schlagen Alarm, warnen neben den Folgen des Klimawandels vor einem dramatischen Artensterben. Was kann die Landwirtschaft hier tun?

Julia Klöckner: Wir müssen die Rolle der Landwirtschaft natürlich immer im Blick haben. Sie hat eine Schlüsselrolle, denn schließlich erzeugen die Bauernfamilien unsere Nahrungsmittel. Das wird nicht ohne Emissionen gehen, aber wir können und müssen besser werden. Deshalb lege ich im Herbst die Ackerbaustrategie meines Ministeriums vor. Es ist im vitalen Interesse der Bauern, unsere Artenvielfalt und gesunde Böden zu erhalten sowie möglichst wenig Menschen gemachte Klimabelastungen zu haben. Nachhaltige Nutzung der Böden ist mit Naturschutz vereinbar. Produktivität und Nachhaltigkeit werden eine zentrale Rolle in meiner Ackerbaustrategie spielen, um zu einer Verringerung der Boden- und Umweltbelastung sowie zu einem besseren Schutz der Artenvielfalt beizutragen. Wir müssen uns dabei bewusst machen, dass weltweit mehr als 800 Millionen Menschen hungern, weitere zwei Milliarden sind mangelernährt. Der jüngste Bericht der Welternährungsorganisation FAO hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Zahl der Hungernden wieder steigt. Bis 2050 wird sich die Weltbevölkerung um zwei Milliarden Menschen erhöhen. Diese Menschen brauchen ausreichend Nahrung. Wir bekommen sie nicht satt durch einen Teilausstieg aus der landwirtschaftlichen Produktion, sondern nur durch eine Ertragssteigerung. Es muss aber eine nachhaltige Bewirtschaftung geben. Auch die Eindämmung der Lebensmittel- und Ressourcenverschwendung ist da ein Aspekt. Dazu werde ich am Wochenende in Japan notwendige Maßnahmen entlang der Produktions- und Lieferkette vorstellen. Ich will, dass die G20-Agrarminister bei der Reduzierung der Lebensmittelverschwendung eine Führungsrolle übernehmen, um die gesetzten UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erfüllen.

Frage: Experten sehen im Artensterben eine ernsthafte Gefahr. Was muss geschehen, um dies zu stoppen?

Julia Klöckner: Hier sind wir alle gefragt. Jeder einzelne und die internationale Gemeinschaft. Wir brauchen ein umfassendes, wissenschaftlich basiertes und vergleichbares Monitoring, weil uns schon allein bundesweit Zahlen, Daten und Fakten fehlen, die Allgemeingültigkeit haben. Das haben wir jetzt auf den Weg gebracht. Und wie gesagt lege ich im Herbst eine Ackerbaustrategie vor. Da geht es um Gewässer- und Bodenschutz, um Biodiversität, aber auch um Bodengesundheit, damit wir auch sichere Erträge in der Landwirtschaft haben. Die Landwirtschaft ist übrigens auch Opfer des Klimawandels. Viele Bereiche und Branchen, wir alle können unseren Beitrag leisten. Artenschutz fängt im eigenen Vorgarten an. Hinzu kommen Luft- und Lichtverschmutzung, es gibt leider täglich immer noch zu viel Flächenversiegelung und einen Flächenfraß, wo Artenvielfalt keine Chance mehr hat. Alle müssen sich dafür engagieren, dass dies gestoppt wird. Die Bundesregierung hat ein Klimakabinett eingesetzt, das hier wirksame Strategien erarbeiten wird. Die Landwirtschaft wird ihren Beitrag zum Klimaschutz und zum Erhalt der Arten leisten. Die CO2-Einsparungen müssen verstärkt und Emissionen gesenkt werden.

Frage: Wäre eine CO2-Steuer da nicht ein wichtiger Schritt?

Julia Klöckner: Darüber diskutieren wir im Klima-Kabinett. Es ist ein ganzer Strauß an Maßnahmen notwendig. Das Thema Klimaschutz müssen wir ressortübergreifend angehen, vor allem mit Blick auf die kommenden Generationen. Land-, Ernährungs- und Forstwirtschaft haben hier wirksame Klimaschutzschlüssel: Die Böden und den Wald. Bodenschutz ist aktiver Klimaschutz. In ihm ist zweimal mehr Kohlenstoff als in der Luft gespeichert. Und gäbe es den Wald nicht, hätten wir mit 14 Prozent mehr CO2-Ausstoß in Deutschland zu kämpfen. Die Land-, Ernährungs- und Forstwirtschaft wird ihren Beitrag leisten. Sie ist Opfer, Beteiligter aber auch Lösungsbringer beim Klimawandel. Deshalb habe ich bereits einen Zehn-Punkte-Plan zur Reduzierung der CO2-Emmission entwickelt.

