Um eine hochwertiges Verpflegungsangebot zu sichern, setze ich mich für eine flächendeckende Anwendung der DGE-Qualitätsstandards ein

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit der Zeitschrift "Die Kitaleitung"

Frage: Zum bundesweiten Tag der Kitaverpflegung haben Sie Kitas als Orte der gelebten Ernährungsbildung bezeichnet. Was macht gute frühkindliche Ernährungsbildung aus?

Julia Klöckner: Eine ausgewogene Ernährung kann der Schlüssel für ein gesundes Leben sein. Denn wissenschaftlich belegt ist, dass übergewichtige Kinder auch im Erwachsenenalter sehr viel seltener Normalgewicht erreichen. Und die aktuellen Zahlen geben Anlass zur Besorgnis: In Deutschland sind über 15 Prozent der 3- bis 17-Jährigen überwichtig, etwa ein Drittel davon sogar fettleibig.

Das kann sowohl die Entstehung von Herz-Kreislauferkrankungen als auch von Diabetes begünstigen. Das will ich nicht hinnehmen. Wichtig sind daher eine gesunde Ernährung und die Vermittlung von Ernährungswissen bereits in Kindertagesstätten und Schulen. Laut Statistischem Bundesamt werden hier deutschlandweit rund 3,6 Millionen Kinder betreut, die dort auch regelmäßig ihre Mahlzeiten einnehmen. Das sind etwa 52 Prozent der unter Dreijährigen und 93 Prozent der Drei- bis unter Sechsjährigen.

Hier setze ich an: Sowohl die Vermittlung von Ernährungswissen in Kitas und Schulen als auch die ausgewogene Verpflegung selbst sind entscheidende Stellschrauben, beides muss Hand in Hand gehen. Es geht um Ernährungsbildung mit allen Sinnen. Die Kinder sollen zum Beispiel frisches Gemüse und Obst kennen und schmecken lernen. Dabei kann über die Herkunft der Lebensmittel gesprochen werden: Wo wächst das? Wann ist es reif? Das sensibilisiert auch dafür, unsere Lebensmittel wertzuschätzen.

Um ein hochwertiges Verpflegungsangebot sicherzustellen, setze ich mich für eine flächendeckende Anwendung der Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung ein. Um den Ansatz bekannt zu machen und zu erklären, haben wir gemeinsam mit den Bundesländern Vernetzungsstellen für die Schul- und Kitaverpflegung etabliert. Sie unterstützen ganz praktisch dabei, ein gutes Essen für Kinder zu ermöglichen und attraktiv zu machen – mit Erfolg! Deshalb habe ich die finanzielle Förderung durch unser Ministerium für die Jahre 2019 und 2020 auf zwei Millionen Euro jährlich verdoppelt.

Frage: Die Studie zur ernährungsbezogenen Bildungsarbeit in Kitas im Auftrag Ihres Ministeriums zeigt allerdings, dass im Bereich der frühkindlichen Ernährungsbildung Verbesserungsbedarf besteht. Was sind die größten Probleme?

Julia Klöckner: Die Untersuchung belegt zunächst, dass alle Bundesländer das Thema Essen und Trinken als Auftrag der frühkindlichen Bildung ansehen und in ihren Bildungsplänen verankert haben. Die Grundvoraussetzung ist damit geschaffen. Klar ist aber auch: Damit die pädagogischen Fachkräfte diesen Bildungsauftrag umsetzen können, müssen ihnen in der Ausbildung die entsprechenden Kompetenzen vermittelt werden. Entscheidend ist daher, das Angebot an Fortbildungen auszubauen und besser zu kommunizieren.

Frage: Welches Ergebnis hat Sie am meisten überrascht?

Julia Klöckner: Überrascht hat mich: Je höher der Bildungsabschluss der Fachkräfte in den Kitas ist, desto weniger ernährungsbezogene Inhalte sind verankert. In der Erzieherausbildung wird die Ernährungsbildung kaum berücksichtigt, in den Ausbildungen zur Kinderpflegerin oder zur Sozialassistenz ist sie umfangreicher verankert. Nur wenige Erzieherinnen und Erzieher absolvieren allerdings diese Vorausbildung. Hier muss angesetzt werden.

