Wie viel Zucker ist in Getränken sinnvoll?

Rede der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Julia Klöckner auf der Jahrestagung der Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke e.V.

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede

Essen und Trinken müssen wir alle – das war schon immer so.

Zwei bis drei Liter Flüssigkeit sollte ein Erwachsener pro Tag aufnehmen – davon gut einen bis zwei Liter durch Getränke. Insgesamt trinken die Deutschen pro Kopf rund 680 Liter jährlich.

Mit einem Umsatzanteil von rund acht Prozent ist die Getränkeindustrie die drittgrößte Branche der Nahrungs- und Genussmittelindustrie. Ihre Branche schaut auf ein erfolgreiches Jahr zurück: Der Pro-Kopf-Verbrauch von Erfrischungsgetränken ging nach oben – um ganze sechs Prozent.

Jeder Deutsche hat im vergangenen Jahr im Durchschnitt 123 Liter Erfrischungsgetränke getrunken.

Reduktionsstrategie – weniger ist mehr als gemeinsames Ziel

Viel trinken ist gesund, wir müssen aber auch eines bedenken: Je mehr süße Erfrischungsgetränke wir trinken, desto mehr Kalorien nehmen wir auch zu uns. Das sind Extra-Kalorien, die keinen Sättigungswert haben.

Deshalb müssen wir uns auch die Frage stellen, wie viel Zucker in solchen Getränken sinnvoll ist. Cola gehört zu den besonders süßen Getränken – in einem Glas findet man schnell mal sieben Zuckerwürfel. Nur wenige Verbraucher würden ihre Tasse Tee mit so viel Zucker süßen.

Wo wir beim nächsten Stichwort sind: Eistee – in einigen Sorten sind 28 Würfelzucker pro Liter zugesetzt – also auch fast sechs Würfelzucker pro Glas.

Da ist die empfohlene Höchstmenge an täglicher Zuckerzufuhr schnell gedeckt – das ist vielen Verbrauchern nicht klar. Und bei einem Glas bleibt es auch oft nicht.

Cola und Limo sind also oft am Pranger der Verbraucherschützer – viele Säfte haben es aber naturgemäß auch in sich und enthalten viel Zucker.

Deutsche sind in vielen Disziplinen Weltmeister – unter anderem im Fruchtsaftkonsum. Rund 32 Liter trinkt jeder Deutsche im Jahr. „Apfelsaftschorle“ zum Beispiel ist ein typisch deutsches Getränk – die englische Sprache kennt dafür noch nicht einmal eine Übersetzung. Ob jung oder alt – mit 13 Litern pro Kopf Jahresverbrauch ist es der beliebteste Durstlöscher unter den Fruchtsäften.

Wir müssen uns also mit der Frage beschäftigen, wieviel Zucker ist in Getränken sinnvoll?

Und wir müssen auch danach fragen, warum einige Getränke vom gleichen Hersteller doppelt so viel Zucker in Deutschland enthalten wie in anderen europäischen Ländern?

Mit diesen Fragen haben wir uns in den zahlreichen Gesprächen im Rahmen der Reduktionsstrategie befasst. Seit Februar läuft die Umsetzung der im Dezember vom Kabinett beschlossenen Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten.
Sechs Verbände der Lebensmittelwirtschaft – darunter auch die Wirtschaftsvereinigung für alkoholfreie Getränke – haben dabei konkrete Vorschläge zur Reduzierung von Zucker, Fetten und Salz in einzelnen Produkten oder einer gesamten Branche vorgestellt.

Ihre Wirtschaftsvereinigung strebt im Zeitraum von 2015 bis 2025 eine Kalorienreduktion von insgesamt 15 Prozent an. Ihr Verband steht für über 90 Prozent des Marktvolumens von Erfrischungsgetränken – daher begrüße ich Ihren Vorschlag. Und er zeigt vor allem eins: Wir haben ein gemeinsames Ziel. Und das können wir im Rahmen der Reduktionsstrategie auch nach außen kommunizieren.

