Die Landwirtschaft ist genauso digital, oft sogar moderner als andere Sektoren der Wirtschaft

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit "Die Welt" (Auszug)

Frage: Sie sind Landwirtschaftsministerin. Hat sich die Reputation der Bauern durch die Krise verbessert?

Julia Klöckner: Ja, absolut. Dass Regale auch mal halb leer oder gar ganz leer sein können, war doch für viele Verbraucher eine neue Erfahrung. Und da meine ich nicht das Toilettenpapier. Plötzlich wird wieder über die heimische Erzeugung nachgedacht. Allerdings ist der Weg oft noch weit, wirklich ein Verständnis für die heutige moderne Landwirtschaft zu generieren. Gerade in den Ballungszentren, wo es kaum Kontakt zur Landwirtschaft gibt, haben wir einen Wunsch nach einer romantischen Landwirtschaft von damals. Das ist eigentlich absurd. Selbst haben viele das neueste Smartphone, man bestellt über die App im Online-Versand oder die Lebensmittellieferung. Gleichzeitig wird aber nach einem Kamingefühl gesucht. Und dieses soll der Bauer einlösen. Der soll freudig über seinen Hof mit drei Kühen und vier Hennen hüpfen und die Milchkanne schwingen.

Frage: Die Bauern wehren sich gegen Preisdumping. Wie kann mehr Geld bei ihnen ankommen?

Julia Klöckner: Die gesamte Kette, vom Erzeuger über den Zwischenhändler bis zum Handel, hat da eine Verantwortung. Auf Dauer wird doch nichts angeboten, was nicht gekauft wird. Da werden Hunderte Euro für einen schicken Gartengrill und Tausende für eine neue Küche ausgegeben. Aber bei Lebensmitteln wird im Werbeprospekt häufig auf Cent-Beträge geachtet. Wir Verbraucher haben eine Verantwortung, aber natürlich nicht allein!

Frage: Wer noch?

Julia Klöckner: Die Marktkonzentration der großen Lebensmittelhändler ist tatsächlich ein Problem, denn ihnen stehen viele kleine Betriebe in der Landwirtschaft gegenüber. Das ist ein Ungleichgewicht, das zuungunsten der Bauern ausschlägt. Deshalb habe ich ein Gesetz vorgelegt, das es etwa dem Handel verbietet, verderbliche Ware noch am Tag der Lieferang zu stornieren. Der Bauer bleibt heute auf seiner Ware sitzen, muss die Entsorgung zahlen, die Lagerkosten, das ist eine Verschwendung von Ressourcen und Energie. Vielen Bauern verweigert der Händler sogar schriftliche Verträge, manche zahlen erst Monate nach Erhalt der Ware. Mit dem Gesetz gegen unlautere Handelspraktiken verbiete ich das.

Frage: Sie können nicht alles regeln. Wo sehen Sie Ihre Grenzen?

Julia Klöckner: Unternehmen haben eine Verantwortung auch für ihre Partner, die sich nicht per Gesetz verordnen lässt. Soziale Marktwirtschaft ist keine Folklore. Als Politik wollen wir zu Recht nicht vorschreiben, wie die Gewinne innerhalb der Wertschöpfungskette genau verteilt werden. Das wäre Planwirtschaft. Aber zwischen Gesetz und alles laufen lassen gibt es viele Möglichkeiten. Deshalb habe ich einen ergänzenden Verhaltenskodex vorgeschlagen, in dem Landwirtschaft und Handel festlegen, wie sie künftig miteinander umgehen wollen. Darin geht es zum Beispiel um eine faire Honorierung. Wenn der Handel besondere Anforderungen stellt, die über gesetzliche Vorgaben hinausgehen, muss er die Landwirte für den Mehraufwand auch entsprechend bezahlen. Regionale Lebensmittel sollten deutlicher gekennzeichnet und besser vermarktet werden. Wichtig sind auch langfristigere und verlässliche Lieferbeziehungen. Höhere Erlöse sollten auch den Landwirten zugutekommen.

Frage: Bald werden wieder Saisonkräfte in der Landwirtschaft gebraucht. Plädieren Sie für Corona-Tests bei Einreise?

Julia Klöckner: Beim Gesundheitsschutz darf es keine Kompromisse geben. Auf der einen Seite wollen wir Ernten sichern. Auf der anderen Seite müssen wir unsere Bevölkerung und diejenigen, die zu uns kommen, bestmöglich schützen. Dazu sind wir im Gespräch mit dem Bundesgesundheitsminister. Im Übrigen war die Landwirtschaft im vergangenen Frühjahr nicht der Problemtreiber, sie war vorbildlich. Es wurde zum Beispiel in festen Teams gearbeitet und gewohnt, und es wurden Einkaufsmöglichkeiten auf den Höfen eingerichtet, um das Infektionsrisiko zu minimieren.

Quelle: "Die Welt" vom 14. Januar 2021

Fragen von Claudia Ehrenstein und Thomas Vitzthum

Erschienen am im Format Interview

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