Wir stehen an der Schwelle eines Systemwechsels in unseren Landwirtschaftssystemen

Rede von Bundesministerin Julia Klöckner bei der Sitzung der Arbeitsgruppe Green Deal der deutsch-französischen Parlamentarischen Versammlung

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

Mut zur Neugestaltung. Selten war dieses Prinzip in der Landwirtschaftspolitik so wichtig wie heute. Denn über Jahrzehnte hatte Landwirtschaftspolitik ein klares Ziel: Menschen satt zu machen. Heute ist Landwirtschaftspolitik mehrdimensional. Sie muss weiterhin Menschen ernähren. Sie muss Ressourcen erhalten. Das Klima schützen und sich selbst auf den Klimawandel einstellen, Artenvielfalt bewahren. Sie muss Stabilitätsanker für den ländlichen Raum sein.

In der Europäischen Union stehen unsere Länder deshalb vor einer gewaltigen Aufgabe. Wir stehen an der Schwelle eines Systemwechsels in unseren Landwirtschaftssystemen. Der genau diese Mehrdimensionalität widerspiegeln muss. Sie haben sich dieser Aufgabe besonders angenommen. Als Mitglieder der Arbeitsgruppe Green Deal der deutsch-französischen Parlamentarischen Versammlung. Sie haben sich das Ziel gesetzt, dass unsere beiden Länder voneinander lernen. Impulsgeber für Europa werden. In einem Themenfeld von elementarer Bedeutung, dem Green Deal.

Sie übernehmen als Vertreter zweier wichtiger Agrarländer damit eine besondere Verantwortung. Dafür, dass es uns gelingt, den Green Deal und die Europäische Agrarpolitik so zu gestalten, dass Landwirtschaft mit all ihren Funktionen weiter erfolgreich arbeiten kann. Das ist wichtig – und ich danke Ihnen für dieses besondere Engagement.

Thema: Deutschland als Vorreiter

Ebenso wie Frankeich arbeiten auch wir in Deutschland aktuell intensiv an einer Weiterentwicklung unserer Landwirtschaft. Weil wir, genau wie Sie, Vorreiter sein wollen. Wir arbeiten an einer Ackerbaustrategie 2035, die wir nach einem umfangreichen Beteiligungsprozess jetzt finalisieren. Es geht um Züchtung von klimaangepassten und schädlingsresistenten Pflanzen, um die Steigerung der Nährstoffeffizienz und die Erhöhung der Kulturpflanzenvielfalt und Biodiversität. Bis Ende 2021 haben wir dafür rund 50 Millionen Euro vorgesehen . Rund 1000 Bürgerinnen und Bürger haben sich mit 4000 Beiträgen beteiligt.

Wir haben ein Investitions- und Zukunftsprogramm entworfen mit einer Milliarde Euro für den Zeitraum 2021 bis 2024. Mit dem wir Ziele, die im Green Deal skizziert werden, schon jetzt mit Maßnahmen unterlegen: Etwa durch die Förderung von emissionsarmen Ausbringungstechniken für Gülle. Wir fördern und erproben neue digitale Techniken, die den zielgenaueren Einsatz von Ressourcen ermöglichen. Wir haben uns intensiv in das deutsche Klimaschutzprogramm eingebracht. Mit Plänen zum Schutz des Moorbodens, zum stärkeren Humusaufbau, für eine emissionsarme Tierhaltung, und zur Stärkung unserer Wälder. In den Jahren 2020 bis 2023 stehen uns dafür zusätzliche Mittel in Höhe von rund 1,3 Milliarden Euro zur Verfügung.

Wir haben in den vergangenen zwei Jahren die Mittel für die Förderung des Ökolandbaus deutlich angehoben, um das 20 Prozent-Ziel 2030 zu erreichen. Wir arbeiten an einem Systemwechsel auch bei der Tierhaltung. Hier hat ein unabhängiges Experten-Gremium im Februar Empfehlungen vorgelegt. Diese haben breite Zustimmung auch im Deutschen Bundestag gefunden, der uns damit beauftragt hat, die Empfehlungen aufzugreifen als Grundlage für die zukünftige Ausrichtung. Viele Punkte, die in der Farm-to-Fork Strategie skizziert sind, sind bei uns bereits in der Umsetzung.

Denn weniger Emissionen, effizienter Einsatz von Dünger: Das sind richtige Ziele. Aber Zielvorgaben, wie sie bei Farm-to-Fork formuliert sind, sind mir zu abstrakt. Wichtig ist doch: Welche Konsequenzen haben sie in der praktischen Umsetzung, auf dem Acker? Deshalb werden wir bei der weiteren Debatte auch einen Schwerpunkt auf die Folgenabschätzung legen. Und darauf, die Strategien in Deckung zu bringen mit der Europäischen Agrarpolitik.

Systemwechsel in der Europäischen Agrarpolitik

Einen Systemwechsel für die Europäische Agrarpolitik haben wir im Agrarrat erreicht. Mit einer nie dagewesenen Stärkung von Klima und Umweltschutz in der europäischen Agrarpolitik. Denn mit der erweiterten Konditionalität knüpfen wir alle Direktzahlungen an gestiegene Umwelt- und Klimaanforderungen.
Die Verpflichtung, 20 Prozent der Mittel der Ersten Säule für darüberhinausgehende Umwelt- und Klimaleistungen zu verwenden, ist ein Beitrag zu mehr Artenvielfalt, zu mehr Umwelt- und Klimaschutz.

Am 10. November haben wir den Trilog begonnen, eine sehr wichtige Phase des Gesetzgebungsprozesses. Die wir aber zuversichtlich angehen. Denn der starke Kompromiss im Ministerrat zwischen 27 Nationen gibt uns Rückenwind. Ein Kompromiss, mit dem wir wesentlich über die Vorschläge der EU-Kommission hinausgegangen sind.

Umso irritierender ist die Behauptung des Kommissionsvizepräsidenten Frans Timmermans, wir würden hinter das Niveau der aktuellen GAP zurückfallen. Denn das Gegenteil ist der Fall: Jeder Euro Fördergeld aus Brüssel wird zukünftig an Umweltleistungen gekoppelt sein.

Zwei Nobelpreise – ein Ziel

In zwei Wochen, am 10. Dezember, werden die diesjährigen Nobelpreise verliehen. Sie sind Gradmesser für die Hoffnungen, für Wünsche und Verpflichtungen, die unsere Zeit prägen. Der Friedensnobelpreis geht in diesem Jahr an das World Food Programme (WFP).

Für uns alle ist das eine Mahnung: Die Ernährung aller Menschen zu sichern – das ist die wichtigste Aufgabe der Weltgemeinschaft. Wir dürfen das erste Ziel der Landwirtschaft, Menschen satt zu machen, deshalb nicht aus den Augen verlieren. Ein anderer Nobelpreis, der Chemie-Nobelpreis, geht in diesem Jahr an die Französin Emmanuelle Charpentier und die US-Amerikanerin Jennifer Doudna. Die Entdeckerinnen der Genschere Crispr/Cas9. Eine Technik, die enorme Chancen birgt, um dem Ziel der Ernährungssicherung weltweit näher zu kommen. Denn mit der Genschere kann zielgenauer, schneller geforscht werden – für Pflanzen, die resistent sind gegen Wetterkapriolen und Klimawandel, die weniger Pflanzenschutzmittel benötigen.

Die Nobelpreise bringen das zusammen, was wir brauchen. Das Ziel, die Welt zu ernähren. Und ein Ja zur Forschung, zu neuen Wegen, um es zu erreichen.

Vielen Dank! Merci beaucoup!

Erschienen am im Format Rede

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