Wird schwierig, wie gewohnt die Ernten einzubringen

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit der "Die Welt"

Frage: Wie hat Corona Ihren Alltag verändert? Wie arbeiten Sie als Ministerin, wieviel Homeoffice ist möglich?

Julia Klöckner: Ich muss ständig meinen Handyakku wieder aufladen (lacht). Im Ernst: Die Außentermine und Veranstaltungen sind zwar weniger geworden, aber die Arbeit verlagert sich. Das Meiste läuft jetzt telefonisch, über unzählige Telefonschalten mit Brüssel, den Ländern, den Parlamentariern, Experten aus dem Ministerium und von außerhalb, Abstimmungsrunden mit Verbänden. Videokonferenzen sind an der Tagesordnung. Von Tapetenwechsel kann keine Rede sein (lacht). Die Arbeit ist unter dem Eindruck der Krise thematisch sehr fokussiert, sehr schnell und dicht. Soziale Treffen und Freizeit sind nahezu weggefallen - auch wegen der berechtigten Einschränkungen für die Bevölkerung. Mein Alltag: Von früh morgens bis spät in die Nacht daran arbeiten, dass wir diese Krisenzeit gestemmt bekommen und möglichst alle Auswirkungen auf die Verbraucher, die Lebensmittelversorgung, die landwirtschaftliche Urproduktion im Blick haben – es sind besondere Zeiten. Am Wochenende geht das auch mal aus dem Home-Office, ansonsten bin ich in Berlin präsent. Was zugenommen hat: WhatsApp-Gruppen mit Freunden und Familie, die zuhause sind und mich mit diesen ganzen Memes bei Laune halten. Und von meinem Trauzeugen bekomme ich nahezu jeden Morgen ein „Power-Video“ geschickt. Also trotz vermehrter Digitalisierung menschelt es.

Frage: Wie geht es den deutschen Bauern in dieser Krise? Welche Hilfe brauchen diese schnell?

Julia Klöckner: Sie werden gebraucht. Und es wächst in der Bevölkerung das Bewusstsein, wie wichtig es ist, im eigenen Land eine breite Selbstversorgung zu haben. Das ist erst einmal eine gute Nachricht für unsere Landwirte. Aber die größten Herausforderungen stehen ihnen erst noch bevor: Aufgrund fehlender Saisonarbeitskräfte wird es schwierig, wie gewohnt die Ernten einzubringen oder zu pflanzen. Das bereitet vielen Sorge. Deshalb helfen wir ihnen mit einem ganzen Maßnahmenpaket und versuchen, inländische Arbeitskräfte zu mobilisieren: Die Bezieher von Kurzarbeitergelder dürfen ohne Anrechnung hinzuverdienen, auch in der Landwirtschaft. Flexibilisierungen und finanzielle Unterstützungen machen wir möglich. Und mit der Job-Vermittlungs-Plattform www.daslandhilft.de <http://www.daslandhilft.de> bringen wir suchende Landwirte und helfende Hände zu sammeln. Und das mit Erfolg. Der Ansturm hat uns alle überrascht. Und mit Horst Seehofer bin ich im Gespräch, wie wir Asylbewerbern, die ein Arbeitsverbot bei uns haben, die Möglichkeit geben, sich hier einzubringen.

Frage: Was ist die größte Gefahr für die deutsche Landwirtschaft?

Julia Klöckner: Fehlende Arbeitskräfte. Schlechte Witterung. Kaufzurückhaltung. Konkurrenz aus dem Ausland. Stockende Lieferketten. Tierseuchen. Wo fange ich an? Der Erfolg der Landwirtschaft hängt von vielem ab, nicht zuletzt auch von uns Verbrauchern. Der Frage, was sie uns wert ist.

Frage: Die umfassenden Einschnitte der persönlichen Freiheiten, wie gefährlich sind solche Entscheidungen für die liberale Mentalität des Landes?

Julia Klöckner: Wenn sie befristet und gut begründet, nicht willkürlich sind, der Staat sehr transparent vorgeht, dann wird das respektiert, dann ist Einsicht da. Ein verantwortungsvoller Umgang mit Freiheit bedeutet eben auch, temporäre Einschnitte hinzunehmen, um gerade Freiheit zu verteidigen. Es gibt aber leider auch andere Beispiele, es hat bei manchen lange gedauert. So genannte Corona-Partys sind genauso unverantwortlich wie der Aufruf im Netz von radikalen Linken, sich Ausgangsbeschränkungen bewusst zu widersetzen.

Frage: Müssen wir auch zügig über einen Exit aus diesen Einschränkungen nachdenken, wenn die Infektionszahlen zurückgehen?

Julia Klöckner: Ob zügig oder nicht, angemessen und verantwortlich muss es sein. Die begründeten Einschränkungen gelten auf Zeit, es geht um unser aller Gesundheit. Die Lage muss immer wieder neu beurteilt werden - nicht auf der Grundlage von Gefühlen, sondern Fakten.

Frage: Wie nehmen Sie das Bundeskabinett in dieser Krise war? Lars Klingbeil hat vor zwei Tagen in der WELT gesagt, dass die Wirtschaftspolitik ausschließlich von Olaf Scholz gemacht werde. Da klang Wahlkampf durch. Wie sehen Sie das?

Julia Klöckner: Wann hat Herr Klingbeil denn das gesagt, habe ich gar nicht mitbekommen. Also ich kenne den Bundeswirtschaftsminister, und der heißt Peter Altmeier. Er hat gerade ein nie dagewesene Paket für die deutsche Wirtschaft geschnürt, um Unternehmen zu stützen und Arbeitsplätze zu schützen. Und Olaf Scholz zeigt sich ebenso verantwortlich in dieser Krise in seiner Funktion als Bundesfinanzminister. Nach Wahlkampf steht mir zur Zeit wirklich nicht der Kopf.