Frage: Auch die Massentierhaltung schadet dem Klima. Ist es nicht Zeit für eine Agrarwende?

Julia Klöckner: Wende wohin, zurück zu früher, in die Zeiten dunkler Ställe und Anbinde-Haltung? Sicher nicht! Es geht darum, die Landwirtschaft weiter zu entwickeln - und die Richtung stimmt. Ich trete ein für eine flächendeckende, familiengeführte, wirtschaftlich tragfähige und gesellschaftlich akzeptierte Landwirtschaft. Das gilt unabhängig der Betriebsgröße. Es gibt übrigens auch Bio-Höfe mit tausend Schweinen. Entscheidend ist doch, wie ein Landwirt seinen Betrieb bewirtschaftet, wie er mit Tieren oder der Umwelt umgeht. Darauf kommt es an. Es alleine an der Größe festzumachen, ist wissenschaftlich erwiesen falsch. Es kommt auf die Qualität an. Wir müssen weg kommen aus ideologischen Schubladen, weg von Stimmungen und Erregungspotenzialen, mehr hin zu Daten, Fakten und Lösungen. Eine moderne Landwirtschaft, die nicht romantisiert und verklärt, sondern sich an den Lösungen dieser Zeit beteiligt, damit geht es.

Frage: Sie fordern angesichts des Klimawandels den Einsatz von mehr genverändertem Saatgut auf den Äckern. Wird damit das ökologische Gleichgewicht nicht noch mehr gestört?

Julia Klöckner: Es geht um die Wissenschaft und die Erkenntnisse moderner Pflanzenzüchtung. Um die Risiko- und Nutzenforschung. Züchtung von Pflanzen, die stressresistent sind, die Klimaschwankungen oder starke Trockenheit aushaken, sind gerade in den Ländern gefragt, die am meisten unter den Klimaveränderungen leiden. Es geht schlichtweg ums Überleben und um die Bekämpfung von Fluchtursachen. Die vielen Millionen Menschen, die hungern, sind auf das Potenzial neuer Pflanzenzüchtungen und Sorten angewiesen. Gerade in den afrikanischen Ländern fällt die Erntesicherung aufgrund der klimatischen Verhältnisse schwer, es gibt hohe Nachernteverluste. Ich plädiere für eine kritisch-konstruktive Offenheit für neue Technologien in der Landwirtschaft. Sie sind nicht automatisch Allheilmittel, und die Abhängigkeitsfragen müssen geklärt werden, aber sich aus einer deutschen Luxusperspektive heraus - weil unsere Regale voll sind - dem Fortschritt grundsätzlich in dieser Frage wie CrisprCas zu verschließen, halte ich nicht für verantwortlich. Es gibt eine Ethik des Tuns und des Unterlassens.

Frage: Letzten Sommer litten die deutsche Bauern unter der extremen Trockenheit. Viele Höfe kämpfen um ihre Existenz. Jetzt sorgt man sich bereits vor einem weiteren Dürresommer. Können die Agrarbetriebe weiter auf staatliche Hilfen setzen?

Julia Klöckner: Nicht jede Wetterkapriole ist dem Klimawandel geschuldet. Und nicht jede Prognose ist schon Fakt. Deshalb vertraue ich auf Experten und am Ende die konkreten Erntemeldungen. Wir sollten uns vor voreiligen Prognosen hüten, keiner kann jetzt sagen, wie dieser Sommer tatsächlich wird. Klar ist: Hilfszusagen werde ich nicht aus dem Bauch heraus machen, sondern auf der Grundlage von Zahlen, Daten und Fakten. Vorsorge haben wir aber dergestalt getroffen, dass wir die steuerliche Gewinnglättung ermöglichen werden. Landwirte können dann ein gutes Jahr mit einem schlechten Jahr verrechnen. Das sorgt für Liquidität, weil die Steuerlast geringer wird. Ebenso haben wir Empfehlungen für die Bauern erarbeitet zur gezielten Bewässerung, zu klimastressresistenteren Anpflanzungen, zur Bearbeitung des Bodens, um die Feuchtigkeit länger zu halten.

Quelle: "Passauer Neue Presse" vom 11. Mai 2019

Fragen von Andreas Herholz

Erschienen am im Format Interview

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