"Kinder schützen und Eltern unterstützen, darum geht es"

Auszug aus dem Interview von Bundesminister Cem Özdemir mit "Table Berlin"

Frage: Herr Özdemir, mit Ihrem Werbeverbot für Kinder-Schleckereien haben Sie sich gerade viele Feinde gemacht, in der Werbe- und Lebensmittel-Industrie, aber auch in der eigenen Regierungskoalition. Viel Feind, viel Ehr?

Cem Özdemir: Das ist die eine Perspektive. Auf der anderen Seite befürworten 85 Prozent der Bevölkerung eine Werberegulierung, um unsere Kinder zu schützen. Es kann ja kein Zweifel daran bestehen, dass Kinder das Wertvollste sind, das wir haben. Zudem weiß ich hinter dem Vorhaben Kinderärzte und Krankenkassen, den Verbraucherschutz, Elternvertretungen, Gesundheits- und Ernährungsverbände und viele mehr. Dieses breite gesellschaftliche Bündnis fordert schon lange einen besseren Schutz für unsere Kinder. Und um einen Angriff schon mal vorwegzunehmen: Weder wird Werbung per se verboten, noch werden irgendwelche Lebensmittel verboten.

Frage: Das bedeutet?

Cem Özdemir: Wir arbeiten den Auftrag aus dem Koalitionsvertrag ab, das heißt, unsere geplante Regulierung betrifft Werbung für Produkte mit deutlich zu viel Zucker, Fett oder Salz. Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Passen die Unternehmen zum Beispiel ihre Rezepturen an, können sie ihre Produkte ohne Einschränkungen bewerben.

Frage: Haben Sie mit dieser Wucht gerechnet? Gesundheitsexperten haben Sie ja auf Ihrer Seite.

Cem Özdemir: Dass es auch kritische Stimmen geben würde, überrascht mich nicht. Einige Leute verdienen sehr gut und haben kein Interesse daran, sich umzustellen. Im letzten Jahr wurde mehr als eine Milliarde allein für Süßigkeiten-Werbung ausgegeben, das ist also ein sehr lukratives Geschäft. Gegen Geschäfte habe ich nichts, aber sie dürfen nicht auf Kosten der Gesundheit unserer Kinder gehen. Gut 15 Prozent unserer Kinder und Jugendlichen sind übergewichtig. Viele davon bleiben es ein Leben lang. Das heißt, diese Kinder haben von Anfang an schlechtere Chancen im Leben. Gutes Essen ist auch eine Sache von Fairness. Es geht um besseren Schutz für Kinder und um Unterstützung für Eltern. Wenn jemand dieses Argument nicht überzeugt, der kann sich auch ganz nüchtern die Folgen für unsere Volkswirtschaft anschauen: Allein durch Adipositas entstehen in Deutschland gesamtgesellschaftliche Kosten in Höhe von 63 Milliarden. Pro Jahr!

Frage: Aber sind da nicht vor allem die Eltern in der Pflicht?

Cem Özdemir: Allein kommen viele Eltern gegen diese Werbeflut nicht an, es sei denn, sie lassen ihre Kinder nicht mehr raus, schaffen den Fernseher ab und verbieten ihnen Handy und Computer. Kinder, die Medien nutzen, sehen täglich im Schnitt 15 Mal Werbung für Zuckerbomben und Co im Fernsehen und im Internet. Natürlich beeinflusst das ihr Essverhalten. Wie wir uns ernähren, wird in der Kindheit geprägt, und darum müssen wir hier ansetzen.

Frage: Sie kennen das Sprichwort: "Fresser werden nicht geboren, Fresser werden erzogen." Sind Sie der neue Erziehungsminister?

Cem Özdemir: Ich kenne auch ein Sprichwort: "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr." Wir brauchen also eine Ernährungsumgebung, in der Kinder gesund aufwachsen können. Kinder schützen und Eltern unterstützen, darum geht es.

Frage: Die Zeitungsverleger sprechen von einem Angriff auf die Pressefreiheit durch das Verbotsvorhaben, weil Medien sich durch Werbung finanzieren. Hatten Sie diese Folge bedacht?

Cem Özdemir: Den Vorwurf finde ich inhaltlich und im Ton übertrieben. Nochmals: Niemand verbietet Werbung! Uns geht es um Werbung für viel zu süße, salzige und fettige Lebensmittel, die sich an Kinder richtet und deren Gesundheit riskiert. Da geht es also um Art, Inhalt, Gestaltung oder auch das Werbeumfeld. Natürlich können Unternehmen auch bei Kindern weiter werben, aber dann eben für ausgewogene Produkte. Manche Hersteller machen das übrigens schon längst und verweisen explizit darauf, dass etwa ihre Frühstückscerealien die wissenschaftlich basierten Nährwert-Kriterien der Weltgesundheitsorganisation einhalten, an denen wir uns orientieren.

Frage: Im Ernst: Hat Ihr Verbotsvorhaben, so gut gemeint es ist, überhaupt eine Chance? Wie wollen Sie den Konflikt mit Werbebranche und Süßwarenindustrie lösen?

Cem Özdemir: Ich weiß ja nicht, mit wem Sie bisher darüber gesprochen haben. Ich freue ich mich über die riesige Unterstützung aus der Gesellschaft, gerade auch von so vielen Eltern. Auch die Verbraucherschutzministerinnen und -minister der Länder haben mich ja parteiübergreifend aufgefordert, hier aktiv zu werden. Und in der Koalition haben wir uns ja, wie bereits gesagt, auf diesen Auftrag geeinigt. Jetzt werden wir die Details diskutieren.

Quelle: Table Berlin vom 08. März 2023

Fragen von Stefan Braun und Annette Bruhns

Erschienen am im Format Interview

Zum vollständigen Interview

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