"Nie zuvor hat eine Bundesregierung mehr für den zukunftsfesten Umbau der Tierhaltung bereitgestellt."

Interview von Bundesminister Cem Özdemir mit der "Agrarzeitung"

Frage: Herr Özdemir, am vergangenen Freitag hat der Bundestag endlich Ihrem Tierhaltungskennzeichengesetz zugestimmt und gleichzeitig die Novelle des Bauplanungsrechts für Ställe beschlossen. Sind Sie erleichtert?

Cem Özdemir: Es gibt das Zitat von Albert Camus: "Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen." So geht es mir manchmal als Bundeslandwirtschaftsminister – nur mit dem entscheidenden Unterschied, dass ich den Stein irgendwann auch oben habe. Genau das passiert jetzt mit dem ersten Stein. Das Tierhaltungskennzeichen kommt. Diese Grundsatzfrage ist jetzt entschieden und es ist ja nahezu Allgemeinwissen, dass viele Vorgängerregierungen daran gescheitert sind. Von jetzt an geht es genau in diese Richtung weiter. Wir arbeiten bereits an der Ausweitung der Kennzeichnung auf die Außer-Haus-Verpflegung sowie weitere Lebensabschnitte bei den Schweinen. Später kommen weitere Nutztierarten dazu. Wer jetzt noch so tut, als könne er es zurückdrehen oder blockieren, macht Wahlkampf auf dem Rücken der Landwirtinnen und Landwirte.

Frage: Die staatliche Kennzeichnung gilt zunächst für frisches Schweinefleisch im LEH und in Metzgereien. Deutschland ist bei Schweinefleisch aber besonders auf Exportmärkte angewiesen, für die die staatliche Kennzeichnung gar keine Rolle spielen wird. Vernachlässen Sie diesen wichtigen Absatzmarkt oder ist das Ihr nächster Stein?

Cem Özdemir: Die Afrikanische Schweinepest hat vielen Betrieben in einer sowieso seit Jahren angespannten Situation zusätzliche Probleme bereitet. Wir arbeiten intensiv daran, dass die Exportbeschränkungen gerade in Asien wegfallen und wir die Regionalisierungsstrategie umsetzen können. Mit Südkorea ist uns das schon gelungen und ich hoffe, dass wir auch mit China einen solchen Weg hinbekommen.

Frage: Wie weit fortgeschritten sind die Verhandlungen mit China für ein Regionalisierungsabkommen?

Cem Özdemir: Wir versuchen gerade bei allen Unterschieden, die wir natürlich mit China in anderen Bereichen haben, vorwärtszukommen. Die Afrikanische Schweinepest ist nicht überall hierzulande ausgebrochen, insofern wäre das Konzept, nur betroffene Regionen vom Export auszunehmen, genau der richtige Weg.

Frage: Auch beim Umbau der Tierhaltung in Deutschland sind Sie noch längst nicht am Ende. Wie sehr fürchten Sie, dass Ihnen die FDP mit ihrer Blockadehaltung bei der Finanzierung weiter das Leben schwermacht?

Cem Özdemir: Wir haben zwar hier und da Meinungsverschiedenheiten, aber auch grundsätzlich einen Konsens, das Thema in der Koalition voranzubringen. Es geht um die Zukunft der Tierhaltung in Deutschland – und dafür lohnt es sich, um die beste Lösung zu ringen. Was die Finanzierung betrifft, habe ich zunächst eine Milliarde Euro sichern können, das reicht für den Einstieg bei der Schweinemast. Nie zuvor hat eine Bundesregierung mehr für den zukunftsfesten Umbau der Tierhaltung bereitgestellt. Aber wir brauchen eben auch eine langfristige Finanzierung, um weitere Tier arten einbeziehen zu können.

Frage: Wie realistisch ist es denn, die Einführung einer Tierwohlabgabe bei den Sparvorgaben aus dem Bundesfinanzministerium durchzusetzen?

Cem Özdemir: Andersherum: Man kann nicht einerseits auf den Umbau der Tierhaltung pochen und immer dann, wenn es konkret wird, "Nein" sagen. Für die Anhebung der Mehrwertsteuer von 7 auf 19 Prozent bei tierischen Produkten gibt es derzeit keine Mehrheit in der Koalition. Und den Umbau komplett über staatliches Geld aus dem Haushalt zu finanzieren, ist bei den Sparvorgaben aus dem Bundesfinanzministerium unrealistisch. Deswegen bleibt eigentlich nur die Einführung einer Verbrauchssteuer auf tierische Produkte, auch das ist ja von der Borchert-Kommission vorgeschlagen.

Frage: Was sorgt Sie mit Blick auf die Sparvorgaben am meisten?

