Ich strebe einen Umbau der Tierhaltung in Deutschland an im Sinne des Tierwohls

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit derZeitung "Die Welt"

Frage: Frau Klöckner, wollen Sie Hundebesitzer ernsthaft verpflichten, ihre Tiere zwei Mal am Tag mindestens eine Stunde auszuführen?

Julia Klöckner: Die Regel gibt es doch schon längst, dass Hunde genügend Auslauf bekommen müssen. Haustiere sind ja keine Kuscheltiere und haben Bedürfnisse. Leider finden sich allzu oft in Tierheimen abgegebene oder ausgesetzte Tiere mit Verhaltensauffälligkeiten, weil ihre Tierhalter sich nicht im Klaren über die artgerechte Behandlung waren. Aber eines möchte ich auch klar sagen: Die allermeisten Hundebesitzer wissen, was für ihre Tiere gut ist.

Frage: Diese Gassigehpflicht lenkt doch aber von tatsächlichen Problemen ab: Wie steht es um den Tierschutz im Stall?

Julia Klöckner: Ihre Formulierung der "Gassigehpflicht" trifft es nicht, es geht um den Auslauf der Tiere. Es geht etwa auch um Hunde, die in Zwingern gehalten werden, die Kettenhaltung wollen wir verbieten. Aber zu Ihrer Frage: Ich strebe einen Umbau der Tierhaltung in Deutschland an im Sinne des Tierwohls: mehr Platz, mehr Bewegung, mehr Tageslicht und Luft, mehr Beschäftigung im Stall. Wer hier investiert, soll damit auch werben und der Verbraucher es erkennen können. Ich habe ein 3oo-Millionen-Euro-Programm aufgelegt für den Umbau der Schweineställe. Damit setzen wir hohe Standards beim Tierwohl.

Frage: Schweinehalter zum Beispiel wollen durchaus mehr für ihre Tiere tun. Verbraucher beteuern, für mehr Tierschutz im Stall mehr Geld zahlen zu wollen. Wo liegt das Problem?

Julia Klöckner: Dass Supermärkte Fleisch häufig als Lockmittel zu Dumpingpreisen nutzen, um Verbraucher in den Laden zu bekommen, halte ich für unanständig. Zumal der Preis dann auf andere Produkte wie Toilettenpapier oder Waschmittel wieder aufgeschlagen wird. Fleisch zu verramschen ist ethisch fraglich. Ich lasse gerade prüfen, wie wir das unterbinden können. Fleisch soll natürlich nicht zur Luxusware werden, aber es muss auch seinen Preis haben - wenn wir mehr Tierwohl im Stall wollen. Lieber etwas weniger und hochwertigeres Fleisch als billige Ramschware. Unser Umgang mit Nutztieren ist auch eine ethische Frage.

Frage: Noch immer werden jedes Jahr 45 Millionen männliche Küken getötet, weil es für sie keine Verwendung gibt. Wann hört das auf?

Julia Klöckner: Ich werde in Kürze ein Gesetz vorlegen, dass das Kükentöten verbietet. Wir werden das erste Land sein, das so klar vorgeht. Denn es stehen verschiedene Alternativen bereit. Etwa ein Verfahren zur Geschlechtererkennung bereits im Brutei, dass wir mit fünf Millionen Euro gefördert haben. Es wird bereits in der Praxis angewandt, das war ein Durchbruch. Deutschland wird damit weltweit Vorreiter sein. Ab 1. Januar 2021 gilt zudem eines der strengsten Gesetze gegen die betäubungslose Ferkelkastration.

Frage: Was überfällig war, weil es in der EU längst verboten ist.

Julia Klöckner: In anderen Ländern der EU gilt lediglich Schmerzlinderung, bei uns aber dann Schmerzausschaltung, wir gehen also weiter. Wir stellen sicher, dass kein Ferkel mehr ohne Vollnarkose kastriert wird - allein eine Schmerzlinderung reicht nicht. Darüber hinaus stoße ich die Einführung eines europaweiten Tierwohlkennzeichens an, damit wir in der EU einheitliche Standards erreichen. Die Kollegen aller europäischen Länder sind mittlerweile offen dafür.

Frage: Sie wollen auch strengere Regeln für Tiertransporte in Drittländer durchsetzen. Was werden Sie beim EU-Agrarrat in der kommenden Woche vorschlagen?

