Politik wird keine Preise festlegen.

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit der "Rhein Zeitung Koblenz"

Frage: Frau Klöckner, Sie haben kürzlich Billigpreise für Fleisch im Lebensmittelhandel als "unanständig" gegeißelt. Will sich die Politik jetzt in die Preisgestaltung des Handels einmischen?

Julia Klöckner: Politik macht bei uns nicht die Preise, das ist auch gut so. Aber wie mit Tiefstpreisen manche Lebensmittel verramscht und als Lockmittel genutzt werden, um Kunden in den Laden zu locken, das macht jede Wertschätzung für sie und die harte Arbeit der Erzeuger zunichte. Dieses Preisdumping wird nach unten weitergegeben. Wie soll denn eine Bauernfamilie davon leben, wenn sie immer höhere Standards einhalten, aber das Ganze zu immer günstigeren Preisen abliefern soll? Dann wundern wir uns, dass Höfe dichtmachen und immer mehr importierte Ware im Regal liegt. Mal ehrlich, 56 Cent für ein Kilogramm Äpfel - wie soll das funktionieren? Oder Wurst, für die ein Tier geschlachtet wurde, für wenige Cent? In der EU sind wir am unteren Ende, wenn wir uns anschauen, wie viel vom Haushaltseinkommen für Lebensmittel ausgeben wird. Der Handel erzieht seine Kunden. Da fragen sich viele, warum sie für Lebensmittel mehr zahlen sollen, wenn sie es doch gewohnt sind, Obst, Gemüse, Fleisch ständig zu Schnäppchenpreisen zu bekommen. Ich verstehe, dass der Handel im Wettbewerb steht, aber ob er dieses Anlocken von Kunden unbedingt immer mit Nahrungsmittel machen muss, ist fraglich. Mehr Tierwohl und Umweltschutz in der Landwirtschaft kann es nicht zu Cent-Preisen geben. Da haben die Handelsketten auch eine ethisch-moralische Verantwortung. Nicht, dass wir uns falsch verstehen, es geht nicht um Luxuspreise für Verbraucher, sondern um faire Preise für alle Seiten.

Frage: Aber Einzelhandelspräsident Josef Sanktjohanser unterstellt Vertretern der Bundesregierung und der Parteien gerade, mit „Forderungen nach Mindestpreisen” eine rote Linie zu überschreiten.

Julia Klöckner: Die Forderungen nach Mindestpreisen stammt vom linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, nicht von mir. Noch einmal: Politik wird keine Preise festlegen. Aber richtig bleibt dennoch: Mit dauerhaften Dumpingangeboten für Nahrungsmittel setzt der Handel ein falsches, auch gefährliches Signal. Wertschätzung - für die Produkte und deren Erzeuger - kann beim Verbraucher so nicht entstehen, wenn einer den anderen ständig unterbieten will. Diesen Vorwurf muss der Handel sich gefallen lassen und sollte gegensteuern. Es geht um bezahlbare Preise für jeden Geldbeutel, ja. Aber sie müssen auch auskömmlich sein für unsere Landwirte, wenn wir weiter regionale Erzeugung in Deutschland wollen.

Frage: Die Bauern gehen schon seit Monaten auf die Barrikaden - auch, weil sie sich gegen das Verramschen ihrer Produkte wehren. Wer und was hilft ihnen im Kampf mit den Handelsketten?

Julia Klöckner: Bauern kämpfen da einen ungleichen Kampf: David gegen Goliath. Es besteht ein eklatantes Marktungleichgewicht - die vier großen Handelsketten verfügen über mehr als 85 Prozent Marktanteil. Das hat die beschriebenen Auswirkungen auf die Preise. Das benenne ich deutlich, bringe das Thema in die Öffentlichkeit, will Bewusstsein beim Verbraucher schaffen. Landwirtschaftliche Erzeuger sind oft unlauteren Handelspraktiken ausgesetzt. Bauern müssen sich etwa Liefertermine kaufen oder einen Geldbetrag spenden, um in neuen Filialen gelistet zu werden. Kurzfristig storniert der Handel verderbliche Ware, auf denen dann die Bauern sitzen bleiben, oder sie bekommen für verkaufte Ware erst nach drei Monaten ihr Geld. Das ist nicht in Ordnung. Da gehen wir ran.

Frage: Sie treffen heute im Kanzleramt gemeinsam mit der Kanzlerin und Wirtschaftsminister Peter Altmaier mit Vertretern des Einzelhandels und der Ernährungsindustrie zusammen. Symbolpolitik, oder was ist das Ziel dieses Treffens?

Julia Klöckner: Die Kritikpunkte und unfaire Praktiken kommen auf den Tisch. Es gibt Handlungsbedarf. Mit der europäischen UTP-Richtlinie verfügen wir über den notwendigen Rechtsrahmen, um viele der bestehenden unfairen Handelspraktiken künftig zu verhindern. Traurig genug, dass wir das nun gesetzlich festschreiben müssen, was eigentlich die selbstverständlichen Leitlinien des "ehrbaren Kaufmanns" sein sollten. Auch abseits davon muss es ein faires Miteinander geben, das die Interessen beider Seiten angemessen berücksichtigt. Wege und Instrumente dafür werden wir besprechen, die Entwicklungen intensiv beobachten. Es wird Folgetreffen geben - wir nehmen alle Akteure der Lebensmittelkette in die Verantwortung. Es geht nicht um eine Schwarz-Weiß-Diskussion, sondern um einen fairen Ausgleich.

Quelle: Rhein Zeitung Koblenz vom 03. Februar 2020

Fragen von Peter Burger

Erschienen am im Format Interview

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