Die Stärkung der ländlichen Räume ist von essentieller Bedeutung für die Zukunft unseres Landes

Rede der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, auf der 73. Jahrestagung des Deutschen Landkreistages am 18. September 2019 in Merseburg

Es gilt das gesprochene Wort.

Es ist schön, hier zu sein: Mittelalterliche Domstadt, Schlösser, Burgen, Weinanbau – ich fühle mich hier fast wie zuhause!

Doch auch, wenn sich unsere Regionen auf den ersten Blick gleichen, sind sie doch in vielerlei Hinsicht verschieden. Diese Unterschiedlichkeit ist erstmal kein Problem, im Gegenteil: Deutschlands Stärke und Einzigartigkeit hängt mit der Vielgestaltigkeit seiner Regionen zusammen. Wenn Verschiedenheit aber Ungleichwertigkeit der Lebensbedingungen bedeutet, dann haben wir ein Problem. Wenn ganze Landstriche veröden, wenn Menschen sich abgehängt fühlen, dann müssen wir handeln.

Und das tun wir. Gemeinsam. Jede Ebene ist wichtig.

Lieber Herr Sager, ich bin sehr froh, den Deutschen Landkreistag als wichtigen Partner an meiner Seite zu wissen. Ob …

  • im Aktionsbündnis Leben auf dem Land,
  • im Sachverständigenrat Ländliche Entwicklung,
  • in Projekten wie "Hauptamt stärkt Ehrenamt"
  • oder natürlich auch in der Kommissionsarbeit "Gleichwertige Lebensverhältnisse"

wir arbeiten Hand in Hand und erreichen dadurch mehr.

Vielen Dank dafür!

Landkreise sind die Kraftzentren Deutschlands

Wenn es um das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse geht – und diese Maxime zieht sich durch unser Handeln wie ein roter Faden - dann brauchen wir die Landkreise. Die Landkreise, wie auch das Motto der heutigen Veranstaltung sagt, sind die Kraftzentren Deutschlands.

  • Sie koordinieren das Leben der Menschen vor Ort.
  • Sie kennen alle Gegebenheiten Ihrer Region aus dem Effeff und wissen, wo bei den Menschen, die hier zuhause sind, der Schuh drückt.

In den Landkreisen und Gemeinden schlägt das Herz der Demokratie. Hier ist der Ort, wo der Bürger direkt wahrnimmt, wenn sich die Dinge verbessern oder eben auch verschlechtern. Wenn der Bus nur noch zweimal am Tag fährt, die Grundschule schließt, der Dorfmetzger keinen Nachfolger findet und dichtmacht.

Wir können auf Bundesebene die tollsten Programme auflegen: Wenn auf Länder- und kommunaler Ebene die Möglichkeiten nicht wahrgenommen oder nicht umgesetzt werden, nützt das alles nichts. Deswegen ist mir ein enger Schulterschluss mit Ihnen auch so wichtig.

Unsere gemeinsamen Projekte im Bereich Ehrenamt ("Hauptamt stärkt Ehrenamt") und Digitalisierung ("Smarte LandRegionen") stehen kurz vor dem Start. Es sind auch für unser Ministerium Leuchtturmprojekte mit hoher struktureller Relevanz.

Wir brauchen Sie in Ihrer Doppelfunktion als Botschafter der Menschen in der Fläche und als Umsetzer der Angebote des Bundes vor Ort.

Kommission Gleichwertige Lebensverhältnisse hat vieles auf den Weg gebracht

Auch in der Kommission für Gleichwertige Lebensverhältnisse haben wir intensiv zusammengearbeitet. Glauben Sie mir, als Co-Vorsitzende hätte ich mir so manchen Ablauf - speziell in der Zusammenarbeit mit manchen Ländern - auch etwas anders gewünscht.

Aber als Winzertochter bin ich es gewohnt, mit dem zu arbeiten, was ich in der Hand habe und im Wingert vorfinde. Das haben wir auch in diesem Falle so getan und konnten so in der Substanz schon bis zum Sommer einiges für die ländlichen Räume auf den Weg bringen. Ich sage ausdrücklich "auf den Weg bringen", denn das war erst der Anfang, jetzt geht die Arbeit richtig los!

