Wir müssen den Wald umbauen, damit er in Zukunft der Hitze trotzen kann.

Interview von Bundesminister Cem Özdemir mit dem Jahresmagazin der AGDW – Die Waldeigentümer

Frage: Herr Minister, die zweite Hälfte der Wahlperiode ist eingeläutet. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie mit Blick auf die Waldpolitik?

Cem Özdemir: Wir haben einiges geschafft – und das unter erschwerten Bedingungen. Trotz knapper Kassen und harter Sparvorgaben des Finanzministers sind im Bundeshaushalt in diesem Jahr 250 Millionen Euro für Waldfördermaßnahmen allein über die GAK und das Förderprogramm Klimaangepasstes Waldmanagement eingeplant. Mit meiner Kollegin Klara Geywitz habe ich die Holzbauinitiative gestartet – wir wollen den Rohstoff Holz besser nutzen und können so den Wald fit machen für die Herausforderungen der Klimakrise. Dazu werden wir auch das Bundeswaldgesetz überarbeiten. Wir müssen es modernisieren – vor 50 Jahren hat sich noch niemand um die Klimakrise gekümmert, heute ist sie die größte Bedrohung für unseren Wald. Da müssen wir ran. Seien Sie sich sicher: Wir werden ein gutes Gesetz vorlegen, ein schlankes Gesetz, das Ihre Interessen berücksichtigt und einen fairen Ausgleich schafft zwischen Nutzen und Schützen. 

Frage: Der Waldumbau für klimastabile Wälder hat gerade erst begonnen. Wie wollen Sie die notwendigen regionalen Lösungen im Waldbau stärken?

Cem Özdemir: Wir müssen den Wald umbauen, damit er in Zukunft der Hitze trotzen kann, und längeren Trockenperioden – das ist eine enorme Aufgabe, die gerade erst begonnen hat und die uns alle fordern wird. Da sind Sie als Praktiker ganz zentral und ganz besonders gefragt. Also keine Sorge: Ich werde sicherlich nicht aus meinem Büro entscheiden, wo eine Buche oder eine Esche hin soll (lacht). Nur die Waldbesitzenden und die Förster vor Ort können entscheiden, welche Baumart wo passt, um klimastabile Wälder zu entwickeln. Gerade die Waldbesitzenden haben, mit Unterstützung des Bundes und der Länder, in den letzten Jahren bereits viel geleistet, um die Wälder klimafest zu machen. Das ist mir wichtig: die Expertise der Forstleute vor Ort einzubinden. So wird die GAK über die Länder umgesetzt, und beim Förderprogramm Klimaangepasstes Waldmanagement beziehen wir waldbauliche Leitlinien der Länder ein.

Frage: Der Wissenschaftliche Beirat für Waldpolitik hat sich 2023 in einem Gutachten für eine "anpassungsfähige forstliche Governance" und im Grunde gegen zusätzliche bundesweite Vorgaben im Waldmanagement ausgesprochen. Warum folgen Sie dem Rat nicht mit Blick auf Ihr Vorhaben eines neuen Bundeswaldgesetzes?

Cem Özdemir: Wir folgen ihm! Der Beirat schlägt ein Mindestmaß an einheitlichen Standards vor, die sich aus der Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums ergeben. Auf diesen Mindeststandards sollen dann weitere Instrumente aufbauen, wie die Förderung, um die waldpolitischen Ziele zu erreichen. Dieser Mix aus wenigen einheitlichen Regeln und Spielräumen für die Entscheidungen vor Ort: Das ist das Erfolgsrezept, das der Beirat vorschlägt, und das werde ich auch so anwenden.

Frage: Die Waldwirtschaft sieht sich hohem Bürokratie-Aufwuchs durch neue nationale und EU-Vorgaben ausgesetzt. Dabei hatten Sie sich als Chef des Wirtschafts-Teams der Grünen in den Koalitionsverhandlungen der Ampel für Bürokratieabbau eingesetzt. Wie passt das zusammen?

Cem Özdemir: Niemand wird Landwirt oder Förster, um besonders oft am Schreibtisch zu sitzen. Ich setze mich deshalb – ob in der Land- oder der Forstwirtschaft – für den Abbau unnötiger Bürokratie ein. Aber Regeln sind auch wichtig für unser Zusammenleben – ich will, dass sie möglichst einfach sind, für Waldbesitzende und für die Verwaltung. Nehmen wir die EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten. Da gibt es Erleichterungen für die Land- und Forstwirtschaft in der EU, da direkt produziert wird, ohne Lieferkette. Für Waldbesitzende gibt es dann deutliche Vereinfachungen, beispielsweise bei der Geolokalisierung. 

