Mehr Tierwohl und faire Arbeitsbedingungen kosten Geld

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit der "Saarbrücker Zeitung"

Frage: Frau Ministerin, inwieweit hat die Marktkonzentration in der Schlachtbranche die Ausbreitung von Corona begünstigt?

Julia Klöckner: Natürlich hat die Größe Auswirkungen auf die Ausbreitung. Entscheidend ist doch aber, dass sich an den Bedingungen etwas ändert. Die Corona-Krise wirkt in der Schlachtbranche wie in vielen anderen Bereichen als Brennglas.

Frage: Was fordern Sie?

Julia Klöckner: Es muss hier substanzielle Verbesserungen geben. Momentan herrscht durch das Delegieren auf Subunternehmer in weiten Teilen organisierte Verantwortungslosigkeit – zu Lasten der Beschäftigten. Dabei kann und wird es nicht bleiben. Unser Beschluss im Kabinett ist eindeutig. Der Bundesarbeitsminister hat den Auftrag, ein entsprechendes Gesetz vorzulegen.

Frage: Früher gab es in fast jedem Ort einen Schlachter. Bedarf es einer Rückbesinnung?

Julia Klöckner: Eine Rückbesinnung ist sicher wünschenswert, würde aber Akzeptanz verlangen. Viele rufen nach regionaler Produktion. Aber die Schlachtbetriebe im Innenstadtbereich oder der Dorfmitte, da herrscht Skepsis, das ist selten gewollt. Noch wichtiger aber: Wir müssen uns auf den Wert von Produkten zurückbesinnen. Wertschätzung muss einhergehen mit Wertschöpfung. Der Wunsch nach höheren Standards und mehr Regionalität ist schnell formuliert. Er kann aber nur eingelöst werden, wenn so auch eingekauft wird. Mehr Tierwohl und faire Arbeitsbedingungen kosten Geld.

Frage: Sehen Sie Möglichkeiten, kleinere Betriebe stärker zu unterstützen?

Julia Klöckner: Wir fördern handwerkliche Betriebe bereits heute. Im Bereich der Schlachtung ist die Förderung sogar explizit auf kleine Unternehmen begrenzt. Dafür geben wir als Bund Geld. Das halte ich für wichtig und richtig. Ich bin der Auffassung, dass wir künftig wieder mehr dezentrale Betriebe brauchen, und es sie auch geben wird.

Frage: Welche Rolle spielen dabei Tiertransportzeiten?

Julia Klöckner: Eine Verkürzung der Transportzeiten führt dazu, dass auch die Wege zum Schlachthof kürzer werden und umgekehrt. Das bedingt einander. Um das Tierwohl zu verbessern halte ich es für sinnvoll, wann immer es geht, den Transport von Tieren durch den Transport von Produkten zu ersetzen.

Frage: Kommt das Branchengespräch Fleisch, zu dem Sie eingeladen haben, nicht zu spät?

Julia Klöckner: Nein. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die ganze Kette in den Blick nehmen müssen. Allerdings nicht ausgehend vom Stall. Die dortigen Bedingungen sind Ergebnis dessen, womit wir beginnen müssen: der Theke.

Frage: Das heißt, Fleisch muss teurer werden?

Julia Klöckner: Nirgendwo sonst in Europa haben wir solche Niedrigstpreise für Fleisch, die nicht den Wert wiedergeben, dass hierfür ein Tier lebte und geschlachtet wurde. Das wirkt sich aus: auf Arbeitsverhältnisse, auf Betriebsbedingungen. Der Kostendruck wird weitergegeben bis zu den Tierhaltern. Es hilft wenig, sich darauf zu konzentrieren, Ställe tierwohlgerechter umzubauen, wenn dafür an der Kasse nicht gezahlt wird. Dann exportieren wir die Tierhaltung, werden aber Fleisch weiter essen, auf dessen Produktionsstandards wir dann keinen Einfluss mehr haben. Ich werde die Tierhaltung umbauen in Deutschland und dabei Stallumbauten für mehr Tierwohl fördern. Aber ich meine, wir benötigen ebenso eine Tierwohlabgabe auf Fleisch und Wurst.

Quelle: Saarbrücker Zeitung vom 26. Juni 2020

Fragen von Hagen Strauß

Erschienen am im Format Interview

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