Lieber Herr Sager, ich verstehe, dass die Entscheidung, im Juli einen Kabinettbeschluss mit Maßnahmen der Bundesregierung vorzustellen, bei vielen Ländern und den Vertretern der Kommunalen Spitzenverbände auf Verwunderung stieß.

Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass ein abgestimmter gemeinsamer Gesamtbericht in der Kürze der Zeit ausgeschlossen war. Dazu wurden die Themen in den Facharbeitsgruppen zu kontrovers diskutiert. Aus diesem Grund hat sich die Bundesregierung entschlossen, mit einem eigenen Maßnahmenpaket quasi in Vorleistung zu gehen. Ich würde mich freuen, wenn Sie diese Entscheidung als ersten wichtigen Schritt in die richtige Richtung, nämlich hin zu gleichwertigeren Lebensverhältnissen, anerkennen.

Und es geht ja weiter! Wie angekündigt, werden wir nun das Gespräch mit den Ländern und den Kommunalen suchen.

  • Mit den Ländern wird dies mit den Chefs der Staatskanzleien schon nächste Woche starten.
  • Die Kommunalen Spitzenverbände will der Bundesinnenminister kurz darauf einladen.
  • Der neue Staatssekretärsausschuss der Ressorts beim Bundesinnenministerium wird ebenfalls bereits in Kürze zusammentreten.

Auch zum neuen "Gleichwertigkeits-Check" für Gesetzesvorhaben arbeiten wir derzeit Vorschläge aus. Wir sind gespannt und werden alles daransetzen, dass dieser "Check" nicht als zahnloser Papiertiger endet, sondern als gerade für die ländlichen Räume wichtiges Instrument ernst genommen wird.

Wenn Sie sich sowohl das Maßnahmenpapier der Bundesregierung als auch die "Schlussfolgerungen" der drei Vorsitzminister angesehen haben, werden Sie gemerkt haben: Hier geht es nicht um Maßnahmen für den Rest einer Legislaturperiode. Hier geht es um Weichenstellungen für das nächste Jahrzehnt und um langfristiges Umsteuern. Insbesondere in den Arbeitsgruppenpapieren werden auch Maßnahmen angesprochen, die in der Verantwortung der Länder und Kommunen liegen. Ich würde mich daher sehr freuen, wenn auch von Ihrer Seite Signale kämen, welche Beiträge die Kommunen ihrerseits leisten könnten.

Mit unserer gemeinsamen Arbeit in der Kommission Gleichwertige Lebensverhältnisse haben wir wichtige Erfolge erzielt. Aber darauf werden wir uns nicht ausruhen.

Ich stehe weiter zu einer Grundgesetzänderung zur GAK!

Lassen Sie mich nun zwei Schlüsselfelder herausgreifen, für die ich mich mit aller Kraft einsetzen werde:

Wir brauchen die digitale Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse

Uns allen ist klar: Schnelles Internet und zuverlässige Mobilfunkversorgung sind Grundvoraussetzung, um an einer zunehmend digitalisierten Welt aktiv teilhaben zu können. Privat wie beruflich.
Wenn ganze Landstriche offline sind, dann sind sie um diese Möglichkeit gebracht.

  • Weiße Flecken, Funklöcher, die Unmöglichkeit zu Telefonieren in den ländlichen Räumen sind absolut inakzeptabel.
  • Das gleiche gilt für das Internet. Fehlendes Breitband mit der Folge, dass Menschen auf dem Land nicht mal eine Online-Bewerbung hochladen und versenden können oder ganze Ortschaften von Online- Behördendiensten abgeschnitten sind, sind unannehmbar.

Deswegen steht die Versorgung der ländlichen Räume mit digitaler Infrastruktur auch im Fokus meines politischen Handelns. Deswegen arbeitet die gesamte Bundesregierung, gemeinsam mit den Ländern unter Hochdruck daran, die weißen und grauen Flecken auf unserer digitalen Landkarte schnellstmöglich zu beseitigen.