Cem Özdemir: Dass wir nun konkret bei den Mitteln für die ländlichen Räume sparen sollen, halte ich strategisch für falsch. Jeder Hof, der aufgibt, schwächt den ländlichen Raum. Hinzu kommt, dass sich viele Landwirte und Landwirtinnen gesellschaftlich engagieren, sei es bei der freiwilligen Feuerwehr oder im Gemeinderat. Wenn die Förderung von Ehrenamt und gesellschaftlichem Engagement im ländlichen Raum wegbricht, entsteht da eine gefährliche Lücke, die von den radikalen Kräften gefüllt wird. Investitionen in den ländlichen Raum, die regionale Wirtschaft und den Umbau der Tierhaltung sind deswegen auch eine Investition in den Erhalt demokratischer Strukturen.

Frage: Verfangen diese Argumente bei Bundesfinanzminister Christian Lindner?

Cem Özdemir: Wir sind mitten in den Verhandlungen, denen will ich nicht vorgreifen. Selbstverständlich habe ich auch in der FDP viele Verbündete. Die Kollegen der FDP-Bundestagsfraktion, die aus Niedersachsen kommen, sind beispielsweise sehr nah dran am Thema Tierhaltung und wissen um die Bedeutung der Schweinehaltung.

Frage: Stimmt, die FDP in Niedersachsen hat im August 2022 vorgeschlagen, über ein Bundesgesetz die Einrichtung eines Tierwohlfonds zur finanziellen Unterstützung der Landwirt:innen zu ermöglichen. Der Fonds soll durch eine zweckgebundene Tierwohlabgabe auf Fleischprodukte gespeist werden, die durch die Marktteilnehmer für das in Deutschland verkaufte Fleisch von ihren Kunden erhoben wird. Aber aus der Bundes-FDP kamen sofort verfassungsrechtliche Bedenken. Was soll denn nun die Kehrtwende bringen?

Cem Özdemir: Diese Form der privatwirtschaftlichen Finanzierung wird von der Landwirtschaft abgelehnt, denn da fehlt die staatliche Verbindlichkeit. Schauen Sie, Politik ist das Bohren von dicken Brettern. Wenn mich ständig der Zweifel plagen würde, wären wir nach anderthalb Jahren Regierungszeit nicht schon so viel weiter, als es meine Vorgänger jemals waren.

Frage: EU-Vizepräsident Frans Timmermans kämpft zurzeit für die Sustainable Use Regulation, die von der EVP blockiert wird. Sollte das nicht gelingen, wollen Sie dann in Deutschland einen nationalen Weg einschlagen, um Pflanzenschutzmittel zu reduzieren?

Cem Özdemir: Es ist in Deutschlands Interesse, dass es eine europäische Regelung gibt, die EU- weite Standards für das Reduktionsniveau etabliert. EU-weite Regeln für den Pflanzenschutz sorgen für ein level playing field – und damit für gleiche Wettbewerbsbedingungen. National haben wir bereits den Weg zu Einsparungen angelegt und sind mit Vereinbarungen wie dem baden-württembergischen Biodiversitätsstärkungsgesetz oder dem Niedersächsischen Weg gestartet, um weiter voranzukommen. Unser Interesse ist, dass auch andere EU-Mitgliedstaaten aus Fairnessgründen nachziehen müssen. Aber Sie kennen diesen Spruch: "Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert." Das gilt leider auch für die SUR. Das fängt an bei der abenteuerlichen Definition für die sensiblen Gebiete und hört nicht auf bei der Frage des Referenzzeitraums, der den Reduktionszielen zugrunde gelegt werden soll. Unser Ziel ist, Regelungen zu erreichen, die auch für Sonderkulturen wie den Obst- und Weinbau tragfähig sind. Klar ist für mich aber auch: Wir sollten die SUR auf europäischer Ebene nun zügig und unter Beachtung der deutschen Kritik zu Ende verhandeln, denn das bedeutet beim Thema Pflanzenschutz Planungs- und Investitionssicherheit für die Betriebe.

Frage: Was sagen Sie zu der Kritik, dass die SUR die Eigentumsrechte der Landwirtschaft beschneide und die Ernährungssicherung gefährde?

Cem Özdemir: Ich glaube, dass solche Behauptungen übers Ziel hinausschießen und der Qualität der Debatte schaden. Wir sind doch eigentlich schon viel weiter – denken Sie an den Konsens der Zukunftskommission Landwirtschaft, die ja festgestellt hat, dass wir zu einem nachhaltigen Pflanzenschutz kommen müssen. Es geht um den Schutz unserer natürlichen Ressourcen, unsere Landwirtschaft ist auf Artenvielfalt und stabile Ökosysteme angewiesen. In der Praxis gibt es immer mehr gute Lösungen für nachhaltigen Pflanzenschutz, das zeigen mir die Betriebe bei meinen Hofbesuchen. Mein Angebot ist, die guten Lösungen weiter nach vorn zu bringen und die Höfe bei zukunftsfestem Pflanzenschutz zu unterstützen.

Quelle: Agrarzeitung vom 26. Juni 2023

Fragen von Henrike Schirmacher

Erschienen am im Format Interview

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