Für eine leistungsstarke, familiengeführte, regionale, klimaschonende, innovative, mutige, großartige, nachhaltige, selbstbewusste, heimische Landwirtschaft.

Rede von Bundesministerin Julia Klöckner zur Eröffnung der digitalen IGW 2021

Es gilt das gesprochene Wort!

ANREDE

Wenn Sie heute in einen Supermarkt gehen – was sehen Sie? Immer öfter Läden, die gestaltet sind wie ein Bauernmarkt: Mit Obst und Gemüse, das in Holzkisten aufgebaut ist, die Fußböden in Pflasterstein-Anmutung.

Warum? Weil Nähe zu Land, Dorf und Bauern ein Zeugnis ist für Frische, für Qualität, für die regionalen Waren, die wir uns wünschen.

"Die deutsche Landwirtschaft ist unverzichtbar." Das sagen 87 Prozent der Menschen in unserem Land.

Aber wo es hakt – das ist hinter den Kulissen dieses Supermarkt-Bauernmarktes. Denn da ist einiges aus dem Gleichgewicht. Hier einige Zahlen:

Bei Eiern kommt nur 43 Prozent des Preises, den der Kunde zahlt, beim Bauern an. Bei der Milch 39 Prozent, bei Kartoffeln 36. Wenig, finden Sie? Bei Fleisch sind es nur 22 Prozent, bei einem Brot sogar nur vier.

Und das für eine ganze Menge Arbeit: Ein Landwirt arbeitet ein Drittel länger als der Durchschnitts-Erwerbstätige: Rund 1700 Stunden pro Jahr. Der Durchschnitt liegt bei 1380. Und das ohne geregelte Arbeitszeit.

Für eine Arbeit, die ständig in der Kritik steht. So, dass vielen auch die Lust an der Landwirtschaft vergeht.

Aber ich will, dass Landwirtschaft eine gute Perspektive bei uns hat. Und da haben wir einiges zu tun: Knapp 40 Prozent der Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe sind 55 Jahre oder älter. Auf vielen Höfen wird es also demnächst um die Frage gehen: Macht die nächste Generation weiter?

Wir müssen uns aktiv kümmern, dass wir auch in Zukunft unsere heimische Landwirtschaft Den Bauern nebenan.

Wir haben schon viel erreicht – aber auch noch viel vor.

Ich will vier Punkte nennen.

Erstens: Wir starten einen Innovationsschub Landwirtschaft.

Sie alle kennen diesen Satz: "Landwirte müssen mehr für Umwelt und Klima tun." Das ist so ein Allgemeinplatz, der immer wiederholt wird. Ja, das müssen sie. Aber: Es darf nicht so sein, dass hier eine Berufsgruppe allein die Bringschuld hat.

Während alle anderen am Spielfeldrand stehen und Tipps geben, was man noch besser machen könnte. Und gleichzeitig selbst nach dem günstigsten Preis schielen.

Es bringt uns auch nichts, uns in klugen Think-Tanks Gedanken zu machen. Wenn es nicht funktioniert, draußen auf dem Acker, der Wiese oder im Stall. Oder nicht wirtschaftlich ist.

Die Einsparungen, bei Pflanzenschutz, bei Dünger, bei Emissionen, die wir unstrittig brauchen: Sie müssen deshalb vor allem erreicht werden über Innovationen und Anreize. Gerade Anfang dieses Jahres haben wir deshalb eines der größten Landwirtschafts-Modernisierungs-Programme gestartet, das unser Land gesehen hat. Mehr als 800 Millionen. Für Maschinen, die eine exaktere Ausbringung von Dünger und Pflanzenschutzmitteln möglich machen. Oder eine mechanische Unkrautbekämpfung. Oder für eine emissionsarme Güllelagerung.

Die Forschung, die Digitalisierung geben uns weitere Lösungsmöglichkeiten an die Hand. Die wir nutzen müssen. Und die wir nutzen wollen.

Mein Zweiter Punkt: Wir müssen das Tierwohl noch mehr in den Mittelpunkt stellen.

Was wollen Verbraucher, was brauchen Tiere – aber was ist auch für den Landwirt wichtig? Also nicht gegeneinander, sondern miteinander.

Denn mit der Akzeptanz der Tierhaltung steht und fällt auch die Akzeptanz der Branche, der Tierhalter.

Deutschland geht ambitioniert voran auch beim Tierwohl. Seit Beginn des Jahres gilt: Keine betäubungslose Ferkelkastration. Die völlige Schmerzausschaltung muss eingehalten werden. Aber das fordern wir nicht nur, sondern wir fördern es auch und helfen den Landwirten bei der Umstellung – mit Investitionen für Gerätschaften und Schulungen.

