Erschienen am im Format Pressemitteilung Nr. 115/2020

Zur Übernahme der Deutschen EU-Ratspräsidentschaft erklärt Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner in Berlin

„Heute ist ein besonderer Tag für Deutschland. Wer gestern Abend noch spät am Brandenburger Tor vorbeigekommen ist, hat gesehen, dass wir mit voller Stolz die EU-Ratspräsidentschaft übernommen haben. Das Brandenburger Tor war angeleuchtet mit dem Logo der deutschen Ratspräsidentschaft. Deutschland hat heute den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Das ist das 13. Mal in der Geschichte der Europäischen Union und das erste Mal seit 2007. Das ist eine große Verantwortung und eine Herausforderung. Wir sind in einer Zeit, in der viele Wünsche formuliert werden und in der es aber auch massive Interdependenzen gibt.

Mein Dank gilt Kroatien, das den EU-Rat in den vergangenen sechs Monaten trotz der schwierigen Umstände der Corona-Pandemie souverän geführt hat. Deshalb war mir es mir auch wichtig, am Montag persönlich nach Zagreb zu reisen und den Staffelstab zu übernehmen. Meine kroatische Amtskollegin Marija Vuckovic hat Grundlagen gelegt, auf denen wir aufbauen können.

Die Agrarpolitik gehört zu den ältesten Bausteinen und zentralen Säulen der Einigung Europas. Mir ist es sehr wichtig, das zu formulieren. Es hat einen Grund, warum Landwirtschaftspolitik auf supranationaler Ebene angesiedelt und das Agrarbudget so hoch ist: Eine gemeinsame Agrarpolitik gab es lange vor Einführung des Binnenmarkts und einer gemeinsamen Währung. Schon in den Römischen Verträgen, das war 1957, wurde die gemeinsame Landwirtschaftspolitik beschlossen und 1962 trat sie in Kraft.

Wir blicken heute also auf 58 Jahre gemeinsame Agrarpolitik in Europa zurück. Das ist eine Verantwortung für die Zukunft, beieinander zu bleiben und eine gemeinsame Politik zu formulieren. Der Agrarhaushalt macht mit 58,7 Milliarden Euro rund 36 Prozent des gesamten EU-Haushalts aus. Das ist der größte Einzelposten im europäischen Budget! Deshalb ist er auch so heiß umkämpft. Der Grund ist leicht erklärt und wird doch oft vergessen: Es geht hier um nichts weniger als um die Ernährung von 450 Millionen Menschen – allein in Europa!

Auch die Bedeutung der gemeinsamen Agrarpolitik für den Integrationsprozess in Europa wird häufig unterschätzt. Wieso Integrationsprozess? Weil viele unterschiedliche Aspekte, die in der Land- und Ernährungswirtschaft eine Rolle spielen, über ganz Europa vernetzt sind. Weil das so wichtig ist, tagen die EU-Agrarministerinnen und Agrarminister häufiger als die meisten Kollegen der anderen Ressorts, so häufig wie die Finanz- und Außenminister. Die Landwirtschaftsminister sind ständige Gäste in Brüssel. Wie alle Politikfelder ändert sich Agrarpolitik und hat sich bereits massiv geändert:

  • Ansprüche der Verbraucherinnen und Verbraucher ändern sich.
  • Umwelt- und Klimaschutz werden wichtiger und die Strategien mehr. 

Ich nenne Ihnen Schlagworte: Green Deal, Farm-to-Fork (vom Acker auf den Tisch), Biodiversitätsstrategie, die Neue Ausrichtung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik – all das – die Vorstellungen von Umwelt- und Klimaschutz, Tierwohl und Ernährungssicherung muss verzahnt werden. Denn am Ende sind es unsere Landwirte, die immer strengere Anforderungen erfüllen müssen. Es gibt, was das angeht, innerhalb der europäischen Agrarpolitik immer nur einen Weg: Es wurde für unsere Landwirte immer strenger und komplexer. Vor uns liegen spannende und arbeitsreiche sechs Monate, die auch unter dem Eindruck der Corona-Krise stehen. Gern möchte ich Ihnen meine wichtigsten Ziele vorstellen. Damit Sie eine Vorstellung davon haben, was leistbar ist, was Pflichtaufgabe und was die Kür ist. 