Julia Klöckner: Wir brauchen in der EU ein gleiches Verständnis davon, unter welchen Bedingungen Tiere über welche Entfernungen transportiert werden dürfen. Es muss sichergestellt sein, dass auf Halteplätzen entlang der Strecke und am Zielort genügend Auslauf für die Tiere vorhanden ist, es Wassertränken gibt, sie versorgt werden. Wenn das nicht der Fall ist, muss klar sein, dass die Tiere gar nicht erst verladen werden dürfen. Für Deutschland habe ich aber bereits strengere Regeln vorgelegt, als es sie in der EU gibt, weil es einfach nicht mehr vertretbar ist, dass bei Höchsttemperaturen Tiere verladen und über viele Stunden transportiert werden.

Frage: Bei Hitze sind Tiertransporte ja jetzt schon verboten: Was sind die Folgen, wenn heiße Sommer zunehmen?

Julia Klöckner: Richtig, leider wird dennoch gegen geltende Vorschriften verstoßen - deshalb haben wir die Strafen verschärft. Grundsätzlich wird sich die Branche darauf einstellen müssen, dass die veränderten Sommer auch Auswirkungen auf die Tiertransporte haben werden - auch innerhalb Deutschlands. Die Wege müssen kürzer werden, und dafür brauchen wir wieder mehr regionale Schlachthöfe. Doch gerade gegen solche kleineren Schlachthöfe gibt es Proteste. Viele Menschen grillen gern, aber einen Schlachthof in der Nähe wollen sie einfach nicht haben.

Frage: Die Bauern beklagen in diesem Jahr wieder Ernteeinbußen: Was sagen Ihre Zahlen?

Julia Klöckner: Wir sehen enorme Schwankungen, vor allem auch innerhalb Deutschlands. Es gibt Unterscheide bei den Flächenerträgen je nach Bodenqualität und Niederschlagsverteilung. Im Durchschnitt aller Getreidearten liegt der bisher festgestellte Hektarertrag bei bei etwa 6,9 Tonnen. Das ist etwas mehr als im vergangenen Jahr. Die Erntemenge bei Getreide insgesamt wird wohl leicht unter dem Wert von 2019 liegen. Zurückzuführen ist das aber auch auf geringere Anbauflächen. Die Lage ist also nicht vergleichbar mit 2018, wo wir eine Dürre von nationalem Ausmaß hatten und die Bauern finanziell unterstützt haben. In diesem Jahr gibt es bislang keinen Anlass, Dürrehilfen zu zahlen.

Frage: Wenn trockene und heiße Sommer zunehmen, droht das Wasser knapp zu werden. Die Grünen fordern bereits Managementpläne für einen sparsameren Umgang mit der Ressource. MUSS sich die Landwirtschaft hier umstellen?

Julia Klöckner: Einen flächendeckenden Wassernotstand haben wir nicht. Unsere Bauern brauchen Wasser, um Lebensmittel zu produzieren. Aber sie müssen ihre Wirtschaftsweise anpassen. Wir brauchen erweiterte Fruchtfolgen und stärkeren Humusaufbau. Es muss auch weiterhin die Möglichkeit der Beregnung geben aber nicht mit der Gießkanne, sondern zielgenau. Dabei hilft uns die Digitalisierung. Wärmekameras und Sensoren können etwa herausfinden, wo der Boden welche Wassermenge braucht.

Frage: Hat die Corona-Pandemie die Landwirtschaft verändert?

Julia Klöckner: Die Corona-Pandemie hat vor allem die Sicht der Verbraucher auf die Landwirtschaft verändert. Es ist ein Bewusstsein dafür entstanden, dass es eben nicht normal ist, dass man zu jeder Zeit alles kaufen kann. Versorgungssicherheit hat ihren Preis. Und deshalb sollte es in unser aller Interesse sein, regionale Landwirtschaft zu erhalten.

Frage: Welche Lehren ziehen Sie aus der Corona-Pandemie?

Julia Klöckner: Wir müssen in Europa dafür sorgen, dass die Lebensmittelversorgung weniger anfällig für Krisen ist. Die EU muss unabhängiger von Importen aus Drittländern werden. Das beginnt bei den Futter- oder Tierarzneimitteln. Bei der Versorgung mit Obst und Gemüse liegt Deutschland nur bei einem Selbstversorgungsgrad von 40 Prozent. Deshalb sind intakte europäische Lieferketten so entscheidend. Der Binnenmarkt ist unser Trumpf, ihn müssen wir stärken.

Quelle: Die Welt vom 28.08.2020

Fragen von Claudia Ehrenstein

Erschienen am im Format Interview

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