Die Bedeutung der Ernährungssicherung als Teil der Sicherheitspolitik wächst

Rede der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Julia Klöckner anlässlich der World Food Convention am 7. Mai 2019 in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

Einleitung

Wir sprechen heute hier über eines der wichtigsten Themen unserer Zeit: die Welternährung.

Seit 2016 steigt die Zahl der Menschen, die von Hunger bedroht sind, wieder. Vor rund einem Jahrzehnt haben zuletzt so viele Frauen, Männer und Kinder Hunger leiden müssen wie heute. Das zeigt: Wir können das Thema gar nicht oft genug auf die Agenda setzen.

Ich bedanke mich ganz herzlich beim Tagesspiegel dafür, dass er die World Food Convention ins Leben gerufen hat und damit diesem lebenswichtigen Thema ein Forum gibt.

Die Digitalisierung spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, den Hunger in der Welt zu bekämpfen


In Zeiten wie diesen ist es nicht immer leicht, mit Zuversicht in die Zukunft zu blicken. Wir alle hier im Raum kennen die Fakten.

Rund 821 Millionen Menschen leiden Hunger. Weltweit mangelt es mehr als 10 Prozent der Bevölkerung an ausreichender Nahrung. In Afrika sind es sogar 21 Prozent der Bevölkerung. Dabei können wir in der Regel nur erahnen, welches Leid sich hinter diesen Zahlen verbirgt.

Und die Situation wird sich weiter verschärfen: Bis 2050 wird die Weltbevölkerung auf neun Milliarden Menschen anwachsen.

Gleichzeitig sehen wir uns mit Problemen wie dem Klimawandel, Wasserknappheit, Bodendegradation und dem Verlust an biologischer Vielfalt konfrontiert. Die Konsequenzen bekommen wir schon jetzt zu spüren: Laut FAO-Prognose werden im Agrarjahr 2018/19 30 Millionen Tonnen Getreide mehr verbraucht als geerntet.

Manchmal fühlen wir uns in Anbetracht dieser Tatsachen ohnmächtig, wie gelähmt. Aber wir dürfen uns diesem Gefühl nicht hingeben. Denn Angst macht uns handlungsunfähig. Dabei brauchen wir genau das Gegenteil: Optimismus. Aber wie kann das gelingen? Was können wir tun, um dem Gefühl der Ohnmacht etwas entgegenzusetzen?

Für mich ist das ganz klar: Wir müssen uns auf unsere Stärken besinnen. Es ist richtig – in den vergangenen 50 Jahren hat sich die Weltbevölkerung verdoppelt. Aber: Im gleichen Zeitraum konnten wir auch die globale landwirtschaftliche Produktion verdreifachen. Das haben wir zu einem großen Stück technologischen und organisatorischen Innovationen zu verdanken.

Viele der heutigen und zukünftigen Innovationen sind mit digitalen Technologien verknüpft. In vielen Bereichen der Digitalisierung ist die Landwirtschaft schon heute führend. Und darauf bauen wir.

"Wir" – das ist die internationale Staatengemeinschaft.

Im Rahmen der elften Agrarministerkonferenz hier in Berlin haben wir im Januar mit Landwirtschaftsministerinnen und -ministern aus 74 Nationen darüber beraten, wie wir zentrale Bereiche der Landwirtschaft mithilfe der Digitalisierung stärken können. Und wir sind uns einig: Wir wollen die Potenziale der Digitalisierung nutzen.

Damit wir Familien in ländlichen Regionen eine Perspektive bieten können.

Damit wir Kinder und Erwachsene überall auf der Welt vor Hunger und einem qualvollen Tod schützen können.

Damit das Recht auf Nahrung – wir sprechen hier von einem Menschenrecht – niemandem verwehrt bleibt.

Der "Internationale Digitalrat für Ernährung" wird eingerichtet, um die Digitalisierung in der Landwirtschaft weltweit voran zu bringen.

Die Möglichkeiten und die Geschwindigkeit des Wandels, die die Digitalisierung und der technische Fortschritt mit sich bringen, sind beispiellos. Ein passgenauer und damit sparsamer Einsatz von Ressourcen ist nur einer der vielen.

Es geht um eine bessere Versorgung von Tieren im Stall. Und um eine lückenlose Dokumentation. Es geht darum, Pflanzenschutz- und Düngemittel noch zielgerichteter und sparsamer einzusetzen, Wasser effizienter zu nutzen oder die Wirtschaftlichkeit eines Betriebes zu optimieren.

