Saisonarbeitskräfte: Wir bringen Infektionsschutz und Erntesicherung zusammen

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit der Rhein-Zeitung

Frage: Die Einigung über die Einreisemöglichkeit von Saisonarbeitern ist ja auch für rheinland-pfälzische Landwirte teils von existenzieller Bedeutung. Aber hätte man das nicht schon früher regeln können?

Julia Klöckner: Unserer Bevölkerung verlangen wir zurzeit viel ab: massive Bewegungseinschränkungen, selbst an Ostern, damit sich das Virus nicht stärker ausbreitet. Da ist es die Pflicht der Regierung, das Infektionsrisiko auch bei Einreisenden zu minimieren. Auch bei Saisonarbeitskräften ist es zu Anpassungen gekommen. Der endgültige Einreisestopp für ausländische Saisonarbeitskräfte wurde vom Bundesinnenministerium zum 25. März, 17 Uhr, verhängt. Daraufhin habe ich schnell gehandelt, und wir haben eine Lösung gesucht. Jetzt – eine Woche später – steht diese. Sie trägt den beiden berechtigten Anliegen Rechnung: notwendiger Infektionsschutz auf der einen und Erntesicherung auf der anderen Seite. Das Robert Koch-Institut hat mit uns und dem Bauernverband die Leitlinien und Hygienestandards, die einzuhalten sind, besprochen. Bis Mai werden rund 100.000 Saisonarbeitskräfte im Land sein, 20.000 sind bereits da, 115 Tage können sie bleiben. Das ist eine große Hilfe für die Bauern, aber auch in unser aller Interesse. Es muss geerntet, gesät und gepflanzt werden. Ich möchte mich aber auch bedanken bei den vielen Helfern, die sich zur Unterstützung in der Landwirtschaft melden.

Frage: Die osteuropäischen Helfer dürfen nur in Gruppen und mit dem Flugzeug anreisen. Glauben Sie ernsthaft, dass diese Bedingungen hinreichend erfüllt werden können?

Julia Klöckner: Dass im April und Mai jeweils 40.000 Saisonarbeiter einreisen dürfen, ist eine wichtige und gute Nachricht für unsere Landwirte. Denn die Ernte wartet nicht, auch Aussaaten kann man nicht verschieben. Um die Verbraucher auch während der Corona-Pandemie mit ausreichend heimischen Lebensmitteln zu versorgen, sind die Landwirte auf die Mitarbeit ausländischer Saisonarbeitskräfte angewiesen – das sind Fachkräfte auf ihrem Gebiet. Und die Voraussetzungen sind eindeutig: In Abstimmung mit dem Robert Koch-Institut wurden für An- und Abreise, Einsatz und Unterbringung klare Regeln erarbeitet, die zwingend einzuhalten sind und von den Behörden vor Ort kontrolliert werden. Und zu Ihrer konkreten Frage: Die Bundespolizei legt in Abstimmung mit den Bauernverbänden die Einreiseorte fest und bekommt eine Liste der Erntehelfer, die zu uns kommen. Einzelanreisen aus Rumänien über Stunden in einem Bus sind gar nicht erst möglich. Wer nicht auf dieser Liste steht, wird abgewiesen werden.

Frage: Viele Landwirte und Winzer hierzulande verbindet teils seit Jahrzehnten eine fast familiäre Freundschaft zu ihren Saisonarbeitern. Die Anreise in Gruppen und per Flugzeug wird vielen aber nur selten möglich sein. Und dann?

Julia Klöckner: Dass Saisonarbeitskräfte nicht nur als Arbeitskräfte gesehen werden, dass mit ihren Familien über Jahre, ja Jahrzehnte hinweg auch freundschaftliche Beziehungen gepflegt werden, das kenne ich auch aus meiner Jugend von unserem Familienbetrieb. Diese Bindungen gehen aber auch jetzt nicht verloren. Die 20.000 Saisonarbeitskräfte, die ja bereits im Land sind, sind in großen Teilen auch schon über Flüge zu uns gekommen. Die Berufsvertreter holen sich gerade Angebote von diversen Fluglinien ein. Es ist eine Frage der gemeinsamen Organisation und Bündelung. Der Deutsche Bauernverband erarbeitet bis Anfang der kommenden Woche ein Verfahren für eine faire Vorgehensweise und Verteilung. Es wird eine Onlinemöglichkeit zur Meldung der Arbeitskräfte geben. Der Berufsstand wird sich darum kümmern.

Frage: Es gibt eine ausreichende Anzahl von inländischen Arbeitnehmern, die zum Beispiel wegen Kurzarbeit oder gar Kündigung theoretisch als Ersatzsaisonkräfte zur Verfügung stehen könnten. Wie hoch schätzen Sie das Potenzial?

Julia Klöckner: Die Hilfsbereitschaft, Wertschätzung und die Solidarität, die unseren Bauernfamilien derzeit entgegengebracht wird, sind enorm. Das ist toll zu sehen und freut mich sehr. Allein auf der Jobvermittlungsplattform www.dasland hilft.de, die wir unterstützen, gibt es nach nicht einmal zwei Wochen schon 50.000 Inserate mit Hilfsangeboten. Zahlreiche Helfer konnten bereits erfolgreich vermittelt werden. Aber klar ist auch: Ernte- und Pflanzarbeiten verlangen Geschick und Ausdauer. Nicht jeder ist das gewohnt. Man rechnet für den Ersatz einer Vollzeitsaisonarbeitskraft etwa mit vier freiwilligen Helfern.

