Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, in Gewinnen von heute auf Kosten von morgen zu denken.

Rede von Bundesminister Cem Özdemir beim Deutschen Bauerntag am 14. Juni 2022

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

vielen Dank für den freundlichen Empfang – mal schauen, ob ich auch so freundlich verabschiedet werde…

Ich weiß natürlich, dass es hier – beim Parlament der Bäuerinnen und Bauern – heiß hergehen kann. Mir ist bewusst, mit welcher Leidenschaft Sie nicht nur auf dem Acker und im Stall stehen, sondern hier auch diskutieren. Es geht ja auch um viel, um sehr viel – um die Zukunft unserer Landwirtschaft und unserer Tierhaltung. Es geht um Klima, Böden und Artenvielfalt – um das, was wir nutzen und unbedingt brauchen, damit Sie unsere Ernährung sichern können. Und bei all dem geht es um die Zukunft Ihrer Höfe und Betriebe. Die Zukunft Ihrer Familien, Kinder und Enkelkinder.

Die Herausforderungen sind groß – und es ist mir natürlich nicht entgangen, dass mir der eine oder die andere mit Skepsis begegnet. Manche machen Sie ja schon Sorgen, weil der neue Landwirtschaftsminister Vegetarier ist. Aber ich kann Sie beruhigen: Wenn ich meine Politik an meinen persönlichen Ernährungsgewohnheiten orientieren würde, würde meine argentinische Frau mir mit dem Steak eins überbraten. Mir ist es gleich, ob jemand ein Schnitzel isst oder nicht – was mir nicht egal ist, ob es auch aufgegessen wird. Da kann ich den Schwaben in mir nicht verstecken – Verschwendung tut weh.

Jetzt bin ich ja aber nicht nur Schwabe und Vegetarier, sondern auch noch Grüner. Und ausgerechnet der soll die Tierhaltung in Deutschland zukunftsfest machen, mag da der eine oder die andere denken. Aber genau so ist, meine Damen und Herren. Das ist meine Aufgabe und die meines Ministeriums – und die nehmen wir sehr ernst. Ich weiß, dass die Situation der Höfe und Betriebe vielfältig ist. Nicht wenigen Bäuerinnen und Bauern fällt es gerade schwer, positiv an die Zukunft zu denken. Sie brauchen Planungssicherheit und wirksame Lösungen. Mir ist sehr bewusst, dass wir zum Erfolg verdammt sind. Denn der ökonomische und ökologische Veränderungsdruck wird auch künftig nicht geringer werden, ganz im Gegenteil. Und ich hoffe, dass das über kurz oder lang auch jede und jeder im politischen Berlin begreift, auch in so mancher Landeshauptstadt.

Die umfassende Herausforderung ist es, dass unsere Landwirtschaft weniger krisenanfällig wird. Und es gibt eine sichere Methode, um das nicht zu schaffen: In dem man sich auf die reine Lehre oder irgendwelche absolute Wahrheiten versteift. Erstens gibt es diese Wahrheiten nicht. Und zweitens kommt man damit in einer Demokratie auch nicht weiter. Es gibt auch nicht einfach die Ökos und die Konventionellen. Oder die Jungen und die Alten. Es gibt im Agrarbereich nicht einfach die Guten und die Bösen wie in diesen, alten Western mit John Wayne, wo die Rollen klar verteilt sind. Die Welt und unser Alltag ist viel komplexer als solche Schubladen oder 280 Zeichen auf Twitter.

Sie können sich sicher sein, dass ich alles hinterfrage – auch das, was in Parteiprogrammen steht, wenn sie auf die harte Realität treffen. Man hat mir in den letzten zehn oder zwanzig Jahren ja schon so manches vorgeworfen – aber nicht, dass ich ein Ideologe sei. Und damit fange ich sicher auch nicht als Minister an. Wir müssen heute – mehr denn je – nicht nur an die Gegenwart denken, sondern auch an die Zukunft. Mit Ideologie hat das nichts zu tun, sondern mit Verantwortungsbewusstsein, damit wir auch morgen noch gut leben können. Am Ende des Tages geht es in einer Demokratie um gute Kompromisse und pragmatische Lösungen. Aber eben um Lösungen, die dem Land und Ihnen vor Ort helfen – und die sich an den Problemen nicht mehr vorbeimogeln. Da haben wir in Deutschland bekanntermaßen Nachholbedarf.