Gleichzeitig gilt es, mögliche Risiken und denkbare anstehende Strukturveränderungen, die sich durch die Digitalisierung ergeben können, im Blick zu haben.

Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Agrarpolitik den Prozess der Digitalisierung aktiv voranbringt. Dabei ist eines unserer Ziele, die existierende digitale Kluft zu verringern. Ohne eine starke internationale Zusammenarbeit ist das kaum möglich. Aber wie kann das gelingen? Auch diese Frage haben wir intensiv bei der diesjährigen Agrarministerkonferenz diskutiert.

In einem ersten Schritt wollen wir einen "Internationalen Digitalrat für Ernährung und Landwirtschaft" schaffen. Die FAO wird das Konzept für die Errichtung des Digitalrats erarbeiten und dabei internationale Organisationen, zum Beispiel die Weltbank und das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP), sowie weitere wichtige Stakeholder einbeziehen. Und wir werden die FAO hierbei finanziell unterstützen.

Lassen Sie mich erklären, was wir uns unter dem geplanten Digitalrat vorstellen:

Der Digitalrat soll die internationale Zusammenarbeit im Bereich der Digitalisierung stärken. Er soll Hilfestellung leisten, wichtige Trends frühzeitig erkennen und Lösungsansätze entwickeln. Er soll sich mit Fragen der Regulierung aus Sicht der Land-wirtschaft beschäftigen, zum Beispiel mit Blick auf Datenrechte, -zugang und -nutzung.

Es geht darum, Empfehlungen an die zuständigen Regulierer auf nationaler, supranationaler und internationaler Ebene auszusprechen. Und wir wollen Konzepte für die Digitalisierung auf Farmlevel, aber auch für die digitale Vernetzung in der Wertschöpfungskette entwickeln.

In Deutschland sind wir diesbezüglich bereits in der Umsetzung: Wir werden jetzt landesweit "Experimentierfelder" schaffen. Dies sind digitale Testfelder auf landwirtschaftlichen Betrieben, auf denen untersucht wird, wie digitale Techniken optimal zum Schutz der Umwelt, des Tierwohls, der Biodiversität und der Arbeitserleichterung eingesetzt werden können. Wir werden beispielsweise erforschen, wie man mithilfe von Sensoren Wassermangel bei Pflanzen überwachen und monitoren kann.

Wir wollen überprüfen, wie Fernerkundungstechnologien und Geodaten im Pflanzenbau genutzt werden können. Und es geht darum zu analysieren, welche Vorteile Digitalisierung, Modellierung und Datenmanagement für die Tierhaltung bringen können – insbesondere bei der Früherkennung von Krankheiten oder beim Geburtenmanagement.

Das BMEL verfolgt im Bereich der Welternährung einen ganzheitlichen Ansatz.

Die Digitalisierung in der Landwirtschaft weltweit strukturiert voranzubringen, ist nur einer unserer Ansätze zur Ernährungssicherung. Es ist auch unsere Aufgabe, die geeigneten Rahmenbedingungen zu schaffen. Dazu unterstützt mein Ministerium die Vereinten Nationen, insbesondere ihrer Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO). Um Produktion und Produktivität in der Land- und Ernährungswirtschaft in nachhaltiger Weise zu steigern.

Wir wollen nicht nur eine europäische Agrarpolitik, sondern auch globale Handelsregeln, die die Ernährungssicherung weltweit unterstützen. Lebensmittel dürfen nicht zu Spekulationsobjekten werden. Extreme Preisausschläge können die Lebensmittelversorgung insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern massiv gefährden. Schließlich sind sie auf Importe angewiesen. Deshalb machen wir uns für Transparenz und angemessene Regulierung auf den internationalen Agrarmärkten stark.

Ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt ist die Forschung. Dazu gehört auch, dass wir die Zulassung und die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln weiter optimieren. Denn bei aller Kritik muss klar sein: Pflanzenschutzmittel sind für die Ernährungssicherung unerlässlich. Und wir fördern die Entwicklung neuer Pflanzenzüchtungen, um unsere Kulturpflanzen widerstandsfähig gegen Schaderreger, Kälte, Trockenheit oder Hitze zu machen.

Afrika: Die Zukunft des Kontinents hängt maßgeblich von der Agrarwirtschaft ab

Der Kampf gegen Hunger braucht unsere unverminderte Aufmerksamkeit. Dies gilt vor allem für Afrika. Derzeit kann die Landwirtschaft in Afrika die Bevölkerung weder quantitativ noch qualitativ ernähren. Es sind fehlende Möglichkeiten der Lagerung, Kühlung, Verarbeitung und des Transports, die häufig dazu führen, dass die produzierten Nahrungsmittel nicht bei denen ankommen, die sie dringend benötigen.