Und eines ist mir sehr wichtig zu betonen: Wir brauchen digitale Grundversorgung flächendeckend und nicht nur haushaltsbezogen! Wir haben uns in der Bundesregierung vorgenommen, noch im Oktober eine Mobilfunkstrategie auf den Weg zu bringen. Hier werden die Ländlichen Räume in den Mittelpunkt gerückt. Mir und uns wird es in den weiteren Verhandlungen nicht nur um 99 Prozent aller Haushalte in Deutschland gehen, sondern auch um die 400.000 Haushalte, die von den 99 Prozent nicht erfasst werden. Und um 100 Prozent der Fläche!

Unsere gemeinsame Herausforderung – Bund, Länder und Gemeinden - ist es dafür zu sorgen, dass auch die für die Unternehmen unwirtschaftlichen Flächen jetzt versorgt werden. Denn der Landwirt, der jetzt in einen neuen Traktor, der Forstwirt, der jetzt in einen neuen Harvester investiert, braucht jetzt Mobilfunk und nicht 2024. Die neuen Maschinen mit ihren Spurführungssystemen und digitalen Ackerkarten brauchen alle Mobilfunkanschluss – viele Formen der Ressourcenschonung und Einsparung sind schon heute ohne digitale Technik nicht mehr denkbar.

Deswegen brauchen wir heute 4G und perspektivisch auch 5G an jeder Milchkanne und in jeder Ackerfurche. Und wenn und wo das heute noch nicht möglich ist, müssen wir unmittelbar anpacken: Lassen Sie uns die Chancen nutzen und schon heute die digitale Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse herstellen.

Mit dem Bundesprogramm Ländliche Entwicklung, kurz BULE, hat unser Ministerium schon lange die Hand am Puls der Zeit und unterstützt mit Projekten und Modellvorhaben vor Ort.

Mit unserem geplanten Modellvorhaben "Smarte LandRegionen" im Rahmen des BULE werden wir sieben Landkreise fördern, um die Chancen und Möglichkeiten der Digitalisierung in ländlichen Landkreisen unter den spezifischen Gegebenheiten und Herausforderungen der ländlichen Räume, v. a. in der Daseinsvorsorge, zu erforschen und innovative Maßnahmen zu ergreifen. Wir rechnen damit, dass der Startschuss für das Modellvorhaben im Oktober gegeben werden kann. Ziel des Vorhabens ist es, übertragbare Lösungen für die verschiedenen Herausforderungen in ländlichen Räumen zu finden, damit perspektivisch auch weitere Landkreise von den Ergebnissen profitieren können.

Ländliche Räume brauchen zielgenaue Lösungen für die Herausforderungen vor Ort

Gleichwertige Lebensverhältnisse werden nicht mit der Gießkanne geschaffen. Die Dörfer und ländlichen Regionen brauchen eine zielgenaue Förderung.

Der Bund stellt für die integrierte ländliche Entwicklung im Rahmen der GAK im Jahr 2019 rund 280 Millionen Euro zur Verfügung. Zusammen mit den Mitteln der Länder sollen in diesem Jahr rund 465 Millionen Euro z. B. in eine erreichbare Grundversorgung, attraktive und lebendige Ortskerne sowie die Belebung von Gebäudeleerständen investiert werden.

Ein weiterer Schritt zur Unterstützung von strukturschwachen ländlichen Räumen und Dörfern wurde von unserem Ministerium und den Ländern Ende Juli beschlossen: In finanzschwachen Kommunen können ab sofort die Fördersätze um bis zu 20 Prozentpunkte angehoben werden. Der Eigenanteil der betroffenen Kommunen wird entsprechend reduziert, so dass sie Investitionen durchführen können, zu denen sie ansonsten finanziell nicht in der Lage gewesen wären. So sieht zielgenaue Förderung aus!

Regionale Unterschiede in Deutschland dürfen nicht zu Nachteilen werden. Förderung muss daher eine Frage des Bedarfs, nicht der Himmelsrichtung sein. Gemeinsam mit den Bundesländern und den kommunalen Spitzenvertretern haben wir daher im Rahmen der „Kommission Gleichwertige Lebensverhältnisse“ ein neues gesamtdeutsches Fördersystem für alle strukturschwachen Regionen – ländliche wie städtische - in Deutschland entwickelt.

Die Grundidee des neuen Systems ist dabei, die bislang regional beschränkten Förderprogramme auf alle strukturschwachen Regionen in Ost und West, in Stadt und Land auszuweiten. Andere Programme zur Stärkung von Innovation, technischer und sozialer Infrastruktur sowie zur Sicherung der Fachkräftebasis in strukturschwachen Regionen kommen hinzu.