Und da kann ich uns allen einen Hinweis nicht ersparen: Wer regiert, der muss Verantwortung tragen und auch Rechenschaft ablegen. Aber wer zuvor regiert hat, der muss auch Verantwortung tragen – und zwar für das, was er nicht auf die Reihe bekommen hat. Und da wundere ich mich in Berlin schon über das politische Gedächtnis einiger, die Hochmut mit Demut verwechseln. Jeder sucht sich seine Freunde selbst aus – aber es gibt eben auch falsche Freunde. Aber gut, wir wollen nicht nach hinten, sondern nach vorne schauen.

Veränderungen für eine bessere Landwirtschaft

Nach vorne schauen – wie Sie es als Bauernverband auch in der Zukunftskommission Landwirtschaft und in der Borchert-Kommission getan haben. Sie haben gemeinsam mit anderen Brücken gebaut und wertvolle Kompromisse erarbeitet. Weil wir alle doch verstanden haben, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Sie, lieber Herr Rukwied, haben dies in Ihrer Grundsatzrede ja auch deutlich gemacht. Sie wollen, dass Landwirtschaft den Transformationsprozess hin zu mehr Nachhaltigkeit weitergeht, denn sie ist maßgeblicher Teil der Lösung beim Umwelt-, Klima- und Artenschutz. Morgen werden Sie als Bauernverband unter dem Motto "Zukunftsbauer" einen Perspektiv-Prozess anstoßen. Dazu braucht es Ehrlichkeit und Offenheit, Veränderungsbereitschaft und unternehmerisches Denken. Und es ist ein wichtiges Signal nach innen und außen, dass Sie es selbst in die Hand nehmen wollen, die Dinge für die Landwirtschaft zum Besseren zu wenden.

Denn es ist offenkundig, dass wir etwas verändern müssen – gerade weil Landwirtschaft nicht irgendein Wirtschaftszweig ist, sondern von existenzieller Bedeutung. Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, in Gewinnen von heute auf Kosten von morgen zu denken. Höfesterben, Dürren, Hitze und Überschwemmungen als Zeichen der Klimakrise, Artensterben, Übernutzung von Böden und Tieren, Kostendruck…

Deshalb muss man hin und wieder Altes hinterfragen und Neues entwickeln. Das tun Sie ja auch als Verband, wenn jetzt mit Frau Schulze-Bockeloh erstmals eine Frau neue und feste Vizepräsidentin sowie Teil des DBV-Vorstandes wird. Glückwunsch zu dieser Entscheidung, die sicher frischen Wind bedeutet. Aber Altes hinterfragt und Neues entwickelt haben Sie als Landwirtinnen und Landwirte doch sicher auch, als Sie den Hof übernommen haben. Und genauso werden es vermutlich auch Ihre Kinder – Ihre Söhne UND Töchter – oder andere Nachfolger tun, wenn sie den Hof hoffentlich übernehmen. Aber nicht, um das Bewährte zu zerstören, sondern gerade um es zu erhalten. Um fruchtbare Böden und die lebensnotwendige Artenvielfalt zu bewahren. Um weiterhin Tiere zu halten, auch um wertvolle Kreisläufe zu schließen. Und um ein Klima zu schützen, damit Extremwetter wie Dürren oder Überschwemmungen nicht Ihre Ernten zerstören.

Wir alle müssen etwas tun, um all das zu bewahren. Das verlangt uns einiges ab. Das verlangt auch Ihnen einiges ab. Und natürlich besteht da immer die politische Verlockung, die Anstrengungen auf die lange Bank zu schieben. Die Debatte um die Umsetzung der Nitratrichtlinie möchte ich hier als konkretes Beispiel nennen. Seien wir ehrlich: Da hat sich keiner der Beteiligten mit Ruhm bekleckert. Ich weiß, dass Sie da jetzt nicht vor Freude an die Decke springen – aber es wird doch wirklich Zeit für Klarheit und Planungssicherheit. Sie müssen doch endlich wissen, woran Sie sind. Wir haben jetzt die Genehmigung der von uns vorgeschlagenen rechtlichen Grundlage der Gebietsausweisung durch die Europäische Kommission. Damit ist eine wichtige Etappe gemeistert, diesen langwierigen Prozess endlich zu beenden. Zudem verhindern wir sehr hohe Strafzahlungen. Ich hoffe, die Länder werden ihrer notwendigen Verantwortung jetzt schnell gerecht, damit wir endlich einen verlässlichen Rahmen schaffen können.

