Wir müssen weiter forschen und neue Nutzungskonzepte entwickeln, die unsere Fischerei auf nachhaltige Beine stellen

Festrede der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, zur Einweihung des neuen Institutsgebäudes für die Thünen-Institute Seefischerei und Fischereiökologie

Es gilt das gesprochene Wort.

Anrede!

Ich freue mich sehr, heute hier den neuen Standort der Fischereiforschung des Thünen-Instituts einzuweihen.

Hier, an diesem Ort, wo deutsche Fischereigeschichte geschrieben worden ist. Denn hier in diesem Hafen wurde 1885 die moderne Hochseefischerei in Deutschland begründet. Noch heute ist Bremerhaven der wichtigste Standort für die deutsche Fischverarbeitung. Und dennoch – wir sehen es - machte der Strukturwandel in der Fischerei auch vor Bremerhaven nicht halt.

Während die Fischerei gleichzeitig weiterhin den Ort und seine Menschen prägt. Denn sie schafft Identifikation. Sie ist für viele integraler Bestandteil der Heimat. Einen Heimathafen hat hier auch unser Forschungsschiff "Walther Herwig" gefunden – und soll es auch sein Nachfolger, unser neues Forschungsschiff.
Und nicht zu vergessen das Alfred-Wegner-Institut, das hier ebenfalls angesiedelt ist. Deshalb ist auch genau hier, im Fischereihafen Bremerhaven, ein guter Ort, um eine wichtige Heimstätte der deutschen Fischereiforschung zu werden.

Aber: Braucht Deutschland überhaupt noch die Fischereiforschung? Immerhin holt unsere eigene Fischerei nur noch rund ein Viertel des bei uns verspeisten Meeresfisches selbst aus dem Wasser. Der Rest wird importiert.
Um es vorwegzunehmen: Ja! Wir brauchen die Fischereiforschung des Thünen-Instituts!

Lassen Sie mich Ihnen drei Gründe nennen:

1. Grund: Überfischung der weltweiten Fischbestände

Rund 14 Kilogramm Fisch essen wir Deutsche pro Kopf und Jahr. Als Bundesernährungsministerin kann ich das nur begrüßen. Fisch und Meeresfrüchte gehören zu einer ausgewogenen und gesunden Ernährung – sie liefern wertvolle Eiweiße, Vitamine und Mineralstoffe sowie ungesättigte Fettsäuren.

Auch weltweit steigt die Nachfrage nach Fisch. Nach Zahlen der Vereinten Nationen liegt der weltweite Pro-Kopf-Fischkonsum heute schon bei über 20 Kilogramm. In den 1960er Jahren waren es noch 10 Kilogramm. Fisch ist ein begehrtes Lebensmittel, vor allem in Europa. In wirtschaftlich und klimatisch weniger begünstigten Ländern ist Fisch aber vor allem ein Mittel zum Überleben.

Das wird besonders in Dürrezeiten, wie wir sie gerade selbst erleben, deutlich: Wenn Getreideernten schlecht ausfallen, wird der Zugang zu Meeresfisch zur Existenzfrage!

Doch ein Drittel der weltweiten Fischbestände sind immer noch am Limit. Damit steigt die Gefahr, dass wir uns langfristig des Lebensmittels "Meeresfisch" berauben. Deshalb ist es so wichtig, ein Institut wie das für Seefischerei zu haben. Es erfasst und bewertet die Fischbestände im Nordostatlantik, wo die Fanggebiete unserer Fischerei liegen. Und es liefert uns wichtige Ergebnisse, wie wir die lebenden Meeresressourcen nachhaltig nutzen können.

Die wissenschaftlichen Empfehlungen, die wir umgesetzt haben, haben in den vergangenen zehn Jahren eine außerordentliche Wirkung gezeigt: Die Zahl der nachhaltig bewirtschafteten Bestände im Nordostatlantik ist in diesem Zeitraum sprunghaft angestiegen: von nur 4 Beständen im Jahr 2008 auf 54 in diesem Jahr!

2. Grund: der Brexit

Ausgerechnet die aktuellen politischen Entwicklungen liefern einen zweiten wichtigen Grund, warum wir uns eine gut ausgestattete deutsche Fischereiforschung leisten müssen: Im März 2019 wird der Brexit vollzogen und die Briten treten aus der Europäischen Union aus. Dann drohen 100 Prozent unserer traditionellen Fanggebiete für Nordsee-Hering mit einem Mal wegzufallen!

Meine Mitarbeiter im Bundesministerium und ich, wir setzen uns mit viel Herzblut dafür ein, die Fangrechte für die deutschen Fischer zu sichern. Denn wir wissen, dass der ungehinderte Zugang zu britischen Gewässern für die deutsche Hochsee von zentraler Bedeutung ist. Der Hering ist immerhin einer der beliebtesten Verzehrfische und ein wichtiger Brotfisch unserer Fischerei!

Doch ich will ehrlich sein: Wir müssen uns bei allem redlichen Mühen um eine einvernehmliche Lösung mit den Briten auch auf einen harten Brexit vorbereiten. Es wäre schlichtweg unverantwortlich, frei nach der Vogelstraußtaktik, nicht nach Alternativen zu suchen. Zudem ist noch nicht abzusehen, wie sich der Brexit auf die Gemeinsame Fischereipolitik auswirken wird. Deshalb sind wir auch hier auf die Arbeit der Institute für Seefischerei und Fischereiökologie angewiesen. Wir müssen wissen, wie wir unsere Fischbestände sichern, und wo neue, alternative Nutzungsmöglichkeiten liegen.