Deutschland braucht diese aktive Strukturpolitik! Disparitäten zwischen einzelnen Regionen müssen abgebaut werden, strukturschwachen Regionen im ganzen Land müssen wir Perspektiven bieten. Mit dem gesamtdeutschen Fördersystem haben wir nun ein starkes Instrument, Regionen mit wirtschaftsstrukturellen Herausforderungen in ganz Deutschland gezielt zu unterstützen.

Schluss

Die Stärkung der ländlichen Räume ist kein Modethema, sondern von essentieller Bedeutung für die Zukunft unseres Landes.

Wenn ich einen Wunsch frei hätte, wünschte ich mir, dass der Diskussions- und Entscheidungsprozess zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse von der Hauptstadt in die Fläche getragen wird.

Wir können nur erfolgreich sein, wenn alle Akteure - Bund, Länder, Kommunen und Verbände - an einem Strang ziehen. Wenn wir dabei vom Menschen im ländlichen Raum her denken und handeln und damit das Gefühl zurückgeben, dass die Politik ihn nicht alleine lässt.

Wir haben jetzt ganz viel über harte Faktoren gesprochen: Glasfaser, Geld, Infrastruktur. Lassen Sie uns nicht vergessen, dass das Leben auf dem Land vor allem etwas Anderes ausmacht: Das Miteinander, das Füreinander. Wir wissen, dass dort, wo Menschen teilhaben, mitgestalten, sich engagieren, weniger Frust, weniger Ohnmachtsgefühl, weniger Politikverdrossenheit herrscht.

Deswegen ist es auch so wichtig, ehrenamtlich Tätige in ihrer wertvollen Arbeit zu unterstützen. Das Ehrenamt ist der Kitt, der gerade die Landbevölkerung zusammenhält.

Es freut mich sehr, lieber Herr Sager, auch bei diesem Thema den Deutschen Landkreistag als starken Partner an meiner Seite zu wissen. Unter dem Dach des Aktionsbündnisses Leben auf dem Land gehen wir auch hier gemeinsame Wege.
Wenn es uns gelingt, die weichen und die harten Faktoren gemeinsam und zielgerichtet anzugehen, dann liegt die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse nicht in ferner Zukunft, sondern beginnt heute.

Lassen Sie uns die Chance ergreifen: zuversichtlich, lösungsorientiert und miteinander.

Vielen Dank.

Erschienen am im Format Rede

Ort: Merseburg


Weitere Informationen zum Thema Kommission gleichwertige Lebensverhältnisse

Das könnte Sie auch interessieren

Landwirtschaftlicher Bodenmarkt in Deutschland (Thema:Boden)

Boden ist ein unersetzlicher Produktionsfaktor für die Landwirtschaft. Er spielt für die wirtschaftliche Stabilität und nachhaltige Entwicklung landwirtschaftlicher Betriebe eine zentrale Rolle. Er bildet die Grundlage einer sicheren Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung und für ein ausreichendes Einkommen der Landwirtinnen und Landwirte.

Mehr

Extremwetterereignisse und Naturkatastrophen (Thema:Landwirtschaft)

Durch die Auswirkungen der Klimakrise nehmen Extremwetterereignisse und Naturkatastrophen nachgewiesenermaßen zu. Diese Entwicklung erfordert ein effizientes Krisenmanagement, aber auch Hilfen für betroffene Regionen werden immer wichtiger. Land- und Forstwirtschaft waren vor allem durch die Dürre 2018 sowie die Starkregen- und Hochwasserereignisse 2021 stark betroffen. Das BMEL reagierte zusammen mit den Ländern mit schneller Unterstützung.

Mehr

Nach dem Hochwasser 2021- Hilfen für Land- und Forstwirtschaft (Thema:Ländliche Regionen)

Die Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 in Teilen Deutschlands hat auch in der Landwirtschaft zu massiven Schäden geführt. Um die betroffenen Betriebe in dieser schwierigen Situation zu unterstützen, reagierte die Bundesregierung und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) mit einem Aufbau-Programm zur Bekämpfung der Katastrophe und Unterstützung der Länder.

Mehr