Wir setzen mit unserem Zukunftsprogramm Pflanzenschutz auf Anreize und Unterstützung
Interview von Staatssekretärin Silvia Bender mit "Top Agrar"
Frage: Frau Staatssekretärin, viele Landwirte waren im vergangenen November erleichtert, dass die EU-Pflanzenschutzverordnung SUR in Brüssel vorerst gescheitert ist. Nun hat das BMEL das "Zukunftsprogramm Pflanzenschutz" gestartet. Der Fokus liegt dort auf der Reduzierung des chemisch-synthetischen Pflanzenschutzes. Kommt die SUR auf nationaler Ebene nun doch durch die Hintertür?
Silvia Bender: Klares Nein. Wir setzen mit unserem Zukunftsprogramm Pflanzenschutz auf Anreize und Unterstützung. Die SUR wollte vor allem mit Ordnungsrecht arbeiten – das ist nicht unser Weg. Wesentlich für sichere Ernten sind gesunde natürliche Ressourcen. Und wesentlich für gesunde Ressourcen ist ein nachhaltiger Pflanzenschutz, soviel ist klar. Nichtstun kann keine Alternative sein, wenn man sich die alarmierenden Berichte der Wissenschaft zum Artensterben anschaut. Zu dem Schluss kommt ja auch die ZKL, also die Zukunftskommission Landwirtschaft, in der der Berufsstand genauso vertreten ist wie die Umweltseite und die Wissenschaft.
EU-weit harmonisierte Ziele und Regeln wären aus unserer Sicht gut gewesen, um Wettbewerbsgleicheit in der EU herzustellen, und hätten einen wichtigen Beitrag geleistet, um die europäischen Verpflichtungen beim Biodiversitätsschutz zu erreichen. Die SUR war in dem Sinne gut gemeint, aber leider handwerklich nicht gut gemacht. Wir wählen darum einen Ansatz aus Beratung und Information, Forschung und Förderung und orientieren uns dabei am Biodiversitätsstärkungsgesetz aus Baden-Württemberg und dem Niedersächsischen Weg.
Frage: Unter anderem der Bauernverband hat sich bereits sehr drastisch gegen Ihre Vorstellungen positioniert. Wie reagieren Sie darauf?
Silvia Bender: Drastische Kritik kommt auch von der Umweltseite, aber geht in die entgegengesetzte Richtung. Sie sehen: Die extreme Zuspitzung bei der SUR hat der Debatte um einen zukunftsfähigen Pflanzenschutz insgesamt nicht gutgetan. Ich wünsche mir, dass wir zu einem sachlichen Austausch zurückkommen. Konfrontation und Schwarzmalerei egal von welcher Seite lösen keine Probleme. Es ist doch niemandem geholfen, wenn wir einen Status quo verteidigen, der sich nachteilig auf Artenvielfalt, Wasser und Böden auswirkt und damit die Ernten der Zukunft gefährdet.
Ohne Frage ist es wichtig, dass wir unsere Ernten schützen. Dafür wollen wir auch alternative Wege neben dem Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln nutzen. Wir wählen dazu einen kooperativen Ansatz und wollen Landwirtinnen und Landwirte beim nachhaltigen Pflanzenschutz unterstützen. Das ist genau das Gegenteil von Bevormundung und pauschalen Verboten. Im Übrigen bekommen wir auch positives Feedback gerade aus der Praxis – und damit meine ich nicht den Ökolandbau. Ich glaube, dass es eine Offenheit im Berufsstand gibt, nachhaltiger zu bewirtschaften, und dass es möglich ist, gute Erträge zu erzielen und dennoch weniger Pflanzenschutzmittel zu spritzen.
Frage: Was ist das konkrete Ziel des Programms und wie soll der Pflanzenschutz auf dem Acker in Zukunft funktionieren?
Silvia Bender: Mit unserem Ansatz folgen wir der ZKL, die ja empfohlen hat, die Auswirkungen von Pflanzenschutzmaßnahmen auf Umwelt, Artenvielfalt und die Gesundheit so gering wie möglich zu halten und stabile Agrarökosysteme im Sinne des integrierten Pflanzenschutzes zu schaffen. So wenig wie möglich, so viel wie nötig – es geht eben um eine Balance zwischen dem Schutz der Ressourcen und dem, was Landwirtinnen und Landwirte brauchen, um uns mit hochwertigen Nahrungsmitteln zu versorgen. Ein moderner Pflanzenschutz besteht aus viel mehr als aus dem Einsatz oder dem Weglassen chemisch-synthetischer Mittel. Das ist die Grundmaxime des heute schon in der EU-Richtlinie und auch im deutschen Pflanzenschutzgesetz verankerten integrierten Pflanzenschutzes und hierzu hat auch die ZKL einige Vorschläge gemacht, die wir aufgreifen. Da geht es beispielsweise um aufeinander abgestimmte, anbau- und kulturtechnische Maßnahmen, den Einsatz von Nützlingen oder züchterische Ansätze. Zehntausende Höfe zeigen heute schon, dass nachhaltiger Pflanzenschutz und robuste Ernten Hand in Hand gehen können. Das greifen wir auf und werden Erprobtes einschließen, Neues erproben und das Wissen auf die Betriebe bringen. Wo immer möglich, nutzen wir natürlich Synergien.
Frage: Bis 2030 soll die "Verwendung und das Risiko" von chemischen Pflanzenschutzmitteln halbiert werden. Sind Pflanzengesundheit und Ertragsstabilität auch Teil der Überlegungen oder müssen die zurückstehen?
