Man wird demütig

Die Agrarministerin hält die Corona-Krise für eine Prüfung fürs Leben. Den Einzelhandel warnt sie vor unfairem Umgang mit Bauern

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit der Rheinischen Post

Frage: Frau Klöckner, die Kirche sagt, wer Ostern kennt, kann nicht verzweifeln. Diese Krise fordert aber die Welt heraus. Wo ist die Hoffnung?

Julia Klöckner: Die Hoffnung liegt darin dass wir gemeinsam viel stärker sind, und dass wir aus der jetzigen Erfahrung für die Zukunft lernen. Die aktuellen Maßnahmen sind unglaubliche Einschnitte ins persönliche Leben, viele Selbständige haben große Existenzsorgen. Ihnen müssen wir unter die Arme greifen, wo es geht. Wir arbeiten in der Bundesregierung Hand in Hand, damit uns die schlimmen Erlebnisse anderer Länder erspart bleiben. Hoffnung macht, dass wir schnell gemeinsam gehandelt haben und unser Gesundheitssystem stabil ist.

Frage: Was lernen Sie aus der Corona-Krise - als Politikerin und als Mensch?

Julia Klöckner: Als Politikerin, dass dieses Kabinett trotz der Unterschiede der Parteien und Fachthemen unbürokratisch und umgehend pragmatische Lösungen gefunden hat - jeder ist kompromissbereit. Persönlich erfahre ich, dass man Nähe auch in Zeiten der Distanz hochhalten kann: Videoschalten, Päckchen
vor die Tür stellen. Aber ein etwas mulmiges Gefühl hatte ich, als ich neulich spät abends aus meinem Ministerium kam und noch schnell etwas essen wollte, aber alles geschlossen hatte. So habe ich Berlin-Mitte noch nie erlebt. Wie eine Filmkulisse. Man wird demütig, weiß die selbstverständliche Freiheit und Auswahl besonders bei deren Abwesenheit zu schätzen.

Frage: Wenn Menschen im Sterben liege und wegen der Ansteckungsgefahr Familienmitglieder nicht kommen dürfen - ist das christlich?

Julia Klöckner: Das ist eine harte Prüfung fürs Leben. Christlich handeln bedeutet Nächstenliebe leben. Mit dem Kranken, aber auch mit anderen, die man zum Beispiel schützen muss. Auch zum Abschiednehmen wurden in den vergangenen Wochen Familienmitglieder per Video verbunden, oder sie haben durch eine Glaswand gewunken oder standen in voller Schutzmontur am Bett. Mein eigener Vater verstarb vor zwei Jahren, im Mai. Die Vorstellung, nicht da sein, ihn nicht besuchen zu können, hätte mir und uns in der Familie das Herz zerrissen.

Frage: Am Mittwoch beraten die Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Merkel, ob die Kontaktsperren gelockert werden. Was brauchen die Bauern schnell an Erleichterungen?

Julia Klöckner: Wir haben schon sehr viel erreicht für die Bauern. Soforthilfe, Zuschüsse, Kredite. Für Saisonarbeitskräfte haben wir die Aufenthaltsdauer von 70 auf 115 Tage ausgeweitet und die Möglichkeit geschaffen, dass Kurzarbeiter und Studenten mehr hinzuverdienen dürfen, ohne, dass es angerechnet wird. Was die Landwirte aber noch brauchen: faire Preise, faire Vertragsverhandlungen. Die Milchbauern haben es gerade schwer, weil die Weltmarktpreise schlecht sind und auch die Nachfrage der Gastronomie eingebrochen ist.

Frage: Einige von ihnen werden die Krise nicht überstehen, weil sie nicht genug Geld für die Milch bekommen. Was sagen Sie den großen Handelsketten über einen fairen Umgang?

Julia Klöckner: Bei Grundnahrungsmittel sehe ich aktuell keinen Anlass, dass es wegen der Corona-Krise für die Verbraucher teurer wird. Und wenn die Händler die Endverbraucherpreise erhöhen sollten, dann erwarte ich, dass davon auch ein fairer Anteil bei unseren Landwirten ankommt. Bei einigen Obst- und Gemüsesorten kann es zu Engpässen kommen, je nachdem, wie Ernten eingebracht werden und wie ausgesät und ausgepflanzt wird. Wenn Ware knapper wird, kann sie durch aus teurer werden. Davon müssen dann aber auch die Urproduzenten etwas haben. Es gilt eine europäische Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken. In Deutschland sind wir kurz davor, sie umzusetzen. Auch eine Beschwerdestelle für Landwirte führen wir ein. Denn sie sind nicht auf Augenhöhe mit dem stark konzentrierten Lebensmitteleinzelhandel. Darauf werden wir ein Auge haben.

Frage: Wie viele Bauern werden die Corona Krise aus wirtschaftlichen Gründen nicht überstehen?

Julia Klöckner: Wir arbeiten mit aller Kraft daran, das zu verhindern. Das Bild ist übrigens nicht einheitlich: Es wird Einbußen geben. Manche haben aber auch wachsende Absätze, weil die Nachfrage nach einigen Lebensmitteln enorm gestiegen ist.

Frage: Welche Bereiche könnten zuerst in die Normalität entlassen werden?

Julia Klöckner: Wirtschaften in Zeiten der Pandemie muss möglich sein. Wenn die Einhaltung von Sicherheitsabständen und andere Vorsorgemaßnahmen für den Infektionsschutz gewährleistet sind, kann es viele Bereiche betreffen. Das funktioniert ja etwa beim Bäcker, wo sich die Schlange draußen vor der Tür
bildet. Wo man wann das öffentliche Leben hochfahren kann, müssen wir gemeinsam mit den Experten entscheiden. Wer zu früh vom Krankenbett aufsteht, erlebt häufig einen noch härteren Rückschlag. Man sollte nicht aus dem Bauchgefühl heraus entscheiden nach dem Motto: Jetzt reicht's.

Frage: Eine Frage an die CDU-Vizechefin: Macht vor dem CDU-Parteitag im Dezember ein Sonderparteitag für die Wahl des neuen Vorsitzenden noch einen Sinn?

Julia Klöckner: Die Bürger haben jetzt andere Sorgen, als sich mit Partei und Personalpolitik zu beschäftigen. In der CDU fokussieren wir uns darauf, dass unser Land gut durch die Pandemie kommt. Es ist gut, dass keiner der Kandidaten Personalpolitik nach vorne stellt. Für die CDU gilt wie für alle anderen auch: Es gibt zurzeit keine Planungssicherheit, wann Großveranstaltungen wieder möglich sind. Deshalb stellt sich diese Frage aktuell nicht.

Quelle: Rheinische Post vom 11. April 2020

Fragen von Kristina Dunz, Eva Quadbeck

Erschienen am im Format Interview

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