Die Landwirtschaft wird ihren Beitrag zu einem besseren Schutz unseres Klimas leisten, nur ist es nicht fair, sie pauschal für alles verantwortlich zu machen.

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit der Zeitung "Passauer Neue Presse"

Frage: Frau Klöckner, der Weltklimarat schlägt Alarm. Hitze, Dürre, Extremwetter und Versalzung der Böden werden zur Bedrohung für das Welternährungssystem. Wie lässt sich hier gegensteuern?

Julia Klöckner: Das sind zwei Dinge, die eng beieinanderliegen: Wir müssen uns derzeit auf den Wandel des Klimas einstellen, arbeiten an einem ambitionierten Umwelt-, Natur- und Klimaschutz. Die Landwirtschaft nehme ich hier in die Pflicht und sie selbst sieht sich auch in der Pflicht - um mehr Nachhaltigkeit und die Schonung unserer Ressourcen geht es. Gleichzeitig stehen wir aber vor der Aufgabe, eine wachsende Weltbevölkerung satt zu bekommen. Bis 2050 werden wir zwei Milliarden mehr Menschen auf der Welt sein, und aktuell hungern bereits über 800 Millionen. Hier kann der Ausbau digitaler Anwendungen und Lösungen helfen.

Die Digitalisierung hat das Potenzial, die Landwirtschaft weltweit produktiver und gleichzeitig nachhaltiger zu machen. Und es geht um Wissenschaft und die Erkenntnisse moderner Pflanzenzüchtungen. Um solche Pflanzen also, die stressresistent sind, die Klimaschwankungen oder starke Trockenheit aushaken. Gerade Gegenden, die besonders unter dem Klimawandel leiden, sind auf die Züchtung solcher Sorten angewiesen. Wir sollten solchen Technologien kritisch, konstruktiv und dennoch offen gegenüberstehen.

Frage: Vor allem die Massentierhaltung und der hohe Fleischkonsum zählen zu den größten Klimakillern. Zeit für eine Wende in der Landwirtschaft?

Julia Klöckner: Die jährlichen Emissionen aus der Landwirtschaft sind zwischen 1990 und 2018 um 20 Prozent gesunken, der Viehbestand nimmt in Deutschland ab. Die Landwirtschaft wird ihren Beitrag zu einem besseren Schutz unseres Klimas leisten, nur ist es nicht fair, sie pauschal für alles verantwortlich zu machen. Das gibt der Blick auf die Zahlen auch nicht her. Die Landwirtschaft hat sieben Prozent des gesamten Kohlendioxid-Ausstoßes in Deutschland zu verantworten, andere Branchen - Verkehr, Industrie, Energie - liegen weit darüber. Und anders als diese Branchen hat die Land- und Forstwirtschaft effektive Kohlendioxid-Senker, die Böden und den Wald und muss nicht automatisch aus Steuererhöhungen kommen, sondern kann durch Schwerpunktsetzungen erreicht werden.

Ich begrüße grundsätzlich die Diskussion darüber, was uns mehr Tierwohl wert ist, wie wir es in den Ställen umsetzen und die Gesellschaft mitnehmen! Es ist wichtig, dass wir diese Debatte gesamtgesellschaftlich führen und zu einem Konsens kommen, was uns bessere Senker, die Böden und den Wald.

Die Tierbestände entwickeln sich bereits jetzt rückläufig. Bei Schweinen gab es in den Jahren 2017 und 2018 einen Rückgang um mehr als vier Prozent. Die Zahl der Rinder ist im gleichen Zeitraum etwa um drei Prozent gesunken.

Die neue Düngeverordnung, unsere Nutztierstrategie sowie die Einführung unseres staatlichen Tierwohlkennzeichens werden zudem zu einem weiteren Rückgang der Bestände führen. Mehr Tierwohl kostet Geld, das auch beim Bauern ankommen muss. Das heißt, auch der Verbraucher ist hier gefragt. Der Tierbesatz insgesamt in Deutschland ist auch nicht das Problem, sondern die Ballung in einigen Regionen.

Frage: Politiker fordern eine höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch. Die Mehreinnahmen sollen für eine bessere Tierhaltung eingesetztwerden...

Julia Klöckner: Die aktuelle Debatte zeigt: Es gibt eine Sensibilität dafür, dass mehr Tierwohl nicht zum Nulltarif zu haben ist und mehr Geld kostet. Das Geld Bedingungen für die Nutztiere wert sind. Denn zur Steigerung des Tierwohls sind häufig hohe Investitionen erforderlich. Etwa, wenn es um dafür notwendige, kostenintensive Stallumbauten geht. Diese Kosten kann nicht allein eine Bauernfamilie stemmen.

Die Alternative: Wenn Bauern sich diese Umbauten nicht mehr leisten können, hören sie auf. Das kann aber nicht im Interesse von uns Verbrauchern sein, die zunehmend auf regionale Erzeugung und Produkte setzen.

Frage: Was schlagen Sie vor?

Julia Klöckner: Für Leistungen, die der Erfüllung gesellschaftlicher Erwartungen dienen, muss es daher auch öffentliche Mittel geben. Welche Instrumente und Wege hier in Frage kommen, darüber diskutieren wir in dem von mir eingesetzten "Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung" mit breiter Beteiligung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen.

