Die Landwirtschaft der Zukunft

Namensartikel der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 28.11.2019

"Bauern aus ganz Deutschland demonstrieren, seit Wochen. Auch gegen unsere Politik für Insekten- und Gewässerschutz, für weniger Pflanzenschutzmittel und Düngung. Aber es geht um mehr. Am Dienstag in Berlin war zu spüren, wie sehr sich unter Landwirten eine Wut angestaut hat, die größer ist als diese Themen. Sie fühlen sich und ihre Arbeit nicht wertgeschätzt.

Viele Landwirte sehen sich überfordert angesichts immer weiterer umweltpolitischer Forderungen aus Teilen der Gesellschaft - immer schneller, immer pauschaler. Und sie haben zum Teil ja recht: Wie einfach ist das, aus der Ferne und ohne Betroffenheit immer neue Wünsche zu äußern, Ausstiegstermine zu fordern und zu verlangen, die Politik möge das sofort umsetzen!

Die tatsächlich bestehenden Zielkonflikte zwischen wirtschaftlich tragfähiger Landwirtschaft und den Anforderungen, die Umwelt-, Natur- und Klimaschutz stellen, müssen wir ehrlich benennen und lösen. Landwirte sollen Tiere wie in Bullerbü halten - aber das Fleisch gibt es als Billigangebot. Zu den naiven Romantikern und Billigkäufern kommen die radikalen Stimmen, die alle Akteure im "landwirtschaftlichen System" als Klimasünder, Tierquäler und Giftmischer beschimpfen. Das alles führt zu nachvollziehbarer Resignation und Wut.

Dieser Bauernprotest hat sich im Internet organisiert. Stimmen werden laut, einige fordern: Dreht das Rad zurück. Aber das ist Illusion. Landwirtschaft ist im Laufe der Jahre immer effektiver, eben moderner geworden. Der Hunger ist besiegt bei uns, aber die Ertragssteigerungen haben Auswirkungen auf den Boden und die Umwelt. Und die Landwirte selbst sind schon viel weiter. Seit Jahren steigt die Zahl der Bauern, die freiwillig an den staatlich geförderten Agrarumweltmaßnahmen teilnehmen. Das sind nach den Zahlen meines Bundesministeriums bereits 110 000 Betriebe von rund 270 000.

Die Landwirte schonen den Boden und binden Stickstoff aus der Luft, indem sie Leguminosen anbauen. Sie erweitern die Fruchtfolgen und sehen die Probleme, die zu enge Fruchtwechsel verursacht haben. Sie orientieren ihre Landwirtschaft auch am Ziel eines gesunden Bodenlebens und bauen in ihren Böden Humus auf. Sie investieren in Tierwohl, investieren in moderne Düngetechnik - in die digitale Präzisionslandwirtschaft, in der ich die Zukunft sehe.

Der größte Fehler wäre, wenn die Landwirte jetzt den kühlen Kopf verlieren. Artenschutz, Klimaanpassungen und Anforderungen an mehr Tierwohl verlangen Arbeit und Investitionen. Sie verursachen Kosten, die sich aber dann auch in den Preisen niederschlagen müssen. Unsere Düngeverordnung muss jetzt Versäumnisse einfangen, die über Jahrzehnte gemacht wurden auch aus Rücksicht auf den Berufsstand. Deutschland ist vor dem Europäischen Gerichtshof unterlegen. Nun drohen Vertragsstrafen bis zu 860 000 Euro. Täglich. Der Fall zeigt: Kleine, schrittweise Anpassungen an ökologische und gesellschaftliche Anforderungen sind praktikabler als jahrelanges Hinhalten, auf das dann ein plötzliches Umsteuern folgen muss.

Wir stehen an einem Scheidepunkt. Was wird aus der Energie auf den Straßen? Meine Antworten speisen sich aus großer Hoffnung darauf, dass technische Entwicklungen Zielkonflikte lösen werden, dass Ernten gesichert werden können, aber auf umweltschonendere Weise. Ich sehe großes Potential in der präziseren Düngung und Spritzung durch sensorgestützte Landtechnik, in der automatisierten Bedarfsanalyse durch Sensoren oder Drohnen. Ich setze auch auf mehr Offenheit und Fortschritte in der Pflanzenzucht für klima- und schädlingsresistente Pflanzen durch Gen-Scheren wie Crispr-Cas und eine differenziertere, liberalere Handhabung der Zulassung durch den europäischen Gesetzgeber und die europäischen Gerichte. Bei dieser Methode werden im Erbgut der Pflanze gezielt Veränderungen vorgenommen. Das ist etwas, was auch in der Natur vorkommt. Derzeit gibt es Erfolgsmeldungen aus der medizinischen Wissenschaft. Deswegen fordere ich auch die "Berufsablehner" auf, endlich ideologiefrei und verantwortungsvoll über eine differenzierte Zulassung von Crispr-Verfahren für die Pflanzenzucht zu diskutieren. Es ist keine klassische grüne Gentechnik, sondern handelt sich um neue molekularbiologische Techniken. Es geht dabei auch darum, für Dürren und Trockenzeiten stabile Pflanzen einzusetzen, die ertragssicher sind und weniger Pflanzenschutzmittel benötigen.

Einfach gegen alles zu sein ist eine Luxusposition. Afrikanische Länder, die unter Hunger und dem Klimawandel leiden, sehen die Chancen. Meine Vision sind smarte ländliche Räume. Das Land und die Landwirtschaft sind attraktiver denn je. Die Studierendenzahlen in den grünen Berufen sind hoch. In den Händen der hervorragend ausgebildeten jungen Landwirte liegt meine Hoffnung."

Erschienen am im Format Interview

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