Frage: Wie muss man sich Ihren Kontakt zur Kanzlerin in der Quarantäne vorstellen?

Julia Klöckner: Die Kanzlerin ist in Quarantäne präsenter als mancher, der auch Ausgang hat (lacht). Sie ist gut erreichbar, bekommt alles mit und ist voll im Bilde. Und per Telefon lässt sich auch eine Kabinettsitzung leiten.

Frage: Beeindruckt Sie das Handling der Krise durch den bayerischen Ministerpräsidenten Söder?

Julia Klöckner: Markus Söder hat klare Vorstellungen davon, wie er die Bürger seines Freistaates schützen will. Er nimmt seinen Amtseid ernst - und weiß um die wirtschaftliche Kraft Bayerns. Es ist gut, wenn man finanziell stark ist, dann kann man in der Krise auch handlungsfähig sein - so wie wir das im Bund auch sind.

Frage: Zeigt der Föderalismus im Augenblick vor allem seine Stärken oder Schwächen?

Julia Klöckner: Alle Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen, ganz gleich welcher Parteifarbe, eint mit der Bundeskanzlerin und dem Bundeskabinett der Wille, das Richtige zu tun und die Gesundheit der Bürger zu schützen. Und so nehme ich auch die Parlamentarier in den unterschiedlichen Ebenen wahr. Der Föderalismus ist durchaus eine Herausforderung, er ist das Gegenteil von Einfalt. Diese Vielfalt bedarf gerade in Krisenzeiten einer engen Abstimmung und Vereinheitlichung. Aber er ist auch eine Chance, passgenau auf regional unterschiedliche Situationen reagieren zu können. Die Lage in Bayern ist eben oft eine andere als in Bremen.

Frage: Die Union steigt in den Umfragen, die Parteien der Ränder verlieren. Ist das ein gutes Zeichen, dass die Deutschen in Krisen nicht die Ränder, sondern das Zentrum stärken?

Julia Klöckner: In Krisenzeiten fokussiert man sich auf das Wesentliche. Da geht es um Konkretes, um Lösungen, ums Anpacken - nicht ums Mosern. Ich denke, die meisten erkennen, dass wir in der Regierung ruhig und bestimmt arbeiten, an alle denken, nicht nach Klientel und schnellem Applaus schauen, sondern nach dem Notwendigen. Wir arbeiten ununterbrochen an Lösungen, um Deutschland so gut wie möglich durch die Krise zu führen. Auf der anderen Seite offenbart sich in diesen Zeiten mehr denn je, dass gerade extreme Parteien rechts wie links über pauschale Kritik und Problembeschreibungen nicht hinauskommen.

Frage: Wie bewerten Sie die Rückkehr des Nationalismus in Europa: wie gefährlich ist das für die Zeit nach Corona?

Julia Klöckner: Die Sorge beschleicht mich immer wieder, das gebe ich offen zu. Der Hang, dass jeder erst mal an sich denkt, unabgesprochen Grenzen schließt, das hatten wir eigentlich in Europa überwunden. Der gemeinsame europäische Binnenmarkt und die Bewegungsfreiheit, die Kooperation der europäischen Staaten ist eine gewaltige Errungenschaft und Kraft. Und gerade jetzt wird doch in ganz unterschiedlichen Bereichen sehr deutlich, wie wichtig die vier Grundfreiheiten sind, wie sehr alle in der Union darauf angewiesen sind. Die befristeten Einschränkungen sollten nicht unser grundsätzliches Ja zu diesem gemeinsamen Europa in Frage stellen. Die Addition von Nationalismen ergibt niemals ein starkes Ganzes - man schwächt sich eher gegenseitig.

Frage: Wie können Sie Ihren europäischen Ministerkollegen, insbesondere den italienischen, spanischen und französischen, helfen?

Julia Klöckner: Wir lassen unsere europäischen Partner nicht allein. Deutschland behandelt etwa Patienten aus überlasteten Krankenhäusern aus Frankreich – das rettet Leben. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden geteilt. Auch bei Rückholaktionen europäischer Staatsbürger aus aller Welt sind wir einander behilflich. Und was den Ernährungsbereich angeht: Wir arbeiten gemeinsam daran, dass mögliche Beeinträchtigungen des Warenverkehrs innerhalb der EU so gering wie möglich gehalten werden. Damit die Versorgung mit Lebensmitteln in ganz Europa gewährleistet ist.

Frage: Macht Ihnen Sorge, wie China die Krise nutzt um sich in Europa als Diktatur mit helfender Hand beliebt zu machen?

Julia Klöckner: Erst einmal war China selbst auf Hilfe angewiesen, wir alle haben noch vor Augen, wie sehr das Coronavirus das Land im Griff hatte. Und dass China umgekehrt behilflich ist, sehe ich nicht als Bedrohung. Am Ende geht es aber um andere Fragen: Was sind die wirtschaftlichen Interessen von China, und wie will es sie durchsetzen - zum Beispiel durch den Kauf wichtiger Firmen oder Infrastruktur in Europa? Und genau hier dürfen wir nicht naiv sein, da gilt es massiv die Interessen Europas und die damit verbundenen Wertvorstellungen zu verteidigen.

Quelle: Die Welt vom 27. März 2020

Fragen von Ulf Poschardt

Erschienen am im Format Interview

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