Ich rede niemandem nach dem Mund

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung"

Frage: Frau Klöckner, zur Grünen Woche werden die Bauern wieder auf die Straße gehen. Wird die Politik auf die anhaltenden Proteste reagieren?

Julia Klöckner: Die Proteste sind unterschiedlich, auch widersprüchlich. Denn die Interessenlagen auch innerhalb des Berufsstands sind verschieden. Nehmen Sie die Demo-Veranstaltung „Wir haben es satt“. Deren Teilnehmer stellen Forderungen an die klassische Landwirtschaft, die diese wiederum auf die Bäume treibt. Das zeigt, wie vielfältig die Ansprüche an Bauern nicht nur in der Gesellschaft sind, sondern auch unter Berufskollegen. Die Erfüllung von 100-Prozent-Forderungen kann es aber nicht geben, unsere Demokratie lebt vom Ausgleich. Ich habe eine klare Haltung, will eine zukunftsfähige Landwirtschaft. Das verlangt Veränderungen von allen, die ich als Ministerin unterstützend begleite. Meinen Amtseid habe ich darauf geleistet, zum Wohle aller Deutschen zu arbeiten. Nur gemeinsam gehts.

Frage: Kann das klappen? Die Vorstellungen liegen weit auseinander.

Julia Klöckner: So ist Demokratie, es ist immer der Mühe wert. Wir brauchen mehr Verständnis und Verständigung. Den Landwirten brennt auf den Nägeln, wie über sie gesprochen wird und welches Bild die Gesellschaft von ihnen hat. Wir haben eine sehr städtisch geprägte Sicht auf ihre Arbeit. Das ist viel Bullerbü, hat aber wenig mit der Realität zu tun. Das führt natürlich zu Spannungen, auch zu radikalen Forderungen.

Frage: Die Bauern sind aber auch ganz konkret sauer auf die Politik. Sie kritisieren für die Nitrat-Belastung im Grundwasser verantwortlich gemacht zu werden, obwohl es erhebliche Zweifel am entsprechenden Messnetz gibt. Bayerns Ministerpräsident Söder reagiert und lässt die Messstellen überprüfen.

Julia Klöckner: Das ist nicht nur sein gutes Recht, das liegt auch in seiner Zuständigkeit. Wir haben ein föderales System in Deutschland. Die Nitrat-Messungen liegen in der Verantwortung der Länder. Ich verstehe den Unmut vieler Landwirte. Viele Bundesländer haben es verpasst, die Problemregionen so genau wie möglich einzugrenzen. Denn über die Binnendifferenzierung können unbelastete Teilflächen aus der Kulisse herausgenommen werden. Jetzt sind teilweise Bauern von Regelverschärfungen betroffen, die ordentlich arbeiten. Wir brauchen eine bundesweite Vereinheitlichung der Nitrat-Messung. Ich fordere das Bundesumweltministerium und die Bundesländer auf, eine solche zu erarbeiten.

Frage: Der Kern der Kritik ist doch der, dass Deutschland zu Unrecht verurteilt worden ist, weil das Grundwasser gar nicht so schlecht sei, wie die gemeldeten Messdaten glauben machen und somit die Düngereform erst gar nicht nötig…

Julia Klöckner: Da muss man ehrlich bleiben! Dass in einigen Landstrichen zu viel gedüngt worden ist, ist nicht von der Hand zu weisen. Wichtig ist, dass richtig und differenziert gemessen wird. Aber wir werden nichts wegmessen können, was da ist. Es muss nur fair und transparent sein, da unterstütze ich die Bauern. Mein Heimatbundesland Rheinland-Pfalz hat die Messstellen etwa noch gar nicht überprüft, noch seit 2017 eine Binnendifferenzierung vorgenommen. Da hilft es nichts, wenn Minister Wissing nach Berlin zeigt, nur weil er sich mit seiner grünen Umweltministerin nicht einigt.

Frage: Die Bauern sagen, sie fühlen sich von den Unionsparteien verraten. Haben Sie Sorge, dass CDU und CSU hier eine Stammklientel Abhanden kommt?

Julia Klöckner: Wer ehrlich ist, wird zugeben, dass Deutschland - zusammen mit den Bauernvertretungen - die notwendige Nachjustierung beim Düngen über Jahre herausgezögert hat. Im Glauben, man könne vieles verhindern. Das war vor meiner Zeit als Bundesministerin. Die Quittung aus Brüssel kommt jetzt. Im Übrigen auch durch Beschwerden der Bauern aus Nachbarländern, die ebenso mit Verschärfungen zu kämpfen haben. Ich stelle mich dem Protest. Aber ich rede niemandem nach dem Mund. Der schnelle Applaus, auf den jetzt die FDP mit Versprechen setzt, von denen sie selbst weiß, dass sie sie nicht erfüllen kann, ist ein Trugschluss und schadet am Ende dem Berufsstand. Wenn notwendige Anpassungen zur rechten Zeit unterbleiben, wird es später umso härter. Dabei habe ich auch die jungen Landwirte im Blick. Die werden doch in Zukunft fragen, was die CDU gemacht hat, um die Spaltung zwischen Gesellschaft und Bauern zu überwinden. Oder die Folgen des Klimawandels abzumildern. Wenn wir die heutigen Debatten nicht zu einem Ergebnis bringen, schlägt das irgendwann richtig ein.

