Es braucht mehr Bio in den Regalen und auf den Tellern, auch in der Außer-Haus-Verpflegung.

Interview von Staatssekretärin Silvia Bender mit "Ökologie & Landbau"

Frage: Frau Bender, in der Ökobranche herrscht Aufbruchstimmung. Sie setzt große Erwartungen in die neue Bundesregierung, der Sie als Agrarwissenschaftlerin und ausgewiesene Expertin angehören. 30 Prozent Ökolandbau bis 2030 – das steht in Ihrem Koalitionsvertrag. Mit welchen konkreten Maßnahmen soll dieses Ziel realisiert werden?

Silvia Bender: Zugegeben, 30 Prozent sind ambitioniert, aber durchaus machbar, sonst hätten wir uns dieses Ziel nicht gesetzt. Die Resonanz aus der Biobranche bestätigt diese Einschätzung.

Frage: Verraten Sie uns bitte, was genau Sie vorhaben!

Silvia Bender: Zunächst einmal haben wir in Deutschland eine große Nachfrage nach Bioprodukten – das haben auch wieder unsere Umfrage, das Ökobarometer, und die aktuellen Branchenzahlen bestätigt. Diese Nachfrage kann aber nicht allein aus regionaler Produktion bedient werden. Ziel ist deshalb, den Anteil heimischer Ware zu erhöhen. Es müssen also mehr Betriebe umstellen, damit bei uns mehr Biolebensmittel erzeugt werden. Dafür schaffen wir Umstellungsanreize, auch für Verarbeiter. Außerdem stellen wir mit den Bundesländern sicher, dass Biobetriebe bei der Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) auch von den Eco-Schemes profitieren. Über den steigenden Umschichtungssatz haben wir dafür gesorgt, dass Gelder von der ersten in die zweite Säule verlagert werden. Dadurch verfügen die Länder über mehr Mittel zur Flächenförderung des Ökolandbaus.

Frage: Reicht denn die Nachfrage der Endverbraucher-Haushalte als Pull-Faktor aus, um zu den 30 Prozent zu gelangen?

Silvia Bender: Nein, es braucht mehr Bio in den Regalen und auf den Tellern, auch in der Außer-Haus-Verpflegung. Gerade in den Kantinen des öffentlichen Diensts, in den Schulen, Krankenhäusern haben wir noch großen Nachholbedarf. Um hier etwas zu bewegen, wollen wir mit gutem Beispiel vorangehen. Vereinbart wurde bereits, dass in den Kantinen der Bundesverwaltung bis 2025 ein Bioanteil von 20 Prozent erreicht wird. Das wollen wir noch deutlich weiter steigern.

Frage: Aber – wie Sie eben sagten – in manchen Produktbereichen deckt das heimische Angebot momentan noch nicht die Nachfrage. Ist zur Verwirklichung dieses Ziels dann auch ein großer Teil an Bioware aus dem Ausland vorgesehen?

Silvia Bender: Nicht unbedingt. Wir wollen durch entsprechende Anreize Angebot und Nachfrage vorantreiben. Dazu müssen wir aber auch die Kapazitäten der Verarbeitung in den Blick nehmen. Auch die Verarbeitung von Bioprodukten hat besondere rechtliche, technische und logistische Anforderungen. Mit gezielten Förderanreizen in den zentralen Produktbereichen wollen wir dazu beitragen, dass die Nachfrage nach Bioprodukten im Prozessverlauf möglichst schnell und regional befriedigt werden kann. Zum Beispiel gilt bei der Berliner Schulverpflegung seit letztem Jahr 50 Prozent Bioanteil. Dort wurde zunächst in den Produktgruppen der Anteil von Bio gesteigert, der durch regionale Bioware gedeckt werden kann. Darum wurden Molkereiprodukte wie Joghurt, Sahne oder Quark zuerst im Verpflegungsangebot auf Bio umgestellt, da es in Brandenburg Molkereien gibt, die Großgebinde in Bioqualität liefern können.

