Wir brauchen ein langfristiges Finanzierungsinstrument, damit Tierhaltung in Deutschland eine Zukunft hat

Interview Bundesminister Cem Özdemir mit der "Schweriner Volkszeitung"

Frage: Sie starten Ihre Sommertour ausgerechnet in Mecklenburg - Vorpommern. Sorgen Sie sich um einen unfreundlichen Empfang?

Cem Özdemir: Wie kommen Sie darauf? Ich freue sehr mich auf meine Reise und die Begegnungen. Ich habe die Menschen in Mecklenburg -Vorpommern bei meinen bisherigen Besuchen immer als unverstellt und grundanständig erlebt. So wie mein Kollege, Landwirtschaftsminister Till Backhaus, mit dem ich im regelmäßigen Austausch bin - und da sagen wir uns eben nicht nur offen die Meinung, sondern können auch gemeinsam lachen. Auch meine parlamentarische Staatssekretärin Claudia Müller, die ihren Wahlkreis in Vorpommern-Rügen und Vorpommern-Greifswald hat, schwärmt von ihrer Heimat, von Land und Leuten.

Frage: Sie sind Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, betonen indes, dass Politik für den ländlichen Raum mehr umfasst als die Land- und Ernährungswirtschaft. Welche Themen stehen für Sie im Fokus?

Cem Özdemir: Mein Ministerium ist in der Bundesregierung für die ländlichen Räume federführend zuständig, und wenn Sie so wollen, bin ich als Minister sowas wie der Anwalt der Menschen und ihrer Interessen dort. Die ländlichen Räume stärken und insgesamt zu gleichwertigen Lebensverhältnissen beitragen, damit die Menschen in ihrer Heimat gut leben können - das ist, salopp gesagt, meine Jobbeschreibung. Das ist eine im Grundgesetz verankerte Staatsaufgabe, die ich - als jemand, der in einer Kleinstadt im Herzen der Schwäbischen Alb aufgewachsen ist - mit Freude wahrnehme. Innovativ und Weltspitze ist Deutschland übrigens zu guten Teilen in den ländlichen Regionen. Hier sind viele sogenannte Hidden Champions zu Hause, die auf den Weltmärkten vorne mitspielen. Mein Ziel ist es, dass jede und jeder in Deutschland dort leben und arbeiten kann, wo sie oder er es möchte. Entsprechend umfassend sind die Themen: von bezahlbarem Wohnen über eine gute Gesundheitsversorgung, vernetzte und nachhaltige Mobilitätslösungen, bis zu zukunftsfesten Arbeitsplätzen und attraktiven Betreuungs- und Bildungsorte für Kinder oder die Stärkung von Gemeinschaft und Zusammenhalt. Natürlich bin ich dafür nicht alleine zuständig, sondern weiß da meine Kabinettskolleginnen und -kollegen in ihrer jeweiligen Zuständigkeit an meiner Seite.

Frage: Den Bauernprotesten seit Herbst vorigen Jahres hatten sich auch viele Handwerker, Spediteure und Gewerbetreibendeangeschlossen. Was haben die Proteste auch bei Ihnen bewirkt - jenseits des Streits um die Abschmelzung des Dieselprivilegs für Landwirte?

Cem Özdemir: Vorweg: Ich habe die überproportionalen Belastungen für die Landwirtschaft von Anfang an deutlich kritisiert. Hätte man mich rechtzeitig einbezogen, hätte man sich einigen Ärger ersparen können. Ich habe es geschafft, dass die Streichung der Kfz-Steuerbefreiung für land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge, also das grüne Nummernschild, zurückgenommen wurde, und beim Agrardiesel steigen wir nun in mehreren Schritten aus. In aller schwäbischen Bescheidenheit: das ist nicht nichts. Die Koalition hat sich danach auf zahlreiche weitere Entlastungen und einen massiven Abbau unnützer Bürokratie verständigt, das kann sich sehen lassen. Die ursprünglich geplanten Einsparungen waren übrigens nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat - das wurde allerdings von meinen Vorgängern gut gefüllt. Insofern ist es schon ein wenig absurd, wenn mich nun die Union jetzt tagtäglich auffordert, das zu korrigieren, was sie selbst zu verantworten hat. Statt den Landwirtinnen und Landwirten eine ehrliche Perspektive zu geben, hieß die Devise lange Zeit: "wachse oder weiche". Und das besiegelte das Schicksal vor allem vieler Familienbetriebe.

Frage: Sie sagen, der Agrardiesel sei gar nicht das Hauptproblem der Landwirte gewesen, sondern die gebrochenen Versprechen von wechselnden Vorgängerregierungen. Das Gleiche werfen Ihnen Landwirte nun ebenfalls vor - etwa mit Blick auf die von Ihnen geplante Stallförderung.

Cem Özdemir: Wir haben damit begonnen, die Versäumnisse der Vorgängerregierungen anzupacken. Mit der Tierhaltungskennzeichung und der Förderung für den Umbau der Tierhaltung setzen wir eine langjährige Forderung der Landwirtschaft um. Dabei orientieren wir uns an den guten Vorschlägen der sogenannten Borchert-Kommission, die unter der CDU-geführten Vorgängerregierung eingesetzt wurde und die niemand daran gehindert hat, die Vorschläge auch umzusetzen. Jetzt sind die Umstände andere, wir müssen mit der Inflation und der geänderten Haushaltslage umgehen. Dennoch habe ich erreicht, dass wir eine Milliarde Euro für das Bundesprogramm für eine zukunftsfähige Tierhaltung zur Verfügung gestellt haben - und damit mehr als unter jeder anderen Bundesregierung zuvor! Damit stärken wir zugleich die Marktposition unserer Landwirte auf den heimischen Märkten. Fleisch "made in Germany": Das ist auch an der Supermarkttheke ein Qualitätsbeweis. Aber ja, wir brauchen ein langfristiges Finanzierungsinstrument, damit Tierhaltung in Deutschland eine Zukunft hat. Und ich bin werde nicht müde, dafür in der Koalition zu werben.

[...]

Frage: Sie starten Ihre Sommertour mit dem Titel "Die Kraft unseres Landes" in Schwerin und reisen einmal durch die Republik bis nach Baden-Württemberg. Welcher Idee folgt diese Reiseroute und was erwarten Sie an Erkenntnissen?

Cem Özdemir: Deutschland ist so vielfältig wie seine Menschen, jede Region hat unterschiedliche Potenziale. Ich will vor Ort mit Unternehmen aus Mittelstand und Handwerk ins Gespräch kommen, aber auch mit ehrenamtlich Engagierten und Initiativen, die allesamt für ihre Heimat stehen, diese prägen und gestalten. Und ich will etwas lernen: über die Art und Weise, wie die Menschen in unserem Land auf Herausforderungen und Chancen blicken. Bestenfalls kann ich davon viel mit nach Berlin bringen.

Frage: Zum Start am 8. Juli werden Sie in Schwerin bei uns im Verlag mit Lesern zusammentreffen. Was wollen Sie mit ihnen besprechen?

Cem Özdemir: Da bin ich ganz offen. Sagen Sie mir, was Ihnen unter den Nägeln brennt und was wir besser machen können. Ich freue mich natürlich auch über Lob - wir Politikerinnen und Politiker sind ja auch nur Menschen (lacht). Aber im Ernst: Lassen Sie uns reden und gemeinsam nach Lösungen suchen. Das bringt unser Land voran.

Quelle: Schweriner Volkszeitung vom 02.07.2024

Fragen von Marko Stelzer

Erschienen am im Format Interview

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