Bewältigung der Corona-Krise und ihrer Folgen

Die Covid19-Krise und ihre Folgen war und ist für die gesamte Bundesregierung eine Herausforderung, insbesondere was sie auch bedeutet für den Zusammenhalt innerhalb Europas. Wir müssen aus den Erfahrungen die richtigen Schlüsse ziehen. Damit Europa und die europäische Ernährungs- und Landwirtschaft für kommende Krisen gewappnet sind. Es ist wichtig, dass wir uns für die Schwachstellen, die wir gesehen haben, wappnen. Insbesondere auch wenn es um Lieferketten ging odereinseitig Grenzen geschlossen worden sind - all das hatte unmittelbare Auswirkungen auf die Ernährungswirtschaft.

Die Lebensmittelversorgung in Europa war auch in der Krise immer gesichert. Durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Agar- und Ernährungsministern, aber auch mit anderen Ressorts. Auch dort, wo die Grenzen geschlossen waren, gab es auch zum Beispiel Fast-Lanes für Lebensmitteltransporte. Doch kurzzeitige Lücken in den Regalen haben vielen Menschen den Wert vor Augen geführt, den eine selbstverständliche Versorgung hat. Die Wertschätzung für heimische, regionale Lebensmittel und für unsere Landwirte ist gestiegen. Das freut mich sehr. Wir hören das auch aus anderen europäischen Ländern.

Es war immer klar: Unsere Landwirte und Fischer konnten sich auf die Unterstützung der Politik verlassen. Auch in Deutschland war das klar: Wir haben schnell dafür gesorgt, dass auch die Landwirtschaft in ein Soforthilfeprogramm kommt. Die Landwirtschaftliche Rentenbank hat ein Programm aufgelegt, wir haben die Landwirtschaft natürlich auch im Konjunkturhilfe-Programm vorgesehen oder sei es bei der Gewinnung von Saisonarbeitskräften – sicherlich unter höheren Auflagen, das war nicht einfach für unsere Landwirte, aber das war für unsere Ernährungssicherung wichtig. Und die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die Krisenresilienz ausbaufähig ist. Wir müssen schauen, wo ein System krisenanfällig ist. Funktionierende Lieferketten sind unabdingbar für die verlässliche Versorgung mit Lebensmitteln. Wir brauchen die Freizügigkeit von Arbeitskräften. Beides müssen und wollen wir stärken!

Die EU und der gemeinsame Binnenmarkt haben Europa großgemacht. Es wird uns nicht weiterbringen, wenn wir stattdessen uns mehr Konsumnationalismus vornehmen und dabei nur auf sich selbst zu achten. Das halte ich für einen Fehler. Auf der einen Seite geht es um einen genussvollen Lokalpatriotismus, aber auf der anderen Seite sind wir aufeinander angewiesen und nur gemeinsam stark.

Welche Themen will ich darüber hinaus voranbringen?  

Tierwohl

Wir müssen das Thema Tierwohl in Europa nach vorne bringen, einen höheren Stellenwert einräumen. Deshalb trete ich für ein einheitliches europäisches Tierwohlkennzeichen ein, das Verbrauchern an der Ladentheke die Entscheidung für mehr Tierwohl ermöglicht. Klar ist aber auch: Tierwohl – das kostet Geld. Ebenso wie ein Mehr an Umwelt- und Klimaschutz. Das wird natürlich dann auch teurer. Sie wissen, ich bin vorangegangen in Deutschland und habe ein Tierwohlkennzeichen vorgelegt. Jetzt ist das Parlament gefragt, sich damit zu beschäftigen. Die Niederlande und Dänemark haben auch ein Tierwohlkennzeichen. Es ist mir gelungen im Vorfeld der EU-Ratspräsidentschaft durch meine Gespräche, die ich mit jedem einzelnen EU-Landwirtschaftsminister geführt habe, das Tierwohlkennzeichen auf die Tagesordnung zu setzen und ich habe die Zusage von Portugal bekommen, dass sie das Thema weiterbearbeiten. Denn es ist illusorisch, dass in einem halben Jahr ein fertiges Tierwohlkennzeichen mit allen Kriterien angenommen wurde. Noch vor 5 Jahren hätten wir ein Tierwohl-kennzeichen überhaupt nicht auf die Tagesordnung bekommen. Das ist also ein guter Erfolg. Sie wissen, dass die Eier-Kennzeichnung 10 Jahre gedauert hat. 

