Ich stoße die Einführung eines europaweiten Tierwohlkennzeichens an, damit wir in der EU einheitliche Tierwohlstandards erreichen

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit der "Allgemeinen Zeitung"

Frage: Frau Klöckner, in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft geht es auch um eine Neuausrichtung der Landwirtschaftspolitik. Was haben die 450 Millionen EU-Europäer davon?

Julia Klöckner: Hochwertige und sichere Nahrungsmittel. Das Entscheidende ist, dass wir Ernten sichern. Seit 58 Jahren gibt es die gemeinsame europäische Agrarpolitik. Damals ging es vor allem darum, dass die Menschen in Europa satt wurden. Heute steht die Landwirtschaft vor weiteren Herausforderungen. Es geht nicht nur um Nahrungsmittelerzeugung, sondern um Nachhaltigkeitsfragen. Die Ernährungssicherung auf der einen Seite müssen wir stärker zusammenbringen mit mehr Klima-, Umwelt- und Tierschutz auf der anderen Seite.

Frage: Weniger Pestizide, weniger Düngemittel, weniger Antibiotikaeinsatz, mehr Bio-Landwirtschaft das hört sich gut an. Aber wie soll denn diese Wende gelingen, ohne dass die Ernährungssicherheit gefährdet wird?

Julia Klöckner: Richtig. Es gibt Zielkonflikte. Die müssen wir gewichten, lösen. Deshalb bringt es wenig, wenn Gruppierungen mit Maximal-Forderungen aufeinander losgehen. Mir geht es um einen klugen Ausgleich. Ein Beispiel: Das Thema Präzisions-Landwirtschaft zielt darauf ab, dass wir mit Hilfe der Digitalisierung, die wir mit meinem Ministerium stark fördern und finanziell unterstützen, Ressourcen schonen und Pflanzenschutzmittel einsparen und gleichzeitig Ernten sichern und die Arbeit der Landwirte erleichtern. Auch mehr Vielfalt auf den Äckern, erweiterte Fruchtfolgen helfen. Dritter Punkt, den ich erwähnen will, sind neue Pflanzenzüchtungen. Klimastabile, widerstandsfähige Pflanzen, die Erträge sichern und mit weniger Pflanzenschutzmittel auskommen sind Ansätze, um Zielkonflikte zu lösen.

Frage: Und wer bezahlt den Umbau? Die Landwirte?

Julia Klöckner: Es sind Leistungen unserer Bauern für das Gemeinwohl. Das muss honoriert werden. Die Landwirte werden es ohne Unterstützung nicht schaffen. Unsere Anforderungen an mehr Umwelt-, Klima- und Tierschutz machen landwirtschaftliche Produkte natürlich teurer. Wenn Wettbewerber in anderen Ländern diese Anforderungen nicht haben, haben sie zumindest preislich einen Vorteil. Und als Verbraucher schneiden wir uns ins eigene Fleisch, wenn wir nur Erwartungen an die Landwirtschaft haben, aber die Landwirte nicht dabei begleiten, diesen Umbau hinzubekommen. Die europäische Agrarwirtschaft ist weltweit führend, was das Thema Technik, Modernität, Ertragssicherung und Ambitionen im Umwelt- und Naturschutz anbelangt. Die Auflagen, die wir haben, auch etwa im Bereich Tierschutz, machen die Produktion teurer. Deshalb sage ich: Die Ökologie, die Ökonomie und das Soziale müssen zusammengedacht werden. Nur das ist wirklich nachhaltig. Im Übrigen werden europäische Zahlungen an die Landwirte an weitere Anforderungen nach mehr Umwelt- und Naturschutz geknüpft sein.

Frage: Besteht nicht die Gefahr, dass die Landwirte da zwischen Ökonomie und Ökologie zerrieben werden?

Julia Klöckner: Deshalb muss die Balance stimmen. Forderungen sind immer schnell aufgestellt, am besten per Knopfdruck. Aber einen Betrieb stellen sie nicht von heute auf morgen um. Denken Sie beispielsweise an die Strategie der Europäischen Kommission „Vom-Hof-aufden-Teller". Da steht drin: 50 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel. Und wenn man Verbraucher fragt, wären auch minus 80 Prozent Recht. Nur wird es dann schwierig, Ernten zu sichern. Natürlich müssen unsere Pflanzen auch geschützt werden. Deshalb brauchen wir wirtschaftliche Folgenabschätzungen. Wir müssen vom Ende her denken. Wenn wir regionale Versorgung wollen, müssen wir die Landwirte unterstützen.

