Nur gemeinsam können wir verhindern, dass aus der Klimakrise eine Ernährungskrise wird.

Rede von Bundesminister Cem Özdemir beim Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen auf der Münchner Sicherheitskonferenz

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

Meine sehr geschätzte Kollegin Svenja Schulze hat in ihrem Statement ja gerade schon aufgezeigt, wie die neue Bundesregierung der Klimakrise aus der Perspektive der Entwicklungspolitik begegnen will.

Als Minister für Landwirtschaft und Ernährung liegt mein Schwerpunkt heute natürlich auf dem Thema Ernährungssicherung. Aber selbstverständlich denken und handeln wir in der neuen Bundesregierung bei diesem Thema vernetzt. Nur gemeinsam werden wir die drängenden Fragen im Hinblick auf Friedenssicherung, Migrationsbewegungen, Ernährungssicherheit und Zugang zu Ressourcen beantworten können.

Dies sind alles Punkte, die ja bereits allgegenwärtig sind.

  • Madagaskar erlebt aktuell die schlimmste Dürre seit 40 Jahren.
  • Im Südsudan haben die schlimmsten Fluten seit langem die Lebensgrundlagen hunderttausender Menschen zerstört.

Die Zunahme dieser Ereignisse zeigt, dass die Klimakrise negative Auswirkungen auf die Sicherung der Ernährung in vielen Ländern der Welt hat und haben wird. Deshalb gilt es jetzt als internationale Staatengemeinschaft noch mehr für den Klimaschutz zu tun. Denn nur, wenn wir die Klimakrise bewältigen, können wir eine globale Ernährungskrise verhindern.

Die Bekämpfung des Hungers ist immer ein Gebot der Menschlichkeit. Sie ist aber auch ein Gebot der politischen und wirtschaftlichen Vernunft. Soziale Verwerfungen, politische Unruhen und gewaltsame Konflikte haben häufig ihre Ursache im Hunger und dem fehlenden Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen.

Die Sicherung der Ernährung trägt maßgeblich zur Sicherung des Friedens bei. Diese Maxime ist mit Blick auf die Unruheherde der Welt, auf die humanitären Katastrophen und den daraus resultierenden Flüchtlingsströmen aktueller denn je. Engpässe in der Nahrungsmittelversorgung begünstigen politische Instabilitäten.

Ernährungsunsicherheit verbunden mit Perspektivlosigkeit löst aber auch Migrationsbewegungen - häufig vom Land in die Städte - aus. Die Städte sind mit der Integration der Landflüchtlinge häufig überfordert, auch hier können Unruhen und politische Instabilitäten die Folge sein.

Ein starker Indikator dafür, wie es um die weltweite Sicherheitslage bestellt ist, ist die Zahl der Menschen, die weltweit auf der Flucht sind. Laut UN sind dies derzeit mehr als 84 Millionen Menschen! Das ist die höchste Zahl von Flüchtlingen, die die UN je gezählt hat.

Lassen Sie mich Ihnen ein plakatives Beispiel nennen, das die Folgen der Klimakrise für die Ernährungssicherheit aufzeigt: Syrien hat in den Jahren von 2005 bis 2011 eine der größten Dürren der vergangenen Jahrzehnte erlebt. Die Viehbestände sind verendet, die Ernten auf den Feldern sind verdorrt und die Menschen wurden ihres Lebensunterhaltes beraubt.

Das war einer der Faktoren, die zu Radikalisierung, politischen Unruhen und in letzter Konsequenz zum Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien geführt haben.Wir haben damals als Staatengemeinschaft nicht erkannt, welche Rolle die Landwirtschaft als Schlüssel für die Krisen- und Konfliktprävention einnimmt.

Aus unserer Sicht besteht kein Zweifel daran, dass eine nachhaltige Landwirtschaft Baustein einer effektiven zivilen Krisenprävention ist. Hier sind besonders klein- und kleinstbäuerliche Strukturen von Bedeutung. Ihnen soll die Chance gegeben werden, ökonomisch tragfähig zu produzieren für das eigene Einkommen und um die wachsenden Städte zu versorgen.

