Es geht um unser aller Versorgung

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit der "Allgemeinen Zeitung"

Frage: Frau Klöckner, die Bundesregierung hat bei diesem Thema zunächst gezögert. Dann kam es vergangene Woche doch zu der von vielen als überraschend empfundenen Entscheidung. Hat man dem Druck der Bauernverbände nachgegeben?

Julia Klöckner: Die Bundesregierung hat sehr klar gehandelt. Für unsere Bevölkerung gelten weitreichende Bewegungseinschränkungen, da kann man dann nicht Saisonarbeitskräfte ungeprüft, ohne Gesundheitscheck und Auflagen einreisen lassen. Insofern war das alles andere als zögernd, sondern eine sehr eindeutige Entscheidung des Bundesinnenministers, wohl wissend, dass wir eine Lösung brauchen, damit die Ernten eingebracht werden. Es geht ja am Ende um unser aller Versorgung. Deshalb habe ich darauf Wert gelegt, dass wir Gesundheitsschutz und Erntesicherung zusammenbekommen. Wir haben
innerhalb einer Woche nach dem Einreisestopp mit dem Innenministerium, dem Bundesarbeitsministerium, dem Bauernverband und dem Robert-Koch-Institut zusammen diese Lösung gefunden.

Frage: Wenn 80 000 Menschen währen einer Pandemie ins Land kommen, dann ist das nicht unproblematisch.

Julia Klöckner: Die Auflagen sind streng und wurden in enger Abstimmung mit dem Robert-Koch-Institut entwickelt. Gesundheitstests vor der Einreise sind etwa verpflichtend. Die Liste wird dem örtlichen Gesundheitsamt übergeben. Es kann auch nicht jeder einzeln einreisen, sondern es muss gewährleistet sein, dass die Mitarbeiter eines Betriebs vom Flughafen abgeholt werden. Danach gibt es eine 14-tägige faktische Quarantäne. Die Leute dürfen in dieser Zeit das Betriebsgelände – bis auf die Arbeit zum Beispiel auf dem Feld – nicht verlassen. Für die Arbeit und Unterbringung erfolgt eine Einteilung in immer nachvollziehbaren Kleingruppen, die für die gesamte Zeit auf dem Hof zusammenbleiben. Neue Kontakte werden so minimiert. Klare Vorgaben gibt es auch für die Hygiene, die Benutzung von Küchen und den sanitären Einrichtungen..

Frage: Die Einreise ist auch eine enorme logistische Leistung. Wer kommt eigentlich für die Kosten der "Luftbrücke Landwirtschaft" auf?

Julia Klöckner: Die Kosten werden von den Betrieben übernommen, für die die Saisonarbeitskräfte tätig sind. Politisch haben wir für die Landwirte das ermöglicht, was in diesen Zeiten machbar und gesundheitlich vertretbar ist. Zusätzlich zu den Hilfen über die landwirtschaftliche Rentenbank oder die Soforthilfen.

Frage: In dieser Woche sollten die ersten Helfer hier ankommen. Wie sieht der Ablauf aus?

Julia Klöckner: Der Bauernverband hat in Absprach mit uns das Portal saisonarbeit2020.bauernverband.de eingerichtet. Dort melden sich die Landwirte. Die Plattform ist am Montag an den Start gegangen. Morgen werden wohl die ersten Erntehelfer nach Deutschland kommen.

Frage: Neben den ausländischen Erntehelfern sollen ja auch 10 000 Menschen aus dem Inland in der Landwirtschaft anpacken. In der Vergangenheit hatten die Landwirte oft die Erfahrung gemacht, dass einheimische Kräfte für die harte Arbeit auf den Feldern nicht geeignet sind. Ist man da nicht etwas zu optimistisch?

Julia Klöckner: Da bin ich realistisch, die Zahl ist es auch. Klar ist: Die Saisonarbeitskräfte aus dem Ausland sind Profis. Eine solche Fachkraft ist nicht eins zu eins ersetzbar mit jemandem, der noch nie in der Landwirtschaft gearbeitet hat. Gerechnet wird mit vier Hilfskräften, um eine Vollzeit-Saisonarbeitskraft zu ersetzen. Bedacht werden muss: Die einen können nur drei Tage, andere haben beim Zuverdienst beim Kurzarbeitergeld schon nach zwei Tagen die zulässige Grenze erreicht, wieder andere haben körperliche Beschwerden. Aber: Es sind andere Zeiten – auch für die, die auf einen Zuverdienst angewiesen sind. Auf der Plattform daslandhilft.de, die wir unterstützen, gibt es über 52 000 Inserate. Viele Betriebe haben passgenau Helfer gefunden. Das ist ein schönes Zeichen. Bei allen, die sich melden und den Landwirten unter die Arme greifen wollen, möchte ich mich deshalb bedanken.

Frage: Welche Lehren ziehen Sie als Bundeslandwirtschaftsministerin aus der momentanen Krise in Bezug auf die künftige Weichenstellung in der Landwirtschaft?

Julia Klöckner: Ich war schon immer fest davon überzeugt, dass man auch in einer globalisierten, arbeitsteiligen Welt auf die Produktion von Grundnahrungsmitteln im eigenen Land nicht verzichten sollte. Wir brauchen eine multifunktionale, flächendeckende, familiengeführte Landwirtschaft. Deshalb werde ich auch eine Initiative mit Frankreich und den skandinavischen Ländern auf europäischer Ebene starten. Wir wollen jetzt überprüfen, wie die Grundversorgung innerhalb Europas ist und ob wir hier andere Weichen stellen müssen. Was mich sehr freut, ist, dass keiner mehr infrage stellt, dass die Landwirtschaft systemrelevant ist. Die Lehre für uns alle ist hoffentlich, dass die Wertschätzung, die jetzt da ist, auch bleibt und dass gute Nahrungsmittel, die regional produziert sind, auch ihren Preis wert sind.

Quelle: Allgemeine Zeitung 8. April 2020

Fragen von Thomas Ehlke

Erschienen am im Format Interview

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