Frage: Das wird diejenigen, die da jetzt auf die Straße gehen, aber nicht milde stimmen. Der Ton ist teilweise recht rau.

Julia Klöckner: Ich warne vor einer Radikalisierung, das gilt für einige der NGOs, aber auch für manche Bauernproteste. Es gibt leider auch hier radikale Aufrufe, vor allem in den digitalen Netzwerken. Da hört oder liest man, Deutschland sei kein Rechtsstaat. Diejenigen, die so sprechen, sind dann aber dieselben, die fordern, dass wir bei Stalleinbrüchen - zurecht - durchgreifen, weil wir doch ein Rechtsstaat sind. Einige der Protestler müssen aufpassen, dass sie nicht selbst zu Mechanismen greifen, die gegen sie angewendet werden. Landwirte sind doch ordentliche Leute. Ich habe Sorge, dass dieses Aufheizen sachlichen Gesprächen den Boden entzieht und die Stimmung in der Gesellschaft sich gegen die Bauern manifestiert. Das will ich verhindern.

Frage: Der Veränderungsdruck ist gerade bei den Tierhaltern groß. So müssen Sauenställe in absehbarer Zeit umgebaut werden, weil den Tieren laut Gericht mehr Platz zusteht, als sie in den sogenannten Kastenständen haben.

Julia Klöckner: Ja, wir haben ein höchstrichterliches Urteil und müssen an das Thema ran. Für die Umstellung haben wir eine Übergangsfrist vorgesehen. Die ist den einen zu lang, den anderen zu kurz. Ich bin der Meinung, innerhalb von 15 Jahren ist es möglich, den Stall anzupassen. Wir gehen auch ans Baugesetzbuch ran, wollen Stallumbauten für mehr Tierwohl vereinfachen und finanziell fördern, denn es sind keine geringen Investitionen für die Bauernfamilien.

Frage: Auch bei den jungen Schweinen stehen Änderungen an: Ferkel sollen nur noch bis Ende des Jahres betäubungslos kastriert werden dürfen. Bleibt es dabei? Die Frist wurde schon einmal verschoben.

Julia Klöckner: Wir werden in dieser Legislaturperiode definitiv die betäubungslose Kastration von Ferkeln beenden. Jungebermast, Impfung und Vollnarkose stehen als schmerzfreie Alternativen zur Auswahl. Die Landwirte sind offen, aber das Fleisch muss ihnen auch abgenommen werden. Fleischverarbeiter und der Handel müssen da engagierter sein, nicht behaupten, der Verbraucher würde dieses Fleisch nicht kaufen. Das geht so nicht, alle tragen Verantwortung, nicht nur die Tierhalter.

Frage: Aussteigen wollen Sie auch aus dem Kükentöten. Wann wird es so weit sein?

Julia Klöckner: Mit großer Anstrengung kann es uns gelingen bis Ende 2021 aus dem Kükentöten auszusteigen. Deutschland wird dann weltweit das erste Land sein, dass diese Praxis beendet. Und zwar nachhaltig! Das heißt: Wir werden zeigen, dass Brütereien, die darauf verzichten, hier wirtschaftlich weiter bestehen können. Sie schaffen einen gesellschaftlich geforderten Mehrwert. Das muss honoriert werden. Auch der Verbraucher steht dann in der Pflicht.

Frage: Aus Niedersachsen kam der Vorschlag, eine Abgabe einzuführen, um den Umbau der Ställe zu finanzieren. Gute Idee?

Julia Klöckner: Klar ist doch: Ein Mehr an Tierwohl kostet immer Geld. Das können die Bauernfamilien nicht alleine stemmen. Und wir erreichen es auch nur, wenn die Bauern in unserem eigenen Land erfolgreich sind und nicht, wenn wir Waren importieren. Wir suchen daher nach Wegen, wie das Mehr an Tierwohl bezahlt wird, das die Gesellschaft will. Sonntags bessere Tierhaltung fordern, in der Woche dann aber Billigstfleisch einkaufen, das geht nicht auf. Am Umbau der Tierhaltung müssen Gesellschaft, Politik und Landwirte gemeinsam arbeiten. Ich habe eine Kommission zur Zukunft der Nutztierhaltung eingesetzt, die explizit den Auftrag hat, mögliche Finanzierungsmodelle zu durchdenken. Im Frühjahr macht sie Vorschläge, die ich dann zur Diskussion stelle.

Frage: Auch für eine Fleischsteuer?

Julia Klöckner: Eine höhere Mehrwertsteuersatz bei Fleisch oder eine Zusatzsteuer kommen nicht automatisch beim Tierhalter an, es gibt keine Zweckbindung. Wichtig ist mir, dass wir umfassend nachhaltig rangehen. Und das heißt nicht nur die Ökologie, sondern auch die Ökonomie und das Soziale zu bedenken: Tierhaltung muss in Deutschland möglich bleiben. Uns als Gesellschaft muss klar sein, dass hohe Erwartungen und hohe Kosten einander bedingen. Deshalb ist und bleibt die Bereitschaft zum Ausgleich und Kompromiss so wichtig.

Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung vom 13. Januar 2020

Fragen von Dirk Fisser

Erschienen am im Format Interview

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