Wir haben in diesem Jahr eine wichtige Etappe erreicht. Das ist aber noch kein Grund, sich zurückzulehnen. Denn die Reduktion muss ehrlich erbracht werden. Das heißt: keine Rechentricks oder Mogeleien – die Reduzierung von Salz, Zucker und Fett muss einer Überprüfung standhalten.

Die Debatten beim Verbraucherschutz bewegen sich zwischen zwei Polen: Die einen fordern pauschal strengere Gesetze und die anderen wittern einen "Nanny-Staat", der ihnen den Zucker in der Limo verbieten möchte. Beide Positionen sind mir zu einseitig.

Ernährungspolitik bedeutet für mich zunächst, die Ernährungskompetenzen der Verbraucher in allen Altersklassen zu stärken – und das erreichen wir mit einem Maßnahmenbündel, wie wir es in der Reduktionsstrategie machen. Die freiwilligen Vereinbarungen im Rahmen der Reduktionsstrategie sind eine notwendige Ergänzung.

Was Verbote betrifft: Warum sollen wir etwas gesetzlich regeln, an das sich die Branche hält? Nur soweit der Weg über freiwillige Vereinbarungen nicht funktioniert, müssen wir regulatorische Maßnahmen prüfen. Lassen Sie uns mit der Reduktionsstrategie mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, dass es auch anders geht.

Wenn das nicht funktioniert, müssen aber gesetzliche Regelungen her.

In der ganzen Diskussion um Zuckergehalte war es ungünstig, dass der Getränkehersteller "Lemonaid" mit seiner zuckerreduzierten Limonade in die Schlagzeilen geriet. Die Lebensmittelüberwachungsbehörde Hamburg hatte beanstandet, dass das als Limonade deklarierte Getränk statt sieben, nur sechs Gramm Zucker enthielt.

Wie Sie wissen, wird in den "Leitsätzen für Erfrischungsgetränke" der unabhängigen Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission (DLMBK) für Limonaden derzeit ein Gesamtzuckergehalt von mindestens sieben Prozent beschrieben. Die Leitsätze beschreiben für zahlreiche Lebensmittel die Verkehrsauffassung, in der Regel auf der Basis von am Markt befindlichen Produkten.

Dass auch die Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches eine Rolle bei der Reduzierung ungünstiger Nährstoffe in Lebensmitteln spielen können, ist der Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie zu entnehmen. Ich bin mir sicher, dass die DLMBK auch den Gesamtzuckergehalt von Limonaden in den Leitsätzen für Erfrischungsgetränke überprüfen wird.

Kinderprodukte als "Zuckerbomben"

Ein Thema liegt mir noch besonders am Herzen, das ich auch immer wieder bei den Runden Tischen zur Reduktionsstrategie deutlich gemacht habe: Ich habe kein Verständnis dafür, dass Produkte, die sich vornehmlich an Kinder richten, "Zuckerbomben" sind.

15 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind übergewichtig oder fettleibig – das sind eindeutig zu viele. Dass viele die Extra-Kilos aus der Kindheit ein Leben lang behalten, hat langfristige Folgen. Für die Betroffenen bedeutet das in erster Linie gesundheitliche, oft auch psychische Beschwerden. Für das Gesundheitssystem und letztlich für jeden Einzelnen von uns entstehen erhebliche Kosten.

Ernährungsmitbedingte Erkrankungen erzeugen alleine in Deutschland jährliche Kosten von rund 70 Milliarden Euro.

Natürlich spielen da viele Faktoren eine Rolle – aber es kann doch nicht sein, dass Produkte für Kinder manchmal mehr Zucker beinhalten als vergleichbare für Erwachsene.

