"Der Wolf ist hier mancherorts zum Problem geworden, das ist eindeutig so."

Interview von Bundesminister Cem Özdemir mit der "Allgäuer Zeitung"

Frage: Viele Bauern im Allgäu ächzen unter immer mehr Bürokratie. Wie steuern Sie hier gegen – oder können Sie das gar nicht?

Cem Özdemir: Natürlich stehen Landwirte lieber auf dem Feld oder im Stall als vor dem Rechner zu sitzen. Dort, wo sich Bürokratie als überflüssig erweist, wollen wir sie abbauen. Deshalb prüfen wir zum Beispiel gerade, ob wir die Meldepflichten vereinfachen können. Auch auf der europäischen Ebene, im Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik, muss es dringend Fortschritte beim Bürokratieabbau geben – im Sinne der Bauern, aber auch für die Beschäftigten in den Verwaltungen. Gerade bei der Ausgestaltung von Fördermaßnahmen und den damit verbundenen Kontrollen brauchen wir erhebliche Vereinfachungen. Dafür setze ich mich auf europäischer Ebene weiter ein.

Frage: Die bodennahe Gülleausbringung, die ab 2025 Pflicht sein soll, könnte im Allgäu für Landwirte zum Problem werden. Etwa für kleine und mittlere Betriebe, denn die Kosten für die neue Technik sind hoch. Wird es hier noch Ausnahmen geben?

Cem Özdemir: Warum gibt es diese EU-Vorgabe: Weil bei der Gülleausbringung Ammoniak entweicht, dieser führt zu Feinstaub und belastet die Umwelt und unsere Gesundheit. Natürlich gibt es Regionen im Allgäu, in denen die Vorgaben nicht so leicht einzuhalten sind, da stimme ich Ihnen zu. Deswegen gibt es Ausnahmen zum Beispiel für kleinere Betriebe oder bei Sicherheitsaspekten an Hängen. Die wichtigen Ausnahmen sind Ländersache. In Bayern gilt die Pflicht zum Beispiel erst ab 15 Hektar. Mein Haus unterstützt Betriebe außerdem noch durch Förderung im Investitions- und Zukunftsprogramm. Hier können Gelder für moderne Geräte beantragt werden, so dass die finanziellen Belastungen abgefedert werden. 

Frage: Sie wollen die Anbindehaltung für Rinder nach und nach abschaffen. Auch das würde gerade für kleine Betriebe im Allgäu erhebliche Kosten bedeuten – etwa für den Umbau der Ställe. Viele Landwirte sehen ihre Existenz gefährdet. Was sagen Sie denen?

Cem Özdemir: Die Bundesregierung möchte ein Ende der ganzjährigen Anbindehaltung. Sie passt nicht mehr in unsere Zeit und deshalb haben wir es auch in unseren Entwurf zum Tierschutzgesetz geschrieben. Ich sehe aber die Bedeutung der Rinderhaltung für unsere Alpen und artenreichen Kulturlandschaften in Süddeutschland, gerade hier im Allgäu. Deshalb geben wir der Kombihaltung eine Zukunft in unserem Entwurf, weil er Tierschutzinteressen mit Naturschutzinteressen verbindet. Ich hoffe, dass wir uns auf einen gangbaren Weg verständigen können. Hierzu bin ich in enger Abstimmung mit den bayerischen Grünen. In der Koalition laufen jetzt die Gespräche für die Finalisierung des Entwurfs. 

Frage: Der Wolf macht der Alpwirtschaft große Sorgen. Aus Brüssel kommt jetzt das Signal, dass der Abschuss erleichtert werden könnte. Unterstützen Sie das?

Cem Özdemir: Ich bekenne mich zur Alpwirtschaft ohne jedes Wenn und Aber. Ich will, dass weiterhin Schafe, Rinder und Ziegen auf unseren Weiden stehen, und zwar so sicher wie möglich. Der Wolf ist hier mancherorts zum Problem geworden, das ist eindeutig so. Es muss künftig leichter möglich sein, einzelne Wölfe und auch ganze Rudel zu entnehmen, wenn sie Herdenschutzmaßnahmen überwinden und Tiere töten. Bislang scheitern solche Abschüsse leider oftmals an Rechtsunsicherheiten und langwierigen Verfahren bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben – und das gehört schnell abgestellt. Wir brauchen hier Klarheit! Ich unterstütze daher meine Kollegin Steffi Lemke, Bundesministerin für Umwelt und Naturschutz, und ihre Initiative, sich mit den Ländern für eine vereinfachte Anwendung der geltenden Regeln einzusetzen. Die Gespräche dazu werden hoffentlich bald zu Ergebnissen führen. Dass die EU-Kommission den Schutzstatus des Wolfes überprüfen will, begrüße ich.

Quelle: Allgäuer Zeitung vom 14. September 2023

Fragen von Andreas Berger

Erschienen am im Format Interview

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