Wir sehen also, dass wir mit einem „Augen zu und durch“ an die Wand fahren. Auch und gerade vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine dürfen wir die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Dieser Krieg hat Herausforderungen ja nicht verändert oder ersetzt – er hat sie vielmehr vergrößert. Laut Welternährungs-Organisation (FAO) kommen mehr als ein Drittel der globalen Treibhausgasemissionen aus der Nahrungsmittelproduktion – das war vor dem Krieg so und das gilt weiterhin. Auch ist der Hunger auf der Welt dort am größten, wo die Klimakrise heute schon tiefe Spuren hinterlässt. Wir müssen diesen Hunger bekämpfen – und dafür sorgen, dass Nahrungsmittel dort verfügbar sind, wo sie gebraucht werden. Und das bedeutet, dass wir die Bäuerinnen und Bauern rund um den Globus stärken, damit sie Ernährung sichern können. Es sind gerade die Kleinbäuerinnen und -bauern, die 60 Prozent der Nahrungsmittel auf der Welt herstellen, in manchen Ländern sogar 80 Prozent der Versorgung gewährleisten. Gerade sie sind immer stärker mit der Klimakrise konfrontiert. Verantwortlich handelt Agrarpolitik also dann, wenn wir über den nationalen Tellerrand hinausschauen. Wenn es den Bäuerinnen und Bauern bei uns in Deutschland gut geht, aber auch überall auf der Welt. Denn Investitionen in die Ernährungssicherheit vor Ort sind immer auch Investitionen in den Frieden. Nehmen wir das Beispiel der Nachernteverlust, die sich laut Schätzungen bei Getreide auf bis zu 30 Prozent belaufen, bei Obst und Gemüse, Fisch und Meeresfrüchten sogar auf bis zu 50 Prozent. Jede Tonne Weizen, die bereits produziert und dann nicht verloren geht, sichert die Ernährung. Dafür braucht es Investitionen in Lagermöglichkeiten, Verpackungsmaterial, Logistik und Verarbeitungskapazitäten. Zudem braucht es freien Zugang zu Saatgut und keine Monopolbildung. Es braucht einen effektiven Wissenstransfer von uns in andere Länder. So können wir die globale Produktivität steigern, ohne bei uns – wie von einigen jetzt gefordert – "Vollgas" geben zu müssen, als gäbe es keine Klimakrise.

Wer diesen barbarischen Krieg und seine Folgen für die Welternährung also jetzt so begreift, dass wir Landwirtschaft nach altem Muster betreiben, der leistet uns – auch Ihren Kindern und Enkelkindern – einen Bärendienst. In Indien, Pakistan und Bangladesch sehen wir gerade, wie erst extreme Hitze und dann Fluten Menschenleben kosten. Das ist keine Klimakrise, das ist eine Klimakatastrophe. Ernten werden vernichtet. Wasserquellen trocknen aus. Tiere dehydrieren, Vögel fallen deshalb tatsächlich einfach vom Himmel. Das erinnert an apokalyptische Zustände. Ich kenne das Johannes-Evangelium aus dem evangelischen Religionsunterricht, den ich als Kind muslimischer Eltern übrigens spannender fand als manche meiner christlichen Mitschüler. Aber das die dortigen Schilderungen später einmal Realität werden könnten, hätte keiner damals gedacht. Früher hieß es, wir sägen am Ast, auf dem wir alle sitzen. Ein Blick in den Weltklimabericht macht aber deutlich, dass es heute nicht mehr nur um den Ast geht: Inzwischen geht es um die Wurzel des Baumes.

Aber – und das ist doch die gute Nachricht – wir haben es noch selbst in der Hand, ob dieser Baum auch morgen noch Früchte trägt, um unsere Ernährung zu sichern. Wir haben es jetzt "noch" in der Hand, aber auch nicht ewig. Man stelle sich doch mal vor, wir hätten den Weg einer nachhaltigen Energieversorgung und einer nachhaltigen Landwirtschaft schon vor zehn Jahren konsequent und Schritt für Schritt eingeschlagen. Die Umstände heute wären ganz andere – wir wären weniger abhängig und weniger krisenanfällig. Und wenn wir dann zehn Jahren zurückblicken, dann soll es eben nicht mehr heißen: Hätten wir 2022 den richtigen Weg einschlagen, dann wären wir heute besser dran. Deshalb müssen wir damit aufhören, Krisen vermeintlich zu lösen, indem wir andere Krisen verschärfen. Deshalb gilt, dass unsere heutigen Lösungen dreierlei gerecht werden müssen:

  • der Ernährungssicherheit – hierzulande wie auch weltweit,
  • dem Klimaschutz und der Biodiversität,
  • und Höfen mit Zukunft.