3. Grund: Veränderte Umwelt- und Klimabedingungen und gesellschaftliche Erwartungen

Auch der dritte Grund macht die wissenschaftliche Suche nach neuen Nutzungskonzepten für unsere lebenden Meeresressourcen notwendig. Ich spreche von den sich verändernden Klima- und Umweltbedingungen und gesellschaftlichen Erwartungen. Die vom Mensch induzierten Klima- und Umweltveränderungen tragen viel dazu bei, dass unsere natürlichen Fischbestände zusätzlich unter Stress geraten. Fischer weltweit müssen auf diese Veränderungen reagieren.

Gleichzeitig ist in den vergangenen Jahrzehnten unser Bewusstsein für unsere Schöpfung gestiegen und der Wille, unsere natürlichen Ressourcen zu schützen. Heute erwarten wir Verbraucher von unseren Fischern, dass sie nachhaltig wirtschaften. Erfreulicherweise haben wir gerade in der Nord- und Ostsee in den vergangenen Jahren große Erfolge erzielt. Inzwischen stammen die Anlandungen aus der Nordsee fast zu 100 Prozent aus nachhaltig bewirtschafteten Beständen. Das ist ein großer Erfolg. Damit haben wir ein wichtiges und ehrgeiziges Ziel der Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik in der Nordsee bald erreicht.

All dies wäre aber nicht möglich gewesen, ohne die fachliche Begleitung und wissenschaftliche Unterstützung der Forschung – also von Ihnen und Ihren Mitarbeitern, sehr geehrte Herren Dr. Kraus und Dr. Hanel. Herzlichen Dank!

Wir dürfen uns auf diesen Lorbeeren aber nicht ausruhen. Wir müssen weiter forschen und neue Nutzungskonzepte entwickeln, die unsere Fischerei auf nachhaltige Beine stellen. Ich denke da etwa an die Entwicklung nachhaltiger Produktionsverfahren in der Meeres- und Binnen-Aquakultur.

In Deutschland wird die Meeres-Aquakultur oft mit Argwohn beäugt. Eine schlechte Bewirtschaftung führt allzu häufig zu einer Verschmutzung und Belastung der Meeresökosysteme. Und immer wieder kommt es zu Unfällen und Verunreinigungen der Wildbestände, erst kürzlich wieder bei einer norwegischen Aquakultur in Chile. Doch eines muss uns klar sein: Solange unsere Wildbestände weltweit nicht ausreichen, um unseren Hunger nach Fisch zu stillen, werden Aquakulturen "aus dem Meer sprießen".

Die aktuellen Zahlen belegen bereits, wie wichtig die Aquakultur ist: Von den 2016 weltweit verarbeiteten 171 Millionen Tonnen Fisch stammt fast die Hälfte, 80 Millionen Tonnen, aus Aquakulturen. 2011 waren es nur knapp 62 Millionen Tonnen. Deshalb bin ich überzeugt: Auch Europa und Deutschland müssen dazu beitragen, dass eine nachhaltige Aquakultur gelingt. Denn darin liegt eine große Chance: Wenn es gelingt, Aquakultur zu betreiben, ohne der Umwelt und dem Ökosystem Meer weiter zu schaden, ist für die Sicherung der Fischbestände viel getan. Dazu gehört auch, weiter an einem Ersatz von Fischmehl als Futter für die Aquakulturen zu forschen. Dies hilft den Meeresfischbeständen unmittelbar!

Wichtig ist auch, dass wir versuchen, die klassische Aquakultur Deutschlands – die Karpfen und Forelle im Binnenland produziert –, aus ihrem Dornröschenschlaf holen. Seit Jahren stagniert diese auf gleichbleibendem Niveau!

Ich denke da etwa an die Weiterentwicklung geschlossener Kreislaufanlagen oder die Chancen der Aquaponik. Das sind gute Ansätze für eine Weiterentwicklung der Aquakultur!

Die von meinem Ministerium geförderte wissenschaftliche Studie "Perspektiven für die deutsche Aquakultur im internationalen Wettbewerb hat Handlungsempfehlungen ausgearbeitet, die wir mit den Ländern umzusetzen wollen.
Genau dafür brauchen wir aber auch unser Institut für Fischereiökologie! Die neu geschaffene Aquakulturanlage, sehr geehrter Herr Dr. Hanel, wird Ihnen und Ihren Mitarbeitern dafür hoffentlich gute Dienste leisten!

Sie sehen: Wir brauchen die Fischereiforschungsinstitute des Thünen-Institutes mehr denn je. Denn erst wenn wir wissen, wie wir eine nachhaltige und ökosystemverträgliche Bewirtschaftung unserer Fanggebiete praktisch umsetzen können, werden wir eine ökologisch und ökonomisch stabile Fischerei sichern. Und nur dann werden wir auch noch die nächsten Generationen mit Meeresfisch versorgen können.

Die Ressortforschung, die Sie für mein Ministerium leisten, sehr geehrte Damen und Herren Mitarbeiter der Thünen-Institute, schaffen für mich erst die Grundlage für politische Entscheidungen. Ihre Arbeit ist für mich unerlässlich! Deswegen sage ich herzlichen Dank!

Ich freue mich, dass wir heute hier in Bremerhaven diese neue Heimstätte der Fischereiforschung einweihen dürfen. Und ich wünsche Ihnen viel Erfolg und ein erfüllendes und glückliches Forschen an dem neuen Standort!

Erschienen am im Format Rede

Ort: Bremerhaven


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