"Bauern sind Partner in der Umwelt- und Klimaschutzpolitik"
Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit der Zeitung "Passauer Neue Presse"
Frage: Frau Klöckner, Landwirte protestieren gegen strenge Auflagen der Politik und gehen auf die Straße. Haben Sie Verständnis für die Demonstrationen und den Unmut der Bauern?
Julia Klöckner: Die Landwirtschaft ist in einer schwierigen Lage, die Sorge der Bauern kann ich nachvollziehen. Auch ihren Unmut, dass es an gesellschaftlicher Wertschätzung fehlt. Denn die Debatten sind häufig ideologisch aufgeladen, Landwirte werden zu Unrecht für alles Mögliche verantwortlich gemacht. Dass sie Ackergifte ausbringen, Agrarfabriken betreiben. Sie sehen sich in der pauschalen Anklage-Ecke.
Gleichzeitig sehen wir aber, dass die gesellschaftlichen Erwartungen an die Landwirtschaft gestiegen sind. Umwelt und Klimaschutz sowie Tierwohl sind Themen, die die Bürger mehr und mehr bewegen. Hier kann Landwirtschaft nicht außen vor bleiben, es wird Veränderungen geben. Entscheidend ist, dass die Branche diese aktiv mitgestaltet. Dabei werden wir sie unterstützen. Ich bin überzeugt, dass unsere Bauern vieles leisten, wenn sie dafür auch entschädigt oder bezahlt werden. Sie sind Partner in der Umwelt- und Klimaschutzpolitik.
Frage: Sie sagen, die Landwirte decken uns den Tisch. Aber es wird ihnen kaum gedankt. Wo bleiben die Wertschätzung und die bessere Unterstützung?
Julia Klöckner: Darum geht es. Als Verbraucher müssen wir uns vor Augen führen, dass Bauern nicht in erster Linie Landschaftsgärtner sind, sondern das erzeugen, was wir zum Leben brauchen. Und deshalb darf es nicht sein, dass Bauern, die jeden Tag dafür hart arbeiten, als Tierquäler und Umweltsünder diffamiert werden. Im Übrigen von Verbrauchern, die im Supermarkt nur nach dem schönsten Apfel, dem perfekten Salatkopf greifen. Um das gegenseitige Verständnis in Gesellschaft und Landwirtschaft zu verbessern, werde ich im neuen Jahr daher eine Informations- und Aufklärungskampagne starten, mit dem Ziel, die Wertschätzung für die landwirtschaftliche Urproduktion zu steigern.
Auch werden wir ein nationales Dialogforum im Rahmen einer ,Road-Show' durch Deutschland einrichten. Bei bundesweiten Veranstaltungen soll öffentlich darüber gesprochen werden, was Bauern leisten, was Gesellschaft erwartet und wie die Finanzierung gewährleistet wird. Denn klar muss sein: Höhere Anforderungen im Sinne des Gemeinwohls müssen finanziell entsprechend gefördert werden.
Frage: Vor allem das Agrarpaket steht in der Kritik, das den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Gülle beschränkt. Bleibt es bei den umstrittenen Plänen?
Julia Klöckner: Mit dem Aktionsprogramm Insektenschutz wird ein Auftrag aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt. Nur gibt es derzeit noch gar keine konkreten Gesetzes- und Verordnungsentwürfe dazu, wie zur Ausgestaltung von Pflanzenschutzmaßnahmen in Schutzgebieten. Bei der Umsetzung wird auch die Agrarbranche mitreden können.
So manche Kritik an Eiern, die noch gar nicht gelegt sind, verwundert daher. Gleichzeitig ist richtig, dass sich die Landwirtschaft dem Wunsch nach sauberem Grundwasser, nach Erhalt der Biodiversität und nach nachhaltiger Produktion nicht verschließen kann.
Es wird Veränderungen geben, die den Bauern etwas abverlangen, die wir aber auch fördernd flankieren. Es stehen etwa 83Millionen jährlich bereit, um die Landwirte beim praktischen Insektenschutz zu unterstützen und gegebenenfalls notwendige Einschränkungen abzumildern.
Frage: Immer mehr Bauern fürchten um ihre Existenz. Das Höfesterben geht weiter. Werden die kleinen Betriebe auf Dauer verschwinden?
Julia Klöckner: Kürzlich habe ich den Agrarbericht vorgestellt. Ein zentrales Ergebnis ist, dass sich der Strukturwandel verlangsamt. In den Jahren 2010 und 2016 ist die jährliche Abnahmerate auf 1,4 Prozent gesunken. Auf vielen Ebenen setzen wir uns dafür ein, eine regionale, familiengeführte, bäuerliche Landwirtschaft zu erhalten. Im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik unterstützen wir beispielsweise Junglandwirte, die einen Hof übernehmen.