Wenn das eine nicht funktioniert, wird das andere auch scheitern. Aber Ernährungssicherheit, Klimaschutz und Höfe mit Zukunft können sich auch gegenseitig stärken. Und genau das müssen wir doch hinbekommen – mit Pragmatismus und der Bereitschaft, über die besten Lösungen und Wege zu streiten, auf die Sie sich dann auch verlassen können.

Die Folgen des Kriegs in der Ukraine bewältigen

Pragmatismus und die Bereitschaft, gemeinsam gute Lösungen zu finden – das gilt natürlich auch für unser Hilfsprogramm für die besonders von der Krise betroffenen Betriebe unserer Branche. Wir erhöhen die 60 Millionen Euro aus EU-Krisenreserve um 120 Millionen Euro, um sie zielgerichtet, schnell und effizient an die Betroffenen bringen. Wir wollen die aktuell besonders von steigenden Energiepreisen betroffenen Gartenbaubetriebe, den Obst- und Weinbau sowie die Tierhaltungsbetriebe entlasten. Die Details der konkreten Umsetzung haben wir erarbeitet und stimmen sie jetzt in der Bundesregierung ab. Wir werden diese 180 Millionen Euro zielgerichtet, unbürokratisch und vor allem so schnell wie möglich auf die Höfe bringen.

In einer solchen Krisensituation braucht es Maßnahmen, die kurzfristig der nachhaltigen Ernährungssicherung dienen und zugleich im Sinne unserer Umwelt- und Klimaziele wirken. Wir schauen uns darum im konkreten Fall jeden Punkt einzeln an und wägen Kosten gegen Nutzen ab. Ich drehe jedes Korn um und treffe dann meine Entscheidungen. Deshalb habe ich vorgeschlagen, die ab 2023 in der GAP geplante neue Fruchtwechsel-Regelung zu verschieben, damit unsere Landwirtinnen und Landwirte Weizen auf Weizen anbauen können. Zur Ehrlichkeit gehört: Dafür zahlen Umwelt und Böden einen Preis. Sie wissen besser als andere, dass die Fruchtfolge ja nicht ohne Grund besteht. Aber dieser Kompromiss steht in vertretbarem Verhältnis zur Notwendigkeit. Ich habe zuvor schon die Nutzung des Aufwuchses von Brachflächen und der Zwischenfrüchte auf ökologischen Vorrangflächen für zusätzliche Futterkapazitäten ermöglicht. Gleichzeitig möchte ich diese ökologisch wertvollen Artenvielfalts-Flächen für die Biodiversität erhalten und lehne eine Hochertragslandwirtschaft mit Düngern und Pestiziden auf diesen Standorten ab. Ich weiß, dass nicht alle hier deswegen jubilieren – ganz im Gegenteil, manche haben mich deshalb persönlich für den Hunger in der Welt verantwortlich gemacht. Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass der Hunger in der Welt so manchen der Kritiker schon bewegt hätte, als die Getreidepreise noch nicht so exorbitant durch die Decke gegangen sind. Und als langjährig erfahrener ehemaliger Oppositionspolitiker erlaube ich mir den Hinweis: Immer nur das Gegenteil von dem zu fordern, was die Regierung gerade macht oder vorschlägt, ist noch keine eigenständige Oppositionspolitik. Die Zeiten sind wirklich zu ernst, um nicht konstruktiv zu arbeiten – aber auch Opposition will gelernt sein.

