Unser Ziel ist es, einen gesellschaftlich akzeptierten und praktikablen Rahmen zu schaffen.

Rede der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Julia Klöckner auf dem Forum "Neue Molekularbiologische Techniken. Perspektiven für den Umgang mit neuen molekularbiologischen Techniken"

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede

Einleitung

Herzlich willkommen im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft!

Herzlich willkommen zum Forum Neue Molekularbiologische Techniken 2019!

Heute geht es um Zukunft, um Zukunftstechnologien. Fachbegriffe wie "Genom-Editierung" haben längst die wissenschaftliche Community verlassen. Vor allem von der Gen-Schere CRISPR/Cas hat mittlerweile wohl fast jeder schon mal gehört.

Zuletzt ging es in der öffentlichen Debatte um ethische Fragen: Darf mit der Gen-Schere die menschliche Keimbahn verändert werden?
Die öffentlichen Debatten, das Medieninteresse zeigen: Die Techniken entwickeln sich rasend schnell, sie kommen näher ran an unseren Alltag.

Es eröffnen sich neue Chancen in der Medizin, in der Industrie - und auch in der Landwirtschaft.

Neue Technologien werfen aber immer auch Fragen auf, die beantwortet werden müssen: Von Wissenschaftlern, von Juristen, von Ethikern, von Politikern – von uns allen, für uns alle.

Ich freue mich deshalb sehr, dass Sie meine Einladung angenommen haben. Und heute mit uns einsteigen in die Debatte über den Umgang mit Neuen Molekular-biologischen Techniken.

Einerseits: Innovationspotenzial für eine zukunftsfähige Landwirtschaft

Als verantwortliche Bundesministerin schaue ich natürlich vor allem auf eines: Auf die Frage, welche Chancen und Risiken die Neuen Techniken für die Landwirtschaft haben. Und die Chancen sind groß: Die Neuen Techniken sind Werkzeuge mit einem enormen Innovationspotenzial.

Wir können damit Pflanzensorten entwickeln,

  • die extreme Trockenheit, Kälte oder Hitze aushalten.
  • Oder Pflanzensorten, denen Schädlinge nichts anhaben – so braucht der Landwirt weniger Pflanzenschutzmittel.

Ein spannendes Beispiel aus der aktuellen Forschung ist die Entwicklung von Kartoffeln, denen Kraut- und Knollenfäule nichts anhaben kann. Weil sie resistent sind gegen diese Pilzkrankheit. So könnte in feuchtwarmen Sommern, wenn es dem Pilz so richtig gut geht, das Risiko eines Totalausfalls bei der Kartoffelernte kleiner werden.

Und: die Landwirte könnten den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln deutlich verringern. Denn: Kartoffeln werden zwar nur auf etwa zwei Prozent der deutschen Anbaufläche kultiviert. Aber auf diese recht kleine Fläche kommen etwa 13 Prozent der Fungizide, die in Deutschland insgesamt auf den Äckern eingesetzt werden – wegen der Kraut- und Knollenfäule.

Das sind riesige Chancen für eine zukunftsfähige und nachhaltigere Landwirtschaft! Chancen für eine Landwirtschaft, die mit globalen Herausforderungen umgehen muss: mit dem Klimawandel oder der Sicherung der Welternährung.

Andererseits: Wir brauchen Regeln für den Umgang mit den Neuen Techniken

Wo sich neue Chancen ergeben, gibt es oft auch Risiken. Für die Neuen Techniken ist klar, dass wir Regeln brauchen. Der Europäische Gerichtshof hat im vergangenen Sommer mit seinem Urteil die aktuelle Rechtslage geklärt:

Für die Neuen Techniken gilt das europäische Gentechnik-Recht - mit allem, was da dran hängt:

  • mit seinen Zulassungsverfahren
  • und seinen Kennzeichnungspflichten.

Denn: die sogenannte Mutagenese-Ausnahme des Gentechnik-Rechts gilt nur für die klassischen Techniken, die seit den 1930er Jahren eingesetzt werden. Das heißt: für altbekannte Züchtungsverfahren, bei denen das Erbgut von Pflanzen oder Samen verändert wird durch

  • ionisierende Strahlen oder
  • Behandlung mit Chemikalien.

Das Urteil hat zwar die aktuelle Rechtslage zu den neuen Techniken geklärt.

Aber wir müssen noch viele Fragen stellen und beantworten. Fragen zur praktischen Umsetzung des Urteils, aber auch zu unseren politischen Gestaltungsoptionen. Über einige dieser Fragen möchten wir heute mit Ihnen diskutieren - zum Beispiel: Passt das rund 20 Jahre alte europäische Gentechnikrecht noch zu den rasanten technologischen Entwicklungen unserer Zeit?

Wie können wir die Neuen Techniken für die Gesellschaft nutzbar machen?

  • für mehr Nachhaltigkeit,
  • für eine gesunde Ernährung,
  • für die Anpassung an den Klimawandel?

Wie stellen wir unser hohes Verbraucher- und Umweltschutzniveau sicher?

Wie werden wir dem Vorsorgeprinzip gerecht?

Diese und viele weitere Fragen müssen wir beantworten. Und dafür brauchen wir intensive Diskussionen mit allen Beteiligten. In der EU, in Deutschland - und heute hier mit Ihnen. Wir wollen eine Debatte, die auf Fakten basiert und wissenschaftlich fundiert ist.