Sie erhalten für fünf Jahre eine Zusatzförderung von rund 44 pro Hektar. Sehr kleine Betriebe werden zudem von bestimmten Anforderungen befreit. Und die Digitalisierung treiben wir voran, nehmen dafür viel Geld in die Hand. Sie trägt bei zur Attraktivität der Grünen Berufe und zur Arbeitserleichterung. Der Beruf des Landwirts ist anstrengend und fordernd, Arbeitskräfte für die Landwirtschaft sind sehr schwer zu finden, und besonders die junge Generation hat gewisse Ansprüche an eine sogenannte Work-Life-Balance. Die Digitalisierung kann gerade kleinen Höfen helfen, ihre Arbeit zu machen.
Frage: Der Arten- und Insektenschutz geht vielen Landwirten zu weit. Umweltministerin Svenja Schulze plant einen Runden Tisch zum Thema Insektenschutz am 12. November ohne Sie. Droht der GroKo auch an dieser Stelle eine Zerreißprobe?
Julia Klöckner: Die Landwirtschaft ist selbst massiv auf ein intaktes Insektenleben angewiesen, die Bauern haben selbst ein hohes Interesse an der Mitwirkung. Zahlreiche Blühstreifen oder Vertragsnaturschutz betreiben viele Bauern bereits schon heute. Aber sie wissen auch, dass die Entwicklung weitergeht. Die Bauern wollen aber nicht alleine pauschal für alles verantwortlich gemacht werden, sie wollen, dass ihre Arbeit wertgeschätzt, sie bei Entscheidungen, die sie betreffen, eingebunden werden. Und das wird jetzt geschehen. Deshalb wird der ursprüngliche Runde Tisch jetzt verschoben und erweitert, am 20. November treffen wir uns alle. Darauf habe ich mich mit der Bundesumweltministerin verständigt.
Frage: Wäre eine höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch eine sinnvolle Maßnahme, auch für den Klimaschutz? Mehreinnahmen könnten für eine bessere Tierhaltung eingesetzt werden.
Julia Klöckner: Auf den ersten Blick mag das attraktiv klingen, doch kann die Mehrwertsteuer nicht zweckgebunden eingesetzt werden. Wichtig und richtig ist aber, die Debatte zu führen, was uns bessere Bedingungen für die Nutztiere wert sind.
Politisch will ich mehr Einsatz für Tierwohl mit unserem staatlichen Tierwohlkennzeichen belohnen. Einem Positivkennzeichen, das dem Verbraucher beim Einkauf auf den ersten Blick klare Orientierung gibt, wo mehr für das Wohlbefinden des Tieres getan wurde, und warum das Produkt entsprechend mehr kostet.
Frage: Wenn die von der Bundesregierung angestrebten Klimaziele erreicht werden sollen, führt dann an einer Agrarwende kein Weg vorbei?
Julia Klöckner: Was genau meinen denn jene, die danach rufen: Eine Wende zurück in alte Zeiten? Wir brauchen den Blick nach vorne und keine Agrarwende zurück. So auch bei den Klimazielen. Meine Vorschläge im Bereich der Land- und Forstwirtschaft für das Klimaschutzprogramm wurden aufgegriffen. Die Branchen werden wir bei der Umsetzung unterstützen.
Es geht um Entlastungen und Förderung auf der einen und wirksame Zielerreichung auf der anderen Seite. Und die Relationen sollte man nicht aus den Augen verlieren. In Deutschland trägt die Landwirtschaft mit sieben Prozent zu den CO2-Emissionen bei. Kurzum: Emissionen wurden und werden weiter reduziert. Damit leisten wir unseren Beitrag zur Erreichung der Minderungsziele
Frage: Der Bauernprotest richtet sich auch gegen das Mercosur-Handelsabkommen. Das diene vor allem der deutschen Industrie und gehe zulasten der Landwirte.
Julia Klöckner: Mit dem Abkommen erhält die heimische Landwirtschaft einen privilegierten Zugang zu 260 Millionen Verbrauchern. Deutschland kann vor allem von den neuen Absatzmöglichkeiten bei Milchprodukten und verarbeiteten Fleischwaren profitieren. Manche haben nun die Sorge, dass im Gegenzug Mercosur-Exporte unseren europäischen Markt überschwemmen Das wird nicht passieren, darauf haben wir in den Verhandlungen gedrungen: Der EU-Marktzugang für Mercosur-Produkte wird nicht vollständig liberalisiert.
Für besonders sensible Produkte wie Rindfleisch, Geflügel, Zucker und Ethanol haben wir Quoten vorgesehen. Auch müssen Exporteure im Sinne des Verbraucherschutzes die gleichen Standards wie europäische Unternehmer einhalten. Wir haben also gut vorgesorgt, um unsere Landwirtschaft zu schützen. Die Ratifizierung des Abkommens durch alle Mitgliedstaaten der EU hängt aber wesentlich davon ab, dass alle Parteien sich im Geiste des Abkommens verhalten. Die verbindlichen Regeln zu Arbeit, Umwelt und Klima müssen erkennbar eingehalten werden.
Quelle: "Passauer Neue Presse" vom 11. November 2019
Fragen von Andreas Herholz