Ich mache mir diese Entscheidungen nicht leicht – aber ich darf nicht nur an das Heute, ich muss auch an das Morgen denken. Denn nur, wenn wir schützen, was wir nutzen müssen, können wir unsere Ernährung dauerhaft und unabhängig sichern. Diesem Anspruch müssen pragmatische Kompromisse ebenfalls gerecht werden. Das ist übrigens keine Spinnerei eines grünen Ministers, sondern das, was uns die Wissenschaft sagt. Das hat die Experten-Anhörung im Agrarausschuss des Deutschen Bundestages zu den Folgen des russischen Angriffskriegs vor Kurzem sehr deutlich gemacht hat. Unisono haben uns die Wissenschaftler ins Stammbuch geschrieben, dass wir Umwelt- und Klimaziele jetzt eher noch ehrgeiziger angehen müssen als zuvor. Warum? Weil genau darin ein Schlüssel zur Ernährungssicherheit liegt. Auch die EU-Kommission hat uns in der vergangenen Woche mit ihrem kritischen Bewertungsschreiben zu unserem GAP-Strategieplan einen klaren Auftrag gegeben. Dies übrigens an die Adresse derer, die behaupten, ich sei mit meiner Vorgehensweise in der EU isoliert. Nach Amtsübernahme hatte ich mich dafür entschieden, wenig zu ändern, damit Sie alle Planungs- und Investitionssicherheit haben. Jetzt wirft mir die Kommission vor, die GAP zu wenig grün ausgerichtet zu haben. Wir müssen jetzt die Maßnahmen stärken, die die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, Mineraldünger und importierten Eiweißpflanzen zu verringern. Wir müssen konkretere Umwelt- und Klimaziele im Strategieplan festlegen. Wir sind deshalb zurzeit im engen Austausch mit der Europäischen Kommission und den Ländern, um zu klären, wie die konkrete Umsetzung laufen kann. Denn wir wollen schnellstmöglich Planungssicherheit für das kommende Jahr schaffen.

Apropos Umwelt- und Klimaziele. Ich möchte an dieser Stelle eines ausdrücklich klarstellen: Damit Höfe eine Zukunft haben, müssen sie nicht Öko sein. Natürlich kann man darüber streiten, ob 30% Ökolandbau bis 2030 erreichbar sind oder nicht. Aber mindestens so spannend ist es doch, über die anderen 70% zu diskutieren – und wie die nachhaltiger und besser werden, um in Zeiten der Klimakrise eine Zukunft zu haben. Wie man möglicherweise auch gegenseitig voneinander lernen kann – und zwar in beiden Richtungen! Da entscheidet sich unsere Zukunft mindestens so sehr wie bei der bloßen Frage, ob Öko oder konventionell.

Landwirtschaftliche Tierhaltung zukunftsfest aufstellen

Im Dreieck von Ernährungssicherheit, Klima- und Artenschutz sowie Höfen mit Zukunft spielt landwirtschaftliche Tierhaltung in Deutschland eine entscheidende Rolle. Sie braucht eine klare und verlässliche Zukunftsperspektive. Die Maßnahmen – oder besser: nicht erfolgten Maßnahmen – der Vergangenheit haben in eine Sackgasse geführt. Die Zahlen sprechen doch eine klare Sprache. Von 2010 bis 2020 hat sich die Zahl der Schweine haltenden Betriebe halbiert. (2010: rund 60.000 / 2020: rund 32.000; Rückgang 47%). Die Politik der vergangenen Jahre hat es doch eher verhindert, diesen Trend zu stoppen. Da geht es um Existenzen und die Zukunft des ländlichen Raums.

Deshalb müssen wir die landwirtschaftliche Tierhaltung auf neue, kräftigere Beine stellen. Wir brauchen sie für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft, die zukunftsfähig ist. Vielleicht kennen einige meine frühere politische Arbeit in anderen Bereichen. Bei aller Kritik, die manche an meiner Linie haben könnten, kann mir eines wahrlich nicht vorwerfen: Dass ich dort, wo ich gerade bin, das sage, was man gerne von mir hören möchte. Ich plädiere hier für die Zukunft der Tierhaltung in Deutschland und tue das genauso auf einem Grünen Parteitag. Gerade weil mir die Kreislaufwirtschaft wichtig ist, möchte ich eine Wirtschaftsdünger-Strategie entwickeln. Da kann es auch schon mal Dissens geben mit jenen, die der Tierhaltung grundsätzlich kritisch gegenüberstehen. Ich verweise da auch gerne auf die Worte meines Landesvaters in Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann. Er ist ja Biologe und sagt mir quasi bei jedem unserer Treffen, dass die Kuh eine großartige Erfindung unseres Herrgottes oder von wem auch immer ist. Warum? Denn sie verwandelt Gras, das für die menschliche Ernährung ungeeignet ist (und auch nicht geraucht werden kann), in großartiges wie Milch, Käse, Joghurt und Butter. Und ich will, dass auch in Zukunft noch gutes Fleisch aus Deutschland auf den Tisch kommt. Umgekehrt sollte uns allen aber auch klar sein: Wenn wir unseren Beitrag zum Klimaschutz leisten wollen, dann geht es nur mit weniger Tieren und besser verteilter Tierhaltung in unserem Land. Dann geht es nur mit mehr Platz für die Tiere. Dann geht es nur mit einer staatlichen Kennzeichnung des Fleisches, um die Verbraucherinnen und Verbraucher mitzunehmen. Und dann geht es auch nur so, dass es für diese Leistungen der Landwirtschaft bei den höheren Haltungsformen eine gesicherte Finanzierung des Staates braucht. Das kann man gar nicht oft genug sagen, damit die Landwirte mit ihren berechtigten Anliegen nicht nur politisch, sondern auch gesellschaftlich stärker unterstützt werden! Wenn es dem Tier bessergehen soll, dann muss der Bauer das auch im Geldbeutel merken.

