Ich will, dass auch in Zukunft gutes Fleisch aus Deutschland auf den Tisch kommt.

Interview Bundesminister Cem Özdemir mit den "OM-Medien"

Frage: Herr Özdemir, mit dem Umbau der Tierhaltung auf der Grundlage des sogenannten Borchert-Plans geht es offenbar nur schleppend voran: Seit August gibt es zwar die Haltungskennzeichnung, aber nur für Schweinefleisch. Für Tierwohl-Ställe in großer Zahl fehlen Fördergelder. Es gibt noch keine Finanzierungslösung für den Mehraufwand im Stall. Bau- und Umweltrecht sind weiterhin im Konflikt miteinander. Wie wird es bis zum Ende der Legislaturperiode aussehen?

Cem Özdemir: Die Tierhaltung gehört zur Landwirtschaft in Deutschland dazu, wer weiß das besser als die Menschen im Oldenburger Münsterland. Da muss ich ja keine Eulen nach Athen tragen. Am Donnerstag hatte ich die große Ehre, den wunderbaren Stoppelmarkt in Vechta zu eröffnen. Hammer, was da auf die Beine gestellt wird. Am Rande der Eröffnung konnte ich auch mit Landwirten aus der Region sprechen. Die machen sich Sorgen. In Deutschland hat sich die Zahl der Schweine haltenden Betriebe allein zwischen 2010 und 2020 nahezu halbiert. Dahinter stehen Menschen, Familien, Betriebe. Ich will, dass auch in Zukunft gutes Fleisch aus Deutschland auf den Tisch kommt. Seit Beginn meiner Amtszeit arbeite ich mit Hochdruck daran, die Weiterentwicklung der Tierhaltung in Deutschland zu unterstützen. Die von Ihnen bereits angesprochene parteiübergreifende Kommission unter der Leitung von Ex-CDU-Landwirtschaftsminister Jochen Borchert hat da damals Großes geleistet und gute Ideen vorgelegt – im Übrigen saßen da am Tisch Landwirte neben Umweltschützern. Leider wurden die Vorschläge vor meiner Zeit – und wenn ich das so sagen darf – unter besseren gesamtwirtschaftlichen Voraussetzungen links liegen gelassen. Wir haben den Umbau begonnen und bereits zentrale Bausteine umgesetzt. Mit der Tierhaltungskennzeichnung haben wir jetzt die Grundlage gelegt, Leistungen der Landwirte für mehr Tierwohl sichtbar zu machen. Mit einer Milliarde aus dem Bundeshaushalt investieren wir so viel in zukunftsfeste Tierhaltung wie keine Bundesregierung zuvor. Und neben den Investitionen in den Stallumbau fördern wir erstmalig auch die laufenden Mehrkosten für mehr Tierwohl. Den verlässlichen Ausbau der staatlichen Förderung der laufenden Mehrkosten einer tiergerechteren Tierhaltung hatte auch die Borchert-Kommission gefordert.

Frage: Bleiben wir bei den Kompensationszahlungen für Landwirte, die mehr Tierwohl umsetzen wollen. Sie treten für eine höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch ein. Das klingt erst einmal gut. Aber: Die Preisdifferenz zwischen günstig und hochwertig vergrößert sich dadurch noch weiter. Wäre der Tierwohlcent, also ein fester Preisaufschlag, nicht doch besser?

Cem Özdemir: Die Borchert-Kommission hat zur dauerhaften Unterstützung des Umbaus der Tierhaltung verschiedene Vorschläge erarbeitet. Dazu zählt neben einer erhöhten Mehrwertsteuer auch eine feste Abgabe auf tierische Produkte. Beide Varianten haben ihre Vor- und Nachteile. Ich habe gesagt, dass ich für jeden Lösungsansatz offen und gesprächsbereit bin, wenn das Geld auch bei denen ankommt, die es benötigen. Darüber entscheide ich nicht alleine, da müssen alle in der Koalition mitziehen.

Frage: Zum Düngegesetz: Die Novelle beinhaltet eine Verbesserung der Bilanz von Nährstoffströmen eines Betriebs. Es geht um Transparenz und Überprüfbarkeit mit Blick auf Futtermittel und Naturdünger, also Gülle und Co. In Niedersachsen gibt es dazu ein elektronisches Meldesystem, ENNI genannt, mit exakten Daten. Landwirte im Agrarland Niedersachsen sehen nun ein Zuviel an Bürokratie – durch das zusätzliche Bundesrecht. Was entgegnen Sie?