Und weiter: Wir investieren in moderne Ställe mit mehr Platz für die Tiere. 300 Millionen Euro können jetzt schon abgerufen werden, denn Stallumbauten sind teuer – da überlegt sich ein Landwirt, ob er sich das überhaupt leisten kann oder nicht. Und daran soll ein mehr an Tierwohl nicht scheitern.

Gesellschaftlich ist mehr Tierwohl gewünscht, also ist es Aufgabe der Politik, hier zu helfen und die Landwirte zu begleiten.

Und der Verbraucher soll auf den Produkten auch erkennen können, wie ein Tier gelebt hat. Deshalb bin ich froh, dass wir unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft einen wichtigen Schritt gegangen sind – hin zu einem europäischen Tierwohlkennzeichen.

Wenig Verständnis haben unserer Verbraucherinnen und Verbraucher für das Kükentöten, kurz nach dem Schlüpfen, weil männliche Küken später keine Eier legen. Das ist leider Praxis nahezu überall auf der Welt. Aber ich meine, das ist ethisch nicht vertretbar. Deshalb werden wir das erste Land sein, das gesetzlich das Kükentöten verbietet.

Aber: Wir wollen, dass es weiterhin Brütereien in Deutschland gibt. Deshalb haben wir auch hier geholfen, mit neuer Technik diese Anforderung zu meistern: Mit der Geschlechtserkennung im Ei werden die Eier mit männlichen Küken erst gar nicht ausgebrütet.

Vorreiter können wir beim Tierschutz nur dann werden, wenn wir nicht einfach Gesetze erlassen und uns nicht um die kümmern, die es betrifft, die es umsetzen müssen. Sonst werden wir keine regionalen landwirtschaftlichen Betriebe mehr haben.

Langfristige Perspektiven und Verlässlichkeit sind wichtig. Förderungen, Anreize, Unterstützungen und Forschung. Hier bei uns.

Denn Tierwohlfragen lösen wir nicht dadurch, dass wir sie exportieren.

Mein Ziel ist deshalb ein Umbau der Tierhaltung im Sinne des Tierwohls und im Sinne der Standortsicherung, im Sinne der Bauern.

Unsere "Borchert-Kommission", hat dazu weitreichende Empfehlungen vorgelegt. Denn: Mehr Tierschutz kostet Geld. Wir haben eine Studie in Auftrag gegeben, um zu klären, welche rechtlichen Möglichkeiten wir haben, was europarechtlich geht, wie wir den Umbau finanzieren und gestalten können in einem Binnenmarkt.

Mit meinem dritten Punkt wäre ich wieder bei der Wertschätzung und Wertschöpfung für unsere Produzenten von Obst, Gemüse oder Fleisch.

Der Handel hat eine sehr große, auf Wenige konzentrierte Marktmacht. Die vier größten Handelsketten verfügen über 85 Prozent. Während auf der Erzeuger-Seite eine große Vielfalt herrscht – die wir unbedingt bewahren wollen! Ihre Verhandlungsposition ist aber leider nicht immer die beste. So haben sich in den Geschäftspraktiken unfaire, unlautere Vorgehensweisen etabliert, die wir nicht dulden. Zum Beispiel, dass der Käufer Bestellungen von verderblichen Lebensmitteln kurzfristig stornieren kann. Also den Salat, der schon zur Lieferung bereitstand, wieder abbestellt. Den der Landwirt dann nur noch entsorgen – und selbst die Kosten dafür tragen muss. Das hält kein Bauer auf Dauer durch.

Wir brauchen mehr Wertschätzung für Lebensmittel. Ebenso eine Stärkung regionaler Lieferketten. Und eine bessere Erkennbarkeit der Herkunft.

Mein vierter Punkt ist die Umsetzung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik.

Es ist uns gelungen, während unserer Ratspräsidentschaft einen Systemwechsel einzuleiten – für eine nachhaltigere Lebensmittelproduktion. Wir unterstützen die Landwirtschaft darin, höhere Umweltleistungen zu erbringen. Und sichern den bäuerlichen Familien die notwendigen wirtschaftlichen Perspektiven. Es wird zukünftig keine Leistung ohne Gegenleistung geben. Jeder Euro wird an höhere Klima- und Umweltschutzstandards geknüpft.

Durch neue Öko-Regelungen können wir die Landwirte honorieren, die über diese Standards hinaus noch mehr für Umwelt und Klima tun. Das ist ein Erfolg!

Jetzt gilt es, diesen Rahmen in den kommenden Wochen und Monaten national umzusetzen.

Viele Details sind dazu zu klären. Aber auch das wird Teil unseres Endspurtes in dieser Legislaturperiode sein. Den wir jetzt angehen. Für eine leistungsstarke, familiengeführte, regionale, klimaschonende, innovative, mutige, großartige, nachhaltige, selbstbewusste, heimische Landwirtschaft.

Dafür setze ich mich ein!

Erschienen am im Format Rede

Ort: Berlin/virtuelle Konferenz


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