In Wittstock/Dosse fährt das Bürgerbüro und nicht der Bürger

Mobiler Bürgerservice in Wittstock/Dosse

Wittstock/Dosse im Nordwesten Brandenburgs hat nicht einmal 15.000 Einwohner, ist flächenmäßig aber die sechstgrößte Stadt Deutschlands. Wer also beispielsweise einen neuen Personalausweis beantragen will, muss dafür aus dem Ortsteil Zempow 25 Kilometer zum Bürgerbüro in die Innenstadt fahren. Oder – besser gesagt – musste. Denn seit 2012 gibt es in Wittstock/Dosse einen mobilen Bürgerservice.

Zwei Fliegen mit einer Klappe

Initialzündung für diese neue Dienstleistung war das 2008 ins Leben gerufene Pilotprojekt "Mobiler Bürgerservice" des Landes und des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg. Für die Stadt Wittstock/Dosse die Möglichkeit, gleich zwei Probleme auf einmal zu lösen. Zum einen waren die großen Distanzen vor Ort gerade für Menschen, die aufgrund von Alter, Krankheit oder fehlendem Auto nur eingeschränkt mobil sind, eine hohe Hürde auf dem Weg ins Bürgerbüro. Zum anderen stellte das große Gemeindegebiet auch die Verwaltung vor Herausforderungen bei der Aufgabenerledigung.

Da viele Einnahmen von der Einwohnerzahl abhängen, hat Wittstock/Dosse trotz des großen Gemeindegebietes und vieler verstreuter Ortsteile vergleichsweise wenig Verwaltungsmitarbeiter. "Einerseits durften wir die Bürger nicht von der Daseinsvorsorge abschneiden, andererseits mussten wir effektiver werden, um auch mit wenig Personal unsere Aufgaben bestmöglich wahrnehmen zu können", fasst Ordnungsamtsleiter Holger Schönberg zusammen.

Das Ziel war also klar, Planung und Umsetzung erwiesen sich jedoch als ziemlich komplex – gerade im Hinblick auf den Datenschutz und die nötige technische Ausstattung. Mit Unterstützung der Datenschutzbeauftragten sowie des IT-Dienstleisters des Landes Brandenburg und mit der notwendigen Improvisationskunst gelang es, ein funktionsfähiges Paket zu schnüren.

"Schon allein die Datenübertragung war eine ziemliche Herausforderung", erinnert sich Holger Schönberg. "Hier gab es nur das Netz des einen Anbieters, dort nur das eines anderen Anbieters und im nächsten Ortsteil fast gar kein Netz mehr." Abhilfe schaffte die Verwendung von zwei Routern unterschiedlicher Netzbetreiber sowie eine LTE-Antenne, die von einem Brandenburger Unternehmen zur Verfügung gestellt wurde. Mit der Einführung des Mobilfunkstandards LTE verbesserten sich Netzabdeckung und Übertragungsgeschwindigkeit merklich. Den mobilen Arbeitsplatz in Koffer-Form stellte das Land Brandenburg im Rahmen des Pilotprojekts für ein Jahr kostenfrei bereit. Fehlte nur noch eins: ein passendes Fahrzeug, um das Büro auch wirklich ins Rollen zu bringen.

Hier wurde die Stadtverwaltung in den eigenen Reihen fündig. Ein ehemaliger Einsatz-Leitwagen der örtlichen Feuerwehr wurde mit Büroeinrichtung, Klimaanlage, Heizung und Notstromaggregat zum rollenden Bürgerbüro aufgewertet. Damit waren alle Voraussetzungen geschaffen, sodass der mobile Bürgerservice am 19. April 2012 zu seiner "Jungfernfahrt" in den Ortsteil Sewekow starten konnte.

"Seitdem ist der mobile Bürgerservice nicht einmal ausgefallen. Es gab vielleicht mal technische Probleme, aber wir sind immer rausgefahren. Wenn man so etwas anbietet, muss das auch verlässlich sein", betont Holger Schöneberg und ergänzt: "Was mich fast am meisten gewundert hat, ist wie schnell das zur Routine geworden ist. Inzwischen ist das rollende Büro ein ganz selbstverständlicher Bestandteil unseres Bürgerservice."

Einmal im Monat kommt der Bürgerservice

Fünfmal in der Woche fahren je ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin des Bürgerbüros und des Außendienstes raus. In jeden der 18 Ortsteile geht es von April bis September einmal im Monat. In den Monaten Oktober bis März erfolgt der Einsatz des rollenden Büros bedarfsorientiert. Nach Freyenstein, in den größten Ortsteil, kommt der Bürgerservice ganzjährig alle 14 Tage. Dort gastiert das mobile Bürgerbüro dann im Büro des Ortsvorstehers. Die Sprechzeiten sind an jene des Arztes angebunden, der in dem kommunalen Gebäude seine Praxis hat.