Frage: Was werden Sie neben dem Ausbau der Ökogemeinschaftsverpflegung unternehmen, um das Ziel von 30 Prozent Bio zu erreichen?

Silvia Bender: Wir müssen dringend die Verarbeitungsstrukturen ansehen. Sowohl im konventionellen als auch im Biobereich haben wir oft nicht die entsprechenden Voraussetzungen, um die Lücke zwischen Erzeugung und Handel zu schließen. Deswegen werden wir die bereits bestehenden Förderinstrumente für den Aufbau regionaler Biowertschöpfungsketten weiterentwickeln und stärken. Das Portfolio des Bundesprogramms Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft (BÖLN) umfasst bereits vielfältige Förderangebote. Wir stellen diese erneut auf den Prüfstand und sehen, an welchen Stellen noch Stolpersteine aus dem Weg geräumt werden müssen und wo weitere Unterstützung erforderlich ist, dazu gehören auch Kapazitätsausbau und Wissensvermittlung.

Frage: Dafür müssten aber auch mehr Forschungsgelder in die Ökolandbauforschung fließen. Der bisherige Anteil von fünf Prozent ist doch zu wenig, oder?

Silvia Bender: Unser Ministerium hat das viertgrößte Forschungsbudget aller Ressorts. Auch hier streben wir an, den Umfang der Forschungsinitiativen und -gelder zugunsten des ökologischen Landbaus zu erhöhen. Die Forschungsförderung bleibt ein wichtiges Instrument, um den ökologischen Landbau und die gesamte Biolebensmittelwirtschaft gut aufzustellen. Ziel ist, dass mindestens 30 Prozent der landwirtschaftlichen Forschungsgelder in den Ökolandbau fließen. Aber natürlich müssen wir auch solche Forschungsansätze fördern, von der beide Bewirtschaftungssysteme profitieren.

Frage: Zur landwirtschaftlichen Ausbildung, bei welcher der Ökolandbau vielerorts noch ein Nischendasein führt: Was müsste hier Ihrer Meinung nach geändert werden, damit angehende Landwirt*innen für den Nutzen des Ökolandbaus sensibilisiert werden?

Silvia Bender: Nach wie vor überwiegen hier, entsprechend der aktuellen landwirtschaftlichen Betriebsstruktur, die konventionell wirtschaftenden Betriebe. In Bezug auf die Ausbildungsbeteiligung von Ökobetrieben gibt es Nachholbedarf – es geht ja nicht nur um die 30 Prozent Bio, sondern es geht auch darum, die 70 Prozent konventionelle Landwirtschaft ökologischer zu machen. Deshalb möchte ich die Ökobetriebe ausdrücklich auffordern, sich in das System der Berufsausbildung aktiv als Ausbildungsbetriebe einzubringen. Ökolandbau muss in der Ausbildung stärker verankert werden. Themen des ökologischen Landbaus, wie beispielsweise mechanische Unkrautbekämpfung, müssen ganz normaler Teil der Ausbildung für alle Landwirt*innen sein. Genauso normal sollte auch ein Wechsel des Ausbildungsbetriebs vom konventionellen in einen Ökobetrieb und umgekehrt sein.

Frage: Seit Jahren nehmen wirtschaftlicher Druck und Wachstumszwang auf die Landwirt*innen zu, was sich auch am fortschreitenden Höfesterben zeigt. Ist die Biobranche dabei, sich zu konventionalisieren, und begeht sie die gleichen Fehler wie die wachstumsgetriebene konventionelle Landwirtschaft?

Silvia Bender: Meine berufliche Laufbahn habe ich 1998 bei Bioland gestartet. Daher verfolge ich die Entwicklung der Biobranche seit Jahren intensiv. Ja, wir erleben eine gewisse Konventionalisierung des Biomarkts. Die brauchen wir aber auch, um die 30 Prozent zu erreichen. Aus meiner Sicht haben einige Bioverbände mutige Vereinbarungen auf Augenhöhe mit dem Lebensmittelhandel abgeschlossen. Aber trotzdem ist eine Veränderung des Kräfteverhältnisses dringend nötig. Wir müssen die Position der Erzeuger*innen in der Wertschöpfungskette stärken, egal ob konventionell oder bio.