Zugleich machen die steigenden Lebensmittel- und Energiepreise vielen Bürgerinnen und Bürgern, die jeden Cent umdrehen müssen, große Sorgen. Ich möchte an dieser Stelle betonen: Landwirtschaftspolitik muss sozial sein, aber sie kann Sozialpolitik oder eine gerechtere Steuerpolitik nicht ersetzen. Die Bevölkerung fordert mehr Tierwohl, mehr Qualität, mehr Klimaschutz – und es kostet seinen fairen Preis, damit Landwirte das leisten können. Und wenn wir diesen Preis nicht zahlen können, dann mag das Fleisch jetzt noch billig sein – aber dann wird es perspektivisch keine ausreichende Tierhaltung mehr geben in Deutschland. Fleisch wird es geben, aber unsere Tierhaltung in Deutschland wird nicht mehr konkurrenzfähig sein. Dann werden die tierhaltenden Betriebe dichtmachen, weil sie nicht dauerhaft gegen das Klima und die Verbraucher wirtschaften können. Darunter würde die Versorgungssicherheit leiden und die regionale Wirtschaft. Deshalb ist es jetzt unsere wichtigste Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die notwendigen Investitionen auf den Höfen unterstützt werden, dass mehr Tierwohl beim Verkauf der Produkte für die Verbraucherinnen und Verbraucher auch verlässlich sichtbar wird und, dass insgesamt Verlässlichkeit und Planungssicherheit für Sie einkehrt.

Genau das will ich mit einem Gesamtpaket für eine zukunftsfeste Tierhaltung erreichen. Es besteht aus 4 Teilen:

  • Der Tierhaltungskennzeichnung,
  • einem Finanzierungskonzept mit langfristiger Perspektive,
  • besseren Regeln beim Tierschutz
  • sowie Anpassungen im Bau- und Genehmigungsrecht.

Natürlich wäre es uns allen lieber, wir würden den zukunftsfesten Umbau der Tierhaltung auf einmal hinbekommen – für alle Bereiche und alle Tiere. Zumal schon zu viel Zeit verloren wurde. Und ich weiß natürlich, dass in der Vergangenheit von diesem Pult aus auch schon manches gehört haben, das dann leider nie umgesetzt wurden - gerade bei der Zukunft der Tierhaltung. Damit soll und muss jetzt Schluss sein: Entscheidend ist, dass wir jetzt endlich anfangen. Wir wollen natürlich auch alle anderen Tierarten nach und nach in die Haltungskennzeichnung mit einbeziehen – aber wir fangen jetzt beim Schwein an und machen dann Schritt für Schritt weiter. Und nur so wird es auch gehen: Schritt für Schritt, aber verlässlich und planungssicher.

Deshalb habe ich in der vergangenen Woche die Eckpunkte zur Ausgestaltung der Tierhaltungskennzeichnung vorgestellt. Es werden fünf Haltungsformen gekennzeichnet. Mit der der Haltungsform „Stall+Platz“ schaffen wir eine attraktive Kennzeichnung für die bereits an der Initiative Tierwohl beteiligten Betriebe. Also für all die Betriebe, die deutlich machen, dass ihnen bereits heute ein Mehr an Tierwohl wichtig ist. Ich weiß aber auch, dass jetzt nicht sofort alle Betriebe einen Stallumbau auf höchste Standards leisten können, selbst wenn sie sofort wollten. Deshalb setze ich mich für eine Lösung ein, die das Machbare im Blick hat und uns zugleich vorwärtsbringt. Im ersten Schritt wird frisches Schweinefleisch, das gekühlt oder gefroren wurde, mit einer Kennzeichnung versehen. Eine Ausweitung auf andere Bereiche der Wertschöpfung z.B. Gastro und Außerhausverpflegung, soll noch in dieser Legislatur folgen.