Biodiversitätsstrategie/Farm-to-Fork

Ganz allgemein ist unsere Haltung klar als Deutschland: Wir sagen, dass Um-weltauflagen notwendig sind und es klare einheitliche Standards braucht, die aber für alle gelten müssen in der EU. Wir brauchen ebenso eine Folgenabschätzung, zum Beispiel für die Farm-to-Fork-Strategie. Wir müssen wir auch immer die wirtschaftlichen Folgen im Blick behalten, wenn wir einerseits Ertragssicherung haben wollen und andererseits von der Landwirtschaft verlangen, dass sie die Hälfte an Pflanzenschutzmitteln einspart. Das habe ich der Kommission mitgeteilt und sie hat selbst auch bestätigt, dass sie das für wichtig hält. Die Landwirtschaft darf nicht zerrieben werden zwischen Wirtschaftlichkeit auf der einen und Umweltschutz auf der anderen Seite. Beides gehört zusammen. Ohne Biodiversität werden wir keine Wirtschaftlichkeit haben in der Landwirtschaft, aber ohne Landwirtschaft werden wir auch keine Biodiversität und keine Ernährungssicherung haben. Neue Züchtungstechnologien und die Digitalisierung in der Landwirtschaft können helfen, diese Zielkonflikte aufzulösen. Wer regionale, landwirtschaftliche Erzeugung erhalten will darf nicht mit immer höheren Auflagen – ohne diese auch zu honorieren – den Agrar-standort Europa kaputt machen. Blicken wir auf Mercosur. Wir wissen, dass dort unter anderen Bedingungen gerade Ackerfläche gewonnen wird: Stichwort Brasilien. Das kann nicht unser Ansinnen sein in Europa. Dass wir dann Produkte importieren, die unsere Standards nicht im Ansatz erfüllen. Die Farm-to-Fork-Strategie greift an manchen Stellen unsere deutschen Initiativen auf: Das Tierwohlkennzeichen etwa, die erweiterte Nährwertkenn-zeichnung oder den Kampf gegen Lebensmittelverschwendung. 

GAP

Zur Gemeinsamen Agrarpolitik Europas: Unter diesen Bedingungen, die ich eben erwähnt habe, verhandeln wir die neue europäische Agrarpolitik. Die ist ein Systemwechsel. Weil ich immer wieder höre von anderen: Wir brauchen eine Agrarwende und kein ‚weiter so‘. Die, die das immer wiederholen, sind nicht auf dem aktuellen Stand der Diskussion der Gemeinsamen Agrarpolitik. Es wird eine Neuausrichtung geben: Es wird mehr Umwelt-, mehr Klimaschutz und mehr Tierwohlstandards geben. Es wird in der ersten Säule, in der es um Direktzahlungen geht, keine Zahlungen geben, ohne dass diese an Konditionen geknüpft sind.

Dabei ist eines ganz klar: Das alles wird es nicht ohne einen angemessenen Agrarhaushalt geben. Denn wenn wir immer mehr von den Landwirten verlangen, dann müssen wir für deren Umweltleistungen auch Geld zur Verfügung stellen. Deshalb ist es so wichtig, dass der Agrarhaushalt sehr schnell verabschiedet wird. Die Landwirte brauchen eine Entscheidung und wir brauchen als Entscheidungsgrundlage auch das Budget. 