Kleinbäuerinnen und Kleinbauern brauchen Zugang zu lokalen und überregionalen Märkten. Damit Lebensmittel soweit möglich und wirtschaftlich sinnvoll dort produziert werden, wo sie auch konsumiert werden. So sichert nachhaltige Landwirtschaft die Ernährung und verbessert die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort. Gleichzeitig sorgt sie für Wachstum und Wertschöpfung und eröffnet Bleibeperspektiven.

Landwirtschaft und Ernährungssicherung müssen neben Diplomatie, Entwicklungshilfe und militärischen Lösungsansätzen als Teil eines Konzeptes einer "vernetzten Sicherheit" gesehen werden. Ziel muss es sein, die verschiedenen Politikfelder zu einem ganzheitlichen Ansatz zu integrieren. Dabei gehört es auch zur Aufgabe meines Ministeriums, das Bewusstsein für die sicherheitspolitische Dimension von Ernährung und Landwirtschaft immer wieder zu unterstreichen. Denn der Zugang zu immer knapperen natürlichen Ressourcen wird auch in Zukunft immer stärker ein Auslöser von Konflikten sein.

Eine friedenstiftende Ernährungssicherung muss daher dort ansetzen, wo Konfliktpotential hinsichtlich des Zugangs zu natürlichen Ressourcen besteht. Darüber hinaus ist der Zugang der Menschen zu Land und Wasser der Schlüsselfaktor zur Umsetzung des Menschenrechts auf Nahrung. Ressourcen, die durch die Klimakrise ganz konkret bedroht sind.

Deshalb hat sich das diesjährige Global Forum for Food und Agriculture meines Ministeriums mit der Rolle von Land und Böden für die Sicherung des Rechts auf Nahrung gewidmet. Zusammen mit rund 70 Agrarministerinnen und Agrarministern haben wir dazu im Januar ein gemeinsames Kommuniqué verabschiedet. Denn gesunde Böden sind Grundlage für jede Landwirtschaft, für über 90 Prozent der weltweiten Lebensmittelproduktion. Die nachhaltige Nutzung unserer Böden ist ein Schlüsselelement, um die Klimakrise in Grenzen zu halten und die Artenvielfalt zu erhalten.

Was dabei essentiell ist:

  • Der faire Zugang zu Land - besonders auch für Frauen - und der Schutz von Landnutzungsrechten.
  • Wo noch nicht vorhanden, müssen Staaten unterstützt werden, Regeln für den Erwerb und die Nutzung von Land zu etablieren.

Denn in vielen Ländern sehen wir, dass Land von Investoren aufgekauft wird, die nicht aus der Landwirtschaft kommen. Dieses Land kann dann nicht mehr von den regional ansässigen Bäuerinnen und Bauern bewirtschaftet werden. Doch gerade diese in klein- und kleinstbäuerlichen Strukturen arbeitenden Bäuerinnen und Bauern sorgen in vielen Regionen der Welt für die Sicherung der Ernährung.

Wir müssen das enorme Potenzial der kleinbäuerlichen Landwirtschaft noch besser erschließen. Die Förderung einer kleinbäuerlichen, ökologisch nachhaltigen Landwirtschaft zahlt sich nämlich am Ende dreifach aus:

  • Sie verbessert die Ernährungssituation,
  • reduziert Armut und
  • wirkt gegen die Klimakrise durch umweltverträglichen Anbau.

Deshalb werde ich mich gegen diese Konzentration von Landflächen und gegen Bodenspekulationen einsetzen. Denn landwirtschaftliche Nutzflächen sollen zuallererst die Menschen ernähren.

Die Sicherung der Welternährung ist angesichts der globalen Klimakrise eine Herkulesaufgabe. Die Lösungsoptionen sind vielfältig und häufig direkt miteinander verknüpft, und zwar nicht nur national, sondern international. Sie reichen vom Schutz der Böden, der Wälder und der biologischen Vielfalt bis hin zur Reduzierung von Ernteverlusten und Verbesserungen bei der Lebensmittelverarbeitung.

Benötigt wird ein koordiniertes Zusammenwirken der verschiedenen Politiken und Akteure auf lokaler, regionaler und globaler Ebene. Nur durch eine gemeinsame Anstrengung werden wir die Aufgabe der Überwindung von Hunger und Armut meistern können.

Nur gemeinsam können wir verhindern, dass aus der Klimakrise eine Ernährungskrise wird.

Erschienen am im Format Rede

Ort: München


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