Auswertungen des Max Rubner- Instituts (MRI) und des Robert Koch-Instituts (RKI) haben gezeigt, dass besonders Kinder und Jugendliche einen hohen Anteil an zugesetztem Zucker und zusätzlichen Kalorien über Erfrischungsgetränke zu sich nehmen.

Bei dem Thema muss man die Vernunft walten lassen!

Besonders habe ich mich über Zucker in Baby-Tees geärgert – bis Ende 2019 soll das nun endlich verboten sein. In Tee ist von Natur aus kein Zucker enthalten. Besonders in Baby-Tees ist daher kein Zucker nötig – das soll nun endlich verboten werden.

Nährwertkennzeichnung: Klarheit und Wahrheit

Wir haben uns aber nicht nur damit beschäftigt, was in einem Produkt drin ist, sondern auch, wie man erkennt, was drin ist – Stichwort erweiterte Nährwertkennzeichnung. Auch hier arbeiten Ihre Branche und ich konstruktiv zusammen. Denn wenn der Verbraucher zufrieden ist, hilft das auch Ihrer Branche.

Verbraucher müssen klar erkennen können, was im Lebensmittel drin ist und wie viele Kalorien man zu sich nimmt.

Wo können sich Verbraucher bisher informieren? Sie können auf das Zutatenverzeichnis und die Nährwerttabelle schauen.

Alltagsnah ist das aber nicht – die Informationen stehen auf der Rückseite der Verpackungen und sind oft undurchsichtig für den Normalbürger. Wir brauchen nicht nur klare, sondern auch alltagsnahe Informationen. Denn sie sind die Grundlage guter Entscheidungen.
Wir wollen informieren, ja. Auch intensiver als jetzt. Um es den Verbrauchern einfacher zu machen, sich für eine gesunde Ernährung zu entscheiden.

Die gesunde Wahl soll zur einfachen Wahl werden. Dieser Ansatz bestimmt mein politisches Handeln.

Was ist der aktuelle Stand bei der Nährwertkennzeichnung?

Wie Sie alle wissen, gibt es verschiedene Modelle der erweiterten Nährwertkennzeichnung. Ich habe das Max Rubner-Institut (MRI) mit der Bewertung einiger relevanter Systeme beauftragt. Seit April liegt ein vorläufiger Bericht dazu vor. Das Ergebnis: alle untersuchten Systeme weisen Chancen und Limitierungen auf, weshalb keine klare Empfehlung für ein Modell gegeben werden kann.

Die EU-Kommission hat ebenfalls einen Bericht zur Evaluierung der bestehenden freiwilligen Nährwertkennzeichnungs-Systeme angekündigt. Der liegt noch nicht vor – weshalb der Bericht des MRI aktualisiert werden muss.

Trotzdem ist dieser MRI-Bericht eine gute wissenschaftliche Grundlage für unseren Prozess zur Weiterentwicklung des Nährwertkennzeichen-Systems. Was müssen wir neben der wissenschaftlichen Bewertung europarechtlich beachten?

Die EU-Rechtsetzung lässt nur die Möglichkeit zu, dass die Mitgliedstaaten ein erweitertes Nährwertkennzeichnungs-System als nicht verpflichtende Lösung einführen. Deshalb ist es wichtig, dass Sie als Lebensmittelwirtschaft wie bisher konstruktiv mitarbeiten. Nur so können wir ein System entwickeln, das Sie auch verwenden wollen!

Wichtig ist mir aber auch, dass wir die Verbraucher in den Prozess mit einbeziehen. Denn sie müssen das Nährwertkennzeichnungs-System akzeptieren und auch verstehen. Um die Verbraucher gezielt mit in den Prozess einzubeziehen, wird im Sommer eine Verbraucherbefragung durchgeführt, bei der vier bis fünf Modelle einbezogen werden.

Ende Juni besprechen wir die möglichen Nährwertkennzeichnungs-Systeme nochmals miteinander und sind sicherlich einen weiteren Schritt vorangekommen.

