Ich will, dass unsere Weidetierhalter ruhig schlafen können.

Auszüge aus dem Interview von Bundesminister Cem Özdemir mit der "Süd-West-Presse"

Frage: Herr Minister, die Bundesregierung hat 2021 im Koalitionsvertrag vereinbart, den Ländern "europarechtskonform ein regional differenziertes Bestandsmanagement" beim Wolf zu ermöglichen. Warum dauert das so lang?

Cem Özdemir: Als Landwirtschaftsminister geht es mir vor allem um den Erhalt der Kulturlandschaft, etwa der landschaftsprägenden Wiesen im Südschwarzwald oder der Wacholderheiden auf der Schwäbischen Alb. Das ist auch aus naturschutzfachlicher Sicht wichtig, da die Weidetierhaltung die Artenvielfalt im Offenland sichert. Die wachsende Wolfspopulation stellt die Weidehalter vor enorme Herausforderungen. Jeder Wolfsriss ist mit wirtschaftlichen und psychischen Belastungen verbunden. Deshalb müssen Weidetierhalter Sicherheit vor dem Wolf haben. Darum geht es jetzt, und nicht um ein billiges Schwarzer-Peter-Spiel mancher Kollegen der Union, die bis 2021 in Berlin und bis heute in Brüssel für die Wolfsgesetzgebung verantwortlich waren. Ich will gerechte Lösungen für unsere Tierhalter. Unter einer grünen Umweltministerin sind die Regeln zur Wolfsentnahme jetzt immerhin gelockert worden. Das war ein richtiger Schritt.

Frage: Die Umweltministerkonferenz der Länder hatte im Dezember beschlossen, bestimmten Regionen Schnellabschüsse zu ermöglichen. Gerichte in Niedersachsen haben eine entsprechende Genehmigung jetzt aber gestoppt. Wie rechtssicher ist der Umgang mit problematischen Wölfen?

Cem Özdemir: Die Landwirtinnen und Landwirte erwarten von uns zu Recht rechtssichere Lösungen und konkrete Unterstützung. Es ist unsere – auch meine – Aufgabe, das zu organisieren, damit Schafe, Ziegen oder Kälber sicher auf der Weide stehen. Für mich gilt: Wenn es konkrete Probleme mit Wölfen gibt, sind Abschüsse notwendig. Punkt. Ich will, dass unsere Weidetierhalter ruhig schlafen können. Der einfachere Abschuss auffälliger Wölfe muss also auch funktionieren. Deswegen habe ich von Anfang an gesagt, dass wir die Regelung evaluieren müssen. Bringt sie, was sie verspricht? Wir müssen jetzt genau hinschauen, warum die Gerichte das stoppen, da warten wir noch auf die Urteilsbegründung. Wenn die Regel nicht funktioniert, muss etwas geändert werden.

Frage: Der jetzt gestoppte Ansatz geht auf Ihre Parteifreundin, Bundesumweltministerin Steffi Lemke, zurück. Das "Forum Weidetiere und Wolf" hat die Regelung als „handwerklich schlecht“ kritisiert und die Bundesregierung gleichzeitig aufgefordert, ihre Ablehnung gegen den Vorschlag der EU-Kommission aufzugeben, den Wolf schwächer zu schützen. Können Sie die Kritik an der Ampel und an Ihrer Partei verstehen?

Cem Özdemir: Ich finde es richtig, dass die EU-Kommission den Schutzstatus des Wolfs überprüft.

Frage: Am Dienstag war "Tag des Wolfes" in Deutschland. Wie blicken Sie generell auf die Rückkehr des Tiers?

Cem Özdemir: Ja, die Rückkehr des streng geschützten Wolfes ist ein Erfolg der Artenschutzpolitik, aber niemand kann von einem Schafhalter erwarten, dass er das genauso feiert wie ein Naturschützer. Und wem der Erhalt unserer Wacholderheiden auf der Schwäbischen Alb und anderer wunderschöner Kulturlandschaften genauso am Herzen liegt wie mir, der weiß auch: Hier brauchen wir Weidetiere, um Natur und Artenvielfalt zu erhalten. Darum wünsche ich mir mehr Verständnis für die Herausforderungen, die eine wachsende Wolfspopulation mit sich bringt. Wir müssen jetzt schauen, dass wir auch die Akzeptanz in der Bevölkerung behalten. Wenn die Gefahr von Wolfsrissen steigt und wir neben Herdenschutz keine weiteren Gegenmaßnahmen haben, wird das kippen.

Frage: Was schlagen Sie jetzt vor?

Cem Özdemir: Um eins klar zu sagen: Weidetierhaltende sollen nicht aufgeben müssen. Ihre Unterstützung steht für mich als Landwirtschaftsminister im Fokus – beim Wolf, aber auch bei den restlichen Rahmenbedingungen. Für den Herdenschutz erhalten die Betriebe vom Bund und von den Ländern Geld, um spezielle Zäune zu kaufen und diese zu unterhalten. Auch für Herdenschutzhunde gibt es Geld. Wir zahlen das zu 100 Prozent! Wo es trotzdem Probleme gibt, müssen wir nachschärfen, wenn die Regeln nicht funktionieren. Dazu gehört auch, dass der präventive Schutz in bestimmten Alpen- und Deichregionen manchmal unmöglich zu realisieren ist, hier müssen daher machbare Lösungen entwickelt werden.

Quelle: Süd-West-Presse vom 01.05.2024

Fragen von Jens Schmitz

Erschienen am im Format Interview

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