Ich bin nicht bereit, ein ausbeuterisches System einfach weiter hinzunehmen!

Regierungserklärung von Bundesminister Cem Özdemir im Deutschen Bundestag am 14. Januar 2022

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

am letzten Sonntag, in weiser Vorausschau auf unsere Debatte heute, nahm sich die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung fast zwei Seiten mit dem Titel – ich zitiere - „Der Landwirt am Limit“. Ich kann allen hier die Lektüre des Artikels ans Herz legen – der berichtete über den enormen Druck, dem die Landwirtinnen und Landwirte ausgeliefert sind. Ökonomisch, physisch und vor allem psychisch. Harte Arbeit, Sorgen beim Einkommen, sogar Anfeindung statt Anerkennung.

Meine Damen und Herren, es geht hier um die Menschen, die dafür sorgen, dass wir täglich Essen auf dem Tisch haben. Unsere Landwirtschaft geht uns alle an, wir alle, jeder einzelne von uns profitiert von der großartigen Leistung, die auf unseren Höfen erbracht werden - wir alle leben im wahrsten Sinne des Wortes davon.

Die Preisdebatte

Und da wir alle betroffen sind, wird es dann schnell persönlich, emotional und nicht selten auch holzschnittartig. Ich freue mich über die aktuelle Debatte. Wenn wir sie ernsthaft führen, trägt sie dazu bei, uns die Leistung der Landwirtschaft ins Bewusstsein zu rufen. Wir müssen weiterkommen und dazu die Aufregungsökonomie einmal hinter uns lassen. Einfach nur mit dem Edding durch den Supermarkt gehen, die Preisschilder durchstreichen und höhere Preise dranschreiben, ist nicht die Lösung. Aber wir sollten auch nicht so tun, als wäre es in Ordnung und alternativlos, wenn die Landwirtin von einem Euro, den der Kunde im Laden für Schweinefleisch ausgibt, gerade einmal 22 Cent abbekommt. 

Bin nicht bereit, ein ausbeuterisches System einfach weiter hinzunehmen - auf Kosten von Mensch, Tier, Umwelt und dem Klima!

Worum geht es denn?

  • Es geht erstens darum, dass alle hochwertige und bezahlbare Lebensmittel bekommen.
  • Zweitens sollen die Landwirtinnen und Landwirte von ihrer Arbeit leben können UND dafür auch die Wertschätzung erfahren, die sie verdienen.
  • Und drittens geht es darum, dass wir dabei Klima, Umwelt und Artenvielfalt schonen und die Tiere artgerecht behandeln.

Mir geht es darum diese drei Enden des Zieldreiecks zusammenzubinden. Weil damit auch ein großes gesellschaftliches Ziel verbunden ist: Dort wo es Landwirtinnen und Landwirte gibt, dort engagieren sie sich auch im und für den ländlichen Raum! Eine Stärkung der landwirtschaftlichen Betriebe ist daher auch eine Stärkung des Zusammenhalts.

Tierschutz

Wer Tiere nutzt, hat auch die Pflicht, sie bestmöglich zu schützen. Statt Ställe für Tiere zu bauen, haben wir die Tiere an den Stall angepasst, um den allerletzten Effizienzgewinn herauszupressen. Ställe sind keine Abstellflächen! Wir haben uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, die Landwirte bei dem Umbau der Nutztierhaltung zu unterstützen. Noch in diesem Jahr durch die Einführung einer transparenten und verbindlichen Tierhaltungskennzeichnung! Wenn es dem Tier besser geht, muss das auch der Bauer im Portemonnaie merken.

Lebensmittelmarkt

Und dazu werden wir uns die Wertschöpfung entlang der gesamten Lebensmittelkette anschauen. Wir wollen die Asymmetrien zu Lasten der Erzeuger beenden! Ehrlich machen: Landwirtschaftspolitik muss selbstverständlich sozial sein, aber sie kann eben auch keine Sozialpolitik ersetzen. Ich halte nichts davon, Gruppen gegeneinander auszuspielen. Unsere Koalition wird eine gute Sozialpolitik machen UND eine gute Landwirtschaftspolitik.

