System kann so nicht fortbestehen

Julia Klöckner (CDU), Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, plädiert für bessere Arbeitsbedingungen in der Fleischbranche.

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit der "Passauer Neue Presse"

Frage: Frau Klöckner, nach dem heftigen Corona-Ausbruch in der westfälischen Schlachterei Tönnies gibt es deutliche Kritik an dem Unternehmen und der Branche. Welche Konsequenzen müssen hier jetzt gezogen werden?

Julia Klöckner: Über tausend Infektionen - das ist unhaltbar. Auch für die ganze Region, die jetzt in Mitleidenschaft gezogen wird. Dass die Landesregierung und die Gesundheitsbehörde die Bedingungen sowohl am Arbeitsplatz als auch in den Unterkünften gründlich untersuchen, ist wichtig und richtig. Es ist leider aber ja kein Einzelfall. Schon aus anderen Betrieben wurden Zustände bekannt, die nicht hinnehmbar sind. Das ist ein Mix aus verschiedenen Ursachen, die man sich genauer anschauen muss -Hygienevorkehrungen, Infektionsschutz, frische Luft am Arbeitsplatz, Situation der Unterbringung und Weg zur Arbeit. Aber dass auf diesem System des Unternehmertums kein Segen liegen kann, ist klar. Verantwortung wird delegiert auf Unbekannte, und viele verdienen mit. Dass sich Arbeiter am Ende der Kette dann keine adäquate Wohnsituation leisten können und mit zu vielen zusammenleben, zeigt gerade in der Corona-Krise fatale Auswirkungen. Deshalb haben wir als Bundeskabinett bereits einen klaren Beschluss gefasst. Das System kann so nicht fortbestehen. Die Arbeitsbedingungen in der Fleischbranche müssen verbessert werden. Der Bundesarbeitsminister wird einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen.

Frage: Reichen die bestehenden Arbeitsschutzstandards und Hygienevorschriftenaus, oder gibt es auch hier Handlungsbedarf?

Julia Klöckner: Wohl kaum, sonst hätten wir nicht diese Vielzahl an Infektionen. Ich erwarte von allen Beteiligten, dass sie ihrer Verantwortung gerecht werden. Gerade in der Krise. Es geht um die Sicherstellung der Versorgung, ja. Aber nicht auf dem Rücken der Beschäftigten oder Bewohner des Landkreises, die im schlimmsten Fall einen neuen Lockdown erleben müssen. Auflagen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes müssen eingehalten werden. Damit wird auch Tierschutz gewährleistet: Wenn Produktionsengpässe länger andauern, setzt das Landwirte unter Druck. Denn die Tiere können nur eine bestimmte Zeit über die normale Mastdauer hinaus gehalten werden. Ställe stoßen sonst an Kapazitätsgrenzen. Hier suchen wir nach Lösungen. Ob die Just-in-time-Produktion und -Lieferung das Wahre ist, bezweifle ich. Man sieht aktuell sehr deutlich, wie schnell Probleme auf andere Bereiche aus wachsen.

Frage: Kitas und Schulen müssen wieder schließen, weil sich der Fleischkonzern nicht an die Regeln hält. Können Sie da den Ärger der Familien verstehen? MUSS es da nicht stärkere Sanktionen geben?

Julia Klöckner: Wer kann den Ärger nicht verstehen? Natürlich! Gerade erst gab es Lockerungen, Schritte zurück in den Alltag. Jetzt Kommando zurück. Den Frust und Ärger darüber kann ich gut nachvollziehen. Ebenso aber auch die Entscheidung der Verwaltung. Es geht darum, die weitere Ausbreitung einzudämmen und die Ursachen zu beseitigen.

Frage: Die Grünen fordern einen Boykott von Tönnies-Produkten. Sollten die Verbraucher hier ein Zeichen setzen?

Julia Klöckner: Jeden Tag kommt ein neuer Vorschlag der Grünen. Was wollen sie mit einem Boykottaufruf erreichen? Das Virus wird so sicher nicht verdrängt oder den Arbeitsbedingungen auf den Grund gegangen. Ich glaube nicht, dass Politiker dazu da sein sollten, nach Stimmungslage zu Konsumboykotten aufzurufen, sondern Probleme zu lösen.

Frage: SPD und Opposition drängen auf schnelle gesetzliche Änderungen. Müssen geplanten Korrekturen der Bundesregierung beim Arbeitsschutz und der Praxis der Werkverträge nicht früher kommen?

Julia Klöckner: Es ist Aufgabe des Bundesarbeitsministers von der SPD, dazu einen Gesetzesentwurf vorzulegen, Kollege Heil hat ihn für Sommer angekündigt. Und dann müssen wir alle an einem Strang ziehen. 

Quelle: Passauer Neue Presse vom 22. Juni 2020

Fragen von Andreas Herholz

Erschienen am im Format Interview

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