Frage: Aus der Untersuchung geht auch hervor, dass den Kitaleitungen das Thema Ernährung zwar wichtig ist, sie in Aus- und Fortbildung aber nur wenig mit ihnen in Berührung kommen. Wohin können sie sich wenden, wenn sie fachliche Unterstützung suchen?

Julia Klöckner: Unterstützung bieten die Vernetzungsstellen Kita und Schulverpflegung und das "Nationale Qualitätszentrum für Ernährung in Kita und Schule". Unser Ministerium hat das Zentrum 2016 gegründet, um die Qualität der Schul- und Kitaverpflegung in Deutschland kontinuierlich zu verbessern.

Außerdem fördern wir die Entwicklung von Bildungsmaterialien und Schulungsangeboten für Lehr- und Fachkräfte. Beispiele sind die Kita-Ideen-Box "Entdecke die Welt der Lebensmittel", "Schmecken mit allen Sinnen – Der Feinschmeckerkurs für Vier- bis Sieben-Jährige", Spiele rund um die Ernährungspyramide oder das Hörspiel "Kasimir im Gemüsedschungel". Interessierte können einfach online bei unserem Bundeszentrum für Ernährung das Angebot an Bildungsmaterialien abrufen!

Frage: Fehlende Zeit, andere Prioritäten und mangelndes Personal sind laut Untersuchung Hindernisse, eine ernährungsbezogene Fortbildung zu besuchen. Welche Möglichkeiten sehen Sie, diese Ausgangslage zu verändern?

Julia Klöckner: Im besten Fall wird das Thema bereits umfassend in der Ausbildung behandelt. Die Studie zeigt, dass hier Nachholbedarf besteht. Genau darüber sprechen wir mit den Bundesländern und unterstützen beispielsweise mit Angeboten zur Information, Beratung und Vernetzung. Außerdem empfehlen die Autoren der Studie nicht nur flächendeckende Fortbildungsangebote, sondern auch deutlich mehr zeit- und ortsungebundene Angebote. Damit diese angenommen werden, müssen sich die Kita-Leitungen und die Träger der Bedeutung des Themas bewusst sein.

Denn Essen und Trinken findet automatisch im Tagesrhythmus der Kitas statt - im Kita-Alltag bieten sich damit zahlreiche Anlässe und Möglichkeiten für spielerische Ernährungsbildung, sie müssen nur genutzt werden! Und die Erfahrung zeigt: Dieser sehr praxisbezogene Ansatz, Alltagshandeln wie essen und trinken mit der Vermittlung von Kompetenzen zu verbinden, führt nicht zu Mehraufwand.

Frage: Als Reaktion auf die Ergebnisse haben Sie angekündigt, die Ernährungsbildung auf breiter Front zu verbessern. Wie wollen Sie das erreichen?

Julia Klöckner: Im Austausch mit den Ländern arbeiten wir daran, wie Ernährungsbildung verstärkt in die Ausbildung, ins Studium und in Fortbildungen untergebracht werden kann. Daneben bin ich in der Umsetzung meiner Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie für weniger Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten. Erstmals ist es gelungen, die Wirtschaft auf konkrete Reduktionsziele zu verpflichten.

So reduzieren wir etwa den Zuckergehalt in Frühstückscerealien um 20 Prozent, in Erfrischungsgetränken um 15 Prozent und in Kinderjoghurts um zehn Prozent – auch das ist Prävention. Genauso wie ein einfaches, verständliches Nährwertkennzeichen – für Deutschland werde ich den NutriScore einführen. Unsere Verbraucherbeteiligung hat ergeben, dass dieser am verständlichsten für die Verbraucher ist, beim Einkauf die meiste Orientierung bietet, um schnell und ohne Studium der Ernährungswissenschaften erkennen zu können, was in einem Lebensmittel steckt.

Zudem habe ich eine Verordnung vorgelegt, die den Zusatz süßender Zutaten in Tee für Säuglinge und Kleinkinder verbietet – auch bei Beikost wie Getreidebreien setzte ich mich auf EU-Ebene dafür ein, dass so wenig Zucker wie möglich zugesetzt werden darf. Gegründet habe ich überdies das Institut für Kinderernährung am Max- Rubner-Institut in Karlsruhe, das ein präventives Ernährungskonzept für Kinder und Jugendliche erarbeitet.

Quelle: Die Kitaleitung 04/2019 vom 30. November 2019

Fragen von Redaktion Zeitschrift "Die Kitaleitung"

Erschienen am im Format Interview

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