Eine junge Frau sitzt in einem Fahrzeug mit Büroausstattung am Schreibtisch. Wittstock-Mitarbeiterin
Der mobile Bürgerservice bietet vollen Service auf engstem Raum © Stadt Wittstock/Dosse

Das ist nur einer von mehreren praktischen Vorteilen für die Bürger. So kommt das Bürgerbüro in speziellen Fällen auch ins Haus. Dank der mobil einsetzbaren Bürokoffer kein Problem und für Menschen, die das Haus nicht verlassen können, ein unschätzbarer Vorteil. Und selbst wer vor dem rollenden Bürgerbüro in der Schlange stehen muss, stellt fest, dass gemütlich mit den Nachbarn plaudern netter ist, als im Wartebereich des Bürgerbüros zu sitzen.

Die Warteschlange ist allerdings nicht der Regelfall. Es gibt auch Tage, an denen nur sehr wenige Bürger den mobilen Bürgerservice in Anspruch nehmen, räumt Ordnungsamtsleiter Schönberg ein. Aber: "Wir fahren nie umsonst in einen Ortsteil." Denn die klassischen Bürgerbüro-Leistungen von der An- und Abmeldung über Personalausweis und Reisepass bis zum Wohnberechtigungsschein sind ja nur das eine Standbein des mobilen Bürgerservice. Das Zweite sind die ordnungsbehördlichen Aufgaben, die der ebenfalls an Bord befindliche Außendienst-Mitarbeiter wahrnimmt. Der prüft bei seiner Runde durchs Dorf beispielsweise, ob die Straße gereinigt wurde, weist auf überhängende Zweige hin, die mal wieder gestutzt werden müssten oder macht auf die lose Dachpfanne aufmerksam.

Probleme im persönlichen Gespräch lösen

Vieles lässt sich im direkten Gespräch viel schneller, unkomplizierter und auch verständlicher klären, als wenn ein Schreiben des Ordnungsamts im Briefkasten liegt. "Die Bürger haben gemerkt, dass wir uns auf sie zu bewegen. Dadurch, dass wir Probleme direkt vor Ort lösen können, ist die Verwaltung viel effektiver geworden", resümiert Holger Schönberg, der in der Verbindung von Bürgerbüro und Ordnungsamt unter dem Dach des mobilen Bürgerservice einen wesentlichen Erfolgsfaktor sieht.

Angenehmer Nebeneffekt aus Sicht der Stadt: Da die Mitarbeiter des Ordnungsamts zur turnusmäßigen Kontrolle ohnehin rausfahren müssten, entstehen hier keine zusätzlichen Kosten durch den mobilen Bürgerservice. Ganz im Gegenteil: Müssten sie das sonst im Doppelpack tun, reicht nun – dank der Begleitung durch eine Mitarbeiterin des Bürgerbüros – auch ein Außendienstmitarbeiter.

So halten sich die Kosten für das mobile Bürgerbüro mit etwa 7.500 Euro im Jahr plus Fahrzeugkosten, die wie bei anderen Dienstwagen der Außendienstler über den städtischen Fuhrpark abgerechnet werden, auch in überschaubaren Grenzen. Kein Wunder also, dass der Service nicht nur von den Bürgern honoriert wird, sondern auch im politischen Raum breite Zustimmung findet und der Zuschuss jedes Jahr ohne Diskussion von der Stadtverordnetenversammlung zur Verfügung gestellt wird. Auch hier ist der mobile Bürgerservice längst zur Selbstverständlichkeit geworden.

Und auch über die Grenzen von Wittstock/Dosse hinaus verbreitet sich die Idee. Besonders groß war das Interesse zu Beginn. "Da war das ja noch absolutes Neuland und es gab jede Menge Anfragen. Gerade auch seitens der Presse. Da mussten wir schon drauf achten, das so zu organisieren, dass immer nur ein Pressevertreter mitfährt", erinnert sich Holger Schönberg. Auch bei anderen Kommunen war das Interesse groß. Inzwischen gibt es die ersten Nachahmer und die Anfragen haben nachgelassen. Nicht zuletzt, weil inzwischen auch die technische Umsetzung eines solchen Projekts deutlich einfacher geworden ist. "Unsere Anfangsprobleme sind größtenteils gelöst", sagt der Ordnungsamtsleiter.

In Brandenburg bieten neben Wittstock/Dosse und der Landeshauptstadt Potsdam auch die Städte Nauen, Velten und Senftenberg sowie die Gemeinde Heideblick und das Amt Brück einen mobilen Bürgerservice an.

Erschienen am im Format Good Practice

Adresse

Wittstock
16909 Wittstock, Brandenburg

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