„Ernten zerstört, Tiere ertrunken“

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit "Passauer Neue Presse"

Frage: Frau Klöckner, lässt sich schon abschätzen, wie groß die Schäden für die landwirtschaftlichen Betriebe in den Überschwemmungsgebieten ausfallen, wie viele gefährdet sind?

Julia Klöckner: Die Schäden lassen sich gesamtheitlich noch nicht seriös beziffern. Wir führen derzeit eine Abfrage in den Ländern und Verbänden zum Schadensausmaß durch, um einen Überblick zu bekommen. Aber klar ist, dass auch die Landwirtschaft massiv von der Flutkatastrophe betroffen ist. Zahlreiche landwirtschaftliche Betriebe sind in ihrer Existenz bedroht: Ernten wurden zerstört, Tiere sind ertrunken, Gebäude und Maschinen wurden beschädigt. Das Ausmaß und die Bilder sind erschütternd, auch menschlich eine Tragödie, ich bin mehrfach vor Ort gewesen. Viele haben alles verloren. Ihnen greifen wir unter die Arme.

Frage: Können Sie den betroffenen Landwirten und Weinbauern versprechen, dass ihre Schäden weitgehend durch Mittel aus Bund und Ländern, aber auch der EU ausgeglichen werden?

Julia Klöckner: Wir helfen den Betroffenen in dieser Notlage, schnell und solidarisch. Ich hatte mich dafür eingesetzt, dass die Land- und Forstwirtschaft bei der Soforthilfe des Bundes berücksichtigt wird. Das ist in der vergangenen Woche vom Kabinett beschlossen worden. Hier stehen zunächst 200 Millionen aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung, dazu kommen 200 Millionen von den Ländern. Als Bund haben wir außerdem zugesichert, uns nach Abschätzung der Gesamtschäden am längerfristigen Wiederaufbau der Infrastruktur zu beteiligen. Gemeinsam mit der Landwirtschaftlichen Rentenbank haben wir darüber hinaus ein Programm zur Liquiditätssicherung aufgelegt, das bereits abgerufen werden kann. Und auch von der EU-Kommission habe ich die Zusage erhalten, dass sie unbürokratisch unterstützt. Es ist ein Bündel an Maßnahmen, auch Stundungen bei der Sozialversicherung sind enthalten.

Frage: Was bedeutet diese Katastrophe längerfristig? Muss die Bewirtschaftung von landwirtschaftlichen Flächen mancherorts aufgegeben werden, weil sie als Folge des Klimawandels zu risikobehaftet sind? Bedarf es Produktionsumstellungen?

Julia Klöckner: Das wird im Einzelfall beurteilt werden müssen. Wichtig ist, dass wir aus den Ereignissen die richtigen Lehren ziehen. Wir haben ambitionierte Klimaschutzziele, und die müssen wir mit ganzer Kraft verfolgen. Das wird Geld und Anstrengung kosten. Aber die Flutkatastrophe hat uns gezeigt, dass es teurer wird und immenses Leid entsteht, wenn wir zu wenig tun. Ein zweiter Punkt ist eine bessere Vorsorge: Da geht es um Schutzmaßnahmen wie Deiche, Kanäle, Talsperren oder Rückhaltebecken. Ich konnte bei den Verhandlungen zu der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik, der GAP, erreichen, dass der vorsorgende Hochwasserschutz weiterhin aus diesem Topf finanziert wird, die Streichung war bei anderen bereits vorgesehen. Aus Mitteln des Bundes und der GAP können Ortschaften in ländlichen Räumen damit wirkungsvoll vor Hochwasser geschützt werden, zum Beispiel durch den Neubau und Verstärkung von Hochwasserschutzanlagen.

Frage: Was halten Sie von einem ständigen Katastrophen-Vorsorgefonds von Bund und Ländern, der in Notfällen rasch angezapft werden kann, auch um Schäden landwirtschaftlicher Betriebe abzufedern?

Julia Klöckner: Da stellen sich zahlreiche Fragen zur genauen Umsetzung und Ausgestaltung. Fakt ist doch, dass wir als Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern zügig und unbürokratisch Hilfen auf den Weg gebracht haben. Auch muss der Schwerpunkt doch auf der Bekämpfung der Ursachen liegen. Zum einen, indem wir den Klimaschutz vorantreiben, aber eben auch planerisch besser vorbeugen. Ganz wichtig ist zudem, dass wir unsere Warnsysteme kritisch hinterfragen. Ein SMS-System – wie es auch in anderen Ländern zur Anwendung kommt – halte ich zum Beispiel für sinnvoll. Das kann dazu beitragen, die Bevölkerung besser und vor allem zielgenau vor solchen Ereignissen zu schützen. Zudem sind die Länder gut beraten, wieder flächendeckend Sirenensysteme einzuführen. Sie funktionieren auch bei Stromausfall und können gerade in der Nacht Menschen dazu bringen, sich zu informieren.

Quelle: "Passauer Neue Presse" vom 29. Juli 2021

Fragen von Gernot Heller

Erschienen am im Format Interview

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