Ernährungsstrategie

Ernährungspolitik ist soziale Politik. Wir wollen nicht akzeptieren, wenn Menschen mit geringen Einkommen ein statistisch deutlich gesteigertes Risiko haben chronisch zu erkranken, dies Lebenschancen kostet! Und positiv gewendet… hat es etwas mit Wertschätzung zu tun, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gutes Essen in den Kantinen bekommen und Kinder in Schulen. Mein Ministerium ist nicht allein Landwirtschaftsministerium, sondern auch Ernährungsministerium. Gesunde Ernährung ist die Grundlage für unser aller Wohlbefinden, wir werden deshalb umgehend eine Ernährungsstrategie erarbeiten.

Ziel ist:

  • Weniger Zucker, Fette und Salz in unseren Produkten,
  • Lebensmittelverschwendung effektiv zu reduzieren,
  • regionales und ökologisches Essen in der Gemeinschaftsverpflegung zu fördern,
  • und gutes Essen durch Modellregionenprojekte erlebbar machen.

Klimakrise

Land-und Forstwirtschaft stehen auch im Fokus, wenn es um die Bewältigung der Klimakrise geht. Sie sind Opfer extremer Trockenheit, Wetterkapriolen, die Verschiebung der Jahreszeiten und gleichzeitig Treiber der Klimakrise durch Futtermittelimporte aus den Tropen, immer steigende Intensivierung und den Einsatz von energieintensiv produzierten Pestiziden und Mineraldünger. Sie müssen Teil der Lösung sein, indem wir beginnen die Potentiale zur Kohlenstoffspeicherung zu heben. Schutz der Moore, gezielter Humusaufbau, klimaresilienter Waldumbau, Neu- und Wiederbewaldung, Stärkung regionaler Kreisläufe sind konkrete Punkte des Koalitionsvertrages.

Und wir haben uns darauf verständigt 30 % Ökolandbau bis 2030 zu erreichen. Und zwar nicht nur auf der Fläche, sondern auch im Supermarktregal. Dafür werden wir eine Strategie vorlegen. Es ist richtig, dass der ökologische Landbau unser agrarisches Leitbild bleibt - weniger Pestizide, weniger Dünger und mehr Natur.

Landwirte als eigenständige Unternehmer

Ich werde nicht der Oberlehrer sein, ich will Landwirtinnen und Landwirte befähigen und die vorhandene Lösungskompetenz der Landwirtschaft stärken. Dazu gehört, dass wir in dieser Legislaturperiode ein Konzept vorlegen werden, wie wir die GAP zu einer besseren Honorierung von Leistungen für Klima, Umwelt und die Gesellschaft weiterentwickeln. Mir geht es darum, die Selbstbestimmung der Landwirtinnen und Landwirte zu stärken. Dazu bekommen die Bäuerinnen und Bauern Planungssicherheit. Die fehlte bislang. Die Zeit der falschen Freunde in der Politik, die die Bauern vermeintlich vor den Brüsseler Vorgaben schützen - wie bei der Nitratbelastung unseres Grundwassers - ist vorbei. Die Koalition hat sich darauf verständig, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um das laufende Vertragsverletzungsverfahren zu beenden. 

Wir wollen Klima und Artenvielfalt schützen. Das gilt bei uns im Lande, aber natürlich auch im Rest der Welt, sonst sind wir nicht glaubwürdig. Wir rechnen falsch, wenn wir nur Klimaschutz bei uns einfordern, aber nicht anschauen, was in der Vorproduktion passiert. Genau deshalb stehen die entwaldungsfreien Lieferketten im Koalitionsvertrag!

Wir haben uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, große Räder zu drehen. Aber zum Glück müssen wir das Rad nicht erst neu erfinden. Zukunftskommission Landwirtschaft und das Kompetenznetzwerk Tierhaltung haben gute Ideen entwickelt. Was bisher fehlte, ist eine Strategie, die dann auch durchgehalten wird. In dieser Legislatur werden wir Entscheidungen treffen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da kommt es auf unsere Arbeit hier im Bundestag an. Ich baue auf Sie. Geben wir Ernährung und Landwirtschaft hier im Hohen Haus, in unserer Politik und draußen im Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern den Stellenwert, den Lebensmittel in unserem täglichen Leben tatsächlich haben! Dafür setze ich mich ein und freue mich auf unsere Zusammenarbeit!

Vielen Dank!

Erschienen am im Format Rede

Ort: Berlin


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