Cem Özdemir: Über das Meldesystem ENNI höre ich nur Gutes aus der Praxis und dass Niedersachsen mit diesem Programm, neben Sachsen, eine Art Vorreiterrolle unter den Bundesländern eingenommen hat. Was die Düngeregeln und Bürokratie insgesamt angeht, darf man hier nicht Äpfel mit Birnen verwechseln. Was an Daten schon da ist, das soll auch genutzt werden. Die geplanten Änderungen in der Nährstoffbilanzverordnung baut – übrigens nicht von mir eingeführte – unnötige Bürokratie ab: Wir vereinheitlichen und verlängern beispielsweise Aufzeichnungsfristen. Es geht also nicht um „zusätzliches Bundesrecht“, sondern um bestehendes Recht, das wir optimieren. Zur Wahrheit gehört auch dazu, dass wir grundsätzlich ausreichend und robuste Daten brauchen. Erstens verlangt Brüssel das. Zweitens sind gute Daten und dass wir diese zielgerichtet nutzen, wichtig, um das Verursacherprinzip zu stärken. Landwirtschaftliche Betriebe haben einen Anspruch darauf, dass ihr Einsatz von Dünger angemessen und fair bewertet wird. Wer Wasser gefährdet, soll stärker in die Pflicht genommen werden. Wer Wasser schützt, soll entlastet werden.

Frage: Die EU-Kommission beobachtet sehr genau, wie es um den Wasserschutz in Deutschland steht. Ein neues Klageverfahren ist keineswegs ausgeschlossen. Laut Thünen-Institut geht der Abbau der Nährstoffüberschüsse aber schneller voran, als es die Messstellen zur Wasserqualität zeigen können. Halten Sie dies für ein geeignetes Argument, um es in Brüssel vorzutragen?

Cem Özdemir: Lassen Sie es mich einmal klar sagen: Diese Bundesregierung konnte 2023 erreichen, dass die Kommission das letzte Vertragsverletzungsverfahren eingestellt hat, was Vorgängerregierungenmehr oder weniger ignoriert haben nach dem Vogel-Strauß-Prinzip. Damit haben sie es schlimmer gemacht. Wirklich niemand kann Interesse daran haben, ein neues Vertragsverletzungsverfahren zu riskieren. Uns drohen dann sehr hohe Strafzahlungen. Das Geld können wir wirklich anderswo besser investieren. Wir müssen der EU-Kommission jetzt zeigen, dass unsere Maßnahmen wirken. Dazu brauchen wir das Wirkungsmonitoring, mit dem wir schneller sehen, ob die Düngemaßnahmen gut funktionieren oder ob wir anpassen müssen. Mit anderen Worten: Erstens zeigen wir der EU-Kommission, dass wir mit den Düngeregeln unseren Boden und das Grundwasser schützen. Zweitens ist eine gute Datenbasis die Grundlage, damit wir mit der EU-Kommission über Entlastungen für Betriebe verhandeln können, die aktiv zum Wasserschutz beitragen. Mir ist wie gesagt wichtig, dass wir das Verursacherprinzip stärken.

Frage: Sie sind auch für den ländlichen Raum zuständig, in dem mehr als zwei Drittel der Menschen in Deutschland leben. Das wichtigste Förderinstrument ist hier die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK). Sie mussten sich bereits bei zwei Haushaltsverhandlungen dafür einsetzen, damit es keine Kürzungen der GAK-Mittel gibt. Woran liegt es, dass ausgerechnet auf diesem Feld innerhalb der Ampel- Koalition immer wieder Kämpfe auszutragen sind?

Cem Özdemir: Die ländlichen Räume prägen Deutschland mindestens genauso wie Berlin, München, Hamburg und Co. Das sieht man ja hier in Ihrer Region. Hier treffen wirtschaftliche Stärke, touristische Attraktivität und kulturelle Vielfalt aufeinander. Hier ist eine der Herzkammern der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft. Bei der Betrachtung der ländlichen Regionen schauen wir viel zu oft auf die Defizite. Die Macher hingegen – diejenigen, die wirklich etwas bewegen wollen – übersehen wir dabei häufig. Sehen Sie, ich war gerade auf meiner Sommertour unter dem Titel „Die Kraft des Landes“ in fünf Bundesländern unterwegs. Ich habe großartige Menschen kennengelernt, tolle Projekte, die das Leben auf dem Land ausmachen und es lebenswert machen, die oft durch unsere Förderung aber erst möglich wurden. Wir dürfen auch nicht vergessen: Wir sind alle vom ländlichen Raum abhängig. Das sage ich nicht nur, weil ich der Landwirtschaftsminister bin und unseren Bäuerinnen und Bauern danken will – was sie mehr als verdient haben. Aber auch der Strom für unsere Kaffeemaschine und den Kühlschrank wird eher nicht in der Stadtmitte produziert, in Zukunft erst recht mit dem Ausbau der Sonnen- und Windenergie. Also: Jede Unterstützung für einen lebenswerten ländlichen Raum lohnt sich ganz besonders. Darum bin ich froh, dass sich der Einsatz um Mittel für die ländlichen Regionen im Haushalt ausgezahlt hat. Damit kann mein Haus die ländlichen Räume weiter unterstützen: vom Jugendclub über das Vereinsheim, von der baulichen Aufwertung der Dorfmitte bis zu Projekten ehrenamtlichen Engagements.

Quelle: OM-Online vom 17.08.2024

Fragen von Giorgio Tzimurtas

Erschienen am im Format Interview

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