Diese Kennzeichnung wirkt in drei Richtungen:

  • Die Tiere sollen von tiergerechteren Haltungsbedingungen profitieren.
  • Verbraucher und Verbraucherinnen sollen mehr Informationen darüber erhalten, wie das Tier gehalten wurde.
  • Und Landwirte können ihren Einsatz für mehr Tierwohl und Tierschutz dem Kunden gegenüber transparent machen und dafür auch einen Mehrwert geltend machen. Sie verdienen es, dass Ihre Leistungen an der Theke und im Supermarkt auch tatsächlich gesehen werden.

Damit sich der Einsatz der Landwirte für mehr Tierwohl und Tierschutz lohnen kann, muss er auch unterstützt und finanziert werden. Das ist den allermeisten Akteuren auch sonnenklar. Die Förderung soll dabei nicht nur den Umbau oder Neubau hin zu tiergerechteren Ställen umfassen. Es müssen auch die laufenden Mehrkosten für eine tiergerechtere Haltung ausgeglichen werden. Und diese Kosten können nicht von heute auf morgen nur am Markt erlöst werden. Beim notwendigen Wandel nur auf den Markt zu setzen, wäre gesellschaftlich und politisch hochgradig unsolidarisch.

Deshalb brauchen wir zwingend ein wirksames Finanzierungskonzept. Und ich kann Ihnen versichern: diese Kostenfrage ist mir sehr bewusst. Ihr gilt gerade mein ganzer Einsatz, um im Kabinett zu einer guten, tragfähigen Lösung zu kommen. Ich habe verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten vorgelegt. Jetzt müssen Entscheidungen getroffen werden. Immer nur Nein sagen geht nicht, denn das ist – gerade in Zeiten der Klimakrise – letztlich auch ein Nein zur landwirtschaftlichen Tierhaltung. Wir – und damit meine ich die Bundesregierung – wollen und dürfen Sie nicht länger vertrösten, denn mit jedem Tag, den wir warten, verlängern wir das Höfesterben.

Landwirtschaft hat Perspektive, wenn Landwirte zufrieden sind

Landwirtschaft ist notwendig und unverzichtbar. Aber wer daraus ableitet, dass sich immer jemand finden wird, der, sät, erntet und sich um Tiere kümmert – der könnte sich gewaltig irren. Als Landwirtin und als Landwirt zu arbeiten, ist mehr als ein Beruf. Es steckt darin auch Identität und Verbundenheit zum ländlichen Raum. Ein Start-Up kann man gründen und wenn man scheitert, kann man es woanders wieder versuchen. Und wieder versuchen. Wenn ein Hof nach mehreren Generationen scheitert, dann ist es anders. Dann geht häufig unwiderruflich etwas kaputt. Und deshalb hat Landwirtschaft nur dann eine Zukunft, wenn die Menschen zufrieden sind, die das Land bewirtschaften – die Bäuerinnen und Bauern. Wenn Sie trotz aller Unwägbarkeiten des Alltags zufrieden sind mit ihrer Arbeit, mit ihrem Einkommen und mit der Perspektive, die sie ihren Kindern geben können – nur dann hat Landwirtschaft eine gute Zukunft.

Zu einer guten Zukunft gehört aber auch, dass der Gesellschaft eine nachhaltige Landwirtschaft auch etwas Wert sein muss! Damit meine ich nicht nur gesellschaftliche Anerkennung in Form von Wertschätzung. Damit meine ich auch gesellschaftliche Anerkennung in Form von Wertschöpfung. Wenn wir eine Landwirtschaft wollen, die Boden und Tier nutzt und schützt, die nicht nur auf Quantität, sondern auch auf Qualität setzt – dann muss uns das als Gesellschaft auch etwas Wert sein, auch finanziell etwas Wert sein. Am Ende des Tages muss es sich rechnen – aber nicht alles lässt sich in Zahlen fassen. Denn wo es Landwirtinnen und Landwirte gibt, dort prägen sie auch den ländlichen Raum! Dort gibt es Ehrenamt und Engagement – und klare Kante gegen Radikalisierungen. Eine Stärkung der landwirtschaftlichen Betriebe ist daher auch eine Stärkung des Zusammenhalts.