Frage: Wie wollen Sie das bewerkstelligen? Die in den vergangenen Jahren viel beschworene Freiwilligkeit hat eher nichts bewirkt …

Silvia Bender: Unlauterer Wettbewerb muss verboten werden. Neben der Umsetzung der bereits in Kraft getretenen UTP-Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken prüfen wir ein Verbot des Verkaufs unter Produktionskosten. Dafür schauen wir uns die Gesetze an, die in den letzten Jahren in Spanien und Italien verabschiedet wurden. Sie verbieten Einkaufspreise unter den Produktionskosten. Das käme Bio- und konventionellen Produkten zugute, Dumpingpreise werden so verhindert.

Frage: Faire Preise für Landwirt*innen bedeutet auch höhere Lebensmittelpreise für die Endverbraucher*innen. Wie garantiert die Koalition, dass die höheren Preise bei den Erzeuger*innen ankommen und nicht nur höhere Margen für die Handelsunternehmen bedeuten?

Silvia Bender: In Spanien hat das Gesetz gezeigt, dass das Verbot des Einkaufs unter Produktionskosten die Preise für die Endverbraucher*innen nicht zwangsläufig erhöht hat. Dort wurden Wege gefunden, die Margen zwischen Erzeugung und Verarbeitung neu zu verteilen.

Frage: Dennoch müssten hierzulande Lebensmittelpreise auch für Bioprodukte steigen, die ohnehin schon teurer sind. Welche Maßnahmen plant die Koalition, damit sich – trotz höherer Preise – auch Menschen mit geringem Einkommen vernünftig ernähren und sich Bioprodukte leisten können?

Silvia Bender: Wichtig ist, dass wir nicht die verschiedenen Gruppen gegeneinander ausspielen. Landwirtschaftspolitik darf Sozialpolitik nicht ersetzen. Die Ampelkoalition hat beschlossen, den Mindestlohn noch in diesem Jahr auf zwölf Euro zu erhöhen. Man muss sich auch die Sozialleistungen anschauen, ob diese es den Menschen ermöglichen, sich nachhaltig und gesund zu ernähren. Eine gute Ernährung ist die Grundlage für ein gutes Leben. Und dazu sollten alle Menschen Zugang haben.

Frage: Sie haben als Staatssekretärin des Landes Brandenburg den Ökoaktionsplan mit initiiert, der im Januar 2022 veröffentlicht wurde. Können Sie sich so etwas auch für den Bund vorstellen?

Silvia Bender: Ja, die Zukunftsstrategie ökologischer Landbau (ZöL) soll weiterentwickelt und erweitert werden: Interdisziplinär und mit anderen Ressorts wird eine Strategie der Bundesregierung erarbeitet. An der Weiterentwicklung wollen wir sowohl landwirtschaftliche Akteur*innen, Verarbeitung und Handel, andere Fachbereiche und zivilgesellschaftliche Organisationen beteiligen. Und im Koalitionsvertrag steht, dass wir bis 2023 auch eine Ernährungsstrategie entwickeln. Ziel ist eine nachhaltige Ernährungs- und Agrarwende mit einer fachübergreifenden Strategie.

Frage: Und welche Bereiche und Konzepte wollen Sie verstärkt fördern, um die gesamte Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten?

Silvia Bender: Den Umbau der Tierhaltung, was auch gleichbedeutend ist mit dem Abbau der Tierhaltung. Die Bäuerinnen und Bauern sollen mit weniger Tieren das gleiche Geld verdienen können. Auch zum Ziel der EU, Einsatz und Risiko von Pestiziden bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren, wird Deutschland seinen Beitrag leisten. Die Forschung und Entwicklung von regenerativer Landwirtschaft und Agrarökologie möchten wir fördern, sind aber darauf angewiesen, dass hier auch die Länder mitmachen.

Quelle: "Ökologie & Landbau" (02/2022)

Fragen von Steven Geyer, Daniela Vates

Erschienen am im Format Interview

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