"Ernährungsgewohnheiten werden in der Kindheit geprägt"

Auszug aus dem Interview von Bundesminister Cem Özdemir mit der "Stuttgarter Zeitung"

Frage: Herr Özdemir, Sie sind einkaufen. Was liegt an der Kasse auf dem Band?

Cem Özdemir: Ich war bei meiner Bahnfahrt von Berlin nach Stuttgart beim Umstieg einkaufen, unter anderem Brotaufstriche. Beim Nussaufstrich achte ich darauf, dass er fair gehandelt, beim Gsälz, dass es möglichst bio ist. Und auch sonst versuche ich, fair, bio, regional und saisonal einzukaufen. Zudem habe ich im Zug stets Obst dabei. Denn immer, wenn ich ohne unterwegs bin, fällt das Bordbistro aus.

Frage: Sie haben auch süße Sachen aufgezählt.

Cem Özdemir: Die Menge macht das Gift, heißt es. In Maßen ist also auch Süßes in Ordnung. Allerdings kann man die Verantwortung für eine gesunde Ernährung nicht unseren Kindern aufbürden. Dafür müssen wir Erwachsenen sorgen – wobei es die Eltern nicht immer leicht haben. Ein Problem: Kinder werden täglich und auf allen Kanälen regelrecht überflutet mit Werbung für Zuckerbomben sowie viel zu fettige und salzige Lebensmittel. Das beeinflusst das Ernährungsverhalten von Kindern enorm. Die Ampelkoalition hat mich beauftragt, dem einen Riegel vorzuschieben – und das mache ich jetzt, indem wir an Kinder gerichtete Werbung für solche Lebensmittel regulieren. Natürlich können die Unternehmen bei Kindern weiter werben, aber dann für ausgewogene Produkte.

Frage: Warum ist Ihnen ein derartiges Verbot so wichtig?

Cem Özdemir: Ich halte es generell für keinen guten Weg, Geld damit zu verdienen, indem man die Gefährdung der Gesundheit unserer Kinder in Kauf nimmt. Da weiß ich übrigens 85 Prozent der Bevölkerung hinter mir. Und Ärzte, Krankenkassen, Elternvertretungen, Gesundheits- und Ernährungsverbände fordern schon seit Längerem einen besseren Schutz. Die übergewichtigen Kinder von heute sind die ungesunden Erwachsenen von morgen. Ernährungsgewohnheiten werden in der Kindheit geprägt. Gut 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind übergewichtig, Tendenz steigend. Damit ist ein Punkt erreicht, an dem der Staat eingreifen muss. Alle Selbstverpflichtungen der Branche haben nichts gebracht.

Frage: Glauben Sie wirklich, dass Kinder ohne Werbung weniger Süßes essen?

Cem Özdemir: Die Werbeindustrie behauptet, Werbung animiere Kinder nicht zum Konsum. Ich stelle immer die Gegenfrage: Wieso werbt ihr dann weiter? Warum steckt ihr da viel Geld rein, wenn es keinen Effekt hat? Allein 2022 wurde über eine Milliarde Euro nur für Süßigkeiten-Werbung ausgegeben. Klar ist, Kinder, die Medien nutzen, sehen täglich im Schnitt 15-mal Werbung für Lebensmittel mit zu hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt.

Frage: Ein Verbot kostet nichts. Wäre es nicht sinnvoller, unter anderem auf mehr Bewegung zu setzen, also den Schulsport zu fördern, der oft genug ausfällt? Wieso wird nicht mehr Geld investiert?

Cem Özdemir: Sie rennen bei mir offene Türen ein. Das eine machen und das andere nicht lassen: Die Werberegulierung ist nur ein Baustein der Ernährungsstrategie der Bundesregierung, die mein Ministerium gerade erarbeitet. Dazu gehören aber auch ausreichend Bewegung und gesunde Gemeinschaftsverpflegung – da muss man in den Schulen ansetzen. Am liebsten wäre es mir, wir hätten jeden Tag Sportunterricht und flächendeckend Schulmensen mit gesundem und leckerem Essen.

Frage: Was umfasst Ihr geplantes Verbot?

Cem Özdemir: Grundsätzlich geht es um alle Lebensmittel mit zu viel Zucker, Fett oder Salz. Wir orientieren uns dafür an den wissenschaftlichen, etablierten Nährwert-Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Und was die Werbung betrifft: Da spielen Art, Inhalt, Gestaltung und das Werbeumfeld eine Rolle.

Frage: Wie halten Sie es bei Ihren beiden Kindern mit Süßem?

Cem Özdemir: Selbstverständlich durften die beiden schon immer Süßes essen, aber eben in Maßen. Ein Verbot hätte schon deshalb nicht funktioniert, weil ihnen meine inzwischen leider verstorbene Mutter aus Bad Urach immer riesige Care-Pakete mitgebracht hat – als ob es in Berlin keine Schokolade gäbe.

Frage: Sie naschen bestimmt auch. Was ist Ihre Lieblingssüßigkeit?

Cem Özdemir: Klar nasche ich. Ich habe immer Obst und Nüsse parat. Das sind gesunde Snacks, die mich vor Süßigkeiten-Heißhunger bewahren. Ansonsten mag ich dunkle Schokolade. Vollmilch ist mir mittlerweile meistens zu süß. Gut möglich, dass das mit dem Alter zusammenhängt.

Quelle: Stuttgarter Zeitung vom 08. März 2023

Fragen von Bettina Hartmann

Erschienen am im Format Interview

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