Frage: Hinsichtlich der 2022 in Brüssel beschlossenen EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten herrscht massive Verunsicherung bei den Waldbauern. Welche Lösung streben Sie an?

Cem Özdemir: Ich mache da in Brüssel richtig Dampf. Wir laufen Gefahr, dass Deutschland eingestuft wird als ein Land, in dem es ein Entwaldungsrisiko gibt. Ein Witz, weil bei uns bekanntlich die Waldfläche in den vergangenen Jahrzehnten zu- und nicht abgenommen hat. Vor allem: Das würde für uns zum Bürokratiemonster werden, völlig ohne Grund. Das will ich verhindern. Ich habe darum, in gemeinsamer Initiative mit Bundesumweltministerin Steffi Lemke, und unterstützt von weiteren EU-Staaten den Umweltkommissar angeschrieben: Die EU-Kommission muss angemessene Maßnahmen vorlegen, die eine verantwortungsvolle und nahtlose Anwendung der Verordnung sicherstellen. Ich stehe voll hinter der Verordnung. Wenn wir die Wälder weltweit vor Entwaldung schützen wollen, brauchen wir sie. Aber wir müssen das so einfach machen wie möglich. Dafür setze ich mich ein.

Frage: Die Bundesregierung hat die Holzbauinitiative aufgelegt. Andererseits drohen politisch bedingte Nutzungsbeschränkungen im Wald, die das Holzangebot verknappen. Wie wollen Sie den Widerspruch auflösen?

Cem Özdemir: Wir haben bundesweit genug Holz für den Holzbau. Im Gegenteil machen mir die Vorräte bei Fichte und Kiefer sogar etwas Sorge. Dieses Holz müssen wir in Zukunft verstärkt nutzen, auch um die Entwicklung hin zu klimastabilen Mischwäldern zu befördern. Und nur so sichern wir Einkommen und Arbeit durch Forstwirtschaft. Das Bauen mit Holz bietet eine hervorragende und zudem klimafreundliche Möglichkeit, das zukünftig verstärkt anfallende Nadelholz mit hoher Wertschöpfung vor Ort zu verwenden.

Frage: Sie haben 2023 dankenswerterweise den dauerhaften Erhalt der Waldförderung in der Gemeinschaftsaufgabe GAK erreicht, trotz Haushaltszwängen. Dagegen laufen die Mittel für die Waldforschung aus dem Waldklimafonds aus. Wie soll es mit der Forschung weitergehen?

Cem Özdemir: Dass der Waldklimafonds ausläuft, bedauere ich sehr. Diese Entscheidung war aufgrund der schwierigen Haushaltsentscheidungen leider nicht mehr abzuwenden. Wir brauchen auch weiter Förderung für Forschungs-, Entwicklungs- und Kommunikationsvorhaben im Waldbereich. Über unsere Fachinstitute am Thünen-Institut und am Julius-Kühn-Institut sowie die Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe (FNR) gibt es hier auch weiter Angebote für die Forst- und Holzwissenschaften. Darüber hinaus fördert das BMEL Forschungs- und Entwicklungsvorhaben im Förderprogramm "Nachhaltige Erneuerbare Ressourcen".

Frage: In nun zweieinhalb Jahren als Minister haben Sie einige Wälder gesehen und mit vielen Waldbesitzerinnen und Waldbesitzern gesprochen. Welche Botschaften und Eindrücke haben Sie bisher mitgenommen?

Cem Özdemir: Dass ich oft in Wäldern unterwegs sein und mit den unterschiedlichsten Menschen sprechen und von ihnen lernen kann, sehe ich als großes Privileg. Der Wald ist für uns als Gesellschaft wichtig, ich würde sogar sagen: identitätsstiftend. Bei meinen Besuchen vor Ort habe ich ohne Ausnahme engagierte Menschen getroffen, die sich – teilweise in langer Familientradition – für ihre Wälder einsetzen. Ich nehme aber auch wahr, dass die Sorgen um den Zustand und Erhalt der Wälder zunehmen. Da hängen Existenzen dran. Holz ist der wichtigste nachwachsende Rohstoff unseres Landes, auf den wir nicht verzichten können. Auf der anderen Seite habe ich viel Verständnis erlebt für ökologische Ziele wie Klima- und Biodiversitätsschutz. Die unterschiedlichen Sichtweisen und Positionen zusammenzuführen, scheint manchmal schwer vereinbar. Aber ich bin fest überzeugt, dass jede Lösung mit einem Gespräch beginnt, in dem man sich gegenseitig ernstnimmt und zuhört. Dann kommen wir zu tragfähigen Kompromissen.

Quelle: AGDW Jahresbericht 2023

Erschienen am im Format Interview

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