Fischerei

Aber die Fischerei spielt nicht für jeden eine zentrale Rolle in Deutschland, weil nur einige Bundesländer damit direkt zu tun haben. Aber wir haben den Agrar- und Fischereirat, der zusammen tagt. Auch bei der Fischerei steht einiges an: Fangquoten, Hilfen für die Fischerei, wenn es um Stilllegungen geht zum Beispiel oder wenn es um den Brexit geht. Wir brauchen eine kluge Balance zwischen Schutz der Fischbestände und andererseits Überlebensfähigkeit der Fischerfamilien. Sinkende Fischbestände führen zu Einbußen, der Brexit zu erheblichen Unsicherheiten. Warum ist das so mit dem Brexit? Ein hoher Teil der Fische wird in britischen Gewässern gefangen. Deshalb ist für uns wichtig, dass die Verhandlung von Freihandelsabkommen nicht von den Fischereiverhandlungen getrennt werden. Die Corona-Krise hat die Absatzmärkte deutlich geschwächt. Unsere Fischbestände müssen sich erholen, um unseren Fischern den Ertrag zu sichern. Wir sind auf einem guten Weg: Rund 80 Prozent der Bestände werden schon nachhaltig bewirtschaftet. Das hat sich verbessert. Klar ist: Landwirtschaft wird grüner werden, Fischerei wird nachhaltiger. Dazu braucht jeder Planungssicherheit. 

Damit möchte ich zum Schluss kommen:

Wir brauchen verschiedene Formen des Treffens und Zusammenkommens. Es wird Zeit, dass wir uns auch wieder physisch sehen – auch als Agrarminister. Verhandlungen bei Videokonferenzen sind schwierig. Es braucht auch immer wieder direkte Begegnungen. Deshalb werden wir am 20. Juli eine Präsenzsitzung in Brüssel anbieten. Ich werde auch den Umwelt- und Agrarausschuss und Kommissare treffen.

Die EU-Ratspräsidentschaft, das heißt: volles Programm. Allein 6 Ministertreffen im Agrar- und Fischerreichbereich stehen auf der Agenda der deutschen Ratspräsidentschaft. Das sind die regulären Treffen. Das schließt nicht aus, dass weitere Treffen stattfinden. Dazu kommt eine Vielzahl weiterer Gespräche auf Fachebene, mit der Kommission, dem Europäischen Parlament, den Mitgliedstaaten. Highlight wird Ende August das informelle Agrarministertreffen Europas sein. Das findet immer im Land der Ratspräsidentschaft statt. Ich lade ein nach Koblenz Ich werde auf die Tagesordnung unter anderem auch das Tierwohlkennzeichen setzen.

Ich weiß, die Erwartungen an Deutschland sind immens hoch – nicht nur wegen des Budgets. Vieles von dem, was auf der Agenda der vorherigen Ratspräsidentschaft stand, ist in Verzug geraten aufgrund von Corona. Es gilt, die Interessen von 27 Mitgliedstaaten als Ratspräsidentschaft zusammen zu bringen. Das heißt: ein ehrlicher Makler zu sein und nicht die lauteste Stimme zu sein, nicht den Chef im Ring zu spielen, sondern Vermittler zu sein zwischen den unterschiedlichen Positionen.

Mein Ziel ist nicht der kleinste gemeinsame Nenner. Sondern ich will, dass wir unseren Teil dazu beitragen zum Motto der deutschen EU-Ratspräsidentschaft: „Gemeinsam. Europa wieder stark machen.“ Nur Ein starkes Europa kann eine starke Agrarpolitik und eine starke gesicherte Ernährungspolitik hervorbringen.

In einer globalisierten Welt, werden wir nur dann Gehör finden, wenn wir mit einer Stimme sprechen und nicht in einem großen Chor. Kein Mitgliedstaat allein kann die globale Agenda bestimmen. Das vereinte Europa ist ein großartiges Verdienst. Wir haben auch die Pflicht, der kommenden Generation etwas weiter zu geben und ihr den Boden zu bereiten. Und deshalb sage ich: Eine der entscheidenden tragenden Säulen der europäischen Politik ist die Agrarpolitik. Ich freue mich, dass sie in den Fokus rückt und mit ihnen auch unsere vielen Bäuerinnen und Bauern, die dafür sorgen, dass wir jeden Tag den Tisch gedeckt bekommen.“

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