Anrede,
das Amt des Landwirtschaftsministers ist mit großer Verantwortung verbunden. Man muss zuhören und dazulernen. Man muss auch schauen, ob die schöne Theorie in der Praxis auch funktionieren kann. Deshalb freue ich mich, demnächst bei Ihrem neuen Vizepräsidenten Dr. Hennies einen Tag auf dem Betrieb dabei zu sein. Das hilft, die eigene Wahrnehmung zu schärfen, das eine oder andere zu hinterfragen und gute Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen, die mal begrüßt und dann wieder kritisiert werden. Das ist nicht verwunderlich angesichts der vielfältigen Erfahrungen, Interessen und auch Philosophien, die es in der Landwirtschaft gibt. Meine Tochter hat das gerade persönlich erleben dürfen. Im Gegensatz zu mir hat sie ihre Kindheit ja in der Stadt verbracht. Sie hat ein dreiwöchiges Praktikum auf einem Bauernhof verbracht hat – und vom morgendlichen Kühe melken, dem Misten des Stalls bis zum Hofverkauf alles mal mitgemacht hat. Seither spricht sie spürbar anders und mit noch mehr Respekt über Ihre Arbeit. Es würde ganz sicher nicht schaden, wenn mehr Jugendliche auch mal ein Praktikum auf einer landwirtschaftlichen Einrichtung absolvierten. Sie würden sehen, wo unsere Lebensmittel herkommen und welche Arbeit dahintersteckt.

Es ist eine Arbeit, die mit Anstrengungen und auch Zumutungen verbunden ist – gerade wenn es darum geht, den Wandel zur nachhaltigen Landwirtschaft Schritt für Schritt voranzubringen. Aber wir haben dabei gemeinsam ein Ziel im Blick: eine Zukunft, die für unsere – auch Ihre! – Kinder und Enkelkinder Gutes verspricht. Über den Weg dorthin werden wir uns sicher streiten – und dann aber hoffentlich auch immer wieder gute Kompromisse finden. Kompromisse, die schaffen, was uns wichtig ist:

  • eine Landwirtschaft, die uns ernährt,
  • die unsere Lebensgrundlagen schützt
  • und Höfe mit Zukunft, deren Arbeit nicht nur wertgeschätzt wird, sondern sich auch wirklich lohnt.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Punkt jenseits unserer nationalen Debatten ansprechen. Ich hatte am vergangenen Freitag Dank der Einladung meines Amtskollegen Mykola Solski die Möglichkeit, mir persönlich in der Ukraine einen Eindruck der Situation zu verschaffen. Mit ihm gemeinsam habe auch landwirtschaftliche Einrichtungen und Bauernhöfe besucht und mit Landwirten geredet. Es nötig mir einen großen Respekt ab, wie sie einerseits ihre Heimat gegen den russischen Aggressor verteidigen. Und wie sie gleichzeitig alles dafür tun, die Versorgung ihrer Bevölkerung sicherzustellen und weiter zu produzieren, obwohl Putin die Exporte über das Schwarze Meer blockiert. Ich kann sicher auch in Ihrer aller Namen sagen, dass wir alle miteinander solidarisch an der Seite der Landwirte, ihrer Familien und all ihrer Beschäftigten in der Ukraine stehen. Ich werde weiterhin alles in meiner Macht Stehende tun, damit das zynische Spiel des Verbrechers Putin nicht aufgeht, die Ukraine als Konkurrenten auszuschalten und dabei Hunger als Waffe einzusetzen. Mir hat dieser persönliche Eindruck noch einmal gezeigt, dass wir nichts für selbstverständlich halten dürfen. Es ist mit nichts aufzuwiegen, dass wir in einer Demokratie leben, in der wir sagen können, was wir denken. In einer Demokratie, wo man die Regierenden schonungslos kritisieren kann, ohne um sein Leben zu fürchten. Das sollten wir bei allen, auch harten Sachdiskussionen immer im Blick haben. Die Freiheit zu streiten, muss uns immer mehr Wert sein, als die Bequemlichkeit zu schweigen.

In diesem Sinne. Vielen Dank.

Erschienen am im Format Rede

Ort: Lübeck


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