Wir alle wissen: Die Stichworte "Gentechnik" und "neue Züchtungstechniken"" polarisieren die Debatte. Für die einen ist der technologische Fortschritt ein großes Versprechen für die Zukunft. Verbunden mit Ertragssteigerungen und finanziellen Gewinnen. Verbunden aber auch mit Chancen,

  • auf die Folgen des Klimawandels zu reagieren,
  • die Versorgung der wachsenden Weltbevölkerung mit Lebensmitteln zu sichern,
  • oder den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu verringern.

Andere machen sich große Sorgen, wenn es um den Einsatz von Gentechnik geht. Sie befürchten ungewollte Auswirkungen auf unsere Umwelt und warnen vor gesundheitlichen Risiken. Und sie befürchten Auswirkungen des Gentechnik-Einsatzes auf unsere landwirtschaftlichen Strukturen, hin zu immer größeren Akteuren.

Ich finde, dass die neuen Züchtungstechniken - die Diskussionen, die wir darüber führen müssen - eine Chance sind. Eine Chance, auszubrechen aus dem Schwarz-Weiß-Denken.

  • Wir sollten über gemeinsame Ziele sprechen.
  • Wir sollten uns über differenzierte Risikoeinschätzungen austauschen.
  • Und wir sollten unsere Bedingungen für den Einsatz neuer Züchtungstechniken klar formulieren.

Ich habe keinen Hehl aus meiner Einschätzung gemacht: Angesichts des Klimawandels und der wachsenden Weltbevölkerung können wir es uns nicht leisten, den technologischen Fortschritt außer Acht zu lassen. Gleichzeitig gilt für mich selbstverständlich:

  • Wir müssen bei einem hohen Verbraucher- und Umweltschutzniveau bleiben.
  • Und wir müssen dem Vorsorgeprinzip gerecht werden.

Wir wollen eine Debatte zum Umgang mit den Neuen Techniken, die auf wissenschaftlichen Fakten basiert. Dabei müssen wir die Neuen Techniken ins Verhältnis setzten zu der klassischen Gentechnik einerseits - und zu der konventionellen Züchtung andererseits.

  • Wo gibt es Gemeinsamkeiten?
  • Wo gibt es aber auch Unterschiede?
  • Was bedeuten diese für ein konsistentes System der Risikobewertung?

Unser Ziel ist es, einen gesellschaftlich akzeptierten und praktikablen Rahmen zu schaffen. Der muss den Umwelt- und Verbraucherschutz genauso berücksichtigen, wie die wirtschaftliche Freiheit und die Forschungsfreiheit. Wichtig ist mir in der Diskussion, dass wir die wissenschaftliche Risikobewertung von den sozioökonomischen Folgen sauber trennen. Denn: Sicherheitsanforderungen müssen sich aus wissenschaftlichen Erkenntnissen ergeben - und nicht aus strukturpolitischen Zielen.

Wir diskutieren die Auswirkungen des EuGH-Urteils und die Gestaltungsmöglichkeiten, die wir haben

  • innerhalb der Bundesregierung
  • mit den Bundesländern und
  • auf EU-Ebene.

Dafür ist es uns wichtig zu wissen, was die beteiligten Akteure bewegt.

Schluss

Und dazu haben wir Sie heute eingeladen: Diskutieren Sie mit uns, legen Sie Ihre Positionen und Meinungen auf den Tisch. Kommen Sie im "Weltcafé" miteinander ins Gespräch – am besten mit Gesprächspartnern, die nicht Ihrer Meinung sind.

Ich wünsche mir von Ihnen, dass Sie unser Angebot nutzen, um aufeinander zuzugehen und sich gegenseitig zuzuhören.

Zuhören, das wollen auch wir.

Helfen Sie mit, einen guten Weg zu finden für den Umgang mit den Neuen Molekularbiologischen Techniken!

Mit Hilfe der Neuen Techniken können wir die Spielräume in der Landwirtschaft erweitern – mit Blick auf den Klimawandel, mit Blick auf die Ernährung der Weltbevölkerung.

Mit Hilfe der Neuen Techniken könnte auch der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduziert werden – das entspricht den Wünschen vieler Verbraucherinnen und Verbraucher, die den Einsatz von Chemikalien in der Landwirtschaft kritisch sehen.

Als Bundeslandwirtschaftsministerin ist es mir wichtig, dass wir offen sind für technische Innovationen!

Klar ist aber auch, dass die Neuen Techniken nur ein Baustein für eine nachhaltige und zukunftsfähige Landwirtschaft sind. Sie sind kein Rundum-sorglos-Paket für alle Herausforderungen, die es zu stemmen gilt!

In diesem Sinne: Geben Sie uns Ihre Einschätzungen, Ihre Ideen und Ihre Kompromissvorschläge an die Hand für die weiteren politischen Prozesse. Damit wir als Gesellschaft die Chancen nutzen können, ohne die Risiken aus dem Blick zu verlieren.

Ich wünsche Ihnen einen konstruktiven und informativen Austausch. Und bin gespannt auf die Ergebnisse!

Herzlichen Dank!

Erschienen am im Format Rede

Ort: Berlin


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