Auch der Verbraucher an der Ladenkasse hat es in der Hand, welche Wirtschaftsweise er mit seinem Konsum und seinem Geldschein unterstützt. Politisch will ich mehr Einsatz für Tierwohl belohnen. Ein entsprechendes Tierwohlkennzeichen, das dem Verbraucher beim Kauf klare Orientierung gibt, wo mehr für das Wohlbefinden des Tieres getan wurde, kann dabei helfen.

Frage: Die Vereinten Nationen warnen auch vor einem dramatischen Artensterben. Wie lässt sich dies aufhalten?

Julia Klöckner: Ich lasse derzeit eine nationale Ackerbaustrategie erarbeiten, die einen Fokus auf Insektenschutz und Biodiversität legt. Zudem haben wir ein wissenschaftliches Monitoring-Zentrum zur Biodiversität aufgebaut, um verlässliche Zahlen zu erhalten, und gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium arbeiten wir an einem "Aktionsprogramm Insektenschutz". Auch habe ich auf europäischer Ebene mit dafür gesorgt, dass drei bienenschädlichen Neonikotinoide (synthetische Insektizide) verboten wurden. Mit mir wird es auch keine Notfallzulassungen dieser Wirkstoffe geben. Das sind nur einige der Maßnahmen, die wir ergriffen oder umgesetzt haben.

Ich sage aber auch: Die Ursachen des Insektenrückgangs sind vielfältig und komplex, sie betreffen bei weitem nicht nur die Landwirtschaft! Der Schutz und der Erhalt von Artenvielfalt und Biodiversität ist eine Aufgabe, die uns alle angeht, die wir nur gemeinsam bewältigen können. Es geht um Fragen der Siedlungsentwicklung, die Versiegelung von immer mehr Flächen insgesamt, die Verkehrsinfrastruktur, aber auch um den Steingarten vor der Haustür. Jeder kann einen Beitrag leisten, das Thema betrifft bei weitem nicht nur den ländlichen Raum.

Frage: Im vergangenen Sommer hatten die Landwirte bereits sehr unter der extremen Trockenheit gelitten. Auch in diesem Jahr gab es Rekordtemperaturen. Können die Bauern weiter auf staatliche Hilfe setzen?

Julia Klöckner: Staatliche Hilfen sind die absolute Ausnahme, sie kann es nicht jedes Jahr geben. Das würden die Steuerzahler aus gutem Grund nicht mitmachen. Und vor allem gibt es Hilfen nicht auf Basis von Prognosen. Vergangenes Jahr hatte der offizielle Erntebericht eine weit unterdurchschnittliche Ernte in fast allen Bundesländern ausgewiesen. Die Dürre im vergangenen Sommer war damit ein außergewöhnliches Wetterereignis nationalen Ausmaßes. Nur deshalb war es uns möglich, vom Bund finanzielle Hilfe zu leisten. Allerdings nur an diejenigen, die in ihrer Existenz gefährdet waren. Denn Landwirte sind Unternehmer und als solche gefordert, Risiko-Vorsorge zu betreiben. Entsprechende Angebote wollen wir daher ausbauen.

Ich setze mich ein für die sogenannte Gewinnglättung, mit der Bauern gute und schlechte Erntejahre steuerlich ausgleichen können. Das ist eine wirksame Maßnahme. Zudem hat der Bundesfinanzminister signalisiert, meinem Vorschlag einer Absenkung des Steuersatzes bei der Dürreversicherung auf 0,3 Promille der Versicherungssumme nicht im Wege zu stehen. Hierzu waren wir in intensiven Gesprächen. Die Versicherungswirtschaft kann auf dieser Basis nun attraktive Angebote entwickeln, damit die Bauernfamilien eigenverantwortlich und zu bezahlbaren Preisen vorbeugen können.

Frage: Union und SPD wollen sich am 20. September auf ein Klimaschutzgesetz verständigen. Wie lassen sich die Klimaziele bis 2030 doch noch erreichen?

Julia Klöckner: Für mein Ressort habe ich im Klimakabinett sehr früh einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt mit Maßnahmen, die der Agrarbereich zusätzlich für den Klimaschutz leisten kann. Den Humusaufbau im Boden wollen wir beispielsweise angehen, Moore wieder vernässen und die ökologisch bewirtschafteten Flächen ausweiten. Auch die neue Düngeverordnung wird einiges bringen, auch streben wir eine Minderung der Stickstoffemissionen, von Ammoniak und Lachgas an.

Das Problem der Lebensmittelverschwendung gehen wir an. Hier kann ein jeder Verbraucher seinen Beitrag leisten - pro Kopf und Jahr schmeißen wir 55 Kilogramm Lebensmittel weg. Wichtige Ressourcen und Energie stecken darin.

Den Wald müssen wir massiv wiederaufforsten. Ein anderes Beispiel ist die vermehrte Verwendung von Holz im Hausbau, ein Tausendsassa im Klimaschutz: Holz ist gespeicherter Kohlenstoff und kann emissionsintensive Baustoffe wie Stahl und Beton ergänzen. Laut einer Studie entstehen bis zu 56 Prozent weniger Treibhausgas-Emissionen, wenn ein Einfamilienhaus aus Holz statt nur aus mineralischen Rohstoffen gebaut wird.

Hier wollen wir bestehende bürokratische Hemmnisse abbauen, stehen dazu im Kontakt mit dem Bundesbauministerium. Wir haben also eine Menge Stellschrauben, an denen wir drehen können - gleiches gilt für die anderen Ressorts.

Quelle: "Passauer Neue Presse" vom 08. August 2019

Fragen von Andreas Herholz

Erschienen am im Format Interview

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