Frage: Welche Anreize gibt es dafür?

Julia Klöckner: Es ist ein ganzes Maßnahmenpaket, das wir durchgesetzt haben: Bezieher von Bafög oder Kurzarbeitergeld dürfen auch in der Landwirtschaft deutlich mehr Geld dazuverdienen, ohne dass es ihnen angerechnet wird, ebenso Ruheständler. Auch können ausländische Saisonarbeitskräfte in dieser Saison 115 statt wie bisher 70 Tage sozialversicherungsfrei beschäftigt werden. Arbeitnehmerüberlassungen oder Arbeitszeitregeln haben wir für diese Ausnahmesituation flexibilisiert.

Frage: Nun gibt es bereits Sorgen in der Landwirtschaft, dass deutsche Arbeitskräfte möglicherweise weniger qualifiziert seien als die "Profis" aus Osteuropa. Wie sehen Sie das?

Julia Klöckner: Profi ist das richtige Wort. Es sind Fachkräfte, die zu uns kommen. Daher habe ich immer klar gesagt, dass sie nicht eins zu eins mit Helfern zu ersetzen sind, die bisher nicht in der Landwirtschaft gearbeitet haben. Deshalb habe ich mich ja auch intensiv bei Horst Seehofer um den jetzt getroffenen Kompromiss bemüht. Aber alle müssen in diesen Zeiten auch flexibel sein – unsere Landwirte sind das allemal. Sie sind angewiesen auf helfende Hände.

Frage: Kennen sich polnische Akademiker auf unseren Feldern besser aus, und sind sie versierter als deutsche Aushilfskräfte?

Julia Klöckner: Darum geht es doch nicht. Wenn jemand noch nie auf dem Acker gearbeitet hat, dann wird die Einarbeitung und das Anlernen mehr Geduld, Belastbarkeit und Zeit erfordern. Das liegt in der Natur der Sache. Ich habe die Rückmeldung von vielen Landwirten, dass sie diesen Mehraufwand in Kauf nehmen, um Ernten zu sichern. Daneben brauchen sie zusätzliche Saisonkräfte aus dem Ausland.

Frage: Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass die Ernte 2020 nur in Teilen eingefahren werden kann, weil uns am Ende letztlich die Arbeitskräfte fehlen?

Julia Klöckner: Das wird man wissen, wenn am Ende die Daten vorliegen. Momentan arbeite ich rund um die Uhr an Lösungen. Mein Ziel ist es, die landwirtschaftlichen Betriebe dabei zu unterstützen, dass Ernten eingebracht und die Grundlagen für die neuen Ernten geschaffen werden können. Es geht um die Versorgung unserer Bevölkerung und um die Sicherung der heimischen, landwirtschaftlichen Erzeugung.

Frage: Bei den Lebensmitteldiscountern brummt trotz und wegen Corona das Geschäft. Kommen diese Unternehmen der sozialen Verantwortung für ihre Mitarbeiter aber auch für ihre Kunden nach?

Julia Klöckner: Die Landwirte, die Lageristen und Transporteure, die Mitarbeiter in der Lebensmittelherstellung und -verarbeitung und natürlich auch die Beschäftigten im Lebensmitteleinzelhandel – sie alle halten den Laden für unsere Ernährung am Laufen. Wenn Sie so wollen, stehen sie an vorderster Front und müssen deshalb auch besonders geschützt werden. Mein Eindruck ist, dass dieser Vorsorgepflicht auch nachgekommen wird. Wir haben erreicht, dass diesen Beschäftigten auch ein höherer steuerfreier Bonus gezahlt werden kann. Dafür hatte auch ich mich früh beim Bundesfinanzminister eingesetzt.

Frage: Metzger und Bäcker sind gerade in einem Flächenland wie Rheinland-Pfalz wichtige Grundversorger in unseren Dörfern. Wie bewerten Sie deren Rolle in der Corona-Krise?

Julia Klöckner: Sie sind systemrelevant. Neben der Gesunderhaltung ist die ausreichende Versorgung unserer Bevölkerung mit Nahrungsmitteln eine der wichtigsten Aufgaben. Das Handwerk ist hier eine der wesentlichen Stützen. Auch psychologisch – für viele ist es gerade jetzt wichtig, um die Ecke beim Bäcker oder Metzger einkaufen zu können. Ich hoffe sehr, dass diese Wertschätzung anhält – auch in der Zeit nach der Corona-Krise. Wir alle sollten wissen, was wir an ihnen haben. Regional einzukaufen ist nicht nur ein Werbeslogan, da steckt eine wichtige Absicherung gerade auch für schlechtere Zeiten dahinter.

Quelle: Rhein-Zeitung vom 4. April 2020

Fragen von Peter Burger

Erschienen am im Format Interview

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