Nahrungsmittelerzeugung muss zusammengebracht werden mit der Nachhaltigkeitsfrage, mit mehr Klima-, Umwelt- und Tierschutz und dem Auskommen der Bauernfamilien

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit der "Rhein-Zeitung"

Frage: Frau Klöckner, kann man das Treffen der EU-Agrarminister in Koblenz als eine Art Familientreffen bezeichnen? Bei denen ist ein gewisser Zwist ja auch meist schon programmiert.

Julia Klöckner: Familientreffen, (lacht) Ja, wir kennen uns untereinander recht gut, sehen uns regelmäßig. Die unterschiedlichen Interessen von 27 Staaten zusammenzubringen, ist nicht einfach. Aber nur mit der Bereitschaft zu Kompromissen kommt man weiter, wenn man will, dass Europa gemeinsam stark bleibt. Bei der Landwirtschaft geht es um nichts weniger als die Ernährungssicherung für 450 Millionen Verbraucher in der EU. Und weil das so wichtig ist, tagen wir Agrarminister häufiger als die meisten Kollegen der anderen Ressorts. Was oft unterschätzt wird: Die gemeinsame europäische Agrarpolitik ist eine der tragenden Säulen für die europäische Integration, sie ist ein Alleinstellungsmerkmal. Am Anfang - vor 58 Jahren - ging es darum, dass die Menschen in Europa erst einmal dauerhaft satt werden, also auch um die Friedenssicherung. Heute sind die Herausforderungen andere. Nahrungsmittelerzeugung muss zusammengebracht werden mit der Nachhaltigkeitsfrage, mit mehr Klima-, Umwelt- und Tierschutz und dem Auskommen der Bauernfamilien.

Frage: Ein Thema beim Gipfel ist Regionalität: Warum kann man in Europa einen Parmaschinken kaufen, aber kein Eifelschwein oder Naherind?

Julia Klöckner: Das hat vor allem etwas mit den Vorgaben zu tun. Um in Europa das europäische rotgelbe Siegel "geschützte Ursprungsbezeichnung" tragen zu können, müssen Produkte in einem festgelegten Gebiet nach bestimmten Kriterien erzeugt, verarbeitet und hergestellt werden. Alle Produktionsschritte müssen dabei in der angegebenen Region erfolgen. Das gilt in Italien beispielsweise für den Parmaschinken, in Deutschland für den Allgäuer Emmentaler. Das Zeichen gibt eindeutig Auskunft über den Ursprung der Lebensmittel. Aber ich hätte auch nichts gegen das Naherind, (lacht).

Frage: Von der Herkunftsangabe landet man schnell beim Tierwohl. Kommt ein europaweit einheitliches Label?

Julia Klöckner: Wir stoßen diesen Prozess in unserer Ratspräsidentschaft an, er ist in den Jahren davor immer wieder gescheitert. Aber ich bin froh, dass ich in intensiven Gesprächen und Verhandlungen erreichen konnte, dass sich europaweit etwas bewegt. Damit das Tierwohl gesteigert wird, dafür sind europäische Standards am besten. Denn wenn aus Deutschland Betriebe wegen zu hoher Auflagen abwandern, gehen sie ins benachbarte Ausland - und wir importieren die Waren. Den Tieren ist damit nicht geholfen, unseren Landwirten auch nicht. Daher will ich in der EU einheitliche, höhere Tierwohlstandards erreichen. Klar ist aber, dass das ein langer Weg wird. Deshalb will ich auf nationaler Ebene vorangehen. 300 Millionen Euro investieren wir in den kommenden zwei Jahren für den Stallumbau, das Kükentöten wird verboten, damit sind wir Vorreiter. Auch die betäubungslose Ferkelkastration gehört ab Januar der Vergangenheit an. Unser staatliches Tierwohlkennzeichen ist auf dem Weg. Wie das Biosiegel ist es ein Positivkennzeichen, an dem der Verbraucher erkennen kann, wo mehr Tierwohl über dem gesetzlichen Standard drinsteckt. Vom Bundeskabinett ist unser Kennzeichen beschlossen. Der Ball liegt nun beim Parlament.

Frage: Kommt es auf verpflichtender oder freiwilliger Basis?

Julia Klöckner: Wer mit mehr Tierwohl werben will, muss höhere Standards einhalten, die kontrolliert werden. Verpflichtend kann so etwas national nicht für alles - also auch Waren aus dem Ausland - eingeführt werden, dafür fehlt der europäische Rechtsrahmen. Gerade deshalb setze ich mich dafür ein, dass wir in der EU weiterkommen. Aber auf Europa zu warten, halte ich für falsch, es muss Taktgeber geben das sind neben uns auch die Niederlande und Dänemark.

Frage: Halten Sie es für realistisch, dass die Vorstellungen deutscher Verbraucher von glücklichen Schweinen auch in Ungarn oder Polen Anklang finden?

Julia Klöckner: Was Tierwohl ausmacht, darüber gibt es in der Tat unterschiedliche Vorstellungen in Europa. Aber so, wie wir versuchen, die Landwirtschaft in ganz Europa auf ein nachhaltigeres Niveau zu begleiten, so muss das auch mit dem Tierwohl gehen. Die Richtung ist eindeutig, das ist allen Mitgliedstaaten klar.

Frage: Sie hatten in Kroatien mehrfach betont: „Wir brauchen den Haushalt, und wir brauchen ihn bald." Wie ist der Stand?

Julia Klöckner: Die Staats- und Regierungschefs haben sich Ende Juli verständigt. Für die Jahre 2021 bis 2027 stehen - sofern auch das Europäische Parlament zustimmt - rund 387 Milliarden Euro für unseren Bereich zur Verfügung. Für Deutschland ergibt sich ein fast gleichbleibendes Volumen. Das zeigt: Europa hat verstanden, was unsere Landwirtschaft und die nachhaltige Lebensmittelerzeugung wert sind. Der stabile Finanzrahmen ist ein großer Erfolg. Nicht dass wir uns falsch verstehen: Bauernfamilien bekommen nicht einfach so Geld überwiesen. Dafür müssen sie unter Wahrung gewisser Umwelt-, Klima- und Tierschutzstandards erzeugen. Wenn wir wollen, dass diese Auflagen für das Gemeinwohl erfüllt werden, was die Produktion teurer und den Wettbewerb nicht einfacher macht, muss sich das für die Landwirte auch rechnen.

Quelle: Rhein-Zeitung vom 30. August 2020

Fragen von Carsten Zillmann

Erschienen am im Format Interview

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