Silvia Bender: Da ist sie wieder, die Zuspitzung (lacht). Anstatt Gegensätze aufzubauen, sollten wir die Kernfrage beantworten: Wie gelingt uns nachhaltiger Pflanzenschutz bei stabilen Erträgen? Und was braucht es dafür? Ich habe das Gefühl, wir diskutieren hier oft noch hinter dem Status quo in der Praxis.
Frage: Im Konzept zum Zukunftsprogramm ist die Rede von 10 Prozent "Refugialflächen", die bei Anwendung bestimmter Mittel geschaffen werden müssen. Welche Mittel betrifft das und wie soll der Ertragsverzicht auf diesen 10 Prozent kompensiert werden?
Silvia Bender: Ganz einfach: Schutzräume schaffen, das muss sich lohnen. Die Landwirtinnen und Landwirte dürfen die Kosten für Artenschutz nicht allein tragen, wir wollen deshalb die Förderfähigkeit entsprechender Flächen sicherstellen. Nebenbei gesagt zahlen sich die Refugialflächen auch für die Produktion aus. Schließlich braucht es die Schutzräume, damit Öko-Systeme stabil sind. Das wiederum sichert die Grundlagen für die landwirtschaftliche Erzeugung. Solche Ansätze, also der Natur mehr Raum zu geben, werden übrigens auch auf den F.R.A.N.Z.-Höfen erprobt, die von dem Bauernverband und der Michael Otto-Stiftung als Projektträger vorangetrieben werden.
Frage: Wie soll künftig überhaupt lenkend in den Pflanzenschutz eingegriffen werden? Durch Ordnungsrecht oder durch Förderung?
Silvia Bender: Wir setzen auf einen kooperativen Ansatz, der eben die unterstützt, die die Natur mehr schützen wollen. Uns ist es auch wichtig, dass beim Zukunftsprogramm Pflanzenschutz alle relevanten Akteure einbezogen werden. Gemeinsam wollen wir einen Weg aufzeigen, mit dem ein nachhaltiger Pflanzenschutz gelingen kann. Was dem Ziel dient, das soll auch vorgeschlagen, diskutiert und festgeschrieben werden. Dabei setzen wir vor allem auf Förderung, Beratung und Innovation. Auch einige Bundesländer haben sich zwischenzeitlich auf den Weg gemacht und eigene Programme aufgesetzt. Teilweise mit unterschiedlichen Zielmarken, aber im Weg sind sich alle einig: kooperativ, praxistauglich und wirksam.
Frage: Ebenfalls im Papier formuliert das BMEL den Anspruch "Auf Anwendung des Totalherbizids Glyphosat verzichten". Wie soll der Einsatz weiter eingeschränkt werden? Sind die negativen Folgen des Glyphosatverzichts (Erosion durch wendende Bodenbearbeitung, Dieselverbrauch, Artenschutz) Teil der Überlegungen oder werden die bewusst in Kauf genommen?
Silvia Bender: Nachdem die EU-Kommission den Wirkstoff für zehn weitere Jahre genehmigt hat, haben wir das in der Pflanzenschutzanwendungsverordnung von der großen Koalition festgeschriebene Glyphosat-Verbot ab 1.1.2024 aufgehoben und bestehende Anwendungsvorgaben fortgeschrieben. Ich will allerdings daran erinnern, dass wir mit der Anwendung des Totalherbizids auch unzweifelhaft Schäden bei der Biodiversität in Kauf nehmen. Auf den behandelten landwirtschaftlichen Flächen können zudem wichtige Bodenorganismen und die Bodenfruchtbarkeit Schaden nehmen. Was ich damit sagen will: Der Fokus muss weg von einem veralteten Mittel, das seine gesellschaftliche Akzeptanz auch aufgrund des früheren massiven Einsatzes zur Steuerung von Ernteterminen verloren hat, und hin zur Frage, wie die Pflanzen nachhaltig gesund erhalten werden können.
Frage: Ein aktuelles Problem der deutschen Ackerbauern ist der stetige Wegfall von Pflanzenschutzwirkstoffen und die schleppende Zulassung neuer. Das verengt das Wirkstoffspektrum und fördert Resistenzen. Sie wollen nun "Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel verbessern". Was kann man darunter verstehen?
Silvia Bender: Ich verstehe die Sorgen – und die fristgerechte Bearbeitung ist für unser Ministerium von hoher Bedeutung. Um diese zu gewährleisten, tauschen wir uns regelmäßig mit allen am Zulassungsverfahren beteiligten Bewertungsbehörden sowie dem Bundesumweltministerium aus. So wollen wir die Abläufe bei der Pflanzenschutzmittelzulassung reibungsloser gestalten und die Zusammenarbeit zwischen den Bewertungsbehörden verbessern.
Mehr Transparenz bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln nach wissenschaftlichen Kriterien kann da beiden Anliegen entgegenkommen. Um den Pflanzenschutz nachhaltiger zu gestalten, müssen Alternativen zu chemischen Mitteln – wie biologische Mittel und Low Risk-Produkte – besser verfügbar sein. Auch hier kommen wir nebenbei bemerkt den ZKL-Empfehlungen nach. Dafür braucht es unter anderem ein verbessertes Zulassungsverfahren. Zahlreiche Vorschläge dafür hat das BVL-Projekt "Pflanzenschutzmittel-Zulassung 2030" erarbeitet. Darunter gibt es auch einige zentrale Punkte für den biologischen Pflanzenschutz, beispielsweise ob eine prioritäre Bearbeitung von Zulassungsanträgen mit biologischen Wirkstoffen durch rechtliche Änderungen möglich wäre. Sie sehen, wir denken da in viele Richtungen.
Quelle: Top Agrar vom 03.05.24
Fragen von Marko Stelzer