Ein stabiles und konstant hochwertiges Angebot zur Verarbeitung ist aufgrund struktureller Produktionsunterschiede im Vergleich zur EUoft nicht möglich.

Zusätzlich erschwert wird die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors durch hohe Energie- und Wasserkosten, teils gravierende Wasserknappheit, wetterbedingte Missernten, aber auch einen geringen Ausbildungsstand, und unzureichenden Zugang zu Kapital.

Deshalb ist die Entwicklung der afrikanischen Landwirtschaft auf erhebliche Investitionen angewiesen.

Mit der Agenda 2063 der afrikanischen Staaten sowie der Malabo-Erklärung von 2014 wurden richtungsweisende Entscheidungen getroffen. Es wurde vereinbart, dass zehn Prozent der nationalen Haushalte in die landwirtschaftliche Entwicklung investiert werden.

Deutschland und Europa unterstützen dabei. In den vergangenen Jahren haben wir unser Engagement für den afrikanischen Kontinent kontinuierlich ausgebaut. Und ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen: Die oftmals kritisierten Agrarexportsubventionen wurden bereits 2013 auf EU-Ebene abgeschafft, 2015 mit Beschluss der WTO Ministerkonferenz weltweit.

Unser Ziel ist es, Afrikas Kapazitäten zu stärken und seine Länder durch Knowhow- und Technologietransfer beim Ausbau wirtschaftlicher Strukturen zu unterstützen. Das ist auch im Koalitionsvertrag verankert. Denn Afrika muss eine langfristige Perspektive durch eine stärkere Landwirtschaft erhalten.

Für den Kampf gegen Hunger ist anwendungsorientierte Forschung wichtig. Mit unserer Forschungsinitiative "Nutrition – Diversifizierte Landwirtschaft für ausgewogene Ernährung in Subsahara Afrika" helfen wir, Wissenslücken im Bereich ernährungssensitiver Nahrungsmittelsysteme zu schließen. Das Fördervolumen liegt hier bei 8 Millionen Euro.

Darauf aufbauend haben wir eine zweite Forschungsinitiative in Subsahara-Afrika und Südostasien gestartet. Dabei stehen die verbesserte Ernährung und die Reduktion von Nachernteverlusten im Mittelpunkt. Dazu stehen 3,5 Millionen Euro zur Verfügung.

Die Bedeutung der Ernährungssicherung als Teil der Sicherheitspolitik wächst

Ich möchte ein weiteres Thema ansprechen: Es geht um das Ineinandergreifen von Ernährungssicherheit und Konflikten. Ernährungsunsicherheit und Konflikte bedingen einander und verschärfen sich gegenseitig.

Engpässe in der Nahrungsmittelversorgung begünstigen politische Instabilitäten. Hohe Nahrungsmittelpreise treffen insbesondere Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen. Das fördert soziale Ungleichheiten und birgt hohes Konfliktpotential.

Umgekehrt betreffen Hunger und Mangelernährung insbesondere die von Konflikten und politischer Instabilität betroffenen Länder. Die entsetzlichen Bilder, beispielsweise aus dem Jemen, beweisen das.

Die Agrar- und Ernährungspolitik trägt eine große Verantwortung, wenn es darum geht, die gesellschaftliche Stabilität weltweit zu sichern. Deshalb betrachten wir die Ernährungssicherheit als zunehmend wichtigen Bestandteil der Sicherheitspolitik und Krisenprävention. Aus diesem Grund ist dieses Themenfeld schon seit 2015 fest in meinem Ministerium verankert.

Schluss

Dem Klimawandel oder dem Hunger auf der Welt können wir nur etwas entgegensetzen, wenn wir jetzt die richtigen Entscheidungen treffen. Wir müssen jetzt die Weichen für die Zukunft stellen und die Digitalisierung aktiv voranbringen, um Lösungen für die Probleme von Morgen zu finden.

Was wir brauchen, sind der Austausch und die Diskussion darüber, wie wir die Probleme der Zukunft angehen – und zwar über Ländergrenzen hinweg.

Globale Probleme werden wir nur gemeinsam lösen können. Wir müssen uns gegenseitig Mut machen und gemeinsam neue Wege beschreiten, um bestmöglich auf die Fragestellungen der Zukunft vorbereitet zu sein.

Erschienen am im Format Rede

Ort: Berlin


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