Innovationen in der Lebensmittelbranche

Lassen Sie mich zum Schluss noch auf das Thema Innovationen im Lebensmittelbereich eingehen. Die Ernährungsindustrie gehört zu einer der innovativsten Wirtschaftszweige in Deutschland. Die deutsche Ernährungsindustrie bringt jährlich ca. 40.000 neue Produkte auf den Markt. In keiner anderen Branche werden so viele neue Produkte auf den Markt gebracht. Sie sind bestens aufgestellt.

Nutzen Sie diese Innovationskraft, um die richtigen Produkte für das 21. Jahrhundert zu produzieren. Nutzen Sie Ihre Stärke, seien Sie innovativ!

Überlegen Sie sich, welches Angebot Sie der Gesellschaft machen wollen! Geben Sie Antworten, die überzeugen!

Im Rahmen der Reduktionsstrategie verfolgen wir auch eine Innovationsstrategie – und die heißt nicht nur auf dem Papier so. Das MRI hat bei unserer Auftaktsitzung im Dezember eine Geschmacksstraße aufgebaut und gezeigt, was schon möglich ist. Mein Ministerium unterstützt im Rahmen seines Programms zur Innovationsförderung bereits konkrete Forschungsprojekte zur Reduzierung von Zucker, Fetten und Salz – fünf Millionen Euro stehen dafür zur Verfügung. Insgesamt stehen im laufenden Jahr 56 Millionen Euro für die Innovationsförderung in meinem Ministerium bereit.

Wie sieht die Strategie konkret aus?

  • Erstens: Es wird eine zentrale Internet-Seite eingerichtet, um das Verfahren transparent zu gestalten und über abgeschlossene oder laufende Forschungsvorhaben zu informieren, und auch über alle Zielvereinbarungen.
  • Zweitens: Die bereits laufenden, von Seiten meines Ministeriums geförderten Vorhaben werden weiter eng begleitet und bei positivem Ergebnis für die breitere Praxis transparent gemacht – das gleiche gilt für die im Rahmen der „Kompetenzcluster der Ernährungsforschung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) bereits geförderten Projekte.
  • Drittens: Mein Ministerium wird zur Begleitung der Strategie bis zum Jahr 2025 erhebliche Haushaltsmittel zur Verfügung stellen – das hat im Forschungsbereich absolute Priorität.
  • Viertens: International werden sehr unterschiedliche ernährungspolitische Maßnahmen erprobt und zum Einsatz gebracht. Mein Ministerium wird Meta-Studien in Auftrag geben, um die Wirkungen der unterschiedlichen Maßnahmen zu erfassen.
  • Fünftens: Besonders Klein- und Mittelstandsunternehmen stellt die Reformulierungsstrategie vor Herausforderungen.

Deshalb steht ihnen die Forschungsförderung des Bundesministeriums für Wirtschaft (BMWi) offen. Ich möchte hier besonders auf das Programm Industrielle Gemeinschaftsförderung (IGF) aufmerksam machen, das einen schnellen und direkten Zugang zu aktuellen Forschungsergebnissen verschafft.

Wissenstransfer ist der Schlüssel zu Innovation.

Schluss

Wir haben gemeinsam bereits einen wichtigen Meilenstein erreicht: die Reduktionsstrategie steht – jetzt müssen wir sie noch umsetzen.

Wir verfolgen gemeinsame Ziele – Klarheit für die Verbraucher und weniger Zucker. Denn Zucker im Übermaß ist ein entscheidender Faktor bei der Entstehung von Übergewicht, Adipositas und ernährungsmitbedingten Krankheiten wie Typ-2-Diabetes. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass es möglich ist, eine solch grundlegende Reformulierung mit der Branche zu schaffen.

Lassen Sie uns das gemeinsam fortsetzen.

Vielen Dank!

Erschienen am im Format Rede

Ort: Berlin


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