Frage: Die Bewältigung der Corona-Krise und ihre Folgen sind ebenfalls Thema des Treffens in Koblenz. Wo soll da konkret auf EU-Ebene angesetzt werden?

Julia Klöckner: Volle Regale sind nicht selbstverständlich. Wenn europäische Lieferketten unterbrochen sind, merken wir das im Laden um die Ecke. Unser gemeinsamer Binnenmarkt hat großen Wert. Dass einseitig wegen der Corona-Pandemie Grenzen geschlossen worden sind, war daher keine Sternstunde des europäischen Geistes. Eine weitere Lehre: Wir müssen die Abhängigkeiten der EU von Drittlandsimporten, wie zum Beispiel Futtermittel oder Tierarzneimittelwirkstoffen, reduzieren.

Frage: Ein großes Thema ist die Einführung eines einheitlichen europäischen Tierwohlkennzeichens. Was bedeutet das denn für den Verbraucher? Schweinefleischpreise von 20 Euro pro Kilo?

Julia Klöckner: Eine solche Kennzeichnung bedeutet Wahrheit und Klarheit. Viele Verbraucher haben hohe Erwartungen an die Tierhaltung, denen sie an der Ladentheke aber noch zu selten Ausdruck verleihen. Die Bereitschaft, lieber weniger, aber dafür hochwertigeres Fleisch zu essen, ist grundsätzlich da. Mit dem Tierwohlkennzeichen schaffen wir eine Möglichkeit, im Laden dann auch auf den ersten Blick zu erkennen, wo mehr Tierwohl drinsteckt und warum es mehr kostet. Das ist wichtig, damit auch die Tierhalter die hohen Kosten für Investitionen in mehr Tierwohl bezahlt bekommen. Zudem unterstützen wir finanziell: Ich habe ein 300-Millionen-Euro-Programm aufgelegt für den Umbau der Schweineställe. Damit setzen wir hohe Standards beim Tierwohl. Darüber hinaus stoße ich die Einführung eines europaweiten Tierwohlkennzeichens an, damit wir in der EU einheitliche Tierwohlstandards erreichen, auch bei den Tiertransporten. Die Kollegen aller europäischen Länder sind mittlerweile offen dafür. In den vergangenen Monaten habe ich viel geworben und argumentiert.

Frage: Die Experten-Kommission Borchert empfiehlt eine Tierwohlabgabe. Wie bewerten Sie denn die Ergebnisse der Kommission?

Julia Klöckner: Die Experten-Kommission habe ich eingesetzt, um ein ganzheitliches Konzept zum Umbau der Tierhaltung zu entwerfen. Es wird ein milliardenschweres und langfristiges Projekt, bei dem unsere Landwirte Planungssicherheit brauchen auch über die ein oder andere Regierungskonstellation hinaus. Wir haben bereits höhere Tierwohlkriterien vorgelegt für das Thema Schweinehaltung, erarbeiten nun auch Kriterien für Rind und Geflügel. In Kürze werde ich zudem ein Gesetz vorstellen zum Verbot des Kükentötens. Hier sind wir weltweit Vorreiter. Und ab dem 1.1.2021 ist die betäubungslose Ferkelkastration verboten. Das ist dann europaweit eines der strengsten Gesetze.

Frage: Beim Kastenstand für Zuchtsauen sind die Umstellungsfristen allerdings sehr lang...

Julia Klöckner: Übergangszeiten sind notwendig. Die Tierhalter müssen umbauen, Pläne müssen vorgelegt, Anträge gestellt, Genehmigungen eingeholt werden - obwohl die alten Ställe vielleicht noch gar nicht abbezahlt sind. Ich strebe den Umbau so schnell wie möglich an. Deshalb werden wir für die nächsten zwei Jahre als Anreizmodell 300 Millionen Euro in die Hand zur Unterstützung nehmen. Dabei wird es eine degressive Förderung geben. Also diejenigen, die früher umbauen, erhalten mehr Geld als die, die erst kurz vor Ende der Frist beginnen.

Frage: In Deutschland soll das Tierwohllabel auf freiwilliger Basis eingeführt werden, in der EU soll es aber verpflichtend sein. Das erscheint paradox...

Julia Klöckner: Derzeit dürfen wir in Deutschland gar kein verpflichtendes Tierwohlkennzeichen einführen - das verbietet das Europarecht. Es gibt dafür noch keinen europäischen Rechtsrahmen. Diesen Prozess will ich in unserer deutschen Ratspräsidentschaft daher anstoßen.

Quelle: Allgemeine Zeitung vom 28.08.2020

Fragen von Alexandra Eisen, Christian Matz und Thomas Ehlke

Erschienen am im Format Interview

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